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Der nachfolgende Artikel ist im August 1992 im A-Bulletin, Zürich, erschienen.

 

Er entstand aufgrund der damals vorliegenden Informationen. Seitdem haben sich diverse neue Aspekte ergeben, einerseits zur Lage der Jenischen in der Schweiz, aber insbesondere auch zum geschäftlichen und öffentlichen Wirken Stephan Frischknechts. So wurde dem Herisauer Juristen inzwischen das Anwaltspatent entzogen. Einiges zu dem, was seither geschah, ist aus einem Nachtrag zu ersehen, zu finden am Ende des Artikels.

 

 

Jenische in der Schweiz

oder

Eine unendliche Geschichte von Verfolgung und Bevormundung

 

Vor mehr als vier Jahren erschien in zwei Nummern des A-Bulletins ein Interview von Liliane Studer mit der jenischen Schriftstellerin Mariella Mehr zum Thema "Kinder der Landstrasse".

"Kinder der Landstrasse", so hiess das  Hilfswerk der Pro Juventute, welche den Schweizer Fahrenden von 1926 bis 1973 gezielt die Kinder wegnahm, mit Unterstützung von Behörden aller Stufen. Das Programm bezweckte die "Entvölkerung der Landstrasse", die Beseitigung der nomadischen Lebensweise der Jenischen, die Zwangsassimilierung der mindestens 6l9 weggenommenen jenischen Kinder an ihre oft brutalen und verständnislosen sesshaften Heimerzieher, Pflegeeltern und Arbeitgeber. Der neue Spielfilm von Urs Egger, der auch den Titel "Kinder der Landstrasse" trägt, handelt von dieser grausamen Geschichte, zu der mittlerweile auch mehrere Bücher existieren (siehe Literaturliste).

 

Die gern geglaubte Formel "Wiedergutmachung"

Mariella Mehr informierte in diesem Interview die Leserinnen und Leser des A-Bulletins, wie die Jenischen von Rechtsanwälten und Regierungsleuten bezüglich Entschädigungen für die erlittene Verfolgung, Akteneinsicht und Verantwortlichkeitsstudie ausgetrickst worden sind und wie der nicht-alternativen Öffentlichkeit gleichzeitig weisgemacht wurde, alles sei in bester Ordnung. Unrecht werde beispielhaft "wiedergutmacht", war die gern geglaubte Formel.  In Wirklichkeit wurden die Opfer des Ausrottungs- und Umerziehungsprogramms "Kinder der Landstrasse", soweit sie noch am Leben sind, mit einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche umsichtig davon abgehalten, ihre Rechtsansprüche auf Genugtuung und Schadenersatz vor Gericht geltend zu machen; ferner wurde darauf geachtet, dass das brisanteste Aktenmaterial zu dieser Ausrottungskampagne nach wie vor unter strengem Verschluss blieb. Auch vier Jahre später scheint die Trickkiste der Austrickser noch gut munitioniert zu sein. Es finden sich dort nach wie vor immer wieder neue Finten zur Irreführung der Öffentlichkeit, Versprechungen, sanfte Drohungen, wirksame Massnahmen und Hinhaltemanöver.

 

Der sogenannte "Anwalt der Jenischen"

Einer hat sich unterdessen allerdings selber ausgetrickst: Der Herisauer Rechtsanwalt Stephan Frischknecht. Als Konstrukteur und Sekretär der Stiftung Naschet Jenische hat er dieser seiner Schöpfung Unsummen von nahezu Millionenhöhe für das  Wirken seines Büros in Rechnung gestellt  und zu einem schönen Teil auch einkassiert.  Aber der Krug ging nur zum Brunnen, bis er brach. Nachdem der "Schweizerische Beobachter" am 10. Mai 1991 mit der Titelgeschichte "Hilfsgelder für Fahrende: Anwalt macht Kasse" das Desaster dokumentierte, musste Frischknecht als Stiftungssekretär zurücktreten. Das bedeutete auch für die jenischen und nichtjenischen Mitglieder des Stiftungsrats ein böses Erwachen. Ein Teil davon zog sich zurück, einige blieben Frischknecht treu und gründeten einen Verein namens "Interessengemeinschaft Kinder der Landstrasse", dessen Statuten, wie schon die Satzung von Naschet Jenische, wiederum von Frischknecht abgefasst worden sind. 

Der übriggebliebene harte Kern, darunter der Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse, Robert Huber, und die neue Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische, Uschi Waser (siehe Kasten zu den einzelnen Organisationen), versuchte 1991 und 1992, den Karren aus eigener Kraft aus dem Dreck zu ziehen. Sie wollten auch Hans Caprez, dem ersten Aufdecker des Skandals um die Schweizer Jenischen-Verfolgung,  Rückendeckung geben, denn Caprez war von Frischknecht wegen seines Artikels umgehend vor Gericht gezogen worden. Rechtsanwalt Frischknecht, der angeblich Tag und Nacht gearbeitet hatte, um den Jenischen zu ihrem Recht zu verhelfen, hat somit Klage nicht gegen die Pro Juventute, den Bund oder die Kantone erhoben, sondern ausgerechnet gegen den Mann, dessen wegweisende Artikel in den frühen 70er Jahren zum Stopp der Ausrottungsaktion führten!

 

Klage gegen die Opfer statt gegen die Täter

Gleich nach seinem Rücktritt als Sekretär von Naschet Jenische wurde Frischknecht  gegen seine früheren Klienten, die Jenischen, juristisch aktiv: Er forderte gerichtlich von der Naschet Jenische die Zahlung einer Honorarsumme von Fr. 325'705.15, zusätzlich zu den bereits erfolgten Zahlungen der Stiftung Naschet Jenische an sein Büro, welche sich in den Jahren 1990 und 1991 schon auf die stolze Summe von 520'000.- Franken belaufen hatten.

Zur Klärung der Situation liess die Naschet Jenische ein Rechtsgutachten über die frühere Arbeit Frischknechts als Stiftungssekretär erstellen. Verfasser dieses Gutachtens ist Dr. Adrian Rüesch, Rechtsanwalt in St. Gallen. Rüesch kam zu brisanten Erkenntnissen über seinen Anwaltskollegen Frischknecht. In erster Linie seien die den Honorarforderungen Frischknechts zugrundegelegten Stundenberechnungen  "klar widerlegt".

 

Gut berechnet ist halb gewonnen

Rüesch geht bei dieser Widerlegung von seiner Kenntnis anderer Rechnungstellungen Frischknechts aus. Er machte eine Zusammenstellung aller ihm bekanntgewordenen Stunden, die Rechtsanwalt Frischknecht in Rechnung stellte: "Insegsamt ergeben sich somit für 1988 weitere 268, für 1989 weitere l266 Stunden, die RA Frischknecht fakturiert hat. Zusammen mit den Stunden gemäss vorstehender Tabelle (die er der Naschet Jenische verrechnete, T.H.), hat somit RA Frischknecht nur für diese Mandate (daneben führte er mit Sicherheit in gewissem Umfange weitere Mandate) für 1988 l827 Stunden, für 1989 sage und schreibe 2968 Stunden geltend gemacht." Ein anderes Mandat, das in dieser Zusammenstellung nicht enthalten ist, ist beispielsweise das Wirken Frischknechts für die Adrian Gasser AG, unter anderem im Zusammenhang mit der umstrittenen Messingkäferverseuchung einer Zürcher Textilfabrik.

Rüesch kommentiert die ihm im Detail bekannten angeblichen Arbeitsstunden Frischknechts folgendermassen: "Für l989 würde dies auf 365 Tage gerechnet (ohne jegliche Ferien oder Feiertage, inkl. Samstag und Sonntag) eine Tagesleistung von über 8 Stunden nur für diese Mandate ergeben."

Ferner kritisiert  Rüesch, der allerdings auch die durch satte Sitzungsgelder abgepolsterte Kritiklosigkeit der Stiftungsräte von Naschet Jenische gegenüber ihrem Sekretär rügte, die Selbstherrlichkeit Frischknechts. Er hält fest: "Rechtsanwalt Frischknecht hat die Stiftung in gewissen Punkten geführt, wie wenn er allein entscheidungsberechtigtes Organ derselben gewesen wäre".

Gutachter Rüesch befasste sich auch mit allfälligen strafrechtlichen Gesichtspunkten einer Beurteilung der Rolle Frischknechts als Sekretär der Stiftung Naschet Jenische. Er hielt fest: "Erweist sich (...) der dringende Verdacht als begründet, dass zuviele Stunden aufgeschrieben wurden, wird dies unter den Gesichtspunkten Betrug, Veruntreuung, ungetreue Geschäftsführung und Falschbeurkundung zu prüfen sein."

  

Bund blockiert Jenische

Die Ernüchterung über die Praktiken Frischknechts brachte neben Wut und Resignation auch neuen Schwung in die Aktivitäten der verbliebenen jenischen Stiftungsräte von Naschet Jenische. Sie leiteten ein Verfahren gegen Frischknecht vor der St.Galler Anwaltskammer ein und schalteten Rechtsanwalt Marco Mona ein, um die letzte Honorarforderung Frischknechts abzuwehren.

