Der hier publizierte Text ist die deutschsprachige Version des Nachworts zur 2008 bei editions page 2 erschienenen französischsprachigen Ausgabe des Bandes 23 der Publikationen der Unabhängigen Kommission Schweiz - 2. Weltkrieg, verfasst von Thomas Huonker und Regula Ludi: Roma, Sinti, Jenische. Die schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2000.
Thomas Huonker
Neu entdeckte historische Dokumente und einige Bemerkungen zur Entwicklung politischer und gesellschaftlicher Haltungen gegenüber Roma, Sinti und Jenischen in der Schweiz seit der Publikation des Berichts
Die unabhängige Expertenkommission Schweiz – 2. Weltkrieg wurde zwar von einem Historiker aus der Romandie präsidiert, Jean-François Bergier, doch wurden nur Teile ihrer Erkenntnisse auch in französischer und italienischer Sprache publiziert. Das ist bedauerlich angesichts des Umstands, dass die Ergebnisse der von der Kommission in Gang gesetzten Forschungen die ganze Schweiz betrafen. Leider publizirte die Kommission auch die Studie betreffend die schweizerische Politik gegenüber den Flüchtlingen aus den Gruppen der Roma, Sinti und Jenischen nur in deutscher Sprache. Demgegenüber hatte das Bundesarchiv seine kurz zuvor erschienene Studie betreffend die Verfolgung der schweizerischen Jenischen durch die Stiftung Pro Juventute, die vor allem in der Deutschschweiz, ebenso aber auch im Tessin stattfand, auch auf französisch publiziert, ebenso dessen Kurzfassung.[1] Aber auch von der Publikation des Bundesarchivs gibt es keine Übersetzung in die italienische Landessprache.
Es ist umso verdienstvoller, dass Dario Lopreno und editions page 2 die Mittel aufgebracht haben, um auch den von Regula Ludi und mir geleisteten Teil der Expertenarbeit der UEK für das französischsprachige Publikum zugänglich zu machen; wir sprechen ihm und dem Uebersetzerteam dafür unseren herzlichen Dank aus.
Bei der Verfolgung der Jenischen mit schweizerischem Bürgerrecht waren westschweizerische Institutionen nur in relativ wenigen Fällen involviert. Im Gegenteil: Die französischprachigen Kantone waren während der Verfolgungszeit in den mittleren Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts Zufluchtsort für viele Jenische insbesondere aus dem Kanton Schwyz. Hingegen spielen Institutionen auch der Romandie bei der schweizerischen Abwehrpolitik gegenüber Roma und Sinti und Jenischen aus dem Ausland oder überhaupt ohne staatliche Zugehörigkeit, die im ersten und zweiten Weltkrieg Asyl in der Schweiz erhofften, eine wichtige Rolle. Der Bericht dokumentiert Fälle mit Bezügen zum Wallis, zu den lemanischen Kantonen sowie zum Jura-Gebiet.[2]
Lebenslänglich interniert und 1934 kastriert: Josef Anton R.
Der im Jahr 2000 publizierte Bericht erwähnt kurz, dass 1920 eine Umfrage der eidgenössischen Polizeiabteilung bei den Kantonsregierungen auf eine Gruppe von unter behördlicher Vormundschaft stehenden „Zigeunerkindern“ ausländischer Herkunft verwies. Es konnte damals schon gesagt werden, dass diese Kinder im Lauf des Verfahrens nach den Vorgaben des Bundesbeamten Eduard Leupold, dem einreisende Roma, Sinti und Jenische generell unterzogen wurden, von ihren Familien getrennt worden waren.[3] Leupolds Verfahren, 1911 beschlossen, wurde ab 1913 konsequent praktiziert. Es ging davon aus, dass der Aufenthalt von ausländischen und staatenlosen „Zigeunern“ – wobei es im polizeilichen Ermessen lag, wer unter diesen Begriff fiel – von vornherein als illegal zu gelten habe. Denn die Einreise von „Zigeunern“ war, nach der 1848 eingeführten allgemeinen Reisefreiheit, 1888 durch eine Übereinkunft aller Grenzkantone wieder verboten worden, und 1906 erliess der Bund ein Gesetz, wonach nicht nur der Aufenthalt,sondern auch der Transit von „Zigeunern“, insbesondere auch per Eisenbahn oder Dampfschiff, verboten war, es sei denn, der Transport von Menschen dieser Zugehörigkeit erfolge zwangsweise unter polizeilicher Aufsicht zum Zweck der Ausschaffung. Unter dem Titel der Sicherstellung der Identifikation illegal eingereister „Zigeuner“ schrieb das Verfahren Leupolds die Führung eines zentralen Zigeunerregisters in Bern vor und nahm die illegal Eingereisten in „Identifikationshaft“. Diese konnte Monate und Jahre dauern, ohne dass ein Gericht angerufen werden konnte. Sie wurde unter Trennung der Familien vollzogen. Das alles hatte das erklärte Ziel der Abschreckung, denn diese polizeiliche Zwangsmassnahme war der Albtraum insbesondere auch aller Familien von fahrenden Roma, Sinti und Jenischen, war doch der familiäre Zusammenhalt die zentrale Existenzsicherung dieser Menschen, die kaum je Schutz von seiten staatlicher oder sozialer Institutionen zu erwarten hatten. Die Männer (ab 16 Jahren) wurden in der bernischen Zwangsarbeitsanstalt Witzwil inhaftiert, wo die Insassen, neben landwirtschaftlicher Arbeit, in den Jahren von 1914 bis 1954 auch mit der Verwertung des Kehrichts der Stadt Bern, per Eisenbahn direkt ins Gelände der Strafanstalt Witzwil angeliefert,[4] beschäftigt wurden.
Die Internierung der unerwünschten Frauen und Kinder erfolgte in Heimen der Caritas und der Heilsarmee. Das hatte im Fall der Heilsarmee einen spezifischen Hintergrund. Denn diese religiöse Gruppierung war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts selber, vor allem wegen ihrer Strassenkampagnen mit Musik und Geldsammlung, von Polizei und Behörden mit Bussen und Strafverfolgungen behelligt worden.[5] Doch mit Übernahme einer Hilfsfunktion in Leupolds polizeilichem Identifikationshaftregime gegenüber Familien der behördlicherseits unerwünschten Kategorie „Zigeuner“ machte die Heilsarmee ihren Frieden mit der Obrigkeit. Die zwecks Identifikation, Registrierung und Abschreckung getrennten Familien wurden erst anlässlich ihrer meist illegalen Abschiebung in an die Schweiz angrenzende Länder, wo sie ebenfalls unerwünscht waren, wieder vereint, jedoch nicht in allen Fällen. Die absolute Illegalisierung und die getrennte Internierung der unter der Bezeichnung „Zigeuner“ Diskriminierten führte auch zu definitiven Familientrennungen. Die illegal Eingereisten wussten um ihren prekären Status und flohen in alle Richtungen, wenn polizeilicher Zugriff drohte. Dies in der Hoffnung, zu entkommen und irgendwo in den Wäldern wieder zusammenzufinden. So wurden gelegentlich auch einzelne Kinder aufgegriffen.
Eines dieser Kinder war Josef Anton R., dessen Behandlung in der Schweiz eine Kette behördlich verfügter Brutalitäten ist. Sie erscheinen im Detail beinahe unglaublich, sind jedoch durch schriftliche Quellen belegt. Von diesem Betroffenen war mir schon 1997 der Name bekannt; seine Krankenakte in der psychiatrischen Unversitätsklinik Zürich, einer seiner Leidensstationen, wurde jedoch auf damalige Nachfrage meinerseits als verschollen erklärt, obwohl sie in der Registratur angegeben war. Umgekehrt konnte seine Flüchtlingsakte im Bundesarchiv über seinen Namen damals weder von mir noch von Regula Ludi aufgefunden werden. Dies gelang, sechs Jahre später, erst meinem jenischen Freund und Mitarbeiter Venanz Nobel im Rahmen des Nationalfonds-Forschungsprojektes „Unterwegs zwischen Verfolgung und Anerkennung - Formen und Sichtweisen der Integration und Ausgrenzung von Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz seit 1800 bis heute“, dessen Forschungen wir, anfänglich zusammen mit Stéphane Laederich, später unter Mitarbeit von Samuel Hegnauer, von 2003 bis 2006 durchführten.[6]
Es ist zu vermuten, dass diese skandalöse Fallgeschichte, welche älteren Exponenten der Psychiatrie und der zentralen Polizeibehörden bekannt sein musste, im politisch und ökonomisch aufgeladenen Diskussionsumfeld zu Ende der 1990er Jahre bewusst unter Verschluss gehalten wurde. Erst jetzt kann sie dargestellt werden, wenn auch immer noch lückenhaft.
Die Familie von Josef Anton R. war 1915 bei Eglisau im Kanton Zürich aus Deutschland in die Schweiz geflohen. Sie konnte sich eine Zeit lang unentdeckt in der Schweiz aufhalten. „Der Knabe wurde im September 1916 in Baden als heimatlos aufgegriffen und durch die eidgenösssche Justiz & Polizei bei der Heilsarmee, Molkenstr. 6“[7] in Zürich untergebracht, zusammen mit seiner Mutter und seinen Schwestern. Der am 25. August 1905 Geborene war damals elfjährig. Es ist unklar, ob seine Verwandten vor ihm, nach ihm oder mit ihm aufgegriffen wurden. Als seine Mutter 1920 in Zürich starb, wurde der Vater benachrichtigt und aus Witzwil entlassen. Vater R. konnte nur nur seine Töchter mitnehmen, da Josef Anton R. zu dieser Zeit schwer krank im Kinderspital lag, die Ausweisung von Vater und Töchtern aber per sofort galt. Was aus diesen Verwandten wurde, ist nicht bekannt; wegen des Einreiseverbots konnten sie den Sohn respektive Bruder in der Folge nie besuchen. Die schweizerische Polizeiabteilung[8] wiederum sagte, die Abschiebung des papierlosen „Zigeunerknaben“ sei unmöglich, da weder Frankreich noch Deutschland den aus dem Elsass Stammenden als ihren Bürger betrachten wollten.[9] Um zu verhindern, dass Josef Anton R. „übelbeleumundeten Mädchen nachstrich“,[10] beschlossen das Waisenamt Zürich und die Polizeiabteilung in Bern gemeinsam, „ihn bis zu dessen Ausschaffung, längstens auf die Dauer von zwei Jahren, in der Zwangserziehungsanstalt Tessenberg“ einzusperren, und vorher noch in der Anstalt Trachselwald, beide im Kanton Bern.[11] Wegen fortbestehender Papierlosigkeit konnte er aber auch nach zwei Jahren nicht ausgeschafft werden. Er kam wieder in den Kanton Zürich zu einem Bauern in Volketswil als Knecht, dann zu einem Bäcker in Langnau, als Ausläufer. Nachdem er Geld seines Arbeitgebers an sich nahm und grösstenteils an andere Kinder verteilte, wurde auch Josef Anton R. in der Zwangsarbeitsanstalt Witzwil im Kanton Bern interniert. Der von Anstalt zu Anstalt Geschobene erlernte dort sexuellen Umgang mit Tieren und Gleichgeschlechtlichen und draussen suchte er sexuellen Kontakt auch zu minderjährigen Mädchen, was im schwerwiegendsten dieser Fälle zu einer kurzen Gefängnisstrafe führte. Im Juli 1934 wurde Josef Anton R. auf Wunsch seines Zürcher Amtsvormunds Dr. Robert Schneider in der bernischen Universitätsklinik Waldau vom deutschen Psychiater Herbert Jancke psychiatrisch begutachtet. Herbert Jancke (1898 – 1993) war auch Dozent für experimentelle Psychologie an der Universität Bern und, wie die dortigen Professoren Helmut de Boor (Germanistik), Walter Porzig (Indogermanistik), Wilhelm Michaelis (Theologie) und Fritz Zetsche (Chemie), als Anhänger des Nationalsozialismus bekannt.[12] Psychiater Janckes amtliches Berner Gutachten über den Staaten- und Familienlosen entspricht dieser Einstellung voll und ganz. Er schrieb darin über Josef Anton R.: „Er war ein richtiger Zigeuner“. Und weiter: „Er ist ein debiler und moralisch defekter Mensch.“ Ohne eine Überlegung auf die traumatischen Umstände und Folgen der Trennung von der Familie, der Krankheit und der Abschiebung des Isolierten in die verschiedensten Anstalten zu verwenden, jedoch aus seiner rassistischen Haltung heraus schrieb Jancke: „Sein ganzes Verhalten kann man einfühlend einigermassen verstehen, wenn man bedenkt, dass er nicht Schweizer, sondern Zigeuner ist.“ Weiter postulierte und folgerte Jancke, der 1937 die Universität Bern verlassen musste und zurück nach Deutschland ging, als Direktor einer psychiatrischen „Kuranstalt“ in Bonn: „Wenn wir bisher gefolgert haben, dass R. ein hemmungsloser Psychopath ist und an moralischem und intellektuellem Schwachsinn leidet und als anpassungsunfähiger Zigeuner, was noch hinzukommt, sowieso nur unter ständiger Aufsicht innerhalb von rassefremden Volksgenossen leben und arbeiten kann, so ist der folgerichtige Rat der, R. auf Lebenszeit in einer Anstalt zu versorgen.“ Um den „rassefremden“ jungen Mann an der Zeugung unerwünschten Nachwuchses zu hindern, empfahl Janckes Gutachten die Sterilisation. “Wenn nicht die Möglichkeit besteht, R. über die Grenze zu bringen, was wir nicht beurteilen können, was aber für ihn und für uns das beste wäre (er müsste sich einem Trupp umherziehender Zigeuner anschliessen können), so müssen wir überdies auch noch dafür sorgen, dass er sich in der Schweiz nicht vermehren kann. Es wäre daher die zwangsweise Sterilisierung die mindeste Forderung, die durchzusetzen wäre und die auch Gültigkeit behält, wenn er dauernd in einer Arbeitsanstalt versorgt wird, denn auch in einer solchen ist unserer Erfahrung nach der Verkehr mit Frauen nicht ganz unmöglich gemacht“.[13]
