Vortrag von Thomas Huonker an den Staatsbürgerlichen Arbeitstagen der Kantonsschule Zürich-Oberland in Wetzikon, gehalten am 29. Januar 2009
Erfolgsgeschichten von Nicht-Regierungs-Organisationen sind kennzeichnend für freiheitliche und demokratische Staaten – es bleibt aber noch viel zu tun!
Es ist ein Kennzeichen der Moderne, dass Regierungen auch Nicht-Regierungs-Organisationen dulden, die sich um politische Beeinflussung der Öffentlichkeit, um politische Mitgestaltung aus einer oppositionellen Haltung heraus bemühen. Dieser Stand der Dinge musste den feudalistischen und insbesondere den absolutistischen Regierungsformen, aber auch theokratischen Regimes mühselig abgerungen werden und ist immer wieder in Gefahr, rückgängig gemacht zu werden.
Denn lange galt den Staaten jede Organisation, die sie nicht kontrollieren konnten und die nicht fest ins Staatswesen eingebunden war, als Verschwörung von Aufrührern. Verschwörer und Aufrührer, oder, falls sie hauptsächlich religiös dissident waren, die sogenannten „Ketzer“, wurden meist mit dem Tod bestraft, sofern die Staatsgewalt ihrer habhaft wurde. Zu den Prozessen, die man ihnen vorher machte, gehörten krasse Foltermethoden.
Politik war in der Zeit vor den Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts eine Geheimlehre. Die politischen Erwägungen in den Palästen der Herrschenden blieben geheime Kabinettspolitik. Beamte waren Sekretäre, das heisst wörtlich Geheimniswahrer, im Sinne dieser Geheim- oder Arkanpolitik. Selbst Verfassungstexte waren in vordemokratischen Staaten geheim, so etwa die geschworenen Briefe, die ersten Verfassungstexte im alten Zürich, welche den Zugang zum „Regiment“, wie die Gesamtheit der Regierenden damals hiess, ebenso wie die Ämteraufteilung, die Amtseinkünfte und so weiter regelten. Wer sie öffentlich machte, wurde als Aufrührer verfolgt.
Eine erste Errungenschaft zur politischen Einflussnahme auch Nicht-Regierender war der Aufbau eines regierungsunabhängigen öffentlichen Diskussionsfreiraums in Salons, Zeitungen und privat verlegten Büchern. Das war kennzeichnend für die Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Zeitungen und Verlage unterstanden aber weiterhin staatlicher Zensur, in vielen Ländern bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
Frühe Nichtregierungsorganisationen dieser Zeit waren gelehrte Gesellschaften und Lesegesellschaften. Andere dieser ersten Nicht-Regierungs-Organisationen, wie etwa die Freimauerlogen, waren in Entsprechung zur geheimen Kabinettspolitik der Regierenden als Geheimgesellschaften organisiert. Solche Nicht-Regierungs-Organisationen, geheime wie öffentliche, wurden massgebend zur Einführung der Demokratie im Sinn der Deklarationen der Menschenrechte im Verlauf der nun folgenden Revolutionen. Im Ablauf dieser Umstürze agierten zahlreiche ihrer Mitglieder als revolutionäre Anführer, um schliesslich selber zu Regierenden zu werden.
Im 19. Jahrhundert, mit dem Aufkommen der Industrie und der Auflösung der Zunftregeln für Meister, Gesellen und Lehrlinge, entstanden als weitere Nicht-Regierungs-Organisationen Arbeitgebervereine sowie Arbeitervereine. Für letztere wird heute allgemein der Ausdruck Gewerkschaften verwendet. Sie waren teilweise lange verboten. Im gleichen Zeitraum entstanden Parteien, im Wesentlichen liberale, konservative und ab 1830, zunächst in Frankreich, auch sozialistische und kommunistische Parteien. Konservative, teilweise auch liberal geprägte Staaten neigten zunächst dazu, diese Linksparteien zu verbieten. In Deutschland blieb die Sozialdemokratie bis 1890 verboten. Anarchistische Parteien unterlagen noch öfter solchen Verboten.
Umgekehrt verboten später die 1917 in Russland zu diktatorischer Macht gelangten Kommunisten bis 1989 alle anderen Parteien, jedenfalls insoweit sie abweichende Standpunkte vertraten. In einigen späteren sozialistischen Staaten im russischen Einflussbereich bestanden formell auch andere Parteien, die jedoch von der jeweiligen staatstragenden Partei abhängig waren. Ebenso ausgeschaltet wurden andere Parteien in den konservativen Diktaturen, wie sie 1922 bis 1945 in Italien, 1926 bis 1974 in Portugal, 1933 bis 1945 in Deutschland und 1939 bis 1975 in Spanien herrschten.
Konservative und faschistische Diktaturen sowie kommunistische Staaten verboten auch regierungsunabhängige Gewerkschaften und alle anderen Nicht-Regierungs-Organisationen, die sich staatskritisch zeigten.
Neben Parteien und Gewerkschaften sind religiöse Gemeinschaften, soweit Staat und Religion getrennt sind, Frauenverbände, gemeinnützige Organisationen sowie Sportvereine, Kulturvereine und Organisationen des Natur- und Denkmalschutzes wichtige Nicht-Regierungs-Organisationen. Es bleibt an dieser Stelle noch darauf hinzuweisen, dass die im Bereich von Natur- und Umweltschutz tätigen Nicht-Regierungs-Organisationen wie Pro Natura, der WWF oder Greenpeace sehr viel erreichten, wie z. B. Naturschutzgebiete, wobei klar ist, dass gerade in der Umweltpolitik noch sehr viel dringender und für unser aller Überleben zentraler Handlungsbedarf besteht. Aus diesen Umweltschutzbewegungen heraus entstand vor etwa 30 Jahren ein neuer Typ von Parteien, die Grünen.
Nichtregierungsorganisationen aller Sparten werden in Diktaturen mehr oder weniger konsequent und durchgreifend „gleichgeschaltet“, das heisst staatlicher Lenkung unterstellt. In demokratischen Staaten mit Organisationsfreiheit und Meinungsvielfalt bilden sie hingegen, zusammen mit den unabhängigen Medien und der kritischen Wissenschaft, das Rückgrat der so genannten Zivilgesellschaft. Verfassungen solcher Staaten zielen gerade darauf ab, nichtstaatlichen Organisationen Freiraum und, im Rahmen demokratischer und rechtlicher Entscheidungen, Einfluss auf die Staatsgeschäfte zu garantieren.