In diesem Moment wurde der Bund aktiv. Alarmiert durch die Möglichkeit, dass die Stiftung nach dem Ausscheiden Frischknechts eine neue Dynamik im Sinne der Jenischen und ihrer alten, nie eingelösten Forderungen nach Gerechtigkeit bekommen könnte, verfügte Bundesrat Cotti eine totale und definitive Finanzsperre. Naschet Jenische, unter der Aegide von Frischknecht laut Bund eine "Stiftung von nationaler Bedeutung", wurde somit still und heimlich genau in dem Moment finanziell trockengelegt, wo sie sich endlich dazu aufrappeln wollte, als wirkliche Interessenvertretung der Jenischen zu funktionieren. Die Abhängigkeit vom Bund, in welche sich die Jenischen durch die von Frischknecht so warm empfohlene Stiftungsform hatten bringen lassen, wird somit klar ersichtlich.

 

Pressekonferenz und Strafanzeige

An einer weiteren Frühjahrs-Pressekonferenz zum Thema "Kinder der Landstrasse", abgehalten am 9. April 1992 in Zürich, orientierten Uschi Waser, Mariella Mehr, Robert Huber und Venanz Nobel, alles Jenische, direkt die Medien.

Frischknecht versuchte, die Presse mittels einer superprovisorischen Verfügung daran zu hindern, über das an der Pressekonferenz verteilte Gutachten Rüesch zu berichten. Naschet Jenische konterte mit einer Strafanzeige gegen Frischknecht wegen der im Gutachten erwähnten und oben zitierten Verdachtgründe.

Die Anzeige ist noch hängig; es handelt sich bei den im Zitat erwähnten möglichen Straftatbeständen teilweise um Offizialdelikte.

 

Irreführung der Oeffentlichkeit

An der Pressekonferenz sagte Robert Huber, Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse, unter anderem folgendes:

"Heute sehen wir, dass es Bund und Kantonen von Anfang an in erster Linie um eine Schadensbegrenzung gegangen ist. Statt den Forderungen der Pro-Juventute-Opfer nachzukommen, wurden Eigeninteressen von Bund und Kantonen ganz gezielt durchgesetzt. Es ging darum, Kosten für die Wiedergutmachung zu sparen, Strafklagen und Schadenersatzansprüche zu vermeiden, die Einsicht in die Pro-Juventute-Akten soweit wie möglich zu beschränken und die von Jenischen geforderte Verantwortlichkeitsstudie zu verhindern. Dafür musste als erstes die Oeffentlichkeit ausgeschaltet werden. (...) der ehemalige Sekretär, früher auch Anwalt der Radgenossenschaft der Landstrasse, riss die Oeffentlichkeitsarbeit mehr und mehr an sich und entzog sie der Kontrolle der jenischen Organisationen. Der Oeffentlichkeit wurde vorgegaukelt, es sei alles bestens, die ehemaligen Opfer erhielten Millionen, die Akteneinsicht funktioniere, die Fondskommission arbeite zu aller Zufriedenheit und die wissenschaftliche und juristische Abklärung der Verantwortlichkeiten sei auf dem besten Weg, realisiert zu werden."

 

Zweierlei Mass

Uschi Waser protestierte gegen die Einstellung der Bundesgelder für die Stiftung Naschet Jenische. Sie sagte:

"Das Eidgenossische Departement schiebt die Schuld an dem von Stefan Frischknecht verursachten Chaos in zynischer Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse auf die heutigen Stiftungsräte ab. (...) Der verächtliche Briefton verweist auf den Respekt, den man der Stiftung, aber auch dem gesamten jenischen Volk in der Schweiz seitens des Bundes entgegenbringt. Formfehler dienen der Verschleppung wichtiger Aufgaben. Vom heutigen Stiftungsrat, der nur aus Jenischen besteht, wird bereits nach einem halben Jahr, noch mitten im von Frischknecht verursachten Chaos, ein Leistungsnachweis abgefordert, den Stephan Frischknecht während seiner vierjährigen Tätigkeit nie erbringen musste. Er hat keine einzige seiner Aufgaben gemäss Stiftungsreglement befriedigend erfüllt. (...) Die Marschrichtung ist eindeutig. Die Stiftung Naschet Jenische soll zum Aufgeben gezwungen werden. (....) Wir wollen und werden nicht aufgeben. Wir erwarten von der Oeffentlichkeit, dass sie unser Anliegen ernst nimmt (...) Wir rufen die Oeffentlichkeit auf, mit uns zusammen dafür zu sorgen, dass den ehemaligen Opfern des Pro-Juventute-Hilfswerks "Kinder der Landstrasse" endlich Gerechtigkeit widerfahre. Wir führen nämlich kein "Sonderzüglein", wie mir der Bundesbeamte Staub kürzlich am Telefon zu unterschieben wagte. Wir versuchen, Schädigungen, die von der Pro Juventute mit der Hilfe von Bund und Kantonen durch verbrecherische Machenschaften verursacht wurden, so weit überhaupt möglich zu lindern. Hierfür benötigen wir auch Gelder. Sie stehen uns zu. Es kann und darf nicht sein, dass wir Jenische in einem Rechtsstaat zu Bettlern der Nation degradiert werden."

 

Aus einem Lebenslauf

Mariella Mehr befasste sich im ersten Teil ihres Votums mit finanziellen Aspekten der sogenannten "Wiedergutmachung".

Sie erzählte dazu einiges aus dem Lebenslauf eines jenischen "Hilfswerks"-Opfers:

"Frau Maria W. wurde der Mutter schon als kleines Kind rechtswidrig geraubt. In den Akten der Pro Juventute steht nachzulesen, dass die Mutter eine rechtschaffene, fleissige Frau gewesen sei, die sich stets vorbildlich um ihren Haushalt gekümmert habe. Der Kinderraub hatte für das kleine Mädchen fatale Folgen: Kinderheime, Erziehungsanstalten, ein ungerechtfertigter Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, damit verbunden völlig unzulässige, gefährliche medizinische Eingriffe. Schliesslich, mit l6 Jahren, eine vierjähriger Gefängnisaufenthalt ohne jede rechtliche Grundlage, eine von der Pro Juventute erzwungene administrative Massnahme. Als Antwort darauf litt die junge Frau schon früh an schweren Depressionen, Krankheiten häuften sich, Selbstmordgedanken begleiteten sie ein Leben lang. Der Gedanke, nur aufgrund der falschen Herkunft, nämlich als Jenische, verfolgt, gedemütigt und gequält worden zu sein, führten 20 Jahre nach ihrer Volljährigkeit, zu einem lebensgefährlichen Zusammenbruch, der ebenso repressive Folgen zeitigte. Maria W. wurde, einmal mehr, psychiatrisch begutachtet. In diesem Gutachten wird nicht etwa auf die schwere Jugendzeit hingewiesen, schon gar nicht auf die Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Massnahmen, sondern auf die 'minderwertige Herkunft' der Kranken. Das Gutachten bezeichnet die jenische Frau als 'eine haltlose, debile Person', als 'eine moralisch schwachsinnige Psychopathin'. Sie wird zwangssterilisiert und wieder bevormundet. Ihre Vormundschaft erlosch erst mit dem Ende des unseligen Pro-Juventute-Hilfswerks 'Kinder der Landstrasse'.

(...) Ein verpfuschtes Leben."

 

Vom Umgang mit Ohrfeigen

Mariella Mehr schildert dann die Arbeitsweise und die Rechtslage der sogenannten Fondskommissionen, welche die 'Wiedergutmachungszahlungen' an die Opfer des 'Hilfswerks' leisten sollen.

"Als die Fondskommission zu arbeiten begann, meldete sich auch Maria W.. Endlich, so hoffte sie wie viele andere, würde ihr Recht widerfahren, würde sie entschädigt für die langen Jahre der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Auch Frau W. hörte von den Millionen, die angeblich zur Entschädigung zur Verfügung stehen würden. Sie freute sich auf Dinge, die für andere selbstverständlich sind, auf eine Reise beispielsweise, auf eine längst fällige Verschönerung ihrer Wohnung, auf  einen, ja, das auch, neuen Wintermantel und dazu passende Schuhe. Dinge eben, die man sich von einer Invalidenrente nicht kaufen kann.

Die Fondskommission schickte einen Fragebogen. Ein Lebenslauf wurde gewünscht. In einem persönlichen Gespräch musste die geplagte Frau auch noch ihre Einkommensverhältnisse schildern, dann endlich gab die Fondskommission grünes Licht.

Sie nehmen nun wohl an, dass Maria W. eine angemessene Entschädigung im Sinne eines Schadenersatzes für erlittenes Unrecht erhielt. Keineswegs. Auf Schadenersatz bestehe kein rechtlicher Anspruch, wurde ihr beschieden, und ein Check von 5000.- Franken überwiesen, versehen mit dem vagen Versprechen, falls dann irgendwann noch mehr Geld zur Verfügung sei, würde der Betrag aufgestockt. Maria W. nannte diesen Betrag eine Ohrfeige, zu Recht. Aber wie sagte doch Altbundesrat Egli, früher Fondskommissionspräsident, an einer Versammlung der Jenischen:' Wer diese Ohrfeige nicht will, muss sie ja nicht annehmen.'"