Amtsvormund Robert Schneider, ein scharfer Vertreter der „Eugenik“ und bekannt auch als Vormund des Schweizer Schriftstellers Friedrich Glauser,[14] hatte selber schon vorgeschlagen, sein Mündel R. mit psychiatrischer Absegnung kastrieren zu lassen. Diese Anregung nahm der in der Schweiz wirkende Nazi-Psychiater Jancke gerne auf: „Wenn aber schon eine Sterilisierung gemacht werden kann, so sollte man auch die letzte Konsequenz wagen, und, wie es schon durch die Anfrage zum Gutachten eigentlich vorgeschlagen wird, ihn kastrieren; denn wenn auch seine Triebhaftigkeit absolut nicht sehr gross ist, so ist sie eben doch gross genug, um ihn auf die sexuellen Abirrungen zu drängen, die er, gleich an welchem Ort er sich befindet, betätigen kann. Bis jetzt hat R. allerdings noch nicht in die Kastration eingewilligt, aber wir werden uns darum weiter bemühen.“[15] Eine Einwilligung von Josef Anton R. in seine Kastration liegt nicht bei den Akten. Er wurde dennoch kastriert, wie viele andere Opfer solcher Massnahmen, die in der Schweiz schon seit 1890 praktiziert wurden.[16]
1956 wurde Josef Anton R., nach weiteren zweiundzwanzig Jahren in einer Zwangsarbeitsanstalt, diesmal in Bellechasse, Kanton Fribourg, erneut psychiatrisch begutachtet, diesmal in der Zürcher Universitätsklinik. „R. wurde vor mehr als zwanzig Jahren wegen seiner sexuellen Abwegigkeiten kastriert. Nach dem erwähnten Gutachten der Heilanstalt Burghölzli sind heute keine deutlichen Anzeichen für eine grosse sexuelle Gefährlichkeit vorhanden. Der begutachtende Arzt empfiehlt, R. in einem Spital für chronisch Kranke oder in einem Kranken- oder Altersheim unterzubringen.“ [17] Damit lehnte der Zürcher Justizdirektor den Antrag Schneiders ab, Josef Anton R. noch länger in Bellechasse einzusperren, und er kam in die Anstalt Kappel im Knonauer Amt, Kanton Zürich.[18]
Das Waldauer Gutachten über R.,vom Nationalsozialisten Herbert Jancke verfasst, war auch vom Berner Direktor der Universitätsklinik Waldau und Universitätsprofessor Jakob Klaesi (1883-1980) gutgeheissen und unterzeichnet worden. Vielleicht hatte Klaesi den Passus eingefügt: “Es ist bekannt, dass die Zigeuner daneben [nämlich neben ihrer angeblichen vollständigen Anpassungsunfähigkeit] sehr aufopferungsfähig sein können, überhaupt auch manche sittlichen und menschlichen sympathischen Eigenschaften haben.“ Allerdings befürwortete auch Klaesi in seinen öffentlichen Reden und Schriften Sterilisation und Kastration.[19] Neben seiner Professur in Bern war Klaesi Besitzer einer psychiatrischen Privatklinik in den Gebäuden der ehemaligen Zürcher Vogtei Knonau, wo er seinen Lebensabend verbrachte. Josef Anton R. starb 1972 mit 67 Jahren als anonymer Anstaltsinsasse in der Armenanstalt Kappel am Albis, Jakob Klaesi 1980 mit 97 Jahren als sozial und wissenschaftlich hoch geehrter Pensionär im nur wenige Kilometer von Kappel entfernten Knonau. Was der Psychiater Herbert Jancke nach seiner Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland im Umfeld der dortigen Zwangssterilisationen, Kastrationen sowie der darauf folgenden Krankenmorde unter dem Titel „Euthanasie“ [20] schrieb und tat, wurde bislang nicht näher erforscht.[21]
Die Darstellung der Querverbindungen zwischen schweizerischen Psychiatern, und zwar gerade auch solchen wie Josef Jörger aus Chur, welche antiziganistische Stereotypen in die Psychiatrie einführten, die dort lange unkritisch weitertradiert wurden, mit Hauptfiguren der nazistischen Psychiatrie wie dem schweizerisch-deutschen Doppelbürger Ernst Rüdin, dessen Freund und Schwager August Ploetz, Eugen und Manfred Bleuler und vielen anderen war mir im Rahmen des Mandats der UEK nicht möglich. Ich habe sie inzwischen in anderen Publikationen dargelegt.[22]
Es erwies sich, dass insbesondere auf dem Gebiet der Zwangssterilisation und Zwangskastration, nach entsprechenden Vorläufern in den USA, die Schweiz als erstes Land in Europa Praktiken vorwegnahm, welche Rüdin und seine Schüler dann im Dritten Reich im grossen Stil praktizierten. Allerdings ist auch die Zahl der von „rassenhygienisch“ und „eugenisch“ begründeten Zwangsoperationen Betroffenen hoch. Ich musste allein für den Kanton Zürich für den Zeitraum zwischen 1890 und 1970 mehrere Tausend solcher Fälle konstatieren, also weit mehr als im Kanton Waadt, wo diese Praktiken gesetzlich reglementiert waren, durch ein 1929 erlassenes und 1985 aufgehobenes Gesetz, und schon seit den 1990er Jahren kritisch untersucht wurden.[23]
Die Geschwister S.-G.
Es gibt parallele Fälle zu Josef Anton R. Sechs von acht Kindern aus einer Familie von Fahrenden mit Elsässer Wurzeln und schweizerischer Verwandtschaft wurden teilweise ebenfalls amtlich bevormundet und langjährig, in einem Fall wiederum lebenslänglich, isoliert und interniert. Es gelang den Schweizer Behörden, vier der sechs Staatenlosen schliesslich wieder ins Ausland zu verbringen, wo einer von ihnen einen frühen Tod fand. Nur die beiden Schwestern, welche Bürgerschaftsberechtigte heirateten, kamen selber auch zu Papieren und Bürgerschaft, alle anderen verblieben lebenslänglich Staatenlose.
Es handelt sich um die Kinder einer behördlicherseits als „Zigeunerbande“ bezeichneten [24] Familie namens S.-G., deren umfangreiches Dossier ebenfalls Venanz Nobel entdeckte. Er hat ihre Geschichte kurz zusammengefasst.[25]
Der Vater Gregor S. war Geschirr- und Pferdehändler. Er lebte im Konkubinat mit seiner Partnerin, der Witwe seines Bruders, mit der er 7 Kinder hatte, vorwiegend in Süddeutschland, im Elsass und der Schweiz. Auch das Kind des verstorbenen Bruders gehörte zur Familie. Gregor S. war in der Schweiz geboren, am 16. Februar 1885, in Schneisingen, Kanton Aargau, wie auch die Mutter seiner Kinder Elise G., die in Bözingen, Kanton Bern, zur Welt kam. Bözingen ist heute ein Stadtteil von Biel. Beide waren als Fahrende aufgewachsen. Kurz nach Beginn des ersten Weltkriegs wurde Gregor S. in die deutsche Armee eingezogen. Elise G. blieb in der Schweiz, wurde aber von den Behörden, welche in Freienbach, Kanton Schwyz, gegen die Familie durchgriff hatten, in die dortige Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach eingewiesen, ebenfalls im Kanton Schwyz. Die sechs jüngsten Kinder kamen 1914 in Heimversorgung, welche bis zur Desertion von Vater Gregor S. im August 1918 der Deutsche Hilfsverein in Zürich bezahlte.[26] Zwei der sechs jüngsten Kinder kamen ins Kinderheim Menzingen, vier ins Zürcher Heilsarmeeheim an der Molkenstrasse 6, bereits bekannt als Aufenthaltsort auch von Josef Anton R. und seinen weiblichen Verwandten. Am 2. August 1918 stellte der Deutsche Hilfsverein seine Zahlungen ein, da Vater S. nicht mehr im deutschen Heer kämpfe, sondern „sich vagabundierend im Kanton Aargau“ aufhalte. In den Aargau war auch die Mutter aus der Zwangsarbeitsanstalt entflohen, sie wurde aber wieder verhaftet und nach Kaltbach zurücktransportiert. Der Deutsche Hilfsverein schrieb an das Eidgenössische Justizdepartement EJPD, wenig glaubwürdig: „Das Kaiserliche Generalkonsulat in Zürich ist seit Kriegsausbruch eifrigst bemüht, für diese Familie gültige Heimatpapiere zu beschaffen, doch sind alle Anstrengungen bis heute ohne Erfolg geblieben.“ Der Deutsche Hilfsverein kam zum Schluss: „Die Familie muss heute als staatenlos angesehen werden, und das Departement wird daher ergebenst gebeten, auf Grund obiger kurzen Schilderung weitere Massnahme zu treffen.“ [27]
So kamen die Kinder unter die Zuständigkeit des EJPD in Bern, genauer: der dortigen Polizeiabteilung. Diese übergab sie unter Kostenübernahme dem Waisenamt Zürich, welches am 20. August 1920 beschloss, die Kinder S.-G., wie auch Josef Anton R., unter Amtsvormundschaft zu nehmen. Es heisst in diesem Beschluss: „Im Zufluchtsheim an der Molkenstrasse 6, Zürich 4, befinden sich seit dem Monat August 1914 verschiedene Zigeunerkinder, die bei Kriegsausbruch durch eine Verfügung des EJPD dort versorgt wurden, während ihre erwachsenen Angehörigen teils in der bernischen Anstalt Witzwil, teils in anderen Anstalten interniert wurden. Ursprünglich waren im Zufluchtsheim an der Molkenstrasse 13 solche Kinder untergebracht, es sind aber fünf derselben von den inzwischen freigelassenen Müttern abgeholt worden.“ [28] Seit September 1918 bezahlte die Polizeiabteilung der Heilsarmee die Pflegekosten.[29] Die vorher in Menzingen platzierten Geschwister wurden 1918 auch an die Molkenstrasse gebracht.[30]
Im Frühsommer 1921 entwich die 14jährige Caroline S. mit ihrem jüngeren Bruder Josef und führte 7 Wochen lang „ein richtiges Vagabundenleben“, bis sie wieder eingefangen, isoliert, und, nach einer zweiten Flucht, zur Begutachtung in die Kinderabteilung der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli, Zürich, versetzt wurde; Josef durfte bei seinen Geschwistern bleiben.[31] Die Amtsvormundschaft Zürich schrieb am 2. August 1921 an die Polizeiabteilung des EJPD, die Psychiatrisierung Carolines sei erfolgt, „damit man dort endlich einmal das Mädchen auf Charakteranlagen und seine geistige Verfassung hin beobachte“ und ein Gutachten erstelle. „Bei der schwierigen Veranlagung des Kindes ist dies doppelt notwendig, schon um zu wissen, was vom psychiatrischen Standpunkt aus weiter mit dem Kinde geschehen und in was für einer Anstalt es untergebracht werden soll.“ [32] Am 27. August 1921 schrieb die Amtsvormundschaft nach Bern: „Die Irrenanstalt Burghölzli kam zu dem Resultat, dass Zeichen einer erworbenen Geisteskrankheit nicht gefunden werden konnten, dagegen handle es sich um ein psychopathisches Kind mit Wandertrieb und erheblichen moralischen Defekten. Eine andere Versorgung als in einer geschlossenen Anstalt erweist sich praktisch als unmöglich, weil eben Caroline S. sonst überall durchbrennen und dann wieder herumvagieren wird.“[33] Der Wunsch nach Rückkehr in die eigene Familie und Verwandtschaft, und somit in die nomadische Kulturform, in der Caroline aufgewachsen war, wurde von der Zürcher Psychiatrie als angeborener „psychopathischer Wandertrieb“ aufgefasst. Nun kam Caroline in das geschlossene Erziehungsheim Zum guten Hirten in Altstätten, Kanton St. Gallen.
Aus Anlass der Flucht von Caroline und Josef hatte die Kantonspolizei von allen Geschwistern S.-G. Fotos und Fingerabdrücke nach Bern geschickt.[34] Die Daktylobögen sind zu Beginn der Unterdossiers für die einzelnen Kinder archiviert. Inzwischen war es auch der Mutter Elise G. gelungen, die Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach hinter sich zu lassen. Die Polizeiabteilung in Bern sandte folgende Ausschreibung an den Polizei-Anzeiger: „S., Gregor, geb. 15. Februar 1888, aus Blotzheim, Elsass, und seine angebliche Ehefrau Elise, geb. G., geb. 1884, Zigeuner, sind zu arretieren unter sofortiger Mitteilung an das EJPD“.[35] Die Zürcher Kantonspolizei hatte zwar im erkennungsdienstlichen Daktylobogen von Caroline S. unter der Rubrik „verhaftet (verurteilt) wegen:“ eingetragen: „Identitätsfeststellung“ und unter „Bemerkungen“ beigefügt: „Vater soll sich in Firnheim [Viernheim] bei Mannheim Lindenhofstr. 36 aufhalten. Mutter soll sich mit Kesselflicker M. in Graubünden herumtreiben. Eltern Zigeuner“. Die Eltern hatten sich zwar dem polizeilichen Zugriff entziehen können, doch überstand ihre Beziehung die behördliche Familienauflösung nicht. Kontaktaufnahmeversuche zwischen Kindern und Eltern wurden mehrfach polizeilich verhindert.