Viele Nicht-Regierungsorganisationen sind international organisiert. Berühmte Beispiele sind das Internationale Rote Kreuz oder die Internationalen der Gewerkschaften sowie der Linksparteien. Das erstmals 2001 in Porto Alegre, Brasilien, organisierte Weltsozialforum ist ein internationales Vernetzungs-Treffen von Nicht-Regierungs-Organisationen, das seither regelmässig stattfindet, so gerade jetzt in Belém, Brasilien.
Allerdings gibt es in freiheitlichen modernen Staaten vielfach und notwendigerweise auch Fluktuation, Austausch und Querverbindungen zwischen Regierungsgremien und Nicht-Regierungs-Organisationen. Je nach Wählergunst und jeweiliger politischer Vorherrschaft sind dabei die einen oder die anderen Nicht-Regierungs-Organisationen regierungsnäher oder regierungsferner. Von ihren Prinzipien und Satzungen her müssen aber Nicht-Regierungs-Organisationen von den Staaten formell und finanziell unabhängig und autonom sein. Doch öffnet sich hier ein schwieriges und weites Konfliktfeld.
Nicht als Nicht-Regierungsorganisationen bezeichnet werden Wirtschaftsunternehmen, Banken, Bauern- und Handwerksbetriebe. Das ist nicht blosser Sprachgebrauch. Das Unterscheidungsmerkmal liegt darin, dass solche Organisationen, die ebenfalls multinational organisiert sein können, auf privaten Gewinn und Profit ihrer Eigentümer abzielen und entsprechend organisiert sind, etwa als Aktiengesellschaft. Demgegenüber sind Nicht-Regierungs-Organisationen als nicht profitorientierte Vereine oder ähnliches strukturiert. Braucht es für die Zugehörigkeit zum Besitzerkreis einer Firma im allgemeinen Kapital, so reicht für die Mitgliedschaft in einer Nicht-Regierungs-Organisation die Bezahlung eines meist nicht allzu hohen Mitgliederbeitrags. Zwischenformen, die nicht immer genau einzuordnen sind, sind Genossenschaften. Es gibt auch Vereine wie Yacht- und Golf-Clubs, die insbesondere dann nicht als Nicht-Regierungs-Organisation bezeichnet werden können, wenn sie menschenrechtliche Grundwerte wie die Gleichwertigkeit aller Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe und Herkunft nicht respektieren, sondern elitäre und ausschliessende Mitgliedschaftsregelungen praktizieren. Insofern ist etwa das World Economic Forum in Davos, das zudem jeweils auch stark von Regierenden mitgeprägt ist, ebensowenig eine Nicht-Regierungs-Organisation wie andere exklusive VIP-Treffen.
Soviel zur Definition von Nicht-Regierungs-Organisationen sowie zur oft zu wenig betonten Tatsache, dass unabhängige und einflussreiche Nicht-Regierungs-Organisationen geradezu das Kennzeichen freiheitlicher und demokratischer Staatsformen respektive Weltordnungen sind.
Im Prinzip ist die Geschichte der Nicht-Regierungs-Organisationen und ihres zunehmenden Einflusses im Lauf der letzten 250 Jahre eine grossartige Erfolgsgeschichte. Es gibt aber dabei auch Rückschläge, Paradoxe und Widersprüche. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich selber mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen, selber Mitglied von Nicht-Regierungs-Organisationen zu werden oder neue solche Gruppierungen zu bilden. Überlassen Sie nicht das gesamte gesellschaftliche Feld den Wirtschaftsunternehmen und den staatlichen Behörden. Werden Sie selber aktiv, beleben sie die globale Zivilgesellschaft mit ihren Interessen und Anliegen, indem Sie sich mit ähnlich Interessierten auf freiwilliger Basis zusammentun. Sie können es mit solchen Aktivitäten sehr weit bringen und sehr viel Gutes für Ihre Anliegen tun, und gleichzeitig auch für einen möglichst bunten, freiheitlichen und vielfältigen Planeten Erde.
Wie wichtig und wie bedeutsam Nicht-Regierungs-Organisationen für den gesellschaftlichen Wandel und schliesslich für die Regierungen selbst werden können, erläutere ich nun am Beispiel der Gewerkschaften, der Frauen-Organisationen und der antirassistischen Bürgerrechts-Organisationen.
Heute halten wir es hier in der Schweiz für mehr oder weniger selbstverständlich, dass Kinderarbeit verboten ist, dass Samstag und Sonntag oder zwei andere Tage in der Woche arbeitsfrei sind, dass die Arbeitszeit nicht mehr wie in den ersten Fabriken 80, sondern 42 Stunden pro Woche beträgt, dass es Ferien gibt, dass es Altersrenten gibt, dass es Invalidenrenten gibt, dass es Schwangerschaftsurlaub gibt, dass es Arbeitslosenkassen gibt, dass es für viele einen dreizehnten Monatslohn gibt, kurz dass es sozial verträglich geregelte Arbeitsverhältnisse und Sozialleistungen gibt. Ich will damit nicht sagen, dass diesbezüglich bei uns oder weltweit solche Regelungen zur Genüge ausgebaut sind, denn das ist bei weitem nicht der Fall. Ich will nur darauf hinweisen, dass diese Erfolge und Verbesserungen, soweit sie schon verwirklicht sind, im wesentlichen das Verdienst von Nicht-Regierungs-Organisationen sind, und zwar in erster Linie der Gewerkschaften.
Ein anderes Beispiel für das segensreiche Wirken von Nicht-Regierungs-Organisationen sind die Erfolge der Frauenbewegung.
Abgesehen von einigen wenigen Königinnen wie Cleopatra von Ägypten oder Christine von Schweden, einigen noch selteneren Kaiserinnen wie Katharina in Russland oder Tsu Hsi in China sowie der mutmasslich mythischen Päpstin Johanna in Rom waren jahrtausendelang Männer die Herren der Welt, mit Ausnahme einer kleinen Anzahl matriarchal organisierter Stämme.