 

Der Millionen-Trick

Mariella Mehr erläuterte auch den eigenartigen Uebergang von der ersten Fondskommission unter Alt-Bundesrat Egli zur zweiten unter Alt-Ständerat Theo Portmann:

"Wer glaubt, das Vorgehen hätte sich geändert, irrt. Die alte Fondskommission existiert zwar nicht mehr, ihren Mitgliedern wurde 1990 per Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern gekündigt, nachdem sie Stephan Frischknecht die Gefolgschaft verweigerten. Eine neue Fondskommission wurde eingesetzt, die auf einer rechtlich völlig unhaltbaren Basis arbeitet, denn mittlerweile wurde jene Verfügung vom Bundesgericht als rechtswidrig verurteilt, das Urteil jedoch nicht vollzogen. Warum auch, denn die neue Fondskommission, mit einem Juristen, Doktor Theo Portmann als Stiftungsratspräsidenten, versteht sich auf diese rechtlich höchst problematische Almosenverteilung ebensogut wie die alte. 2'000.-- für Randbetroffene, was immer das heissen mag, 5'000.--, evtl. 7'000.-- für Schwerbetroffene, später dann, in einer zweiten Tranche, 10'000.-- bis 20'000.- Franken für die Schwerstbetroffenen. Wann dies sein soll, und ob überhaupt ist ungewiss."

Die zweite Tranche dieser schäbigen Abfindungen, von denen Mariella Mehr in diesem Zitat sprach, sind jene 7,5 weiteren Millionen, welche der Bundesrat im selben Moment, wo er die Finanzsperre für die Stiftung Naschet Jenische verfügte, dem Parlament als weitere "Wiedergutmachungsgelder" beantragt hat.

Diese Millionen sind zwar schon in allen Zeitungen gross aufgemacht erwähnt worden und werden den Jenischen von vielen BLICK-Lesern  auch schon neidisch vorgehalten. Die Beschlussfassung durch das Parlament ist jedoch von der Juni- auf die Herbstsession verschoben worden; diese Millionen werden dann nochmals gross aufgemacht in den Schlagzeilen erscheinen und spätestens dann wird eine gesunde Mehrheit der ärmeren Sesshaften das an Sicherheit grenzende Gefühl haben, diesen Jenischen habe man jetzt wirklich genug Millionen nachgeworfen. Dass die Millionen mehrfach gemeldet wurden und unter sehr viele Betroffenen säuberlich aufgeteilt werden sollen und dann, gemessen am erlittenen Unrecht, zu absolut lächerlichen Beträgen zusammenschrumpfen, diese Information ersparen die offiziellen Pressecommuniqués der öffentlichen Meinung aufs schonungsvollste.

 

Stopp der Akteneinsicht

Mariella Mehr ging auch auf das Thema Akten und Aktenkommission ein:

"Es bleibt mir ein Wort zur Akenkommission. Sie erinnern sich, die Jenischen forderten nicht nur ein Akteneinsichtsrecht, schon gar nicht ein beschränktes, wie es heute praktiziert wird. Sie forderten die bedingungslose Herausgabe der Akten, die sie nicht als Vormundschaftsakten betrachten, sondern als Beweismittel eines Verbrechens, das am jenischen Volk verübt wurde.

Wir verlangten auch Aktenberichtigung. Ich meine, aus guten Gründen. Möchten Sie mit dem Wissen leben, dass sie in einschlägigen Papieren als PsychopathInnen, moralisch Schwachsinnige und verwahrloste Debile fichiert sind? (...) Ende 1992 soll auch die Aktenkommission aufgelöst werden, obwohl von den ursprünglichen Forderungen keine einzige erfüllt ist."

Uschi Waser, die neue Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische, ist am 24. Juni 1992 nach St. Gallen gereist, um mit dem Präsidenten der Aktenkommission, Dr. Remigius Kaufmann, Alt-Nationalrat der CVP, darüber zu sprechen, ob die Aktenkommission wirklich per Ende 1992 aufgelöst werde, wie es allerdings von Anfang an vorgesehen war. Allerdings haben längst nicht alle Betroffenen ihre Akten gesehen, und wenn schon, dann nicht vollständige ihre vollständigen Akten, sondern im Stil der Fichen durch Weglassungen verstümmelte. Dr. Kaufmann bestätigte dies. Dr. Hans-Rudolf Dörig, im Bundesamt für Kultur als Nicht-Jenischer zuständig für den Umgang mit dem Volk der Jenischen, liess verlauten,  es sei kein Geld für eine allfällige Verlängerung vorhanden. Das Mietverhältnis für die Räumlichkeiten der Aktenkommission sei per Ende April 1993 gekündigt.

 

Ombudsmann als Mann für alles?

Dafür soll nach den Plänen der in Bern an den zuständigen Stellen sesshaften Beamten die Stelle eines Ombudsmannes geschaffen werden. Nach dem Vorbild der Fichen-Ombudsmänner in manchen Kantonen soll er die Anliegen der von der Verfolgung betroffenen Jenischen ebenso wie die Wünsche der Fahrenden nach Lebensraum innerhalb der auf die Sesshaften zugeschnittenen Zonen- und Gesetzesordnung zur Kenntnis nehmen. Wie weit seine Kompetenzen gehen werden, ist ungewiss. Zu fürchten ist, dass er sich wohl gegenüber den Fahrenden soviele Kompetenzen herausnehmen darf, wie diese es zulassen. Dass er aber mit seinem Wirken den Interessen seines Arbeitgebers Bund oder der Kantone und Gemeinden zuwiderhandeln wird, ist kaum anzunehmen.

 

Die Geschichte einer Idee

Ein weiteres Muster davon, wie man in Bern den Umgang mit den Jenischen gestalten will, ist das Reglement der von der Kommission für soziale Sicherheit des Nationalrates geplanten Stiftung "Zukunft für Fahrende". Auch in diesem Umfeld ist durch Bundescommuniques und deren Wiedergabe in der Öffentlichkeit vor allem ein Stichwort bekannt, einmal mehr: Eine Million. Die Assoziation zwischen den Jenischen und den Millionen ist mittlerweile nahezu ein Reflex. Eine Million Stiftungskapital soll der Bund erübrigen, um fürsorglich den Fahrenden die Zukunft zu sichern. Die Idee stammt ursprünglich von der grünen Zürcher Ex-Nationalrätin Monika Stocker und ist sicher den besten Absichten entsprungen. Problematisch war dann jedoch das Prozedere, die Entwicklung dieser Idee dem Gruppenprozess im geschlossenen Kreis einer politisch ausgewogenen Gruppe von sesshaften Profi-Politikern zu überlassen. Problematisch insbesondere, wenn man dazu noch weiss, dass der Vorsitzende dieser Kommission niemand anders ist als Heinz Allenspach, der langjährige Chef des Arbeitgebervereins, einer der gewieftesten Lobbyisten für die Interessen der Grossindustrie im Schweizer Politbetrieb überhaupt.

Erste Resultate dieses Vorgehens sind folgende:

Der Präsident der jenischen Dachorganisation Radgenossenschaft der Landstrasse erfährt am Tag der Veröffentlichung des offiziellen Communiqués von diesem neuesten Beglückungsversuch der Nichtsesshaften durch die Sesshaften und muss zuhanden der Öffentlichkeit eine Stellungnahme abgeben, ohne Näheres zu wissen.

Die Radgenossenschaft schreibt Herrn Allenspach einen Brief mit dem bestimmten Wunsch, dass in solchen Angelegenheiten nicht mehr wie früher über die Köpfe der Jenischen hinweg in Gremien der Sesshaften verhandelt werden dürfe.

Die von Herrn Allenspach präsidierte Kommission schickt der Radgenossenschaft ein  bereits vom Bundesrat abgesegnetes Stiftungsreglement. Die ganze Stiftungssache soll in der Wintersession vom eidgenössischen Parlament, in dem bekanntlich kein Vertreter der Jenischen sitzt, behandelt werden.

 

Neue Stiftung, neue Bevormundung

Der Entwurf des geplanten Stiftungsreglements zeigt massiv bevormundende Absichten oder Gewohnheiten auf. Erstens ist darin konsequent von der "fahrenden Bevölkerung" die Rede, nicht etwa vom Fahrenden Volk oder vom Volk oder der Volksgruppe der Jenischen.

Ferner ist dieser Reglementsentwurf undemokratisch und obrigkeitlich. Der Stiftungsrat dieser Stiftung, die für die Zukunft der Fahrenden zuständig sein soll, muss ja irgendwie bestimmt werden. Den Damen und Herren in Bern fiel dazu folgendes obrigkeitliches Kurzverfahren ein: Das Eidgenossische Departement des Innern soll die Stiftungsräte wählen. Doch damit nicht genug. Die volle bevormundende Stossrichtung dieser neuen Stiftung steckt auch noch in weiteren "Details"  dieses Reglementsentwurfs. Zunächst der ganze Wortlaut des vorgeschlagenen und genau erläuterten Wahlprozederes:

"Der vom EDI gewählte Stiftungsrat soll 11 Mitglieder umfassen. Dabei soll die fahrende Bevölkerung mit 5 Mitgliedern vertreten sein. Sie soll keine Mehrheit innerhalb des Rates haben, damit dieser nicht von derjenigen Gruppe bestimmt wird, die man unterstützen will."