Die älteste Schwester Marie, geboren 1905, war von ihren Geschwistern getrennt und ins Rettungsheim der Heilsarmee in Basel verbracht worden. Caroline entwich auch aus dem geschlossenen Mädchenheim in Altstätten zweimal. Der Zürcher Amtsvormund Walter Schiller schrieb an die Polizeiabteilung: „Caroline S., die eben Zigeunerblut in sich fühlt, kann sich dem klösterlich strengen Regime in der Anstalt Zum guten Hirten einfach nicht fügen und hat mich schon mehrfach gebeten, eine Versetzung zur Schwester Maria nach Basel vorzunehmen.“ Die Zuständigen gingen auf diese Bitte ein, auch weil die Unterbringung in Basel billiger war. Der Chef der Polizeiabteilung des EJPD, Ernst Delaquis, lieferte wie stets zur Platzierung dieser Kinder eine Garantieerklärung zuhanden der lokalen Behörden, um diese zur sonst nicht erhältlichen Duldung des Aufenthalts von „Zigeunern“ zu bringen: „Sollten Ihnen die Behörden von Basel bezüglich der Niederlassung des schriftenlosen Kindes Schwierigkeiten bereiten, so wollen Sie sich auf das hierseitige Schreiben beziehen und darauf hinweisen, dass es sich hier um ein Zigeunermädchen handelt, dessen Staatsangehörigkeit bisher nicht festgestellt und dessen heimatliche Versorgung nicht erwirkt werden konnte. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verfügt seine Unterbringung in das Rettungsheim der Heilsarmee in Basel aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, und es sollen den dortigen Behörden keinerlei Unannehmlichkeiten oder Kosten erwachsen.“ [36] Im November 1922 wurde Caroline ins Mädchenheim der Heilsarmeeheim am Ottenweg in Zürich verlegt, also bereits in die sechste Institution; von dort aus sollte sie im Frühjahr 1923 eine Arbeitsstelle antreten, doch wurde die Stelle anderweitig vergeben, also kam sie in die siebte Institution, das Mächenheim Tannenhof in Zürich. Die dortige Leitung versuchte sie erneut als Dienstmädchen zu platzieren, was diesmal vorerst klappte. Doch erwies sich Caroline als „unbrauchbar“ für die „Herrschaft“ und brannte durch. Nach der polizeilichen Einbringung platzierte sie der Amtsvormund in der Bürgerstube Schipfe in Zürich, die über ein Arrestlokal verfügte. Für den Fall weiterer Anstaltsinternierung drohte Caroline, „sie werde sich ein Leid antun und so weiter. Gleichwohl kann meines Erachtens schlechterdings auf eine Anstaltsversorgung nicht verzichtet werden, weil Caroline S. mit all ihren Defekten in einer Privatversorgung überhaupt nicht zu halten ist und andererseits als Mächen unmöglich einfach der Strasse preisgegeben werden darf. Nach meinem Dafürhalten wäre Caroline S., sich selbst überlassen, auch dringend der Gefahr geschlechtlicher Ausbeutung und eventueller Schwängerung ausgesetzt, wodurch die Angelegenheit sich immer noch weiter verkomplizieren würde.“ Der Amtsvormund fügte bei: „Im übrigen nehme ich an, dass Sie stets weiter darum bemüht sind, die Staatsangehörigkeit der Kinder S. festzustellen. Es wäre nachgerade ganz besonders wegen der unglücklichen Caroline S. als eine Erlösung zu betrachten, wenn eine polizeiliche Abschiebung stattfinden könnte, denn irgend welche erzieherischen Erfolge werden trotz aller entstehenden Kosten natürlich nicht erreicht.“ [37] Dies einerseits wegen der Pathologisierung des Wunsches nach Rückkehr zur traditionellen nomadischen Lebensform als „psychopathischer Wandertrieb“, andererseits wegen der Zielsetzung des ganzen Vorgehens, für welche nicht das Kindeswohl, sonden die öffentliche „Ordnung und Sicherheit“ vorrangig war. Sicherheit und Ordnung der Schweiz waren in der Sicht der Behörden, insbesondere auch des EJPD, durch den Aufenthalt von „Zigeunern“ (ausserhalb von Anstalten) schwer bedroht.[38] In der Antwort vom 20. April 1923 des Chefs der Polizeiabteilung an Amtsvormund Schiller heisst es dazu unter erstmaliger Offenlegung der ganzen Vorgeschichte dieser Staatsintervention: „Das Identifikationsverfahren hatte leider nicht den erwünschten Erfolg. Die Familie S. (11 Personen) wurde schon 1911 nach einer einer vorübergehenden Internierung nach dem Elsass abgeschoben. Frau S. kam mit den Kindern heimlich wieder nach der Schweiz zurück, wo sie, neuerdings interniert, durchbrannte und die Kinder zurückliess.“ [39]
Caroline S. kam nun erneut ins Erziehungsheim Zum guten Hirten in Altstätten, aus dem sie aber im Juli 1923 floh, was eine weitere polizeiliche Rückführung auslöste. Am 19. April 1924 meldete Schiller nach Bern, Caroline sei erneut entwichen und die Anstaltsleitung habe sich geweigert, sie wieder aufzunehmen. „Ich wüsste wirklich nicht, welche Anstalt jetzt noch allfällig in Betracht kommen könnte. Caroline S. hat eben Zigeunerblut und einen unwiderstehlichen Wandertrieb in sich. Sie leidet unter der Enge jeder Anstaltsversorgung sicher bedeutend stärker als ein anderes Mädchen. Nach den bisherigen Erfahrungen darf man auch nicht darauf rechnen, dass durch fortgesetzte Anstaltsfürsorge ihre Naturanlage sich ändern lässt. Unter diesen Umständen lassen sich die grossen ökonomischen Opfer, welche die Anstaltsversorgung erheischt, wirklich kaum rechtfertigen. Ich habe mich daher entschlossen, mit Caroline S. doch nochmals einen Versuch in der Freiheit zu machen und zwar in einem Milieu, in das das Mädchen einigermassen hineinpasst. In Buttikon-Schübelbach, Kt. Schwyz, wohnt ein Oheim des Mädchens, Josef T.-G., Korbmacher, der nach den Auskünften der zuständigen Gemeindebehörden nicht übel beleumundet ist. Er bewirbt eine eigenes kleines Haus mit etwas Umschwung. Auf meine Anfrage hin erklärte sich Josef T. bereit, Caroline S. versuchsweise ohne Kostgeld bei sich aufzunehmen in der Meinung, dass er ihr bei ordentlichem Verhalten noch einen kleinen Wochenlohn verabfolgen werde. Caroline S. wurde am 16. ds. durch meine Gehülfin Herrn Josef T. in Buttikon persönlich überbracht. Sie ist über diese Lösung glücklich und versprach, sich Mühe zu geben und recht zu halten. Im Haushalt des Josef T. sind 10 Kinder im Alter von 5 Wochen bis 13 Jahren, die übrigens alle gesund und ordentlich genährt aussehen. Die Ehefrau T. geht dem Hausierhandel nach, während der Ehemann als Korbmacher meist bei Hause ist.“ [40]
Hatten die bisherigen Massnahmen die spätere Strategie der Pro-Juventute-Abteilung „Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse“ im Sinn einer Auflösung der Familie und Trennung von Verwandten vorweggenommen, war dies ein Entgegenkommen gegenüber der schweizerischen Verwandtschaft der Familie S.-G.
Die mittlerweile 17jährige hielt es aber auch nicht bei ihrem Onkel, welcher dafür die ältere Schwester Marie S. aufnahm.[41] Caroline S. ging ins Tessin, wo sich die Mutter mit einem Schweizer Jenischen verheiratet hatte, wurde aber im Spätsommer 1924 „wegen Unzucht“ in Bellinzona festgenommen. Nun schrieb Schiller nach Bern, es müsse „eine Verwahrung in irgend einer absolut geschlossenen Anstalt“ verfügt werden, weil „das Mädchen (...) angesichts seiner moralischen Defekte schwer gefährdet ist und sich zudem, nachdem es zugegebenermassen seit der letzten Entweichung sich auch verschiedentlich geschlechtlich hingegeben hat, jederzeitiger Schwängerung ausgesetzt wäre“.[42] Schiller schlug die Einweisung Carolines in die weibliche Korrektions-Abteilung der kantonalen Strafanstalt Regensdorf vor, womit die Polizeiabteilung einverstanden war. Es musste allen Zuständigen klar sein, dass diese Massnahme kaum zur moralischen „Besserung“ der Papierlosen beitragen würde. Erst am 28. September 1926 schrieb Schiller wieder nach Bern. „Wie Sie wissen, wurde das Zigeunermädchen Caroline S. durch Beschluss der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich vom 19. September 1924 und Verfügung der Direktion der Justiz vom 25. September 1924 wegen Vagantität und sittlicher Verwahrlosung bis zur Feststellung ihrer Staatsangehörigkeit, eventuell aber auf längstens 2 Jahre auf Ihre Rechnung in die Korrektionsabteilung der kant. Strafanstalt Regensdorf eingewiesen. Caroline S. hielt sich während ihrer Detentionszeit nicht gut und bereitete den Anstaltsorganen durch ihr freches und trotziges Wesen viel Mühe. Aus ihren Reden und gelegentlich konfiszierten Schriftstücken wurde auch ersichtlich, dass Caroline S. ein sittlich sehr verwahrlostes Mädchen ist.“ Nichtsdestotrotz platzierte der Amtsvormund sein Mündel wieder bei einer „Dienstherrschaft“. Diesen Arbeitgebern, die den Lohn nicht rechtzeitig auszahlten, entzog sie sich „unter Mitnahme einer goldenen Damenarmbanduhr“.[43] Zwecks Untersuchungshaft kam sie nun ins Bezirksgefängnis Horgen. Caroline machte geltend, „sie habe nicht in Diebstahlsabsicht gehandelt, sondern sich nur ihr Lohnguthaben decken wollen“. Sie wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Aus den Akten geht nicht hervor, wie das Verfahren endete, doch von eigentlicher Strafhaft und gerichtlicher Verurteilung ist im ganzen Dossier nie die Rede. Amtsvormund Schiller hatte bereits vor diesem Gerichtsverfahren geplant, sein Mündel auf administrativem Weg für weitere drei Jahre in die Korrektionsabteilung der Strafanstalt Regensdorf einzuweisen: „Ich habe bei diesem Mädchen jede Hoffnung auf eine Privatplazierung verloren. Erwähne ich Einiges von den Charaktereigenschaften und dem Vorleben des Mädchens, so wird es nirgends eingestellt, verschweige ich aber in dieser Beziehung alles, so mache ich mich einer Unterlassungssünde schuldig“. Es bleibe ihm deshalb wohl „nichts anderes übrig, als sie vorsorglich in Polizeiarrest zu versetzen und hernach wiederum die Einweisung in die kantonale Strafanstalt Regensdorf in die Wege zu leiten.“ [44] Caroline S. versuchte sich dieser Perspektive durch erneute Flucht zu entziehen, doch dauerte die Freiheit nur einen Monat lang. Am 31. Dezember 1926 kam sie per Polizeitransport aus dem Kanton Tessin, wo sie verhaftet worden war, wieder nach Zürich. Der Vormund rapportierte nach Bern: „Allem Anschein nach hat sich Caroline S. von ihrer Entweichung bis zur Festnahme erneut der Unzucht hingegeben; wenigstens erschien dieser Tage ein der bekannten Vagantenfamilie M., von Obervaz, entstammender junger Mann und erklärte, er habe sich eine Zeitlang mit Caroline S. herumgetrieben und diese behaupte nun, von ihm geschwängert worden zu sein.“ Der Amtsvormund liess dies im Spital untersuchen.[45] Derweil erwirkte er die entsprechende Verfügung, um Caroline S. für weitere drei Jahre in die Strafanstalt Regensdorf einzuweisen. „Als Caroline S. von den Verfügungen der Vormundschaftsbehörde und der kant. Justizdirektion Kenntnis erhielt, geriet sie in einen derartigen Aufregungszustand, dass die Bürgerstube Schipfe das Mädchen nicht länger behielt. Der herbeigezogene Arzt Dr. Strasser erachtete die vorübergehende Unterbringung in der Heilanstalt Burghölzli aus Gründen der Selbstgefährlichkeit des Mädchens für geboten.“ Schiller schloss diesen Brief so: „Nach meinem Dafürhalten liegt aber bei Caroline S. keine eigentliche Geisteskrankheit vor, die eine längere Internierung in der Irrenanstalt erheischen würde. Ich rechne damit, dass sich der Aufregungszustand bald wieder legt und dass alsdann die Überführung in die kant. Strafanstalt durchgeführt werden kann.“ [46] Es war dem Vormund klar, welche Leiden er seinem Mündel auferlegte. Ein Jahr später schrieb Schiller nach Bern: „Sie ist für die Anstalt eines der schwierigsten Elemente des ganzen Weiberhauses und hat bereits wieder 9 Mal disziplinarisch bestraft werden müssen. Zu einem gegenwärtig vorliegenden Gesuch um bedingte Entlassung muss ich daher eine ablehnende Haltung einnehmen. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass dieses Mädchen mit seinem Zigeunerblut und Wandertrieb unter der Internierung natürlich seelisch sehr stark leidet. In Ihrem Schreiben vom 10. Januar 1927 bemerkten Sie, dass sie den Versuch machen werden, Caroline S. nach ihrer Volljährigkeit (gleichzeitig mit der Zigeunerin Paula K.) ins Elsass abzuschieben. Die Schweiz hätte alles Interesse daran, wenn dieser Versuch gelänge, denn irgend ein erzieherischer Erfolg oder Besserung wird auch der Anstaltsaufenthalt bei Caroline S. nicht herbeiführen.“ [47]
Caroline S. reagierte mit einem Gesuch beim Bundespräsidenten Edmund Schulthess, FDP. Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, dem Schulthess vorstand, leitete es ans EJPD weiter.[48] Das Gesuch lautete:
„Herrn Bundespräsident Schulthess, Bundeshaus, Bern.
Unterzeichnete Caroline S. möchte Herrn Bundespräsident Schulthess höflich ersuchen, eine Einlage eingeben zu dürfen.