Als zur Zeit der Französischen Revolution die Menschenrechte proklamiert wurden, bezogen sich diese auf weisse Männer. Schwarze Sklaven und Frauen waren davon ausgeschlossen.
Olympe de Gouges (mit bürgerlichem Namen Marie Gouze) kritisierte dies und forderte die gleichen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, auch für Frauen. Doch wurde sie von einem aus Männern zusammengesetzten Gericht zum Tod verurteilt und am 3. November 1793, 45jährig, guillotiniert.
Lange blieben die Frauenrechtlerinnen oder Suffragetten, wie sie auch genannt wurden, staatlich verfolgte und hämisch ausgelachte Kämpferinnen für etwas, was ihre männlichen Gegner als Utopie, Gefahr und sicheres Ende der Zivilisation hinstellten. Dies auch deshalb, weil radikale Kämpferinnen für die Frauenrechte wie die 1858 geborene Britin Emmeline Pankhurst neben gewaltlosen Demonstrationen auch Brandanschläge auf Regierungssitze und Kirchen organisierten. Erst im Todesjahr von Emmeline Pankhurst, 1928, erhielten die britischen Frauen das Stimm- und Wahlrecht. Ein halbes Jahrhundert später, 1979, kam mit Margaret Thatcher die erste Frau an die Spitze der englischen Regierung.
Das erste Land, welches das Frauenwahlrecht einführte, war im Jahr 1776 der US-Staat New Jersey, doch wurde es 1807 dort wieder abgeschafft. 1838 beschlossen die von den Meuterern der Bounty abstammenden Bewohner der Insel Pitcairn die Einführung des Frauenwahlrechts, 1871 folgte der US-Bundesstaat Wyoming, doch erst 1902 beschloss Australien als erster grösserer Nationalstaat diese Neuerung. 1906 folgte als erster Staat in Europa Finnland. Im Revolutionsjahr 1917 erhielten die Frauen das Wahlrecht in Russland. 1918 war es an Deutschland, Österreich, Polen und Russland, 1934 folgte die Türkei, 1944 Frankreich, 1946 waren Belgien und Italien so weit. Mit Ausnahme des Vatikanstaats besteht das Frauenwahlrecht inzwischen in allen europäischen Staaten, nachdem 1971 endlich auch die Schweiz und 1984 sogar das Fürstentum Liechtenstein den Frauen dieses grundlegende Menschenrecht gewährten. Zur Zeit amten zahlreiche Frauen in vielen Staaten, auch in der Schweiz, in höchsten Regierungsämtern.
Ähnliche Erfolge weist die Geschichte jener Nicht-Regierungs-Organisationen auf, welche unterdrückte Minderheiten und oft auch unterdrückter Mehrheiten anderer Hautfarbe, Sprache oder Kultur im Kampf gegen ihre Unterdrücker anführten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen zwei Kategorien von Nicht-Regierungs-Organisationen. Einerseits gibt es solche, die bei diesem Kampf zu den Waffen griffen, etwa die Organisationen der Befreiungskämpfer in Vietnam, Indonesien, Algerien, Kenia oder Mosambik. Sie wendeten dabei erfolgreich die Strategien des Guerilla-Krieges an. Andererseits gibt es auch Organisationen wie die indische Kongresspartei, angeführt von Mahatma Gandhi, welche die kolonialen Unterdrücker mit den Mitteln des gewaltlosen Widerstands besiegten, insbesondere mittels Massendemonstrationen und Streiks, auch mit Hungerstreiks. Es gibt auch Zwischenformen, so der erfolgreiche Kampf des African National Congress in Südafrika, angeführt von Nelson Mandela.
Wie schon im Fall der Anführer derjenigen Nicht-Regierungs-Organisationen, welche an der Spitze der europäischen Revolutionen standen, wurden auch die Leiter der soeben aufgezählten antikolonialen Organisationen nach dem Sieg oft selber Regierungschefs.
In neuester Zeit ist ein solcher Prozess beispielsweise in Bolivien zu beobachten. Der 2005 zum Präsidenten gewählte Evo Morales startete seine politische Karriere als Aktivist bei der Nicht-Regierungs-Organisation der Coca-Pflanzer. Er vertritt in erster Linie die bisher unterdrückte Mehrheit, die indigene Bevölkerung, welche in den fünf Jahrhunderten seit der Eroberung Boliviens durch die spanischen Kolonialherren, und zwar auch nach Erreichung der staatlichen Unabhängigkeit, von der weissen Minderheit regiert wurde. Dies soll die neue Verfassung Boliviens inskünftig verunmöglichen, die am letzten Sonntag mehrheitlich angenommen wurde. Sie baut die Rechte der Indigenen sowie die Macht des Präsidenten aus.
Ebenfalls einen sehr aktuellen Wendepunkt erlebt gegenwärtig die Bewegung gegen den Sklavenhandel und die Sklaverei, fortgesetzt von der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA.
Die Sklaverei, in alten Schriften wie der Bibel oder der ägyptischen, griechischen und römischen Geschichtsschreiber ausführlich geschildert und gelegentlich auch kritisiert, konnte sich vorerst sogar durch die Aufklärung hindurch retten. Aufklärer und Revolutionäre bereicherten sich, wie Voltaire, am Sklavenhandel oder waren, wie George Washington, selber Sklavenbesitzer. Das weisse Haus und das Capitol in Washington wurden von schwarzen Sklaven erbaut, nach Plänen weisser Architekten. Als die Sklaven in der französischen Kolonie Haiti, angeführt von Toussaint L’Ouverture, die gleichen Menschenrechte wie für Weisse auch für Schwarze zum Verfassungsgrundsatz erheben wollten, schickte Napoleon eine Armee gegen sie los. Toussaint L’Ouverture geriet in Gefangenschaft, die französische Regierung deportierte ihn nach Frankreich und liess ihn, 60jährig, in einer kalten, feuchten Gefängniszelle umkommen. Er starb dort, in einer Festung nahe der Schweizer Grenze, am 7. April 1803.