Klarer kann kaum gesagt werden, wer da unterstützen und bestimmen soll, und dass der Unterstützte nicht bestimmen darf. Das eben ist Bevormundung anstelle von Solidarität und Gleichberechtigung. Solche altbekannten "Novitäten" sprechen echt demokratischen Traditionen Hohn. Aber der Bundesrat hat ja ohnedies im Sinn, die demokratischen Volksrechte via Brüssel vollends zur Folklore zu degradieren.

 

Selektion der Standplatzbenutzer

Der Hauptzweck dieser bestimmenden und unterstützenden Stiftung soll die "Beschaffung, Zurverfügungstellung, Verwaltung und der Betrieb von Stand-  und Durchgangsplätzen für die fahrende Bevölkerung" sein. Einmal abgesehen davon, dass es für intolerante Gemeinde- und Kantonsbehörden dann ein Leichtes sein wird, die Fahrenden unter Hinweis auf die Stiftungsplätze von traditionellen Plätzen wegzuweisen, spricht auch hier das geplante Stiftungsreglement Klartext: Bezüglich der geplanten Standplätze heisst es kurz und bündig: "Die Stiftung kann bestimmen, wer sich dort aufhalten darf."

Schöne Ausichten für die Freizügigkeitsrechte der Fahrenden öffnen sich da. Ein straffe Selektion von Erwünschten und Unerwünschten durch den "vom EDI gewählten" Stiftungsrat ist da offenbar vorgesehen. Wer den Unterstützenden und Bestimmenden nicht genehm ist, soll auch keinen Platz finden.

 

Abhängiges Büro statt autonome Organisation

Damit Stiftung und Ombudsmann auch ihre Sekretariate und Büroraume haben, ist die Eröffnung eines Büros für Belange der Fahrenden im Bundesrahmen geplant. Zufälligerweise entsprechen die budgetierten Zahlen für eine solches Berner Büro ziemlich genau den Subventionen, welche Bern seit kurzem der Radgenossenschaft der Landstrasse ausrichtete, damit diese ein Sekretariat und ein Büro unterhalten konnte. Aber der Verwaltungsrat der Radgenossenschaft ist eben, im Unterschied zum geplanten Stiftungsrat, nicht vom EDI gewählt, sondern von der Generalversammlung der jenischen Mitglieder der Radgenossenschaft. Der Verdacht liegt allzunahe, dass die Radgenossenschaft als autonome Dachorganisation der Jenischen kompetenz- und infrastrukturmässig soweit als möglich durch ein direkt der Obrigkeit verpflichtetes Büro ersetzt werden soll.  

 

Verschleppte Aufarbeitung der Geschichte

 So aktiv die Bundesstellen daran arbeiten, die Aufgaben der jenischen Organisationen an sesshaft dominierte Apparate zu übertragen, so passiv verhält sich der Bund in der Frage der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Hintergründen und Verantwortlichkeiten beim Ausrottungsversuch an den Schweizer Jenischen durch die Stiftung Pro Juventute.

An der Pressekonferenz der Jenischen vom 9. April 1992 befasste sich Venanz Nobel mit den Fragen der Verantwortlichkeit gegenüber diesem dunklen Kapitel der Schweizer Geschichte, und zwar unter dem Motto: "Unsere Geschichte gehört uns!" Er sagte:

"Ich bin ein an Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung interessierter Jenischer. Mein Interesse hat verschiedene Gründe. (...) Wer seine Tanten und Onkel erst auf dem Friedhof kennenlernt, hat keine Wurzeln, Traditionen und mündlich tradierte Sippengeschichte. (...) Ein Volk braucht, um überleben zu können, die Geschichten der Vorfahren, deren Umsetzung durch Zeitgenossen und Kinder, die uns zuhören und von uns lernen können. Was aber soll ich meinen Kindern erzählen? Wie kann ich zeitgemäss jenisch leben, wenn man mir meine Geschichte unterschlägt?

Ich höre Ihren Einwand schon: Ihr habt doch Akteneinsicht und sogar eine Aktenkommission. Sicher, mein Vater hat seine persönliche Akte, meine Tante die ihre. Wo aber sind die Akten meiner Grosseltern, wer stellt die Zusammenhänge her? Unsere persönlichen Akten sind wie Fichen: reine Inhaltsverzeichnisse eines grösseren Zusammenhangs. Auch bei der Ficheneinsicht versucht der Bundesrat, die Dossiereinsicht zu verhindern, Zusammenhänge zu verschleiern.

1986 war der Bund noch bereit, ein von Angeline Fankhauser und 52 mitunterzeichnenden NationalrätINNen eingereichtes Postulat entgegenzunehmen. Darin wir der Bundesrat 'beauftragt, die im 1983 verabschiedeten Bericht der Studienkommission 'Fahrendes Volk in der Schweiz' empfohlene Studie über die Folgen der Aktion 'Kinder der Landstrasse' unverzüglich in Auftrag zu geben.'

6 Jahre später", so musste Venanz Nobel konstatieren, " warten wir immer noch auf diesen unverzüglichen Auftrag."

Venanz Nobel rekapitulierte dann, wie der Bund ein von den jenischen Organisationen befürwortetes Forschungsprojekt blockierte, mit anderen, genehmeren Wissenschaftlern liebäugelte und unterdessen schlicht argumentiert, selbst ein Minimum der versprochenen wissenschaftlichen Aufarbeitung sei dem Bund "finanziell nicht zumutbar." Venanz Nobel meinte zu diesem faulen Argument:

"Im Bewusstsein, dass der moderne Bundesstaat samt seinen Vorgängerorganisationen wie der eidgenössischen Tagsatzungen seit Jahrhunderten keine Kosten scheuten, um unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, unser Volk auseinanderzureissen und unsere eigene Geschichts-Nicht-Schreibung (d.h. die mündlichen Traditionen der Jenischen, T.H.) auszulöschen, lassen wir uns heute den Spatz nicht von kleinlichen Beamten aus der Hand schlagen. Wir bestehen auf einer umfassenden Verantwortlichkeitsstudie und einer gründlichen historischen Aufarbeitung mit jenischer Mitwirkung, die diesen Namen auch verdient."

 

Ein Brief an Bundesrat Cotti

Auch Marie-Louise Nobel fand in einem Schreiben an Bundesrat Cotti anlässlich des Todes ihrer Schwester zu diesem Thema sehr klare Worte. Sie schrieb ihm am 6. Juli 1992 folgenden Brief:

 "Sehr geehrter Herr Bundesrat,

 mit beiliegender Todesanzeige möchte ich Sie an das Versprechen erinnern, betreffs Verantwortlichkeitsstudie für die Jenischen. Inzwischen sind einige der Betroffenen gestorben, auch meine Schwester war eine der schwerst Betroffenen. An mehreren Pflegeplätzen, imm wieder sexuell missbraucht, schon im Kindesalter geschlagen, an Leib und Seele kaputt gemacht. Vier Jahre durften wir uns kennen und lieb haben, nach 38 Jahren intensiver Suche. Mein Bruder lernte eine Schwester kennen beim Begräbnis der Mutter. Von unserern lieben Eltern wurden wir wegggerissen, zu sexuellen Unholden und Alkoholikern gebracht, ein Verbrechen ohnegleichen. Ist das noch zu verantworten, Herr Bundesrat? Lügen, die über uns und unsere Eltern in den Akten geschrieben sind, spotten jeder Beschreibung. Müssen wir alle sterben, ehe etwas für uns getan wird? Wir sind Menschen wie alle anderen und kommen unseren Pflichten nach, bezahlen Steuern wie jeder andere Schweizerbürger. Deshalb bitte ich Sie nochmals, Ihr Versprechen zu erfüllen, das sie uns gaben, als wir mit einer Delegation bei Ihnen vorsprachen."

 

Dem ist nichts mehr beizufügen.

 

 

                                                                 Thomas Huonker

 

 

Literaturliste

 

Sergius Golowin: Zigeunermagie im Alpenland. Huber Verlag, Frauenfeld l973

Sergius Golowin ist Verwaltungsrat der Ratgenossenschaft und Volkskundler. In diesem Buch, wie auch in vielen seiner übrigen Werke, sammelt er unermüdlich Dokumente aller Art, die von der Geschichte der Fahrenden erzählen.

 

Mariella Mehr: Steinzeit. Zytglogge Verlag, Bern l983.

In ihrem Erstling erzählt Mariella Mehr in eindrücklicher Sprache von ihrer Geschichte als jenisches Hilfswerk-Mündel, Heimkind und Psychiatrie-Opfer.

 

Mariella Mehr: Kinder der Landstrasse. Ein Hilfswerk, ein Theater und die Folgen. Zytglogge Verlag, Bern l986

Mit diesem Theaterstück dokumentiert Mariella Mehr die Geschichte des Versuchs, die Jenischen in der Schweiz auszurotten, anhand mehrer Figuren.

 

Mariella Mehr: RückBlitze. Zytglogge Verlag, Bern 1991

Eine Sammlung von Aufsätzen, Essays und Reportagen von Mariella Mehr, von denen sich etliche mit der Lage der Jenischen in der Schweiz befassen. Sie zeigen Mariella Mehr als nüchterne Analytikerin und aufrechte Zeitzeugin.