Am 4. März 1927 wurde mir schriftlich und auch mündlich durch das Polizeiamt Zürich sowie durch meinen Vormund (Herrn Doktor Schiller, Vormundschaftsbehörde, Selnaustrasse 9) mitgeteilt, dass die Bundesbehörde Bern beschlossen habe, mich, sobald ich volljährig sei, über die Landesgrenze ins Elsass zu weisen. Nun bin ich am 18. Mai dieses Jahres einundzwanzig Jahre alt und befinde mich zu meinem eignen Ärger immer noch in der Schweiz. Ich wäre Ihnen von tiefstem Herzen dankbar, wenn Sie meine Ausweisung ins Elsass so bald wie nur möglich bewerkstelligen würden. Denn mich noch länger in der Schweiz zu lassen, hat keinen Wert, denn erstens muss der Bund für meinen jetzigen Aufenthalt in der Strafanstalt Regensdorf pro Tag zwei Fanken zahlen und zweitens werde ich nicht ruhen noch rasten, bis dass ich doch ins Elsass komme. Es würde nicht nur mir, sondern auch meinem Vormund zu gut kommen, wenn ich endlich ins Elsass kann. Man hat mir zwar schon manchmal gedroht mit einer Ausweisung, aber diese Drohung noch nie ausgeführt. Ich gebe überhaupt nichts mehr auf Drohungen, denn eine Ausweisung ins Elsass ist für [mich] keine Strafe, sondern das Gegenteil. Ich ginge lieber heute schon und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es fertig bringen würden, mich auszuweisen, und wenn ich nur bis an die Grenze gehen kann.
Mein Vormund wird Sie schon näher unterrichten von meiner Herkunft. Meine Akten liegen ja alle bei Ihnen. Ich bin am 18. Mai 1907 in Winznau, Kt. Solothurn, geboren. Heimatberechtigt bin [ich] von Orschweil (Elsass). Mein Vater befand sich zuletzt in Viernheim b. Mannheim, meine Mutter ist verheiratet mit einem M. und hält sich gegenwärtig im Kt. Tessin auf. Ich habe allerdings noch mehr Geschwister, wünsche aber allein ins Elsass ausgewiesen zu werden.Ich möchte Sie daher nochmals höflichst ersuchen, meine Ausreise so bald als möglich zu bewerkstelligen. Es liegt mir wirklich viel an Ihrer Antwort und ich traue es Ihrem Können zu, dass Sie das vollbringen werden. Es liegen ja weiter keine Schwierigkeiten vor.
Ich möchte Sie freundlich bitten, von diesem Schreiben Notiz zu nehmen.
In aller Hochachtung unterzeichnet
Caroline S.
zur Zeit in Strafanstalt Regensdorf b. Zürich“
Dem Ausweisungsgesuch hatte Gefängnisdirektor Karl Hafner einen Zettel mit folgender vorgedruckter Notiz angeheftet: „Dieses Schriftstück wird gemäss Art. 67 der Hausordnung spediert, wonach Eingaben an die Behörden nicht zurückzuhalten sind.“ Handschriftlich fügte Hafner bei: „Personalien der Briefschreiberin: S. Caroline, heimatlos, geb. 1907, katholisch, ledig, Dienstmädchen, wegen Liederlichkeit für 2 Jahre, bis 22. Febr. 1930, zur Verwahrung, gestützt auf das zürcherische Verwahrungsgesetz von 1925, hier eingewiesen. Regensdorf, 15. März 1928“
Caroline S. erhielt keine Antwort auf ihr Gesuch, doch gab die Polizeiabteilung dem Vormund am 29. Mai 1928 folgende Tipps, wie die „lästige Person“ illegal abzuschieben wäre: „Gegen ihre Ausschaffung nach dem Elsass, welche von ihr längst gewünscht und in einem besonderen Gesuch an den Bundespräsidenten vom 15. März 1928 ausdrücklich verlangt wurde, haben wir nichts mehr einzuwenden. Ob diese gelingen wird, hängt natürlich vielfach von der S. selbst ab. Würde sie jenseits der Grenze wegen Schriftenlosigkeit aufgegriffen und der Polizei erklären, die Schweiz hätte sie schwarz ausgeschafft, so wäre ihr Rückschub unvermeidlich. Immerhin sollte der Versuch gemacht werden, sich dieser Zigeunerin, für welche die schweizerischen Behörden seit 1914 unter grossem Kostenaufwand, aber ohne erzieherischen Erfolg gesorgt hatten, endlich zu entledigen und derselben zu verstehen zu geben, dass sie im Falle der Rückehr Bestrafung und dauernde Internierung zu gewärtigen habe.“ Im übrigen solle sich der Vormund für dieses Vorhaben an die kantonale Polizeidirektion wenden, „welche die Ausschaffung durch Vermittlung der Basler Polizei zu gegebener Zeit durchführen soll“.[49]
Am 1. Juni beschwerte sich Caroline S. in einem weiteren Schreiben aus der Strafanstalt Regensdorf ins Bundeshaus, diesmal ans EJPD, sie habe keine Antwort vom Bundespräsidenten erhalten; sie hatte aber erfahren, wohl vom Vormund, dass ihr Gesuch ans EJPD weitergeleitet worden war. Sie bekräftigte erneut ihren Wunsch nach Ausweisung ins Elsass und präzisierte: „Es genügt mir ja vollständig, wenn ich nur über die Grenze komme und mich auf Elsässer Boden befinde. Nachher weiss ich mir schon zu helfen.“ Weiter wünschte sie vor ihrer Ausreise eine Besprechung mit den Zuständigen in Bern. „Denn man hat es mir schon auf alle erdenkliche Art und Weise zu fühlen gegeben, dass ich keine Schweizerin bin. Ich habe schon so viel Bitteres und Schweres durchmachen müssen. Jetzt habe ich genug.“ Sie bat, „es möchte mir erlaubt werden, Sie einmal, bevor ich ins Elsass kann, aufzuklären, warum ich so ins Elsass dränge. Sie werden dann einen Begriff bekommen, wie ‚nobel’ die Zürcher sind. Jetzt will ich noch schweigen.“[50]
Als Antwort auf dieses zweite Gesuch schrieb die Polizeiabteilung dem Gefängisdirektor: „Wir ersuchen Sie, der Gesuchstellerin den Inhalt des in Abschrift beigeschlossenen Schreibens, welches wir in dieser Sache an die Amtsvormundschaft Zürich gerichtet haben, zur Kenntnis bringen zu wollen.“ [51]
Prompt verfügte am 14. Juni die Direktion der Polizei des Kantons Zürich die Ausweisung von Caroline S. mit der Präzisierung: „Der weitere Aufenthalt in unserem Lande und das Wiederbetreten der Schweiz ohne die ausdrückliche Bewilligung der zürcherischen Polizeidirektion wird der Ausgewiesenen verboten unter Androhung der Bestrafung“ mit Gefängnis bis zu 60 Tagen und Busse bis Fr. 8000.-, gefolgt von neuerlicher polizeilicher Ausschaffung.[52] Die Abschiebung von Caroline S. nach Frankreich fand am 26. Juni 1928 statt, und die Vormundschaft wurde am 14. September aufgehoben.[53] Doch am 22. Dezember 1928 meldete die Zürcher Polizeidirektion nach Bern, dass „die französischen Behörden Schwierigkeiten in der Anerkennung der französischen Staatsangehörigkeit der Rubrikatin“ machten.[54]
Die Polizeiabteilung antwortete am 28. Dezember 1928, dass „wir seit 1914 mehrmals versucht haben, die Staatsangehörigkeit der Genannten [Caroline S.] und ihrer, seit 1920 mit dem Schweizerbürger Mathäus M. verheirateten Mutter Elise Guidemann abzuklären. Es steht nicht fest und wird kaum nachgewiesen werden können, dasss Josef G.-O., Vater der Elise G., am 24. Juli 1858 in Orschweier (Elsass) als Franzose geboren worden ist und in der Folge nach dem Frankfurter-Vertrag die deutsche Nationalität erhalten hat. Da nun Frankreich für die Anerkennung der unehelichen Kinder G. alias S. als französische Bürger auf den Nachweis der erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter bzw. Grosseltern G. abstellt, die deutschen Behörden aber wiederholt erklärt haben, dass weder Josef G. noch seine Nachkommen Deutsche sind, dürften unseres Erachtens weitere Schritte in der Angelegenheit nutzlos sein; Caroline G. alias S., wie auch ihre Geschwister, werden staatenlos bleiben.“
Über die Zugehörigkeit zur Gruppe der polizeilich als „Zigeuner“ Etikettierten hinaus erschwerten diesen Menschen auch die wechselnden staatlichen Verhältnisse des Elsass im Lauf der deutsch-französischen Kriege 1870/71 und 1914-1918 die Erlangung eines Bürgerrechts. Dazu steht ergänzend im Lebenslauf von Jakob S., einem jüngeren, 1910 im Kanton Bern geborenen Bruder von Caroline S., von dem später noch die Rede sein wird: „Wie mir gesagt wurde, soll mein ehemaliger Amtsvormund Dr. Schiller, Höhenweg 85, Zollikon, die anno 1918 von Deutschland und Frankreich für die Elsässer gebotene Options-Gelegenheit für mich und meine [...] Geschwister unglücklicherweise verpasst und uns damit alle in diese leidvolle Staatenlosigkeits-Misère gebracht haben.“[55] Alternativ hätten die schweizerischen Behörden die Papierlosen aufgrund des Heimatlosengesetzes von 1851 einbürgern können. Doch dessen Anwendung gegenüber Angehörigen der Gruppen der Sinti, Roma und Jenischen lehnten sie im 20. Jahrhundert strikt ab. So auch, als Amtsvormund Schiller für alle Geschwister S. diesen Vorschlag machte, insbesondere auch um damit der ältesten, 1927 aus der Vormundschaft entlassenen Schwester Marie S. einen Pass zu verschaffen, als diese eine Stelle in Deutschland antreten wollte.[56] Die Polizeiabteilung antwortete am 30. August 1927: „Eine Einbürgerung der in der Schweiz befindlichen heimatlosen Zigeunerkinder scheint uns ausgeschlossen. Wir vertreten in konstanter Praxis die Auffassung, dass der Abschnitt A des Heimatlosengesetzes vom 3. Dezember 1850, der die Einbürgerung der zur Zeit seines Erlasses in der Schweiz existierenden Heimatlosen zum Gegenstand hat, obsolet geworden ist, weil diese Leute schon längst eingebürgert sind“.[57] Abschnitt B dieses Gesetzes ermöglicht jedoch auch Einbürgerungen von später auf Schweizer Territorium gelangten Papierlosen. Es sind zahlreiche Fälle von den Instanzen genehmen Einbürgerungen Papierloser auf der Grundlage dieses Gesetzes noch bis 1919 überliefert, allerdings keine von staatenlosen Fahrenden. Dieses Gesetz würde auch heute die Legalisierung Papierloser erlauben. Mit diesen Briefen enden die Akten über Caroline S.
Jakob S., Jahrgang 1910, wurde wie Caroline S. in der Schweiz geboren. Nach Stationen im Waisenhaus Zug und im Heim der Heilsarmee in Zürich kam er als „Dienstknabe“, d.h. als Verdingkind, zu Bauern. Von diesen bat einer die Zuständigen, den lokalen Behörden doch bitte nicht zu schreiben, es handle sich um einen „Zigeunerknaben“, „weil er befürchtet, es könnten dem Knaben und vielleicht auch ihm selber Unannehmlichkeiten entstehen, wenn in der kleinen Gemeinde bekannt werde, dass es sich um einen Zigeunerknaben handle“.[58] Im Unterschied zu den meisten anderen Verdingkindern [59] durfte Jakob S. sogar eine Sattlerlehre machen; der Bund bezahlte die Kosten der Lehre.[60] Kurz vor Abschluss der Ausbildung zeigte der Lehrmeister ihn wegen kleinen Gelddiebstählen an, das Bezirksgericht Pfäffikon verurteilte ihn zu einer bedingten Strafe von sechs Wochen Haft. Zusätzlich wurde er 1930 vom Kanton Zürich aus der Schweiz ausgewiesen. Dies obwohl das Bezirksgericht Pfäffikon die Ausweisung als „inhumane Massregel“ bezeichnete und dagegen – vergeblich – beim Justizdirektor Einspruch erhob.[61] Die Ausweisung war vom Amtsvormund selber betrieben worden, der Jakob S. vor die Alternative Anstaltsinternierung oder Ausreise stellte,[62] worauf der mittlerweile Volljährige wie seine Schwester Caroline wünschte, ins Elass auszureisen.[63] Die Franzosen schoben den Staatenlosen zurück, obwohl er sich als Rekrut melden wollte. Ebenso verlief ein zweiter Versuch.[64] Frankreich belegte ihn ebenfalls mit einem Landesverweis.[65]
Ein Gesuch von Jakob S. an das EJPD, man möge ihm durch irgendwelche Aussweischriften ein legales Dasein und Arbeiten ermöglichen,[66] beantwortete Ernst Scheim von der Polizeiabteilung 1932 mit folgenden Zeilen an die Polizeidirektion Baselland: „Der heimatlose Zigeuner Jakob S., geb. 1910, gelangt mit dem Gesuche an uns, ihm gültige Ausweispapiere zu beschaffen. Da der Bursche seit 1914 unseren Behörden zur Last gefallen ist und ihnen bedeutende Kosten verursacht hat, so haben wir ihm letztes Jahr, um ihn endlich loszuwerden, einen Ausländerpass verabfolgt“.[67] Diesen verlängerte nun die Polizeiabteilung, doch klappte die Einreise nach Frankreich wieder nicht. Auch sagte Jakob S., am 27. Februar 1932 vom Statthalteramt Arlesheim einvernommen: „Seit drei Jahren habe ich meinen Unterhalt selbst bestritten und bin niemandem zur Last gefallen. Ich gehe nicht gerne ins Ausland, ich kenne dort Niemanden, hier bin ich aufgewachsen.“[68] Jakob S. lebte nun einige Jahre unbehelligt, abgesehen von polizeilichen Nachforschungen, die sein Wohlverhalten bescheinigten,[69] in Baselland und Solothurn als Bauernknecht. Doch nach neuerlicher Landesverweisverfügung der Zürcher Regierung[70] samt Publikation im Polizeianzeiger wurde er polizeilich nach Frankreich ausgeschafft. Die franzöischen Zuständigen spedierten ihn wieder in die Schweiz zurück mehrfach wiederholte. Jakob S. stellte sich schliesslich im November 1936 in Liestal den Behörden, die ihn siebeneinhalb Monate lang internierten, und zwar unter Einquartierung bei der Familie eines Baselbieter Vermessungsbeamten.[71] Eine Intervention der Basler Sektion der schweizerischen Liga für Menschenrechte sowie das Engagement des unzuständigen Vermessungsbeamten in dieser Sache[72] veranlasste die Zuständigen, den Status von Jakob S. auf eine neue Weise zu regeln.[73] Die Polizeiabteilung definierte ihn 1937 neu als „schweizerischen Staatenlosen“.[74] Diesen immer noch prekären Status hatten auch die Verhandlungen über den Umgang mit den ebenfalls staatenlosen und seit langen in der Schweiz fahrenden Familien Z., H. und M. im Jahr 1936 generiert, die bereits im Bericht erwähnt sind und deren Lage ebenfalls von Abschiebung, Papierlosigkeit und Ausgrenzung geprägt war.[75] Diese Familien wurden von den Behörden nach zahlreichen fehlgeschlagenen Abschiebungsversuchen „toleriert“; sie mussten in Monatsraten eine Kaution abliefern, um allenfalls aus ihrem Aufenthalt entstehende Staatskosten abzudecken.Im Fall Jakob S. glückte den Behörden schliesslich die Abschiebung. Er ging am 10. September 1937 als Landarbeiter nach Frankreich und sei dort ins Militär eingezogen worden.[76]
Zwei Schwestern S., Adelheid und Clémentine, kamen durch Heirat, Adelheid mit einem Schweizer, Clémentine mit einem Franzosen, zu Papieren und Bürgerrechten.