Die Geschichte des Kampfes gegen Sklavenhandel und Sklaverei hat in jedem Land spezifische Züge. Sie wurde im wesentlichen von Nicht-Regierungs-Organisationen gestartet, neben jenen der Sklaven selbst auch von Organisationen menschenrechtlich denkender Menschen aus den Reihen der privilegierten Weissen. Interessant ist der Umschlag, als Abraham Lincoln, unrsprünglich kein Gegner der Sklaverei, 1863 im amerikanischen Bürgerkrieg der Nord- gegen die Südstaaten die Abschaffung der Sklaverei zum Kriegsziel des Nordens und der legitimen Regierung machte. Nach dem Sieg der Regierung gegen die Rebellen wurde die Sklaverei in den USA abgeschafft.
Es wird oft vergessen, dass in Bulgarien und Rumänien erst im selben Zeitraum, 1852 bis 1864, die Sklaverei abgeschafft wurde, der die dortigen Roma unterlagen. Beide Minderheiten, die Afroamerikaner in denn USA und die Roma in Bulgarien und Rumänien, hatten und haben noch heute unter den Nachwirkungen dieser Unterdrückung zu leiden, vor allem in Form fortbestehender Diskriminierung aufgrund rassistischer Vorurteile.
Die Afroamerikaner in den USA konnten aber mit der Wahl des ersten Schwarzen als Präsident im Weissen Haus, Barack Hussein Obama, am 4. November 2008 einen Meilenstein bei der Verwirklichung der allgemeinen Menschenrechte setzen. Ein solches Wahlergebnis war eines der Ziele der Bürgerrechtsbewegung der ursprünglich als Sklaven nach Amerika deportierten Afroamerikaner gewesen, nebst den mühsam erkämpften Erfolgen gegen die Rassentrennung in Schulen, Bussen und öffentlichen Lokalen, gegen rassistische Vorurteile, gegen Diskriminierung und für gleichberechtigten Zugang zu allen Gremien und Ressourcen. In unzähligen Reden, Büchern, Demonstrationen, Streiks, Aufständen und anderen Auseinandersetzungen haben die Mitglieder und Anführer dieser Bürgerrechts-Organisationen dafür gekämpft. Viele verloren in diesem Kampf ihr Leben. So Martin Luther King, der am 4. April 1968, 39jährig, vom weissen Rassisten James Earl Ray erschossen wurde.
Nun, Sie werden ja an dieser Veranstaltung Gelegenheit haben, aus erster Hand von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern schweizerischer Nicht-Regierungs-Organisationen zu erfahren, wer diese Organisationen ins Leben rief, wer sie betreibt, wie sie sich finanzieren, was ihre Ziele sind, was sie alles erreicht haben, und wofür sie weiter kämpfen.
Ich möchte mich im folgenden drei Gruppen von Menschen in der Schweiz zuwenden, die erst in jüngster Zeit dazu gekommen sind, sich in Nicht-Regierungs-Organisationen zu organisieren. Erst seit kurzem können sie die ihnen vorher bis in die 1970er Jahre, teilweise bis heute, verweigerten Menschenrechte einfordern. Ich habe persönlich manche Mitglieder dieser Gruppen über Jahre hinweg begleitet, und ich habe mit meinen Büchern, mit Artikeln und Vorträgen ihre Geschichte und ihre Anliegen geschildert.
Es handelt sich dabei um die Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz.
Unter Bezeichnungen wie „Landstreicher“, „Bettelvolk“, „Vaganten“, „Heiden“, „herrenloses Gesindel“ und „Zigeunerbanden“ wurden diese Gruppen in der Schweiz seit 1471 blutig verfolgt und vertrieben. Über Jahrhunderte hatten sie kein Aufenthaltsrecht und galten als Gesetzlose und Vogelfreie. Es wurden Regierungs-Dekrete erlassen, wonach sie jeder straflos umbringen konnte. Die Behörden selber verfolgten sie mit so genannten „Betteljagden“. Die Verhafteten wurden entweder auf venezianische oder französische Galeeren verkauft, als Rudersklaven, oder sie wurden ausgepeitscht und gezwungen, die so genannte Urfehde zu schwören. Das war der Eid, sich nie mehr in der Eidgenossenschaft blicken zu lassen. Um sicherzustellen, dass die einmal Vertriebenen als solche wiedererkannt wurden, wenn sie trotzdem wieder kamen – denn sie wurden aus den anderen Staaten genau so verjagt – versahen sie die Behörden oft mit einer Brandmarkung, mittels glühender Eisen. Wurden sie ein zweites Mal verhaftet, wurden sie hingerichtet. Dieses Regime galt in der Schweiz bis 1798 und teilweise wieder von 1803 bis 1848. Nach der Einrichtung des liberalen Bundesstaates galt kurz Personenfreizügigkeit auch für diese Menschen.
Auch wurden viele von ihnen, die bisher keine Papiere und keine Bürgerrechte hatten, ab 1851 eingebürgert. Das galt vor allem für die Jenischen; Sinti und Roma wurden in der Schweiz erst ab 1990 eingebürgert.
Doch schon 1888 machten die Grenzkantone die Grenzen gegen die als „Zigeuner“ Verfolgten wieder dicht, und 1906 erliess der inzwischen bereits weniger liberale Bundesstaat Gesetze, welche den so genannten „Zigeunern“ den Aufenthalt in der Schweiz verunmöglichten und ihnen das Reisen mit der Eisenbahn ausdrücklich und spezifisch verboten. Reisten sie trotzdem ein, wurden sie sofort aufgegriffen und zunächst in kantonalen, ab 1913 in einem nationalen „Zigeunerregister“ registriert, mit Fotos und Fingerabdrücken. Bei diesem Verhaftungs- und Registrierungsverfahren wurden die Familien getrennt, die Männer kamen ins Zuchthaus Witzwil in Bern, die Frauen und Kinder in Heime der Caritas und der Heilsarmee in der ganzen Schweiz. Im Lauf dieses Verfahrens wurden einige Familien definitiv getrennt. Etwa 20 Kinder von Fahrenden kamen schon damals isoliert in Heime und Anstalten, wo sie teilweise lebenslänglich verblieben.