 

Fahrendes Volk - verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Dokumentiert von Thomas Huonker, herausgegeben von der Radgenossenschaft der Landstrasse. Limmat Verlag, Zürich 1987

Das Buch enthält Protokolle der Lebensläufe von Schweizer Jenischen, die von der Verfolgung durch die Pro Juventute und die Behörden betroffen waren. Daneben liefert es einen Abriss der Geschichte des Verhältnisses zwischen Fahrenden und Sesshaften in der Schweiz.

 

Clo Meyer: "Unkraut der Landstrasse". Industriegesellschaft und Nichtsesshaftigkeit am Beispiel der Wandersippen und der schweizerischen Politik an den Bündner Jenischen. Desertina Verlag, Disentis 1988

Die Doktorarbeit des früh verstorbenen Historikers über die Bündner Jenischen dokumentiert gründlich die Diskussionen und Massnahmen, die deren Wanderleben bei den Sesshaften auslösten.

 

Sylvia Thodé-Studer: Les tsiganes suisses. La marche vers la reconnaissance. Editions réalités sociales, Lausanne 1987

Das handliche Büchlein berichtet von Geschichte und Kultur der Schweizer Jenischen, von ihrer Verfolgung und von ihrem Kampf um öffentliche Anerkennung, unter besonderer Berücksichtigung der Welschschweiz.

 

 

Organisationen [Stand 1992]

 

Radgenossenschaft der Landstrasse.

1975 gegründete Dachorganisation und Interessenvertretung der Schweizer Jenischen. Herausgeberin der jenischen Zeitschrift "Scharotl". Präsident: Robert Huber. Büro an der Freilagerstr. 5, 8048 Zürich, Tel. 01/492 54 77

 

Stiftung Naschet Jenische. 1987 gegründete Stiftung zur Wiedergutmachung und Aufarbeitung des an den Schweizer Jenischen begangenen Unrechts. Präsidentin: Uschi Waser. Adresse: Gränicherstr. l, Postfach, 5034 Suhr

Tel. 062/97 72 83

oder 077/57 37 78

 

Fahrendes Zigeuner-Kulturzentrum.Präsident: David Burri. Gruppe von Fahrenden, welche an ihren jeweiligen Standorten die sesshafte Bevölkerung zu Kontakten und Geselligkeit einlädt und über das Leben der Fahrenden informiert.

 

Schweizerische Zigeuner-Mission. Präsident: May Bittel, Genf. Religiös orientierte Gruppe von Schweizer Fahrenden mit internationalen Kontakten.

 

Initiativkomitee pro Fahrende. Präsidentin: Sonja Minster, Bern. Gruppe von Fahrenden und Sesshaften im Raum Bern, die sich für gegenseitige Toleranz und Verständigung einsetzen

 

Verein Interessengemeinschaft Kinder der Landstrasse. Präsidentin: Charlotte Dasen. Nach dem Abgang von Rechtsanwalt Frischknecht bei Naschet Jenische neu gegründete Gruppierung von Hilfswerk-Betroffenen. Berater und Statutenverfasser: Rechtsanwalt Frischknecht

 

 

 

Nachtrag (erstellt am 24. Januar 2012, durchgesehen und ergänzt am 14. April 2012) zum Artikel von Thomas Huonker, erschienen am 27. August 1992 im A-Bulletin, Zürich:
Jenische in der Schweiz oder Eine unendliche Geschichte von Verfolgung und Bevormundung.

Dieser Nachtrag – ebenfalls von Thomas Huonker verfasst, aber rund 20 Jahre später – schildert kurz einige Aspekte des weiteren Fortgangs der im Artikel angesprochenen Auseinandersetzungen und Problemlagen anhand einiger seither entstandener Dokumente, während der Artikel als Dokument so wiedergegeben wird, wie er aufgrund der damals vorliegenden Dokumente publiziert worden ist.

 

 

Nachtrag

 

Frischknecht wird vom Betrugsverdacht gegenüber der Stiftung Naschet Jenische freigesprochen

Am 16. September 1996 erliess das kantonale Untersuchungsrichteramt St. Gallen eine Aufhebungsverfügung, welche einem juristischen Verfahren ein Ende setzte, das die Stiftung Naschet Jenische gegen Stephan Frischknecht wegen „Verdachts des Betrugs, des allfälligen Versuchs hiezu, der Urkundenfälschug, der ungetreuen Geschäftsführung/Geschäftsbesorgung und des Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung“ in Gang gesetzt hatte. Die beiden Strafanzeigen der Stiftung Naschet Jenische gegen Frischknecht datierten vom 6. April (das ist die im obigen Artikel erwähnte Strafanzeige) und vom  13. Juli 1992. Die Klägerin stützte sich dabei auf das Gutachten von Dr. Adrian Rüesch vom 7. November 1991.

Vier Jahre nach Einreichung der Anzeige, die also alles andere als speditiv behandelt wurde, kam der zuständige St. Galler Untersuchungsrichter lic. iur. C. Frei in seiner Verfügung zum Schluss, die im Gutachten angesprochenen Elemente des anwaltlichen Geschäftsgebarens von Stephan Frischknecht seien zu einer Verurteilung wegen der eingeklagten Tatbestände nicht ausreichend. Es ging dabei vor allem um die Frage der von Frischknecht gestellten Honorarforderungen.

C. Frei schrieb dazu:

„Bei der Frage, ob die Höhe der gestellten Honorarforderungen dem tatsächlich geleisteten Aufwand von RA Frischknecht entsprachen, kommt RA Rüesch anhand der eruierten Stundenzahlen für die einzelnen Bemühungen zum Schluss, dass Frischknecht hier ganz klar zuviele Stunden fakturiert habe. Unter Berücksichtigung weiterer von Frischknecht geführter Mandate ergebe sich nach seinen Berechnungen, welche vom Angeklagten selbst generell als richtig beurteilt wurden, für das Jahr 1988 eine fakturierte Gesamtstundenzahl von 1827 und für das Jahr 1989 eine solche von 2968.“ (Verfügung, S.9)

Mit der Stiftung Naschet Jenische hatte ihr Sekretär und Anwalt für 1988 einen Stundentarif von Fr. 90.-, für 1989 von Fr. 125.- abgemacht, die Ansätze für andere Mandate wurden nicht publik.

C. Frei formulierte in seiner Verfügung des weiteren:

„Rüesch folgerte daraus, dass zumindest für das Jahr 1989 dies einer täglichen Arbeitszeit von über 8 Stunden entsprechen würde, was unrealistisch sei (vgl. Gutachten S.24). Diese Schlussfolgerung ist keineswegs zwingend und vermag einen anfänglichen Tatverdacht des Betrugs und/oder des Versuchs hiezu mittels zu viel in Rechnung gestellter und teils entschädigter Arbeitsstunden zulasten der Stiftung nicht zu erhärten. Frischknecht macht diesbezüglich geltend, dass er in der Zeitspanne von ca. 1987 bis in die 90-er Jahre hinein ein tägliches Arbeitspensum von durchschnittlich ca. 14-15 Stunden geleistet habe.“ (Verfügung, S.9)

Also bespielsweise von 8 Uhr morgens bis nachts um 10 oder 11 Uhr, ohne jegliche Essens- oder sonstige Pausen, und dies während mehr als drei Jahren...

Dazu schrieb C. Frei in seiner Aufhebungsverfügung:

„Diese Behauptung dürfte den tatsächlichen Verhältnissen des Arbeitsstils des Angeschuldigten in den kritischen Jahren 1987-1991 entsprochen haben. Wie aus verschiedenen Zeugenaussagen von Personen im Umfeld von RA Frischknecht immer wieder herauszuhören ist, gilt er als eigentlicher Krampfer, der für die Stiftung bis in alle Nächte, auch an Wochenenden, arbeitete. Dies kommt schlussendlich auch im Entscheid der Aufsichtskommission für Anwälte und Rechtsagenten klar zum Ausdruck, worin unmissverständlich festgehalten wurde, dass RA Frischknecht im Zusammenhang mit der Stiftung NJ mit grossem Einsatz und an sich voller guter Absichten und mit Idealismus gehandelt habe“. (Verfügung, S. 9f.)

Weiter erwähnt C. Frei, Gutachter Rüesch habe in einem anderen der zahlreichen Gerichsverfahren zwischen Frischknecht und seinen ehemaligen Auftraggebenden „seine ursprünglich ultimativ erscheinende Aussage in dieser Richtung anlässlich seiner Zeugenbefragung vor Bezirksrichter in Schaffhausen relativiert und geltend gemacht, dass er dabei von zwei betriebswirtschaftlichen Gutachten von Anwaltsverbänden ausgegangen sei, in denen von einer durchschnittlichen fakturierbaren Stundenzahl von ca. 1600 Stunden/Jahr für einen Anwalt die Rede sei. Da die Aufschriebe bei Frischknecht für das Jahr 1989 demgegenüber nahezu 100% über diesem Durchschnitt lagen, habe er auszusagen versucht, dass es sich lohnen würde, dem näher nachzugehen“. (Verfügung, S.10)

Untersuchungsrichter Frei sah in den Stundenfakturierungen Frischknechts keinen Versuch einer unrechtmässigen Bereicherung und schrieb:

„Die von Frischknecht geltend gemachten und teilweise auch bezogenen Honorarstunden bewegen sich somit in der möglichen Bandbreite seines Arbeitsstils und bilden daher kein schlüssiges Indiz für die Annahme und den Nachweis, Frischknecht habe sich vorsätzlich und arglistig durch zu hohe in Rechnung gestellte Stundenaufschriebe unrechtmässig am Stiftungsvermögen bereichert oder zumindest den Versuch hiezu unternommen.“

Auch hinsichtlich anderer von der Klägerschaft monierter Delikte sah C. Frei keine schlüssigen Indizien zu einem strafbaren Verhalten Frischknechts und verfügte: „Das gegen ihn angehobene Strafverfahren ist demnach (...) mangels Tatbestandserfüllung aufzuheben.“ (Verfügung, S.17).