Josef S. hatte nach der Wegnahme von seiner Mutter die Stationen Waisenhaus Menzingen, die Heilsarmeeheime Zürich und Bäretswil, eine Zeit als Verdingkind sowie eine abgebrochene Malerlehre durchlaufen.[77] 1930 arbeitete Josef S. in einem Betrieb mit „einem modernen Spritzverfahren“ und klagte, wohl nicht ohne Grund, das verursache ihm Gesundheitsbeschwerden.[78] Er hätte mit einem Vorarbeiter nach Argentinien auswandern können, doch der Plan scheiterte an seiner Papierlosigkeit. Vergeblich versuchte er mit Bittgängen auf französische Amtsstellen bis nach Paris französische Papiere zu erhalten. In Zürich wurde sein Aufenthalt toleriert, er musste jedoch, wie die Mitglieder der im Bericht erwähnten Familien H., Z. und M., eine „Duldungskaution“ äufnen. Die Fremdenpolizei Zürich bezeichnete seine Herkunft wie folgt: Es handle sich „bei diesem Jüngling um ein Kind der bei Kriegsausbruch aufgegriffenen und Ihrer Weisung gemäss untergebrachten Zigeunerbande“.[79] In der Wirtschaftskrise versuchte er sich als selbständiger Maler durchzubringen, wurde jedoch wegen Betrugs verurteilt und vom Kanton Zürich des Landes verwiesen. Immerhin sistierten die Instanzen die Ausweisung und internierten den Staatenlosen, der zeit seines Lebens in der Schweiz gewohnt hatte, im Emigrantenlager Murimoos AG. Aus diesem floh Josef S. im Mai 1942. Wieder eingebracht, kam auch er in die Strafanstalt Witzwil, wo er als Schreiner beschäftigt wurde. Von dort wurde er ins Internierten-Arbeitslager Visp, Kanton Wallis, umgeteilt. Er richtete vergeblich zwei Gesuche an die Zuständigen, ihn aus dem Lagerregime zu entlassen. Schliesslich suchte Josef S. seine Freiheit ausgerechnet in Nazideutschland, wie viele andere, die in der Schweiz aus Zwangsinstitutionen dorthin flohen, ähnlich wie die noch grössere Zahl jener, welche sich aus dieser Lage, ebenfalls mit hohem Todesrisiko, vorher und nachher zur französischen Fremdenlegion schlugen. Nach Vermutung seiner in Zürich verheirateten Schwester verlor Josef S. im Krieg sein Leben. Der 1911 ebenfalls in der Schweiz Geborene, die ihm keine Lebensperspektive eröffnete, wurde also kaum 35 Jahre alt. Nicht seiner Schwester, sondern der Polizeiabteilung wurde der Rest der dem im Nazireich verschollenen Staatenlosen zu Lebzeiten von seinem Lohn abgezogenen „Duldungskaution“ überwiesen.[80]
Die Geschwister S.-G. wurden nicht so systematisch getrennt und von einander isoliert wie später die von der Pro Juventute weggenommenen Kinder der Schweizer Jenischen. Sie durchliefen aber doch unterschiedliche Stationen. Gregor, das im Jahr der Familienauflösung, 1914, geborene jüngste der 6 Geschwister S.-G. kam nach der Zeit an der Molkenstrasse in Zürich in die Anstalt St. Josef, Bremgarten, Kanton Aargau. Vergeblich versuchte ihn die Zürcher Amtsvormundschaft in die Basler Webstube zu platzieren. Gregor S. kam von 1931 bis 1937 in die Caspar Appenzeller’sche Anstalt Brüttisellen, Kanton Zürich. Da er kurz nach seiner Geburt von der Mutter getrennt worden war, hatte er noch schwerere psychische Schädigungen durch die institutionelle Erziehung erlitten als seine Geschwister. Der Walliseller Arzt Escher diagnostizierte in seinem Gutachten vom 15. Februar 1934 neben einen „hohen Grad von Schwachsinn“ bei dem jungen Mann – der aber lesen, schreiben und rechnen konnte und in der Heimküche mitarbeitete. Der Arzt empfahl Gregors Anstaltsversorgung über die Volljährigkeit hinaus.[81] Der Nachfolger von Amtsvormund Walter Schiller, Dr. Robert Schneider – beide wurden von ihrem berühmten Mündel Friedrich Glauser prägnant charakterisiert[82] – wollte Gregor S. in die Arbeitsanstalt Wangen versetzen, um „ihn dort in der Korbflechterei nachzunehmen [...]. Je nach [...] Arbeitsfähigkeit wäre nachher kein Kostgeld mehr zu verlangen.“[83] Robert Schneider machte diesen Vorschlag, weil Ernst Scheim von der Polizeiabteilung mehrfach auf freie Anstellung oder auf Ausschaffung von Gregor S. gedrängt hatte. Die Polizeiabteilung war nicht länger gewillt, die Anstaltskosten des von ihr der Mutter Entrissenen zu bezahlen. Scheim schrieb am 29. Juni 1937 nach Zürich: „Es trifft uns keine Schuld, dass der Bursche hier ist. Auch besteht weder eine Fürsorgepflicht, noch eine Kostengutsprache seitens des Bundes; dieser hat die bisherigen Leistungen nur freiwillig auf sich genommen.“[84] Als Kompromiss kam es am 6. Oktober 1937 zur Versetzung von Gregor S. in die billigere Berner Armenanstalt Bärau, wo er am 13. November 1970 verstarb.[85] Diese bereits 1914 erfolgte Kindswegnahme in sehr frühem Alter führte also zu einer lebenslangen Anstaltskarriere, wie wenig später zahlreiche jenische Mündel der Pro Juventute und anderer Institutionen wie des Seraphischen Liebeswerks, Solothurn oder der Amtsvormundschaften des Kantons Schwyz. Ein letzte Pointe der amtlichen Interventionen betreffend die Geschwister S.-G.: Die Polizeidirektion des Kantons Bern verlangte noch am 11. November 1970, zwei Tage vor dessen Tod, die Akten über Gregor S. bei der Polizeiabteilung verlangt, mit dem Hinweis: „Sein Anwesenheitsrecht ist bisher nicht geregelt worden, weil wir erst am 14. September 1970 von seiner Anwesenheit auf Bernerboden erfuhren.“[86]
Die Fälle von Josef Anton R. und der Geschwister S.-G. zeigen den Stand der Dinge seit 1911, der Einführung des spezifischen „Identifikationsverfahrens“ gemäss den Vorgaben Eduard Leupolds: Ausländische Zigeunerfamilien wurden getrennt, teilweise wurden Kinder lebenslänglich interniert und von ihren anderweitig ebenfalls internierten Eltern isoliert. Bei papierlosen Fahrenden, die man im 20. Jahrhundert nur mehr selten Heimatlose nannte, weil man das Heimatlosen-Einbürgerungsgesetz von 1851 nicht auf sie anwenden wollte, gestaltete sich die Abschiebung zwar schwierig, doch gelang sie den Behörden schliesslich in vielen Fällen. Sie konkurrierte mit dem Modell der Internierung und Umerziehung, wobei Vormundschaften und Psychiatrie bereits in diesen Fällen jene Muster, Haltungen und Massnahmen generierten, welche dann die Pro Juventute ab 1926 auch auf die schweizerischen Jenischen, sowohl fahrende wie sesshafte, anwandte.
Dies alles erfolgte in Rahmen eines behördlichen Antiziganismus, der ein Dasein von „Zigeunern“ als prinzipiell unvereinbar mit der schweizerischen „Ordnung und Sicherheit“ ansah. Diese Haltung wurde auch angesichts des Holocaust nicht geändert. Dies zeigt der Fall von Anton Reinhardt. Dieser junge floh aus dem Spital Waldshut, wohin er von der Gestapo zwecks Zwangssterilisation verbracht worden war, schwamm am 25. August 1944 über den Rhein und bat in der Schweiz um Asyl, unter ausdrücklichem Hinweis darauf, er habe sonst zu befürchten, nach Auschwitz abtransportiert zu werden.[87]
Der Antiziganismus, welcher sich gegen die jenischen Mitbürger richtete, dauerte in der Schweiz nach 1945 ebenso ungebrochen an wie die Einreisesperre gegen ausländische und staatenlose „Zigeuner“. Diese hob die Schweiz erst 1972 auf. Dieselbe Kontinuität belegt auch das Fortbestehen des „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“ der Pro Juventute. 1926 gegründet, betrieb es bis 1973 die systematische Zerstörung eines grossen Teils der Familien von Jenischen in der Schweiz. Ein hoher Prozentsatz der von ihrer Verwandschaft isolierten einzelnen Mündel der Leiter dieses Hilfswerks durchlitt ähnliche Situationen der Fremdplatzierung und Psychiatrisierung wie Josef Anton R. oder Caroline S. Doch während die hier geschilderten Zuständigen von kalter und formalistischer Korrektheit (im Rahmen des behördlichen Antiziganismus)waren, kam bei der Verfolgung der Jenischen durch die Pro Juventute hinzu, dass die ersten beiden Leiter dieses Hilfswerks, Alfred Siegfried (von 1926 bis 1958) und Peter Doebeli (1958 bis 1960) wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen verurteilt wurden: Siegfried 1924, vor Antritt seiner Stelle bei der Pro Juventute wegen Unzucht mit einem seiner Schüler am Basler Gymnasium,[88] Doebeli schon kurz nach seinem Stellenantritt, zu Beginn der 1960er Jahre, wegen sexuellen Missbrauchs weiblicher jenischer Mündel.[89] Solches muss der weiblichen letzten Leiterin dieser Organisation, der Ordensschwester Clara Reust, nicht zur Last gelegt werden. Jedoch pflegte sie mit dem behördlichen Umfeld, das sich hinter die Verfolgung der Jenischen durch die Pro Juventute stellte, einen Gesprächston, der erschreckend ist. Sie nahm viele ihrer Telefonate auf Tonband auf, um sie später teils mehr oder weniger wörtlich, teils protokollartig abzutippen oder von Untergebenen abtippen zu lassen. Solche Telefontranskripte lagern im Pro-Juventute-Aktenbestand des Bundesarchivs, zu dem ich erst in den Jahren 2003 bis 2006 Zugang erhielt. Die Tonbandaufnahmen selber fehlen dort. Eines dieser Telefonnotate protokolliert ein Gespräch von Clara Reust mit dem Gemeindesekretär von Magliaso, Kanton Tessin. Es überliefert mit Datum vom 15. Juni 1962, um 17.00, dessen Ausserung über eine jenische Familie mit Bürgerrecht in seiner Gemeinde: „Magliaso hat soooo genug von diesen Huser, dass dem Sekretär der Wunsch aufsteigt, man möchte die ganze Gesellschaft zusammenbinden und in ein Feuerchen stellen!!“[90]
Ähnliches Erschrecken über Tonalitäten und Komplizitäten löst eine andere Quelle aus, die ich erst vor kurzem auffand. Wohl hatte ich schon 1987 auf den Besuch des ranghohen Nazi-Juristen Roland Freisler in der Strafanstalt Witzwil und der Erziehungsanstalt Tessenberg von 1937 hingewiesen.[91] Doch erst vor kurzem wurde mir klar, dass dieser Besuch ein Gegenbesuch war, entstanden aus der Teilnahme des Witzwiler Anstaltsdirektors Otto Kellerhals an einem Kongress, nämlich am internationalen Kongress über Strafen und Strafvollzug vom August 1935 in Berlin, dessen Beiträge 1936 in Bern vollständig publiziert wurden.[92] Schweizer Redner an diesem Kongress waren Ernst Delaquis,[93] der langjährige Direktor der Polizeiabteilung des EJPD und Vorgänger Heinrich Rothmunds, der Genfer Medizinprofessor François Naville,[94] Otto Kellerhals, Direktor von Witzwil [95] sowie die beiden Zürcher Jugendanwälte Wilhelm Spöndlin [96] und Erwin Hauser.[97] Grosse Zustimmung fanden die Ausführungen von François Naville, einem einschlägigen Spezialisten,[98] über Eugenik, Zwangssterilisation und Zwangskastration. Insbesondere Arthur Gütt, Mitverfasser des deutschen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933,[99] lobte Naville. Der Kongress legte sich schliesslich auf das „système Naville-Gütt“ fest. Dieses empfahl „réglementation das le cadre du droit pénal, admission de la stérilisation et castration par contrainte.“[100] Die Kongressteilnehmer hörten sich auch lange, den „Führerstaat“ preisende und dessen Konzentrationslager lobende Referate von Roland Freisler[101] und Joseph Goebbels[102] an. Auch wurde ein Grusswort Adolf Hitlers an den Kongress verlesen. Hitler gab darin „der Hoffnung Ausdruck, dass die ausländischen Teilnehmer des Kongresses bei ihrem Aufenthalt hier das neue Deutschland und seine Arbeit kennenlernen mögen.“[103]
Dies waren einige Hinweise auf neue Quellenfunde nach der Publikation des Berichts im Jahr 2000. Sie werfen weitere Schlaglichter auf den schweizerischen Antiziganismus sowie auf weitere, bisher nicht thematisierte Bezüge zwischen Nazideutschland und schweizerischen Amtsinhabern, die den Umgang der Schweiz mit Roma, Sinti und Jenischen mitprägten.