Eines dieser Kinder, Josef Anton R., wurde 1934 als junger Erwachsener von einem deutschen Psychiater, Herbert Jancke, in Bern begutachtet. Jancke empfahl die Kastration von Josef Anton R., weil nur so dieser „Rassefremde“, wie sich Jancke ausdrückte, sicher von der Zeugung ebenso „rassefremden“ Nachwuchses abgehalten werden könne. Zwar verlor dieser nationalsozialistisch gesinnte Psychiater seinen Posten in Bern und ging 1937 nach Deutschland zurück, doch die Kastration des Begutachteten wurde durchgeführt.
Die totale Abwehr gegen einreisende „Zigeuner“ hielten die Schweizer Behörden auch aufrecht, als die Roma, Sinti und Jenischen im Nazireich der Zwangssterilisation und der Einlieferung in Arbeitslager, Konzentrationslager und Vernichtungslager unterzogen wurden.
Noch im September 1944 wurde der Sinto Anton Reinhardt, der über den Rhein in die Schweiz geschwommen war, weil ihm in Deutschland die Alternative Zwangssterilisation oder Auschwitz drohte, von der Polizei ins Dritte Reich zurückgewiesen. Dort erschoss der SS-Mann Karl Hauger den 17Jährigen am Ostersamstag 1945, wenige Tage vor Kriegsende.
Die Einreisesperre gegen“Zigeuner“ hielt die Schweiz bis 1972 aufrecht. Einzig drei staatenlose Sinti-Familien, die schon vor 1913 in der Schweiz lebten, wurden geduldet, weil sie als Staatenlose in kein Land abgeschoben werden konnten.
Seit den 1960er Jahren kamen jedoch als jugoslawische Fremdarbeiter unerkannt viele sesshafte Roma in die Schweiz, was die Grenzwachen nicht bemerkten. Weitere Roma kamen als Flüchtlinge aus den Kriegen in Ex-Jugoslawien während der 1990er Jahre in die Schweiz, ein Teil davon erhielt Asyl. Schon vorher hatten einige Roma als Flüchtlinge aus kommunistischen Ostblock-Ländern Asyl in der Schweiz erhalten. Mittlerweile leben etwa 30'000 Roma in der Schweiz, viele von ihnen sind inzwischen eingebürgert. Sie sind als Sesshafte unauffälliger und arbeiten in den verschiedensten Berufen, wagen aber kaum, sich als Roma zu präsentieren, weil ihnen das immer noch Nachteile bringt. Erste Organisationen der Roma entstanden daher in der Schweiz erst in den 1990er Jahren, abgesehen von der Internationalen Romani-Union, deren Gründungsversammlung bereits 1978 in Genf stattfand. in Regierungsgremien sind sie kaum vertreten.
Die Sinti in der Schweiz, die allerdings nicht sehr zahlreich sind, haben überhaupt keine offizielle Organisation.
Etwas anders verlief die Geschichte der Jenischen, welche ab 1852, teilweise auch schon vorher, Schweizer Bürger waren. Die Behörden erschwerten ihnen das Fahren und ihre Wandergewerbe durch hohe Patenttaxen und durch das Verbot, mit schulpflichtigen Kindern im Wohnwagen zu reisen. Mehrere Wissenschafter und Politiker, so der Churer Psychiater Josef Jörger, der die Jenischen in mehreren Publikationen als „erblich minderwertig“ hinstellte, empfahl den Behörden, den Jenischen die Kinder schon als Säuglinge wegzunehmen und sie bei Nichtjenischen oder in Waisenhäusern zu platzieren.
Dieses Kindswegnahmeprogramm führte die Stiftung Pro Juventute von 1926 bis 1973 dann in der deutschen und in der italienischen Schweiz so konsequent wie möglich durch. Rund 600 Kinder wurden ihren Eltern entrissen, mit Polizeigewalt und so jung wie möglich. Dies zum Zweck ihrer Umerziehung, um sie ihren Familien, ihrer Kultur und Sprache radika zu entfremden. Ein solches Vorgehen gegen eine Volksgruppe ist gemäss der diesbezüglichen UNO-Konvention von 1948 ein Tatbestand des Völkermords.
Die weggenommen Kinder erlitten schwerste psychische Schädigungen, etliche wurden sexuell missbraucht, die meisten, ausser einige, die von reichen Leuten adoptiert wurden, hatten als Kinder schwere Arbeit zu leisten, ihre Ausbildung blieb rudimentär. Wenn sie flohen, wurden sie in geschlossene Anstalten wie Bellechasse, Kanton Fribourg, gesperrt. Viele von ihnen verblieben lebenslänglich in Heimen und Anstalten.
Leiter dieser Aktion war Dr. Alfred Siegfried. Er war 1924 als Gymnasiallehrer in Basel entlassen worden, weil er einen Schüler sexuell missbraucht hatte, fand aber kurz darauf bei der staatsnahen Stiftung Pro Juventute in Zürich seine Lebensstellung als Leiter der Abteilung Schulkind. In diesem Rahmen koordinierte er bis 1958 die Kindswegnahmen an den Jenischen. Das Vorgehen war vom Bund subventioniert und wurde von den meisten Behörden unterstützt. Die Jenischen hatten keine Chance, sich dagegen zu wehren, bis der Schriftsteller Sergius Golowin und der Journalist Hans Caprez für sie eintraten und den Skandal in die Presse brachten. Die Aktion der Pro Juventute wurde 1973 abgebrochen, viele der weggenommenen Kinder blieben aber weiterhin getrennt von ihren Eltern. Neben den rund 600 Kindern, welche die Pro Juventute aus den jenischen Familien riss, betraf diese Verfolgungskampagne auch ungefähr nochmals so viele jenische Kinder, welche vom Seraphischen Liebeswerk in Solothurn und von den Amtsvormundschaften des Kantons Schwyz ähnlich brutalen Massnahmen, bis hin zur Zwangssterilisation, unterzogen wurden. Der Versuch, so die jenische Kultur und Volksgruppe zu zerstören, traf auch die Eltern der weggenommenen Kinder schwer. Sie sahen sie oft nie wieder, oder erst nach Jahrzehnten.