Mangels Geldmitteln mochte die Stiftung Naschet Jenische ihre Klage nicht an die höhere Instanz weiterziehen.

Hingegen versuchte Frischknecht, durch „eine detaillierte Kostennote im Umfange von Fr. 6650.-“, datiert auf den 11. September 1996, ein Honorar für seinen juristischen Aufwand in eigener Sache aus der Staatskasse zu erhalten. Dazu vermerkt aber die Verfügung C. Freis:

„Im vorliegenden Fall hat sich der angeschuldigte RA Frischknecht selbst verteidigt, was dazu führt, dass er nach dem Wortlaut des Gesetzes auch keinen Anspruch auf Geltendmachung seines Honorars hat (vgl. hiezu auch Th. Hansjakob: Kostenarten, Kostenträger und Kostenhöhe im Strafprozess, Diss. St. Gallen,  S.105f.). Das Begehren um Zusprechung der Entschädigung im Umfang von Fr. 6650.- wird deshalb abgewiesen.“ (Verfügung, S.18)

 

Frischknecht verpatzt auch seine zweite Chance

Man könnte nun meinen, Frischnecht hätte aus diesen Auseinandersetzungen mit seinen jenischen Auftraggebern für sein weiteres Wirken gelernt, sich in erfolgreicheren Bahnen zu bewegen, so wie sein früherer Kompagnon Fredi Fässler, der in den Folgejahren zu einer beachtlichen Politkarriere in der St.Galler SP ansetzte.

Doch dem ist nicht so.

Frischknecht erhielt 1999 mit seiner Wahl zum Zentralpräsidenten der traditionsreichen Organisation der schweizerischen Naturfreunde eine zweite Chance. Auch diese verspielte er; sein dortiger Abgang war wiederum mit Querelen um Geldfragen verbunden. Auch diesmal drehten sich die Auseinandersetzungen wieder um den Umgang mit Stiftungsgeld sowie mit StiftungsrätINNen, ferner neu um den Umgang mit Liegenschaften. Aus diesen und anderen umstrittenen Immobiliengeschäften resultierten hohe Verluste und Schulden, auch für den teilweise persönlich haftenden Frischknecht selbst.

Stephan Frischknecht trat 2003 vom Posten als Zentralpräsident der Schweizerischen Naturfreunde, den er 1999 angetreten, zurück.

Sodann wurde Stephan Frischknecht  2004 das Anwaltspatent entzogen.

 

Frischknecht wird das Anwaltspatent entzogen

In der Rubrik „Verschiedene amtliche Anzeigen“ erschien im Amtsblatt des Kantons St.Gallen, Nr. 51/Jg.202, vom 13. Dezember 2004, folgende Mitteilung der Anwaltskammer:

„Die Anwaltskammer des Kantons St.Gallen teilt mit, dass Herrn Stephan Frischknecht,

geboren am 1. April 1953, Geschäftsadresse Webergasse 21, 9000 St.Gallen, gestützt

auf ihren Entscheid vom 12. Mai 2004 das Anwaltspatent entzogen wurde. Der Entscheid ist am 23. Oktober 2004 nach Abweisung der Beschwerde durch das Kantonsgericht in Rechtskraft erwachsen.

9001 St.Gallen, 8. Dezember 2004

Anwaltskammer des Kantons St.Gallen“.

 

Unerfüllte Versprechungen und vergebliche Hoffnungen auf Geldgeber aus Holland

Zur Schuldenwirtschaft Frischknechts erschienen diverse Presseartikel. So heisst es im äArtikel „Bis Februar fliesst das Geld“  von Toni Hässig, erschienen am 8. Februar 2006 im St. Galler Tagblatt:

„Der Herisauer Stephan Frischknecht, der ein Advokaturbüro in St. Gallen hat, ist nicht zu beneiden. Frischknecht steht das Wasser im Zusammenhang mit weiteren Konkursen bis zum Hals. Für beinahe sechs Millionen Franken wurde er in den letzten drei Jahren betrieben. Die Schulden des Zwingli-Zentrums nicht mitgerechnet. Dazu kommen Verlustscheine in Höhe von mehreren hunderttausend Franken. Der Grossteil seiner Schulden entstand aus Verlusten im Immobilienbereich. Im Oktober 2004 wurde ihm in diesem Zusammenhang gemäss Mitteilung der Anwaltskammer des Kantons St. Gallen das Anwaltspatent entzogen.“

Einen zusammenfassenden Überblick zur Geschichte des Zwinglizentrums Wildhaus/Toggenburg unter der Aegide von Frischknecht gibt René Hornungs Artikel im St.Galler Tagblatt vom 10. Januar 2006 unter dem Titel: „Neustart nach fünf Jahren“, der die Tätigkeit von Frischknecht im Umfeld der Naturfreunde so schildert:

„Unter der Marke der Naturfreunde-Häuser schwebte Frischknecht ein Sport-, Seminar- und Ferienhotel-Betrieb vor. Er wollte beweisen, dass das Toggenburg ökologische und touristische Qualitäten habe und sich für eine alternative Tourismusentwicklung eigne. Doch schon der Start war von Misstönen begleitet, zumal Frischknecht rasch expandierte: Das ‚Minergie’-Haus neben dem Zwingli-Zentrum wurde von einer Stiftung finanziert, aber als ökologisches Vorzeigeprojekt vom Zentrum betrieben. Zusätzlich wurde das ‚Galluszentrum’ dazugemietet – ein Ferienhaus mit 110 Betten. Aus dem Naturfreunde-Verband gab es Opposition gegen Frischknechts Alleingang – einer von verschiedenen Konfliktpunkten, die im Frühling 2003 zum Rücktritt führten. Nach drei Jahren Betrieb wurden die finanziellen Engpässe in Wildhaus immer breiteren Kreisen bekannt. Allein dem Kurverein war das Zentrum 70 000 Franken Kurtaxen schuldig. Als das Kreisgericht zuerst provisorisch und anschliessend für ein Jahr eine Nachlassstundung bewilligte, lagen die Lieferanten-Forderungen bei 1,2 Millionen Franken.“

Der Artikel berichtete weiter, dass die Gläubigerbank nun endlich einen Käufer für das ehemaligen Zwingli-Zentrum gefunden hatte, nämlich Peter Koller, der sie seitdem unter dem Namen Panorama Zentrum Gamplüt betreibt.

Das St.Galler Tagblatt hatte schon  am 24. November 2005 einen Artikel von Hansruedi Kugler zum Wirken von Frischknecht in Wildhaus gebracht unter dem Titel: „Verkauf ohne gesicherte Zukunft“. Darin hatte gestanden:

„Nach der Versteigerung ist die Zukunft des Zwingli-Zentrums weiterhin unklar. Das anwesende Personal bleibt ratlos, die Alternative Bank als neue Besitzerin weiss noch nicht, wie es mit dem Hotel weitergehen soll, Stephan Frischknecht, Präsident der konkursiten bisherigen Besitzerin Stiftung Naturfreunde Zentrum Zwingli, spricht davon, bis Ende Jahr der Alternativen Bank eine Kaufofferte zu unterbreiten und ein älterer, eleganter Holländer geht am Ende enttäuscht aus dem Hirschensaal: Er wollte für eine christliche Hotelkette das Zwingli-Zentrum kaufen und sanieren, die Alternative Bank ging aber auf sein Kaufangebot (‚maximal eine Million Franken’) nicht ein.

(....)

Neben den Ratlosen und Enttäuschten gab es einen, der unbeirrt Zuversicht ausstrahlte: Stephan Frischknecht ist froh, dass die Alternative Bank nun Besitzerin ist. Sie werde die soziale Verantwortung wahrnehmen, ist er überzeugt und gibt eigene Fehleinschätzungen zu: ‚Ich habe die Schwierigkeiten unterschätzt, einen solchen Betrieb im schwierigen wirtschaftlichen Umfeld des Obertoggenburgs zu führen.’

 (...)