Roma, Sinti und Jenische in der Schweiz – Nachtrag zur Entwicklung seit 1999
Die Arbeiten zum Bericht waren 1999 abgeschlossen; er skizzierte die politisch-juristische Entwicklung und Debatte betreffend Roma, Sinti und Jenische in der Schweiz im Schlussteil bis zu diesem Zeitpunkt in einem kurzen Schlussteil.
Was geschah seither?
Das Erscheinen des Berichts war selber ein Markstein. Der Bericht löste ein grosses Medienecho aus.[104] Auch der Bundesrat nahm Stellung zur Thematik und drückte „den Gemeinschaften der Roma, Sinti und Jenischen sein tiefes Mitgefühl aus“.[105] Diese bundesrätliche Stellungnahme ist einer der wenigen offiziellen Texte, welche diese Volksgruppen nicht einfach unter dem Begriff „Fahrende“ subsumieren und so die sesshaften Mitglieder dieser ethnisch und sprachlich unterschiedlichen Gruppen ausklammern. Typisch für diese Terminologie ist das gleichwohl bedeutsame „Gutachten zur Rechtsstellung der Fahrenden in ihrer Eigenschaft als anerkannte nationale Minderheit“ des Bundesamtes für Justiz vom 27. März 2002.[106]
Ethnisch präziser war das Gutachten von Walter Kälin betreffend die besondere Gefährdung verschiedener Roma-Gruppen im Kosovo;[107] es führte erstmals dazu, dass Roma es vor schweizerischen Instanzen nicht schwerer hatten, sondern leichter als geflohene Angehörige anderer ethnischer Gruppen aus dem Kosovo Asyl erhielten. Ein Teil der im Lauf der Balkankrieg der 1990er Jahre aufgenommenen Flüchtlinge, auch Roma, wurden wieder zurückgewiesen, andere konnten in der Schweiz bleiben. Sie bilden nun mit den bereits vorher als Fremdarbeiter Eingereisten und deren meist erst später in die Schweiz eingereisten Familien, von welchen sie aufgrund der damaligen Bestimmungen, insbesondere dem Saisonnierstatut, oft jahrelang getrennt leben mussten, eine schweizerische Bevölkerungsgruppe, deren Anzahl auf rund 30'000 geschätzt wird, also etwa gleich hoch wie die ebenfalls geschätzte Zahl der Jenischen (35'000) in der Schweiz. Sie gründeten zu Ende der 1990er Jahre auch erste Organisationen in der Schweiz.[108] Die Gruppe der Sinti, die in der Schweiz leben, ist viel kleiner.
Seit den 1990er Jahren werden auch Roma und Sinti innerhalb der normalen Verfahren und Fristen in der Schweiz eingebürgert, womit die lange andauernden Bemühungen, diese Gruppen von der Schweiz prinzipiell fernzuhalten, wohl definitiv gescheitert sind. Die Roma als neue Minderheit in der multikulturellen Schweiz sind auch publizistisch vermehrt dargestellt worden, und zwar unter zunehmend genauerer Darlegung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Roma, Sinti, Gitans und Jenischen sowie zwischen den Anliegen ihrer sesshaften und fahrenden Mitglieder.[109] Symbolisch für die neue Wahrnehmung der Jenischen, Sinti und Roma als Teil der kulturellen Vielfalt der Schweiz war ihr Einbezug in die Landessausstellung expo.02 auf der Arteplage Murten vom 6. bis zum 8. September 2002.[110]
Dennoch sind diese Gruppen noch weit entfernt von einem normalen und proportionalen Anteil in Behörden und Kulturleben. Sie sind wohl Steuerzahler, aber kaum Empfänger von Subventionen und Kulturförderungsgeldern. Die Organisationen der Jenischen, insbesondere die seit 1975 bestehende Radgenossenschaft,[111] werden zwar minimal subventioniert – die Subvention der Radgenossenschaft entspricht etwa zwei Beamtenlöhnen – , nicht aber die Organisationen der Roma in der Schweiz, die nur wenige Mitglieder zählen, weil es viele Roma kaum wagen, öffentlich zu ihrer kulturellen Zugehörigkeit zu stehen. Denn auf der anderen Seite bestehen antiziganistische Ressentiments fort, wenn sie auch auf Behördenseite oft unter einer Fassade formaler Korrektheit versteckt werden, da seit Einführung der Rassismus-Strafnorm (1996), des UNO-Beitritts (2002) und der Ratifikation vieler Menschenrechtskonventionen offene Diskriminierung und Rassismus auch in der Schweiz geächtet sind.
Zur früheren und aktuellen Rechtslage der Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz erschienen in den letzten Jahren einige wichtige Publikationen.[112]
Abgelehnt haben bisher die politischen Instanzen die Ratifikation der ILO-Konvention 169 über die Rechte der Indigenen oder Stammesvölker.[113] Viele Behördemitglieder haben aber den Schritt zur fairen Gleichbehandlung auch dieser lange ausgegrenzten Minderheiten getan. Erstarkende Rechts-Tendenzen mit unterschwelligem oder offenem Rassismus (SVP, Neonazis und andere Gruppierungen dieses Spektrums) zielen in die andere Richtung. Vor diesem Hintergrund stehen die nun kurz skizzierten Abläufe aus neuester Zeit.
Nach wie vor wird gelegentlich auf Wohnwagen geschossen, nur selten werden die Täter gefasst und bestraft.[114]
Nach wie vor herrscht in vielen Kantonen (ausser in Graubünden, das diese Frage in den letzten Jahren vorbildlich anging) künstlicher Mange Stand- und Durchgangsplätze für schweizerische und ausländische Fahrende sowie für die staatenlosen Sippen, die es in Europa nach wie vor gibt. Viele Plätze werden ersatzlos zugunsten von Bauvorhaben aufgehoben. Nicht selten wird die direkte Demokratie so traktandiert, dass sie sich per Mehrheitsbeschluss direkt gegen das Existenzrecht der fahrenden Minderheit richtet. Immer wieder gibt es Abstimmungen über die Kosten von Erwerb und Infrastruktur von Plätzen für Fahrende. Diese Kosten liegen umso höher, je aufwendiger die Stand- und Durchgangsplätze landschaftsarchitektonisch gestaltet werden, was gerade auch bei Plätzen der Fall ist, die, wie es nur allzu häufig der Fall ist, an Randlagen neben Kehrichtverbrennungsanlagen, Geleisen, Flugplätzen, Autobahnen eingerichtet werden. Solche Abstimmungen sind immer auch Plebiszite über die Frage, ob Fahrende in einer Gemeinde erwünscht seien oder nicht. Einem solchen Prozedere müssen sich Sesshafte, die sich irgendwo niederlassen wollen, nicht stellen. Es wird nicht darüber abgestimmt, ob sich beispielsweise Appenzeller in St. Gallen, Basler in Zürich oder Fribourger in Genf niederlassen dürfen. In Bern und Zürich sind solche Abstimmungen betreffend Winterstandplätze in den letzten Jahren mit positivem Resultat durchgeführt worden, aber selbst bei diesem Ausgang haben sie einen diskriminierenden Beigeschmack.
In Versoix GE und in Spreitenbach AG gingen solche Abstimmungen negativ aus. In Versoix ging es „nur“ um die Erweiterung eines Platzes, der für all jene, die nach jahrzehntelanger Verfolgung wieder zunehmend die fahrende Lebensweise praktizieren, zu eng geworden war. Die Ablehnenden konnten also sagen, sie hätten „an sich“ ja nichts gegen die Anwesenheit von Fahrenden. In Spreitenbach war es so, dass der Winterstandplatz eines grösseren Familienverbands von Fahrenden, drei Baracken und Platz für einige Wohnwagen, in derselben Gemeinde dreimal verlegt worden war. Die letzte Räumungs- und Verlegungsaktion fand über die Weihnachtstage des Jahrs 2000 statt, in Nässe und Kälte, und verlegte den Platz an den Rand des vor allem nachts sehr lärmintensiven Rangierbahnhofs. Als der Bau des zweiten, noch grösseren Einkaufszentrums der IKEA wenige Jahre später genau dort einen verbreiterte Zufahrt benötigte, wohin der Winterstandplatz verschoben worden war, hiess es, die Fahrenden, insgesamt 16 Personen, hätten keinen Platz mehr in der Gemeinde, in der sie zwanzig Jahre lang den Winter verbracht hatten. Denn in Spreitenbach existiere gar keine Zone für solche Plätze. Über eine allfällige Berücksichtigung auch der Fahrenden in der Gemeindezonenordnung müsse abgestimmt werden. Die Gemeindeversammlung lehnte eine entsprechende Zone ab,[115] ebenso ging die Urnenabstimmung verloren. Die Radgenossenschaft der Landstrasse empfahl den Betroffenen, die nach der Abstimmung prompt eintreffende Wegweisung rechtlich anzufechten. Der Sekretär der 1996 vom Bund gegründeten „Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende“,[116] Urs Glaus, selber Jurist und Verfasser einer klaren Analyse der diskrimierten Lage der Schweizer Fahrenden,[117] sah sich ausser Stande, das Anliegen der Fahrenden gegenüber der Gemeinde anwaltlich zu vertreten. Es sei Aufgabe der Stiftung, zwischen Fahrenden, Gemeinden und Kantonen zu vermitteln, deshalb könne er nicht rechtlich gegen eine Gemeinde vorgehen. Schliesslich finanzierte die Stiftung, auf das Drängen der im Stiftungsrat nur als Minderheit vertretenen Fahrenden hin, einen anderen Anwalt, der gegen die Wegweisung Einsprache erhob. Es war nicht das erste Mal, dass sich diverse Gerichtsinstanzen bis zum Bundesgericht mit dem Platzmangel für Fahrende zu beschäftigen hatten. Auch in diesem Fall nahmen die Lausanner Richter zwar das konkrete Begehren der Fahrenden nicht an, machten aber deutlich, wie auch im bekannteren Genfer Fall betreffend einen nicht zonenkonformen Platz in Céligny,[118] dass auch Fahrende im Prinzip ein Daseinsrecht hätten. Doch die Wegweisung war nun rechtskräftig. Auf Initiative der Radgenossenschaft wurde der Kanton Aargau in die Pflicht genommen. Denn Artikel 48 von dessen Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980 lautet: „Der Kanton kann in Zusammenarbeit mit den Gemeinden nichtsesshaften ethnischen Minderheiten geeignete Oertlichkeiten für einen befristeten Aufenthalt zur Verfügung stellen.“ Schliesslich schaffte es die Gemeinde Spreitenbach, auch ohne die von der Mehrheit abgelehnte spezifische Sonderzone für die Minderheit, dafür mit finanzieller Hilfe des Kantons, doch wieder einige Dutzend Quadratmeter für das Winterquartier der Fahrenden ausfindig zu machen, erfreulicherweise sogar an einer weniger lärmigen Lage.[119]
Die nicht nur in Spreitenbach zu beobachtende Tendenz, bestehende Plätze nur als Provisorium einzustufen und nach einigen Jahren zu verschieben, ist eine Art Verleidungsstrategie, denn der Abbau und Wiederaufbau der Winterquartiere, so leicht sie gebaut sind, ist für die Betroffenen kostspielig. Wenig bekannt ist ferner, dass die Miete für das Recht, eine Baracke oder ein Mobilheim auf 50 oder 100 Quadratmeter Boden mit Anschlüssen für Wasser, Elektrizität und Kanalisation zu stellen, die Fahrenden bis zu 800 Franken pro Monat kostet. Längerfristig sind solche Plätze für die Gemeinden durchaus Gewinn bringende Investitionen, ähnlich wie Wohnhäuser in kommunalem Besitz. Um das teuer gemietete Kiesplätzchen im Winter auch bewohnen zu können, müssen die Fahrenden jedoch auch noch Geld für die Baracke, das Mobilhome oder den Wohncontainer aufbringen, sowie, wie alle anderen Mieter auch, für Elektrizität, Heizkosten und Wasser. Die Platzmiete für den Winterstandplatz muss auch im Sommer entrichtet werden, wenn die Fahrenden die Wohnwagen auf den ebenfalls kostenpflichtigen Durchgangsplätzen stationieren.