Unter diesen Umständen ist klar, dass sich die Jenischen erst 1975 organisieren konnten, und zwar in ihrer Nicht-Regierungs-Organisation namens Radgenossenschaft der Landstrasse. Sie forderte die Akzeptanz und Förderung der fahrenden Lebensweise, die Möglichkeit, legal mit ihren Kindern im Wohnwagen zu leben, auf anerkannten Stand- und Durchgangsplätzen. Ferner forderte sie günstigere Patentregelungen, die strafrechtliche Untersuchung der an den Jenischen begangenen Verbrechen, wissenschaftliche Aufarbeitung des Geschehenen und Einblick in die über sie geführten Akten. Es brauchte 15 bis 25 Jahre Aufklärungs- und Offentlichkeitsarbeit sowie eine Platzbesetzung in Luzern, im Mai und Juni 1985, bis einige dieser Forderungen seitens der Behörden und der Pro Juventute akzeptiert wurden.
Am 3. Juni 1986 entschuldigte sich der Bundespräsident Alfons Egli für das geschehene Unrecht, ab 1988 gab es Akteneinsicht und schäbige so genannte „Wiedergutmachungszahlungen“ (zwischen 2000 und 20'000 Franken pro Geschädigten), wissenschaftliche Untersuchungen der Verfolgung, günstigere Patentregelungen und in einigen Kantonen sogar einige neue Plätze. Da in derselben Zeit andere Plätze überbaut wurden, sind sie immer noch Mangelware. Eine gerichtliche Verurteilung der Täter und der Drahtzieher der langjährigen Verfolgung unterblieb.
Doch 1999 wurden die Jenischen als Sprachminderheit anerkannt, und auch in anderer Hinsicht gelten die Fahrenden als nationale Minderheit der Schweiz, was allerdings mit Unklarheiten behaftet ist, weil nicht klar ist, ob sich dies auf fahrende Jenische, Sinti und Roma bezieht und was denn die Rechtsstellung der sesshaften Mitglieder dieser Volksgruppen ist, die bei den Jenischen wie bei den Roma die grosse Mehrheit bilden.
Es bleibt noch viel zu tun, bis die Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz die gleiche Rechtsstellung haben werden wie Appenzeller, Urner oder Rätoromanen und bis alle Auswirkungen der jahrhundertelangen Diskrminierung und Verfolgung behoben sind. Insbesondere fehlt es noch an einer Vertretung dieser Volksgruppen in Regierungsgremien.
Eine grosse Unterstützung für die Organisationen von lange diskriminierten und benachteiligten Gruppen in allen Ländern der Welt sind die Gremien internationaler Organisationen, die über die Einhaltung der Menschenrechte in allen Ländern wachen. Sie haben zwar keine direkten Befugnisse, aber ihre Berichte und Rückmeldungen an die Regierungen und das Einfordern von genaueren Abklärungen seitens der Regierungen durch diese internationalen Gremien sind doch Anstösse, welche nur Regierungen ignorieren können, die keine freie Presse zulassen, das Internet zensieren und glauben, sie könnten sich um die Weltöffentlichkeit foutieren.
Solche Organisationen sind einerseits die auf Menschenrechte spezialisierten internationalen Nicht-Regierungs-Organisationen wie etwa Amnesty International oder das bereits erwähnte Rote Kreuz.
Es sind dies aber auch Organisationen wie etwa der Europarat. Dieser ist im wesentlichen ein Parlament und, in Gestalt des Europäischen Gerichtshofs in Strassburg, auch ein Gericht. Er bildet aber keine eigentliche Regierung. Vielmehr versuchen das Europaparlament und der Europäische Gerichtshof die europäischen Regierungen und die nationalen Gerichtsinstanzen zu korrigieren, wenn diese die Europäische Menschenrechtskonvention missachten. Es gibt berühmte Gerichtsentscheide des Europäischen Gerichtshofs in Strassburg, mit welchen sich etwa die Travellers in England schon relativ früh mehr Rechte und mehr Plätze für ihre Wohnwagen erkämpften.
Die periodischen Berichte der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats werden von dieser Kommission nach Anhörung nicht nur der Regierung, sondern auch der Nicht-Regierungs-Organisationen verfasst. So bekommen die Anliegen von Nicht-Regierungs-Organisationen, wenn sich diese europäische Kommission hinter sie stellt, mehr Gewicht gegenüber den nationalen Regierungen.
Soviel zum Europarat, nun zur UNO. Die UNO ist im Kern eine internationale Regierungsorganisation. Die UNO-Botschafter sind kein gewähltes Weltparlament, sondern Abgesandte und Sprachrohre ihrer Regierungen. Ein undemokratischer Zug an der UNO ist auch der Sicherheitsrat, der für wichtige Entscheidungen zuständig ist, in dem aber die Siegermächte des 2. Weltkriegs übervertreten sind. Sehr blockierend ist auch das Vetorecht dieser 5 Staaten (USA, Russland, China, England und Frankreich), mit dem sie jede Mehrheitsentscheidung blockieren können.
Glauben Sie aber ja nicht, ich sei deswegen ein UNO-Gegner. Ganz im Gegenteil! Denn die Ziele der UNO: Weltfrieden, Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts, sind absolut zentral für unser aller Überleben. Es ist unstreitig, dass die UNO dazu, neben Fehlschlägen, die es leider auch gab, schon sehr wichtige Beiträge leisten konnte. Dazu tragen auch die friedenssichernden UNO-Truppen, die Blauhelme, sehr viel bei.
Zudem ist die UNO eben doch nicht einfach eine internationale Regierungsorganisation. So hat sie mit dem UNO-Strafgerichtshof in Den Haag in den letzten Jahren eine Judikative aufgebaut, die tatsächlich schon einige ehemals regierende Verbrecher gegen die elementaren Gebote der Menschlichkeit hinter Gitter brachte und die auch eine gewisse abschreckende Wirkung auf solche Täter hat, wenn auch ihre Befugnisse noch längst nicht weitreichend genug sind.
Wichtig ist auch, dass die UNO in manche ihrer Nebenorganisationen von Anfang an auch Nicht-Regierungs-Organisationen integrierte. So etwa im Fall der UNESCO für Anliegen der Jugend oder des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge. Vor allem gilt das aber für den UNO-Sozialrat, mit vollem Namen United Nations Economic and Social Council, UN-ECOSOC genannt. Insbesondere sind dort schon seit Jahrzehnten auch jene Minderheiten und Gruppen vertreten, die in ihren Staaten nicht oder zu wenig oder erst seit kurzem repräsentiert sind, zum Beispiel indigene Stammesvölker, Frauenorganisationen, Organisationen sexueller Minderheiten und viele andere Nicht-Regierungs-Organisationen.