Er sei nun daran, Eigenmittel aufzutreiben. Bis Ende Jahr sei er so weit, der Alternativen Bank ein Kaufangebot zu machen.“

Das Desaster hatte sich in der Folge des Verkaufs der Liegenschaft an eine von Frischknecht geleitete Stiftung entwickelt, wie das St.Galler Tagblatt weiter schrieb:

„Seit 1999 wird das Zwingli-Zentrum als Naturfreundehaus geführt. Eine Stiftung hatte es damals der evangelischen Landeskirche abgekauft. Der geschäftliche Erfolg blieb aber aus. Der Konkurs des jahrelang defizitären Betriebes konnte 2003 nur durch eine Nachlassstundung vermieden werden. In der Folge wurde Personal reduziert, der Betrieb erhielt eine neue Leitung und ein externer Coach wurde engagiert. Allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Denn im August 2004 traf das zuständige Konkursamt in Kaltbrunn den Entscheid zur Konkurseröffnung. Vorderhand setzte man auf die Variante Freihandverkauf, was keinen Erfolg brachte. Gläubigerbank ist die Alternative Bank in Olten. Nachdem sich die lange gehegten Hoffnungen auf einen Käufer offenbar zerschlagen haben, kam es nun gestern zur Zwangsversteigerung der Liegenschaft.“

Auch in Graubünden kam es zu Schwierigkeiten.  Îmmer wieder war die Rede von einem angeblichen Geldgeber oder Investor aus Holland.

Im Artikel „Rettung in extremis?“ von Armando Bianco, erschienen im „Werdenberger und Obertoggenburger“ sowie im „Toggenburger“ am 11. Januar 2005, stand:

„Stephan Frischknecht (...) setzt aber offensichtlich Hoffnungen in den möglichen neuen Geldgeber. Dieser soll nämlich auch Schulden der Bündner Naturfreunde-Sektion Val Schons begleichen. Der St.Galler Anwalt amtet dort als Co-Präsident, und wie in Wildhaus sind seit langer Zeit Schulden vorhanden, wenn auch ‚nur’ im tiefen sechsstelligen Bereich. Auch dort hat Stephan Frischknecht mehrfach angekündigt, die Schulden zu begleichen – ohne allerdings Taten folgen zu lassen. Ende Dezember versprach er gegenüber Betroffenen erneut, die Forderungen bis Ende Januar zu bezahlen. Die Schuldenbegleichung soll beidenorts über die Via Natura AG abgewickelt werden. Dieser Verein, gegründet im letzten Spätsommer, hat das Zwingli Zentrum Wildhaus von der Naturfreundestiftung gemietet und ist nun der Betreiber.“

Doch die versprochene Schuldenbegleichung durch die Via Natura AG blieb aus.

 

Die vielen Firmen Frischknechts

Frischknecht hat neben seiner Tätigkeit als Jurist, mit und ohne Anwaltspatent, sowie als Mandatar von Stiftungen, auch verschiedene eigene Firmen gegründet, deren Zwecke und Aktivitäten teilweise schwer zu erkennen sind. Sie sind so zahlreich, dass hier nur einige davon erwähnt werden.

So gründete Frischknecht schon 1998, noch an seinem Anwaltsdomizil in St.Gallen, die First Trade & Countertrade AG, zu welcher im Handelsregister stand:

17. Dezember 1998 (9141)  FIRST TRADE & COUNTERTRADE AG, in S t . G a l l e n, c/o Stephan Frischknecht, Webergasse 21, 9000 St. Gallen, Aktiengesellschaft (Neueintragung). Statutendatum: 15.12.1998.
Zweck: Internationale Handelsgeschäfte aller Art. Planung und Ausführung von Infrastrukturbauten, Wohnbauten, Hotels, Industrie- und Gewerbeanlagen. Führung von Industrie- und Gewerbebetrieben, Unternehmensberatung, Finanzierungen sowie Kapitalanlagen; die Gesellschaft kann sich an anderen Unternehmungen beteiligen, Zweigniederlassungen errichten, gleichartige oder verwandte Unternehmungen erwerben oder errichten sowie Liegenschaften erwerben, verwerten und veräussern.
Aktienkapital: CHF 100'000.-.
Liberierung Aktienkapital: CHF 100'000.-.
Aktien: 100 Namenaktien zu CHF 1'000.-.
Publikationsorgan: SHAB. Mitteilungen erfolgen mit Brief oder Telefax.
Vinkulierung: Die Übertragbarkeit der Namenaktien ist nach Massgabe der Statuten beschränkt.
Eingetragene Personen: Frischknecht. Stephan, von Herisau in Herisau, Mitglied. mit Einzelunterschrift, OBT Treuhand und Unternehmensberatung AG, in St. Gallen, Revisionsstelle; Gasser, Francesco, italienischer Staatsangehöriger, in Moskau (Russland), Direktor, mit Einzelunterschrift.“

Von den Geschäften dieser Firma ist wenig bekannt geworden.

Unter anderm mit dem Handel von Edelsteinen scheint sich eine andere Gründung Frischknechts, die Petralus AG, zu befassen. Das Handelsregister vermerkt zu dieser Gründung vom 23. Juli 2007 mit Sitz an Frischknechts Wohnadresse:

„PETRALUS AG, in Herisau, CH-300.3.015.494-5, Oberdorfstrasse 120, 9100 Herisau, Aktiengesellschaft (Neueintragung). Statutendatum: 23. 07. 2007.
Zweck: Handel mit Edelsteinen und anderen Gütern, Tätigung von Real-und Finanzanlagen sowie Vermittlung solcher Geschäfte. Die Gesellschaft kann sich an anderen Unternehmungen beteiligen, gleichartige oder verwandte Unternehmungen erwerben oder errichten, Liegenschaften erwerben, verwalten und veräussern sowie Garantien und Bürgschaften gewähren.
Aktienkapital: CHF 100'000. Liberierung Aktienkapital: CHF 100'000.
Aktien: 1'000 Namenaktien zu je CHF 100.
Publikationsorgan: SHAB. Mitteilungen erfolgen mit Brief, Telefax oder E-Mail.
Vinkulierung: Die Übertragbarkeit der Namenaktien ist nach Massgabe der Statuten beschränkt.
Eingetragene Personen: Frischknecht Stephan, von Herisau, Herisau, Mitglied, mit Einzelunterschrift;

Filippinetti Peter, österreichischer Staatsangehöriger, Bregenz (AT), Geschäftsführer, mit Einzelunterschrift;
Fraefel, Paul, von Uzwil, St. Gallen, Revisionsstelle.“

2010 verlässt Geschäftsführer Filippinetti die Firma Petralus AG, und sie ändert, nun unter der alleinigen Aegide Frischknechts, ihren Handelsregistereintrag; der Edelsteinhandel figuriert darin nicht mehr.

Blumig wirkt der Name von Frischknechts Gründung Orquidia AG, wozu es im Amtsblatt des Kantons Appenzell-Ausserrhoden, Nr. 24, vom 24. Oktober 2007 heisst:

18. Oktober 2007. ORQUIDIA TRADE UND IMMOBILIEN AG, in Herisau, CH-

300.3.015.540-3, Oberdorfstrasse 120, 9100 Herisau, Aktiengesellschaft (Neueintragung).

Statutendatum: 18.10.2007.

Zweck: Betrieb von Ladengeschäften und Dienstleistungsbetrieben, Vermittlung, Miete und Vermietung, Kauf und Verkauf von Ladenlokalen und Liegenschaften, Handel mit Produkten aller Art sowie Unternehmensberatung. Die Gesellschaft kann sich an anderen Unternehmen im In- und Ausland beteiligen, im In- und Ausland Grundeigentum erwerben, belasten, veräussern und verwalten, Finanzierungen für eigene oder fremde Rechnung vornehmen sowie Garantien und Bürgschaften für Tochtergesellschaften und Dritte eingehen.

Aktienkapital: CHF 100 000. Liberierung Aktienkapital: CHF 100 000.

Aktien: 100 Inhaberaktien zu je CHF 1000.

Publikationsorgan: SHAB. Mitteilungen an die Aktionäre erfolgen durch Publikation im SHAB; wenn alle Aktionäre und deren Wohnadressen bekannt sind brieflich.

Eingetragene Personen: Frischknecht, Stephan, von Herisau, in Herisau, Mitglied, mit

Einzelunterschrift; Fraefel, Paul, von Uzwil, in St. Gallen, Revisionsstelle.

SHAB vom 24.10.2007.“

Die Orquidia AG verlegte ihren Sitz 2010 von der Oberdorfstrasse 120, Herisau, der Wohnadresse Frischknechts, nach Gais.

Eigentlich verfügte Frischknecht auch über eine Gründung, die vom Namen her speziell den Immobilienbereich anvisierte. Doch sie wurde aufgelöst. Es heisst dazu im Handelsregister:

E Immoinvest Holding AG, in Herisau, CH-300.3.014.785-3, Halten von Beteiligungen usw. Aktiengesellschaft (SHAB Nr. 8 vom 12. 01. 2006, S. 3, Publ. 3190018).

Firma neu: E Immoinvest Holding AG in Liquidation.

Mit Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten von Appenzell Ausserrhoden vom 26.05.2006 wird die Gesellschaft in Anwendung von Art. 727f Abs. 2 OR und Art. 1 Abs. 2 ZGB als aufgelöst erklärt, weil die ihr zur Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustandes in bezug auf die Revisionsstelle angesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist. Eingetragene Personen neu oder mutierend: Frischknecht, Stephan, von Herisau, in Herisau, Mitglied und Liquidator, mit Einzelunterschrift (bisher: Mitglied).“

Auch verschiedene weitere Firmen, die Frischknecht gründete oder liquidierte, brachten ihn bislang weder auf einen grünen Zweig noch aus den Schulden heraus.