Mit der Einführung der Reisefreiheit in den ehemaligen Ostblockstaaten und der Erweiterung der EU samt den entsprechenden Abkommen zur Reise- und Niederlassungsfreiheit, denen sich die Schweiz im Rahmen der bilateralen Verträge anschloss, kommen seit einigen Jahren auch Roma als Touristen in die Schweiz. Sie haben meist ein Minimalbudget, können aber mittels Strassenmusik oder auch durch Bettel sich und ihren Familien dank solchen Reisen in reiche Länder dringend benötigte Mittel beschaffen. Sie führen auch den Bewohnern und Behörden der reichen Länder vor Augen, dass in verschiedenen Ländern Osteuropas Hunderttausende von Roma in bitterster Armut leben – wobei es selbstverständlich auch unter den Roma Menschen sehr unterschiedlichen Einkommens gibt. Um das zu verstehen, darf man nicht vergessen, das die Roma in Rumänien bis 1864 rechtlich als Sklaven galten, so dass ihre Armut und Ausgrenzung in vieler Hinsicht mit der Lage der Schwarzen in den USA vergleichbar ist.
Kirchliche und andere Betreiber von Gassenküchen und Mittagstischen für Bedürftige haben zunehmend auch Roma mit Touristenvisa als Gäste. Das veranlasste eine solche Gruppe in Bern, eine Tagung zur Thematik durchzuführen.[120]
Der Kanton Genf kam Ende 2007 in die Schlagzeilen, weil er bettelnde und unter Brücken campierende Roma zuerst duldete, sie dann aber unter rascher Abänderung einiger gesetzlicher Vorschriften und mittels Spezialeinsatz verschiedener Instanzen ausschaffte.[121] In anderen Kantonen geht dasselbe unauffälliger vor sich. Die Unerwünschten werden immer noch im Namen des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeschafft.[122]
Sowohl die Schweiz als auch Europa müssen sich der Tatsache stellen, dass es nicht angehen kann, die grösste europäische Minderheit, die in allen europäischen Ländern insgesamt rund 10 Millionen zählenden Roma, ökonomisch, politisch und rechtlich weiterhin auszugrenzen. Denn auch diesen Menschen steht derselbe angemessene und proportionale Anteil an allen Ressourcen zu, gleich wie allen anderen auch.
Thomas Huonker, Zürich, 28.Juni 2008
[1] Walter Leimgruber, Thomas Meier, Roger Sablonier: L’oeuvre des enfants de la grand-route, Bern 2000; Bernadette Kaufmann: Enfants dans la tourmente. Résumé de l’étude historique ‘L’œuvre des Enfants de la grand-route’, édité sur mandat de l’Office fédéral de la culture. Lausanne 2003. Längst vor diesen Arbeiten erschien bereits das Buch von Sylvia Thodé-Studer: Les Tsiganes suisses. La marche vers la reconnaissance. Lausanne, 1987
[2] Vgl. Seiten 72 – 81 der deutschsprachigen Ausgabe
[3] Vgl. Seiten 41 – 43 der deutschsprachigen Ausgabe
[4] Vgl. Ueli Gutknecht: Witzwiler Geschichten, in: Der Seebutz, Nr. 53, Murten 2003, S. 115 – 120, S. 117
[5] „Im Dezember 1882 nahm die Heilsarmee in Genf ihren Dienst in der Schweiz auf. Es war Catherine Booth, eine Tochter des Gründers, die in der Schweiz der Not und dem Elend den Krieg erklärte. Von der Romandie her verbreitete sich die Heilsarmee rasch im ganzen Land. Doch der militante Stosstrupp war nicht überall willkommen. Es kam zu Ausschreitungen und die Friedenskämpfer wurden vielerorts vertrieben oder ins Gefängnis gesteckt.“ Aus: Pressemitteilung der Heilsarmee „Ein Jahr des Dankens - Die Heilsarmee feiert ihr 125-jähriges Bestehen in der Schweiz“ vom 16. Februar 2007. Vgl. auch den Bundesratsbeschluss über den Rekurs von Susanna Wyssa und andern Mitgliedern der Heilsarmee, betreffend das im Kanton Neuenburg erlassene Verbot von Versammlungen dieser Verbindung, 3. Juni 1885, in: Bundesblatt, Band 3, Heft 29, Bern, 27. Juni 1885, S. 408 - 413
[6] Vgl. http://www.sifaz.org/entstehungsprojekt.html
[7] Formular „Bericht der Gemeindebehörde“, Zürich, 3. Februar 1920. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 8927
[8] Zur Organisation der bundespolizeilichen Instanzen in Bern, insbesondere der Polizeiabteilung und der Fremdenpolizei, zu dieser Zeit vgl. Uriel Gast: Von der Kontrolle zur Abwehr. Die Eidgenössische Fremdenpolizei im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft 1915-1933. Zürich 1996.
[9] Ernst Delaquis, Chef der Polizeiabteilung in Bern, an Amtsvormundschaft Zürich, 7. März 1924. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-)1985/196, Dossier P 8927
[10] Gutachten der psychiatrischen Klinik Waldau vom 31. Juli 1934. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 8927
[11] Auszug aus dem Protokoll der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich vom 9. Januar 1925. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-)1985/196, Dossier P 8927
[12] Catherine Arber: Frontismus und Nationalsozialismus in Bern. Viel Lärm und wenig Erfolg. In: Berner Zeitung für Geschichte und Heimatkunde. Bern 2003, Heft 1. S. 1 – 62, S. 49. Zu de Boor vgl. Julian Schütt: Germanistik und Politik. Schweizer Literaturwissenschaft und Nationalsozialismus. Zürich 1996
[13] Alle Zitate aus dem Gutachten der psychiatrischen Klinik Waldau vom 31. Juli 1934. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-)1985/196, Dossier P 8927
[14] Vgl. zu Glausers lebenslänglicher Bevormundung: Thomas Huonker: Anstaltseinweisungen, Kindswegnahmen, Eheverbote, Sterilisationen, Kastrationen. Fürsorge, Zwangsmassnahmen, "Eugenik" und Psychiatrie in Zürich zwischen 1890 und 1970, Zürich 2002, S. 46 – 57
[15] Gutachten der psychiatrischen Klinik Waldau vom 31. Juli 1934. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 8927
[16] Vgl. die Darstellung einiger Fallgeschichten von Kastrierten in Thomas Huonker: Diagnose ‚moralisch defekt’. Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik unf Psychiatrie, Zürich 2003, S. 231 – 244. Titel von Schriften einiger Titel von Promotoren und, im Fall des Chirurgen Wolf und des Röntgenologen Schinz, Praktikern solcher Operationen mit zahlreichen Hinweisen auf schweizerische Fallgeschichten sind u.a. Hans R. Schinz: Ein Beitrag zur Röntgen-Kastration beim Mann, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift, Nr. 36, Sept. 1922, S. 886 – 889; Sigwart Frank: Praktische Erfahrungen mit Kastration und Sterilisation psychisch Defekter in der Schweiz. Berlin 1925; Hans Wolfgang Maier: Zum gegenwärtigen Stand der Frage der Kastration und Sterilisation aus psychiatrischer Indikation. Sonderdruck aus der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, Bd. XCVIII, Heft 1 / 2, Berlin 1925, S. 200 – 219; A. W. Hackfield: Über die Kastration bei 40 sexuell Abnormen. In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, Band 87, Heft 1, Berlin 1933, S. 1 – 31; Charles Wolf: Die Kastration bei sexuellen Perversionen und Sittlichkeitsverbrechen des Mannes. Basel 1934; Gerold Lüthy: Die Bedeutung der Kastration im Strafrecht. Zürich 1937; Rochus Thürlimann: Über die Indikation und den therapeutischen Erfolg der Kastration bei sexuell Perversen. Zürich 1945.
[17] Verfügung der Direktion der Justiz des Kantons Zürich vom 27. März 1956. Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 8927
[18] Zur Geschichte dieser Armen- und Zwangsarbeitsanstalt vgl. Thomas Huonker / Peter Niederhäuser: 800 Jahre Kloster Kappel. Abtei, Armenanstalt, Bildungshaus. Zürich 2008
[19] Wohl stellte sich Klaesi die Frage, „ob wir nicht durch die Versuche zur Ausmerzung alles psychiatrisch Verdächtigen unsere Kranken wieder in Misskredit bringen“, fügte jedoch bei: „Selbstverständlich bin ich aber unbedingt für die Anwendung der Sterilisation und in besonderen Fällen auch der Kastration gegenüber schweren Schwachsinnsformen und Moralisch-Defekten.“ Jakob Klaesi: Über geistige Hygiene. Vortrag gehalten in der Herbstversammlung der Schweiz. Vereinigung f. Psychiatrie in Bern 1934, abgedruckt in: Jakob Klaesi: Vom seelischen Kranksein, Vorbeugen und Heilen. Bern 1937, S. 49 – 72, S. 70 f.
[20] Vgl. Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin 1997
[21] Jancke publizierte zwischen 1933 und 1945 verschiedene Artikel in der Zeitschrift „Rassenhygiene und Vererbung“ des Julius Springer Verlags in Berlin.
[22] Thomas Huonker: Anstaltseinweisungen, Kindswegnahmen, Eheverbote, Sterilisationen, Kastrationen. Fürsorge, Zwangsmassnahmen, "Eugenik" und Psychiatrie in Zürich zwischen 1890 und 1970, Zürich 2002; Thomas Huonker: Diagnose ‚moralisch defekt’. Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik und Psychiatrie, Zürich 2003; Thomas Huonker: Fürsorgerische Zwangsmassnahmen in Adliswil von 1890 bis 1970, Basel 2006
[23] Vgl. Jacques Gasser / Geneviève Heller: Les débuts de la stérilisation légale des malades mentaux dans le canton de Vaud. Lausanne 1997; Geneviève Heller / Gilles Jeanmonod / Jacques Gasser: Rejetées, rebelles, mal adaptées. Débats sur l’eugénisme, pratiques de la stérilisation non volontaire en Suisse romande au XXe siècle. Genève 2002
[24] Polizeidirektion Kanton Zürich an Polizeiabteilung Bern, 17. September 1930, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[25] Venanz NOBEL: Referat an der Schlussveranstaltung des drei Projekte zur Thematik Jenische, Sinti und Roma des Nationalen Forschungsprogramms NFP 51 am10. Dezember 2007 im Musiksaal des Stadthauses Zürich, online auf http://www.sifaz.org/nfp51vortragvenanznobel10dez2007.html
[26] Vgl. Renate Hochholzer: 50 Jahre Deutscher Hilfsverein Zürich, 1856-2006. Chronik. Zürich, 2006
[27] Deutschet Hilfsverein, Zürich, an EJPD, Bern, 2. August 1918, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[28] Beschluss des Zürcher Waisenamtes vom 20. August 1920, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[29] Zentralstelle Fremdenpolizei, Bern, an Heilsarmee Zürich, 6. September 1918, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[30] Reichsgesetzliche deutsche Kriegsunterstützung, Zürich, an Zentralstelle Fremdenpolizei, Bern, 19. September 1918, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[31] Amtsvormundschaft Zürich an EJPD, 27 Juli 1921, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[32] Amtsvomundschaft Zürich an die Polizeiabteilung des EJPD, 2. August 1921, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[33] Amtsvormundschaft Zürich an Polizeiabteilung Bern, 27. August 1921
[34] Polizeikommando Zürich an EJPD, 30. Juli 1921, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[35] EJPD an Polizeianzeiger, 10. August 1921, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[36] Der Chef der Polizeiabteilung, Bern, an Amtsvormund Walter Schiller, 22. März 1922, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[37] Alle vier Zitate aus dem Brief des Amtsvormunds Schiller an die Polizeiabteilung, 10. April 1923, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[38] Vgl. S. 40 f. der deutschsprachigen Ausgabe
[39] Chef Polizeiabteilung an Amtsvormund Schiller, 23. April 1923, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846. Wahrscheinlich war damals auch noch eine Person der Grosselterngeneration bei der Familie.
[40] Amtsvormundschaft Zürich an Polizeiabteilung Bern, 19. April 1924, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[41] Polizeiabteilung Bern an Amtsvormundschaft Zürich, 10. Mai 1924, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[42] Amtsvormund Schiller an Polizeiabteilung Bern, 10. September 1924, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[43] Amtsvormund Schiller an Polizeiabteilung Bern, 16 November 1926, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[44] Alle vier Zitate aus dem Brief von Schiller an die Polizeiabteilung, 19. November 1926, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[45] Schiller an Polizeiabteilung, 5. Januar 1927, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846. Es bleibt in den Akten der Polizeiabteilung unklar, ob Caroline S. nun schwanger war oder nicht. Es wurden damals in Zürich auch Abtreibungen und Sterilisationen ohne Wissen der Betroffenen vorgenommen. Vgl. Thomas Huonker: Diagnose ‚moralisch defekt’. Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik une Psychiatrie, Zürich 2003, S. 186, S. 199 f.
[46] Beide Zitate im Brief von Schiller an die Polizeiabteilung, 5. März 1927, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[47] Schiller an Polizeiabteilung, 14. März 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[48] Brief EVD an das EJPD vom 19. März 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[49] Polizeiabteilung Bern an Amtsvormundschaft Zürich, 29. Mai 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[50] Caroline S. an EJPD, 1. Juni 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[51] Polizeiabteilung an Gefängnisdirektion Regensdorf, 7. Juni 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[52] Verfügung der Polizeidirektion Zürich vom 14. Juni 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[53] Vgl. Auszug aus dem Protokoll der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich vom 14. September 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[54] Polizeidirektion Zürich an Polizeiabteilung Bern, 22. Dezember 1928, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[55] Lebenslauf von Jakob S., 14. Juni 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[56] Amtsvormund Schiller, Zürich, an Polizeiabteilung Bern, 21. Juli 1927, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[57] Polizeiabteilung Bern an Amtsvormundschaft Zürich, 30. August 1927, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846. Nach 1927 gibt es keine Akten mehr über Marie S. im Dossier. Möglicherweise schlug sie sich auch ohne Papiere nach Deutschland durch; ein möglicher Ausweg aus ihrem papierlosen Dasein war Heirat mit einem Bürgerschaftsberechtigten, wie es ihre Mutter und ihre Schwester Adelheid und Clémentine. Die älteste Schwester Adelheid, die wie er älteste Sohn nicht unter die Verfügungsgewalt der Polizeiabteilung Bern und der Amtsvormundschaft Zürich geraten war, heiratete einen Zürcher Gewerbetreibenden, Clémentine, die am 20. Januar 1936 durch Vefügung des Zürcher Polizei- und Justizdirektors Robert Briner aus der Schweiz ausgewiesen worden war, verheiratete sich in Paris.