Es ist eine kleine Bemerkung wert, festzuhalten, dass die Fahrenden in der Schweiz, genauer gesagt die Radgenossenschaft der Landstrasse, dank ihrer Mitgliedschaft im UNO-Sozialrat, die sie 1979 erreichten, damals schon Teil der UNO wurden – Jahrzehnte bevor sich im Jahr 2002 endlich auch die Schweiz als solche dazu entschloss, UNO-Mitglied zu werden.
Wichtig sind auch die Sonderberichterstatter der UNO, wie etwa der Schweizer Jean Ziegler zum den Fragen der Bekämpfung des Hungers in den allerärmsten Weltregionen, oder der Senegalese Doudou Diéné, Sonderberichterstatter der UNO zur Bekämpfung des Rassismus. Es zeugt von eben jenem Rassismus, den Doudou Diéné insbesondere gegenüber Dunkelhäutigen, aber auch gegenüber Fahrenden in der Schweiz in seinem Bericht aus dem Jahr 2007 konstatieren musste, dass der dunkelhäutige UNO-Experte in der Folge selber rassistischen Anwürfen von seiten der SVP, der Schweizer Demokraten und der schweizerischen Neonazis ausgesetzt war.
Aber auch abseits der wichtigen Arbeit der Sonderberichterstatter kontrollieren UNO-Gremien im Austausch einerseits mit Regierungsstellen, andererseits mit Nicht-Regierungsorganisationen den Stand der Einhaltung der Menschenrechte und des Kampfes gegen Diskriminierung in allen Staaten, soweit diese das zulassen.
Der Ablauf ist folgender: Die UNO ersucht die Schweizer Regierung um die Abfassung eines Berichts über die Umsetzung ihrer Anstrengungen auf dem Gebiet der Bekämpfung des Rassismus und der Diskriminierung. Die Schweizer Regierung liefert diesen Bericht aus ihrer Sicht ab. Gleichzeitig nehmen aber auch die Nicht-Regierungs-Organisationen, deren Mitglieder ja oft selber solchen Missständen ausgesetzt sind oder die in Kontakt zu von Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung Betroffenen stehen, in einem so genannten Schattenbericht Stellung zu demselben Themenkreis. Sie benennen dabei die Missstände meist klarer als die Regierungen, worauf die UNO-Gremien sich dann auf diese Aussagen beziehen können bei ihren Rückfragen an die Regierung und bei ihrer Stellungnahme zu deren Bericht. Auch hier, wie beim Verfahren der ECRI, erhalten so die Anliegen der Nicht-Regierungs-Organisationen mehr Gewicht gegenüber der Regierung, falls die UNO-Gremien die von den Nicht-Regierungs-Organisationen kritisierten Missstände ebenfalls kritisieren.
Ganz kurz möchte ich noch meine eigene Tätigkeit in diesem Bereich thematisieren.
Sehr eindrücklich blieb mir eine Anhörung aller eingeladenen Schweizer Nicht-Regierungs-Organisationen im Rahmen des ECRI-Prozederes in Bern. Da zeigten sich Bevölkerungskreise mit Problemen, die sonst in der Öffentlichkeit wenig thematisiert werden, oder in einer Weise, welche die Probleme noch verschärfen statt ein Klima des Respekts, der Toleranz und der Nicht-Diskriminierung zu schaffen. Ich selber hatte die Ehre, die NGO-Stellungnahme zum Ersten Bericht der Schweiz zur Umsetzung
des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten im Jahr 2002 zu verfassen, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nicht-Regierungs-Organisationen.
Natürlich kann man sich fragen, ob man damit nur geduldiges Papier produziert und ob man nicht mit dem Kopf gegen Wände anrennt. Aber die grossartigen Erfolgsgeschichten der Nicht-Regierungs-Organisationen, die ich im Hauptteil meines Vortrags erwähnt habe, geben mir die Gewissheit, dass dem nicht so ist. Vielmehr, glaube ich, sind dies wichtige und folgenreiche Beiträge für ein besseres Zusammenleben der Menschheit. Und sie sind umso wirksamer, je mehr Menschen sich dafür engagieren.
Ganz zum Schluss komme ich noch auf ein Thema zu sprechen, das zeigt, wie es ist, wenn eine Menschengruppe über Jahrhunderte in einer misslichen Situation belassen wird, um die sich kaum jemand kümmert und über die, abgesehen von gelegentlichen Skandalisierungen, immer wieder geschwiegen wird. Zur Schande der Schweiz muss gesagt werden, dass ich damit die soziale Lage von Menschen in unserem Land anspreche. Es sind in diesem Fall nicht Angehörige einer bestimmten Volksgruppe oder einer sonstigen andersartigen Minderheit. Es waren ganz normale Schweizer aus allen Landesgebieten, deren Problem im wesentlichen war, dass ihre Eltern arm waren und dass sie von ihren reicheren Nachbarn übelwollend, rücksichtslos und ausbeuterisch behandelt wurden. Und dies geschah nicht nur direkt unter den Augen des Pfarrers, der Lehrerschaft und des Dorfpolizisten; nicht selten waren Vertreter dieser Berufe als Mitglieder der Behörden sogar selbst an diesen Missständen mitbeteiligt. Ich meine damit das Elend der so genannten Verdingkinder.