2011 trat Frischknecht, immer noch ohne Anwaltspatent, als Baujurist auf und erlangte in einigen Streitigkeiten öffentliche Aufmerksamkeit, letztmals in einem Beobachter-Artikel von Andrea Haefely, erschienen am 8. Dezember 2011 unter dem Titel „Es führt kein Weg nach Hause“.

 

Frischknechts bleibende Verdienste

So durchzogen, rätselhaft und bizarr die juristischen und ökonomischen Aktivitäten Frischknechts auch sein mögen, und so intrigant und manipulierend er auf viele Menschen wirkte, die mit ihm zu tun hatten, und zwar zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Umfeldern, so hat er doch auch bleibende Verdienste erworben.

Schon in jungen Jahren deckte Frischknecht erfolgreich die Missstände in der Herisauer Zwangsarbeitsanstalt Kreckelhof auf.

In den öffentlichen Auseinandersetzungen um die finanzielle Entschädigung und juristische Aufarbeitung des versuchten Völkermords an den Schweizer Jenischen mittels systematischer Familienzerstörungen, Kindswegnahmen sowie Zwangssterilisationen hat Frischknecht zwar durch Streitigkeiten und verfehlte Allianzen vieles vermasselt, aber auch einiges erreicht. Jedoch trug dazu mindestens ebensosehr die vorher und parallel – allerdings nicht zum Anwaltstarif! – geleistete Arbeit etlicher jenischer Frauen und Männer sowie einiger anderer AktivistINNen bei.

Schliesslich gehört Frischknecht zu den ganz wenigen Juristen in der Schweiz, welche für misshandelte und missbrauchte ehemalige Heimkinder nicht-jenischer Herkunft finanzielle Entschädigungen erstritten, nämlich, zusammen mit Anwältin Hannelore Fuchs, für Insassen eines Kinderheims in Mogelsberg/SG, im pauschalen Gesamtbetrag von Fr. 500'000.-

Umso bedauerlicher ist der weite Bogen, den die allermeisten erfolgreicheren Anwälte und Anwältinnen um diese Anliegen machten und machen. Deshalb ist der Grossteil dieser Misshandlungen und Missbräuche in der Schweiz bisher juristisch nicht aufgearbeitet und finanziell nicht entschädigt worden, was in anderen Ländern inzwischen teilweise doch der Fall ist.

 

Meilensteine auf dem Weg der Jenischen hin zur Gleichberechtigung – nach und ohne Frischknecht

Die Sache der Jenischen kam in den Jahren seit 1992 auch ohne Frischknechts 14-Stunden-Tage voran. Diverse andere Juristinnen und Juristen, darunter der spätere grüne Nationalrat Daniel Vischer und die ehemalige Sekretärin der Radgenossenschaft, setzten sich für die Anliegen und Rechte des jenischen Volkes in der Schweiz ein.

Die Finanzierung der Stiftung Naschet Jenische durch Bundesgeld wurde eingestellt, als sie sich von Frischknecht und Fässler trennte. 1996 wurde jedoch die vom Bund gegründete Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende (einiges zu deren Planungsphase steht schon im Artikel von 1992), dotiert mit einer Million Stiftungskapital und einem jährlichen Zuschuss des Bundes von 150'000.- Franken, gegründet; ihr Sekretär ist der St. Galler Rechtsanwalt Urs Glaus, ihr erster Präsident war der Appenzell-Ausserrhoder Alt-Regierungsrat Werner Niederer (SP), 2012 gefolgt vom Zürcher Alt-Regierungsrat Markus Notter (SP). Die Jenischen sind im Stiftungsrat mit 5 von 11 Mitgliedern in der Minderheit. Die Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische, Uschi Waser, gehört seit einigen Jahren zum Stiftungsrat dieser neuen staatsnahen Stiftung, nebst Vertretern der Radgenossenschaft, der Zigeunermission und von schäft qwant. Es ist zu hoffen, dass diese Bundesstiftung den Anliegen der in ihr nur minderheitlich vertretenen Jenischen, und auch die der in ihr gar nicht vertretenen Roma, unter dem neuen Präsidenten, der sich schon in früheren Jahren für die Fahrenden einsetzte, erfolgreicher vertritt als bisher.

Die Jenischen erhielten einen Sitz in der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, die ebenfalls 1996 ihre Arbeit aufnahm.

Die 1993 gestoppte Akteneinsicht via Aktenkommission in die über Jenische erstellten Pro-Juventute-Akten wurde unter der Aegide des Bundesarchivs für Betroffene wieder aufgenommen. Noch heute melden sich dort Betroffene oder ihre Nachkommen. 2011 sind neu auch noch rund 90 Dossiers über Jenische, die vom Seraphischen Liebeswerk Solothurn bevormundet oder befürsorgt waren, dort für die Betroffenen und ihre Nachkommen einsehbar.

Einige Zahlungen (zwischen 2'000 und maximal 20'000 Franken) wurden auch nach 1993, als dieses spezifische Prozedere über die beiden Fondskommissionen beendet wurde, vom Bund noch via eine ungenannte private Organisation nachgeholt.

Dank Bundesrätin Ruth Dreifuss, sowie auf ausländischen Druck hin (im Zusammenhang mit dem Skandal um die auf Schweizer Banken verbliebenen oder in den Besitz der Nationalbank gelangten Gelder und Wertsachen von Holocaust-Opfern) ging es nach über zwanzig Jahren endlich vorwärts mit der seit 1975 von den Jenischen immer wieder geforderten historischen Aufarbeitung ihrer Verfolgungsgeschichte, die 1987 zwar gross angekündigt, aber intrigant hintertrieben worden war. 1998 erschien die Vorstudie des Bundesarchivs von Roger Sablonier, Walter Leimgruber und Thomas Meier zum Thema „Kinder der Landstrasse“. Bei dieser fällt auf, dass die Rolle des Pro-Juventute-Gründers und Hitler-Verehrers Ulrich Wille jun. in historisch schwer erklärbarer Weise ausgeblendet wurde. Ende 2000 wurde Band 23 der Publikationen der Bergier-Kommission zur Geschichte der Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz zur Zeit des Nationalsozialismus publiziert, verfasst von Thomas Huonker und Regula Ludi.  2003 begannen die Forschungen von drei Historikerteams im Rahmen des NFP 51 des Nationalfonds zur Geschichte der Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz, deren Ergebnisse unterdessen teilweise auch schon publiziert sind.

Mehrere rechtshistorische Publikationen, vor allem diejenigen von Lukas Gschwend, Nadja Capus und Joëlle Sambuc, erörterten die Frage, weshalb der versuchte Völkermord an den Jenischen in der Schweiz trotz seiner Unverjährbarkeit bislang straflos blieb, dies selbst nachdem die Schweiz, mit über 50jähriger Verzögerung, per 1. Januar 2000 als einer der letzten Staaten weltweit endlich auch die UNO-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords ratifiziert hat.

Im Gefolge der Unterzeichnung diverser internationaler Übereinkommen gegen Diskriminierung und Rassismus sowie zum Minderheitenschutz anerkannte die Schweiz 1998 die Fahrenden als nichtterritoriale nationale Minderheit und die Sprache Jenisch 1999 als nationale Minderheitssprache. Der Bund finanziert zur Zeit ein minimales Projekt zur Förderung der jenischen Spache, das aber in keinem Verhältnis steht zu den viel grösseren Beträgen, die zur Pflege anderer Minderheitssprachen, etwa des Rätoromanischen, aus Steuermitteln ausgezahlt werden.

2003 eröffnete die Radgenossenschaft dank der Tatkraft von Robert Huber, dem Präsidenten der Radgenossenschaft von 1985 bis 2010, das weltweit erste und bisher einzige Dokumentations- und Begegnungszentrum der Jenischen an ihrem neuen Sitz an der Hermetschloostrasse 73 in Zürich.

Die internationale Vernetzung und Bürgerrechtsarbeit der Jenischen hat, vor allem auch dank dem Internet, seit den späten 1990er Jahren grosse Fortschritte gemacht. Viele neue jenische Organisationen und Initiativen sind in der Schweiz und in mehreren europäischen Ländern seitdem entstanden.

Doch noch immer gilt: Naschet Jenische!  Steht auf, Jenische!

 

Nachtrag zum Nachtrag (22. Dezember 2015):

Informationen zu weiteren Entwicklungen (ab 2013) betreffend (sehr späte) finanzielle Abgeltungen an (die noch lebenden) Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen in der Schweiz, wissenschaftliche und politische Aufarbeitung dieser Thematik etc. siehe

www.kinderheime-schweiz.ch

www.fuersorgerischezwangsmassnahmen.ch

www.uek-administrative-versorgungen.ch


Der ehemalige Rechtsanwalt Stephan Frischknecht hat diesen Artikel und den Nachtrag vom 14. Januar 2012 gerichtlich angefochten und dessen Löschung verlangt. Das Obergericht Zürich hat einen diesbezuglichen ablehnenden Entscheid der Bezirksstaatsanwaltschaft Zürich mit Urteil vom 22. Mai 2015 gestützt. Die ausführliche Urteilsbegründung ist auch für andere Fälle, in denen die Löschung kritischer historischer oder journalistischer Arbeiten im Internet verlangt wird, von Belang. Hier das Urteil im Wortlaut

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