[58] Amtsvormund Schiller, Zürich, an Polizeiabteilung, Bern, 25. Juni 1926, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[59] Vgl. Verein Verdingkinder suchen ihre Spur (Hg.):Bericht zur Tagung ehemaliger Verdingkinder, Heimkinder und Pflegekinder am 28. November 2004 in Glattbrugg bei Zürich. Redaktion: Loretta Seglias, Marco Leuenberger, Thomas Huonker. Zürich 2005
[60] Polizeiabteilung Bern an Amtsvormundschaft Zürich, 15. November 1927, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[61] Amtsvormund Schiller an Polizeiabteilung Bern, 24. Dezember 1930, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[62] Amtsvormund Schiller an Polizeiabteilung Bern, 26. November 1930, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[63] Vgl. die undatierte Notiz „Jakob S.“ der Polizei-Abteilung, sowie den mehrseitigen Lebenslauf von Jakob S., beides im Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[64] Rothmund an Amtsvormundschaft Zürich, 6. Januar 1931, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[65] Vgl. Lebenslauf von Jakob S., 14. Juni 1937, ferner Jakob S. an EJPD, 3. Februar 1932, beides im Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[66] Jakob S. an EJPD, 3. Februar 1932, beides im Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[67] Scheim an Polizeidirektion Baselland, 17. Februar 1932, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[68] Einvernahme Jakob S., Arlesheim, 27. Februar 1932, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[69] Vgl. den Bericht des Polizeipostens Allschwil an Polizeiabteilung vom 2. März 1932, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[70] Verfügung der Zürcher Polizeidirektion vom 19. Oktober 1936, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[71] Vgl. den Lebenslauf von Jakob S., 14. Juni 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[72] Vgl. desssen Brief an die Polizeiabteilung, 16. Juni 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846. Um den ohne irgendein Delikt inhaftierten Staatenlosen aus dem Gefängnis zu befreien, hatte ihn der menschenfreundliche, aber unzuständige Beamte in seine Familie aufgenommen und zahlreiche Interventionen zur Unterstützung von Jakob S. unternommen, auch gegenüber französischen Stellen.
[73] Vgl. Brief Polizeidirektion Baselland an Polizeiabteilung Bern, 7. Juli 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[74] Vgl. Brief Polizeiabteilung Bern an Polizeidirektion Baselland, 26. Juli 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
73 Vgl. S. 72 – 79 zu Familie M., S. 79 zu den Familien Z. und H.
[76] Polizeidirektion Baselland an Polizeiabteilung Bern, 7. Februar 1938 , Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[77] Vgl. Josef S., Lebenslauf, vom 3. Februar 1941, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[78] Amtsvormundschaft Zürich an Polizeiabteilung Bern, 5. Februar 1930, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[79] Polizeidirektion Kanton Zürich an Polizeiabteilung Bern, 17. September 1930, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[80] Vgl. Verfügung des Vorstandes des Polizeiamtes der Stadt Zürich vom 17. Mai 1945, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[81] Gutachten Dr. Escher, Wallisellen, vom 15. Februar 1934, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[82] Friedrich Glauser: Briefe, Zürich 1991, Bd. 2, S. 202, S.299
[83] Amtsvormund Schneider, Zürich, an Polizeiabteilung, Bern, 1. April 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[84] Scheim an Schneider, 29. Juni 1937, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[85] Amtsvormundschaft Zürich an Polizeiabteilung, Bern, 16. November 1970, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[86] Polizeidirektion des Kantons Bern an Polizeiabteilung, Bern, 11. November 1970, Bundesarchiv Bern, Bestand E 4264(-) 1985/196, Dossier P 10846
[87] Vgl. S. 81 – 84 der deutschprachigen Ausgabe
[88] Vgl. Christoph Wamister: Vorgeschichte eines Skandals, in Basler Zeitung, Basel, 13./14. Juni 1998
[89] Vgl. Thomas Huonker, Fahrendes Volk – verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Zürich 1987, S. 144
[90] Bundesarchiv Bern, Bestand J.2.187, Behältnis 222, Dossier 1247
[91] Vgl. Thomas Huonker, Fahrendes Volk – verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Zürich 1987, S. 66
[92] Simon van der Aa (Hg.): Actes du congrès pénal et pénitentiaire international de Berlin, Août 1935. Bern 1936
[93] Ibid,, Bd. Ia, S. 313
[94] Ibid., Bd. I a, S. 313 – 326
[95] Ibid., Bd. I b, S. 173 – 175, Bd. II, S. 140 - 147
[96] Ibid., Bd. I b, S. 367 - 369
[97] Ibid., Bd. II, S. 139 - 143
[98] Vgl. François Naville: Etudes sur un cas de stérilisation masculine thérapeutique, et sur les castrations et stérilisations thérapeutiques et prophylactiques en psychiatrie, in : Revue médicale de la Suisse romande, 1925, S. 609 - 625
[99] Vgl. Arthur Gütt / Ernst Rüdin / Falk Ruttke: Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 nebst Ausführungsverordnungen, bearbeitet und erläutert. München 1934
[100] Ibid., Bd. I a., S. 348
[101] Ibid., Bd. I b., S. 434 - 456
[102] Ibid, Bd. I b., S. 466 - 478
[103] Ibid., Bd. I b., S. 457
[104] Elizabeth Olson: Swiss Report Says Gypsies Were Turned Back in Nazi Era. New York Times, New York, 3. Dezember 2000; Ingrid Hess: Abwehr statt Asyl für die Fahrenden. Schweizer Vorreiterrolle bei der Vertreibung der Roma. Der Bund, Bern, 2. Dezember 2003; Andrea Willimann: Stete Abwehr gegen Fahrende. Neue Luzerner Zeitung, Luzern, 2. Dezember 2003
[105] Stellungnahme des Bundesrats anlässlich der Publikation der von der Unabhängigen Expertenkommission "Schweiz-Zweiter Weltkrieg" verfassten Studie über die Roma, Sinti und Jenischen. Pressemitteilung vom 2. Dezember 2000. Auch französisch und italienisch im Archiv der Pressemitteilungen von 1999 bis 2005 auf http://www.admin.ch/cp/d/index.html
[106] online auf: http://www.thata.net/thatabludok3.html oder via: http://www.nb.admin.ch/bak/themen/sprachen_und_kulturelle_minderheiten/
[107] Walter Kälin: Die flüchtlingsrechtliche Situation asylsuchender Roma und Aschkali in der Schweiz. Gutachten zuhanden des Forums gegen Rassismus. Bern, 27. November 1999
[108] Nämlich die Organisationen Romano Dialog (http://www.romanodialog.org) und Rroma Foundation (http://foundation.rroma.org/organisation.html)
[109] Vgl. Helena Kanyar Becker (Hg.): Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz. Basel 2003; Lev Tcherenkov / Stéphane Laederich: The Rroma. Otherwise known as Gypsies, Gitanos, Gyptoi, Tsiganes, Tigani, Cingene, Zigeuner, Bohémiens, Travellers, Fahrende, etc. Vol. 1: History, Language, and Groups. Vol. 2: Traditions and Texts. Basel 2004
[110] Fotos davon in der Zeitung des jenischen Volkes SCHAROTL, herausgegeben von der Radgenossenschaft der Landstrasse, Jahrgang 27, Nr. 3/2002, S. 4 – 11
[111] Vgl. Brigitta Gerber: Die antirassistische Bewegung in der Schweiz. Organisationen, Netzwerke und Aktionen, Zürich 2003, S. 197 – 205; vgl. auch die website der RG: http://www.radgenossenschaft.ch
[112] Lukas Gschwend: Das "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" der Pro Juventute - ein Fall von Völkermord in der Schweiz? In: Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte. Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag. Hg. v. Andreas Donatsch, Marc Forster, Christian Schwarzenegger. Zürich 2002, S.373 – 392; zur selben Thematik: Nadja Capus: Ewig still steht die Vergangenheit? Der unvergängliche Strafanspruch nach schweizerischem Recht. Bern 2006; Joëlle Sambuc Bloise: La situation juridique des Tziganes en Suisse: analyse de droit suisse au regard du droit international des minorités et des droits de l'homme. Zürich 2007
[113] Vgl. Rachel Magre: Être Tsigane et Citoyen suisse en 2007. Convention 169 de l’OIT: L’espoir d’une minorité pour la reconnaissance de ses spécifités culturelles et perspectives en travail social. Travail de diplôme à la haute école de travail social et de la santé, Lausanne 2008
[114] Vgl. z.B. den Artikel: Mit Sturmgewehr auf Wagen von Fahrenden geschossen, in: Neue Zürcher Zeitung, 27. März 2007
[115] Diese Einwohnergemeindeversammlung fand am Dienstag, den 26. August 2003 statt. Es ging um die Ortsplanung der Gemeinde. Zur vom Gemeinderat vorgeschlagenen Zonenplanänderung stellte Dora Heggli (SVP), Präsidentin der Geschäftsprüfungkommission, den Ablehnungsantrag. Sie sagte: „Auf die Schaffung einer temporären Aufenthaltszone für Fahrende soll verzichtet werden und das Land der Landwirtschaftszone zugewiesen werden. Die Begründung liegt einerseits bei der bereits schwierigen Bevölkerungsstruktur und andererseits würde auf dieser Parzelle ein unerwünschtes Recht auf Wohnen geschaffen.“ Der Vizeammann von Spreitenbach, Peter Hautle, ebenfalls SVP, sprach sich zusammen mit der Vertreterin der SP gegen eine Wegweisung der fahrenden Familie aus. Doch der Antrag von Frau Heggli erhielt die Mehrheit der Stimmen. Vgl. Protokoll der Einwohnergemeindeversammlung Spreitenbach, 2003, S. 378 – 384.
[116] Vgl. das Bundesgesetz betreffend die Stiftung «Zukunft für Schweizer Fahrende» vom 7. Oktober 1994, vgl. auch Brigitta Gerber: Die antirassistische Bewegung in der Schweiz. Organisationen, Netzwerke und Aktionen. Zürich 2003, S. 206 f.
[117] Vgl. Urs Glaus: Fahrende in der Schweiz: Gefangen zwischen direkter und indirekter Diskriminierung, in: Walter Kälin (Hg.): Das Verbot ethnisch-kultureller Diskriminierung: Verfassungs- und menschenrechtliche Aspekte, Basel u.a. 1999, 141–148.
[118] Weil der Platz auf dem Genfer Winterstandplatz Versoix immer knapper wurde, kaufte am 16. April 1999 der Fahrende Michael Bittel in Céligny GE ein Grundstück von 6'809 Quadratmetern in der Landwirtschaftszone. Als er es im Winterhalbjahr zu Wohnzwecken (mittels Wohnwagen und einem ausgebauten Schuppen) nutzte, wollte ihn der Kanton mit 42'000 Franken büssen. Das Bundesgericht reduzierte die Busse und hielt fest: „Die Nutzungsplanung muss Zonen und geeignete Plätze vorsehen, die für den Aufenthalt von Schweizer Fahrenden geeignet sind und deren traditioneller Lebensweise entsprechen, die verfassungsrechtlichen Schutz geniesst.“ (Bundesgerichtsentscheid 129 II 321 vom 28. März 2003). In der Folge erlaubte die Gemeinde Celigny die Erstellung einer Kanalisationsleitung auf Kosten des Besitzers. Die Gemeinde toleriert ihn, solange der Platz in Versoix nicht erweitert wird. Vgl. dazu auch den Artikel „Nomaden in der Sackgasse“ von Beat Grossrieder im Schweizerischen Beobachter Nr. 6, Zürich 2006.
[119] Vgl. Pressemitteilung der Gemeinde Spreitenbach vom 1. September 2006
[120] Vgl. Offenes Haus La Praire (Hg.): Roma unter uns – wer sind sie? Weshalb kommen sie? Wie gehen wir mit ihnen um? Dokumentation der Tagung vom 28. Januar 2006, Bern 2006
[121] Vgl. den Artikel in der Tribune de Genève vom 21. Oktober 2007 sowie die Analyse von Dario Lopreno: Genève: appâter les grandes fortunes privées et dégîter les mendiants. La chasse aux miséreux et aux Roms, in: La brèche, Nr. 1/ 2008, 25. Februar 2008
[122] Artikel 7 des Abkommens zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung von Rumänien über die gegenseitige Aufhebung der Visumpflicht vom 15. Dezember 2003 lautet: „Die zuständigen Behörden beider Vertragsparteien behalten sich das Recht vor, die Einreise oder den Aufenthalt von Angehörigen des anderen Staates, welche die öffentliche Ordnung, die Sicherheit oder die Gesundheit gefährden könnten oder deren Anwesenheit im Land gesetzeswidrig ist, zu verweigern.“ Und Artikel 2 des Abkommens zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung von Rumänien über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vom 13. Juli 1996 besagt: „Die rumänischen Behörden übernehmen formlos ihre Staatsbürger mit unbefugtem Aufenthalt auf dem Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft, welche die Schweizer Behörden zurückzuschaffen beabsichtigen, selbst wenn sie nicht im Besitze eines gültigen Passes oder einer gültigen Identitätskarte sind, sofern nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, dass die betreffende Person die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt.“