Sicher kennen Sie alle das schöne Jugendbuch von Kurt Kläber, der als Flüchtling in der Schweiz unter dem Pseudonym Kurt Held publizierte, mit dem Titel „Die rote Zora“. Es handelt von der Kinderarmut in Kroatien. Weniger bekannt ist ein anderes Kinderbuch von Kurt Held. Es erschien 1950 und trägt den Titel: „Mathias und seine Freunde“. Es handelt von einem Verdingbuben in einem Dorf im Schweizer Mittelland. Er wird an seinem Wohn- und Arbeitsplatz, einem kleinen Bauernhof, miserabel gehalten, in einem kalten Verschlag, mit schlechtem Essen und viel Arbeit, und ist dem Selbstmord nahe. Das Buch schildert dann eine Wendung, die selten stattfand: Die Schulkollegen, der Lehrer, der Polizist, der Pfarrer, am Schluss sogar der Vormund, und vor allem eine freundliche Nachbarin, sie sorgen gemeinsam dafür, dass Mathias an einen Pflegeplatz kommt, wo er gut behandelt wird, und auch für eine gute Ausbildung wird gesorgt. Mit diesem gestalterischen Trick zeigt der Autor aber gerade, dass es eben in den allermeisten Fällen nicht so war.
Es gab viele dieser Fälle. Über die Jahrhunderte, während welchen dieses Kostkind- oder Verdingkindersystem in Kraft war, litten in der Schweiz Hunderttausende darunter. Sie kamen zu jenen Pflegeeltern, die dafür am wenigsten Kosten verrechneten. Entsprechend billig wurden sie gehalten. Dafür mussten sie umso mehr arbeiten, oft das Pensum eines Knechts, und zwar vor und nach der Schule, was meist ihre Schulleistung schädigte. Zudem waren sie Sündenböcke für alles, was schief lief; immer waren sie schuld an üblen Streichen und Missgeschicken. Am schlimmsten waren die Übergriffe, seien es sadistische Körperstrafen oder sexueller Missbrauch. Die Verdingkinder hatten keinen Schutz, getrennt von Eltern und Verwandten. Jedermann sah über ihre Beulen, blauen Flecken und traurigen Augen hinweg und hielt sich fern von diesen Aussenseitern in ihren nach Stall riechenden geflickten Kleidern.
In Abständen von mehreren Jahrzehnten traten Mitfühlende in Erscheinung, die sich über das Schicksal dieser Kindersklaven empörten. So Alfred Bitzius alias Jeremias Gotthelf mit seinem Erstling „Der Bauernspiegel“ im Jahr 1837. Um 1900 wurden einige einfühlende Artikel über die Leiden weiterer Kindersklaven, der Schwabengänger und der Spazzacamini, geschrieben. In den 1920er und 1930er Jahren protestierte Carl Albert Loosli, selber so aufgewachsen, gegen die Greuel der Anstaltserziehung. Um 1945 protestierte Peter Hirsch alias Peter Surava zusammen mit dem Fotografen Paul Senn gegen das Elend der Verding- und Heimkinder. 1971 nahmen sich die Aktivisten der Heimkampagne des Themas an.
Doch es waren nicht diese Empörungswellen, welche dem Verdingkinderelend ein Ende bereiteten, sondern die Mechanisierung und Vergrösserung der Landwirtschaftsbetriebe. So erhielten die ehemaligen Verdingkinder auch keine Entschädigungen und keine Therapieangebote für ihre Leiden. Sie mussten alles mit sich selber ausmachen, viele konnten es nicht verarbeiten, manche machten Selbstmord oder wurden psychisch krank. Andere verschlossen das Trauma tief im Innern und wurden mit eisernem Willen zu respektierten Mitbürgern. Viele erzählten nie jemandem etwas von ihrer Kindheit.
1990 schrieb Marco Leuenberger, ein Historiker, dessen Vater Verdingkind gewesen war, eine Forschungsarbeit über dieses traurige Thema. Er war der erste Sozialwissenschafter, der das tat. Vorher waren es fast ausschliesslich Betroffene, die darüber selber Bücher schrieben, meist bittere Autobiografien. Es folgten einige JournalistINNen, vor allem auch vom Schweizer Fernsehen, sowie Dokumentarfilmer. Am 28. November 2004 organisierte der provisorische Vorstand der in Gründung begriffenen Vereinigung Verdingkinder suchen ihre Spur (Präsidentin Heidi Meichtry) in Zusammenarbeit mit einigen HistorikerINNen, darunter Marco Leuenberger, Loretta Seglias und ich, die Tagung ehemaliger Verding- und Heimkinder in Glattbrugg. Es kamen rund 220 Betroffene, die Voten von allen, die sich dort zu Wort meldeten, sind im als Büchlein publizierten Tagungsbericht festgehalten. Die Betroffenen erzählten in dieser Runde teilweise erstmals von ihren Leiden. Manche fassten nun den Mut, ihr Leben aufzuschreiben oder darüber in Zeitungen zu berichten. Ich organisierte zusammen mit Marco Leuenberger, Ernst Marti, Loretta Seglias, Ueli Mäder und Heiko Haumann ein Nationalfonds-Projekt mit dem Ziel, Interviews zu machen und die Akten aufzuarbeiten. Nur die Interviews wurden bewilligt, und zwar sehr knausrig. Dank vielen freiwillig Mitarbeitenden gelang es, im Rahmen des Projekts rund 300 Interviews mit Betroffenen zu machen. Einige von ihnen sind inzwischen gestorben. Die Anteilnahme an ihren lange verdrängten und verschwiegenen Leiden lässt die Betroffenen heute etwas freier atmen. Doch ihre Geschichte ist ein Hinweis darauf, dass diejenigen Gruppen, die am allerschlimmsten bedrängt werden und die im tiefsten Elend sitzen, oft nicht einmal dazu fähig sind, sich in dieser Lage zu organisieren. Sie sind einfach zu schwach dazu. Von der Vereinigung Verdingkinder suchen ihre Spur verblieben nach dessen Auflösung einige Regionalgruppen, im Januar 2008 wurde der Verein Netzwerk verdingt gegründet. Gerade auch an diesem Beispiel zeigt sich die Wichtigkeit des solidarischen Engagements Aussenstehender. So können wichtige Impulse zum Empowerment, zur Selbstermächtigung, zum Erheben der eigenen Stimme gegeben werden, und dies kann die Gesellschaft dazu bringen, sich der Aufarbeitung jener dunklen Seiten der eigenen Geschichte zu widmen, die allzu oft verdrängt und verschwiegen werden. Es freut mich sehr, dass inzwischen auch zu diesem Thema viele Studierende ihre Forschungs- und Abschlussarbeiten machen. So kann wiederum die Sensibilität für andere Missstände ähnlicher Art gesteigert werden.