Zur
Geschichte fremdplatzierter Kinder in der Schweiz
(Synthese
deutschsprachige Schweiz)
Dr. Thomas Huonker, Zürich
Mandat OFES/ Recherche EESP Lausanne
zur Abklärung von Institutionsgeschichte, Quellenlage und Forschungsstand der Thematik im Hinblick auf deren landesweite Erforschung (Rapport d’étape de l’étude exploratoire sur le traitement des orphelins et les placements d’enfants au 20e siècle) August 2004
Die Praxis der Kostkinder, das heisst der Fremdplatzierung von verwaisten Kindern respektive von Kindern, deren Eltern und nähere Verwandtschaft für deren Unterhalt nicht imstande waren, hauptsächlich durch Armut oder Kriegswirren, oder diesen verweigerten (was häufiger als die Mütter die Väter taten), geht in der Schweiz bis ins Mittelalter zurück und dauerte bis in die 1960er Jahre an. Für kleinere Kinder wurde dabei Kostgeld bezahlt: sobald sie arbeitstüchtig waren, was für gewisse Tätigkeiten schon im Alter ab 3 oder 4 Jahren der Fall sein konnte, mussten sie an ihren Aufenthaltsorten, meist bei Handwerkern oder Bauern, aber auch beim Militär (Trossbuben), zugewiesene Arbeiten verrichten. Je älter sie wurden, desto grösser wurde die ihnen abverlangte Arbeitsleistung und desto tiefer das Kostgeld, welches die jeweiligen örtlichen Instanzen an die Pflegefamilie bezahlen mussten. Ab einem Alter, wo die kindliche Arbeitskraft schon einem beträchtlichen Anteil der Arbeitskraft einer erwachsenen Person entsprach, entfiel das Kostgeld teilweise und schliesslich ganz; von letzterem Punkt an wurde die Fremdplatzierung zu einem Arbeitsverhältnis gegen Kost, Logis und Kleidung; mit Fortschreiten der Geldwirtschaft konnte auch ein Lohnanteil in Geld hinzukommen.
Zuerst in den Spitälern, die im Mittelalter keineswegs nur für arme Kranke, sondern auch für arme Gesunde gedacht waren, später in den Zucht- und Waisenhäusern, wuchsen fremdplatzierte oder verwaiste Kinder auch in Institutionen auf. Auch in den kirchlich gestifteten Spitälern und Asylen, welche auf caritative Zuwendungen zählen konnten, hatten die so aufwachsenden Kinder, ebenso wie später in den Waisen-, Zucht- und Armenhäusern, zusammen mit erwachsenen Insassen, Arbeit zu verrichten. Im ersten weltlichen Waisen- und Zuchthaus der Schweiz, das 1637 in Zürich eröffnet wurde, hiess die Textilmanufaktur, bei der die Waisenkinder mitarbeiteten, Fabrik. Umgekehrt waren in der Anfangsphase der Industrialisierung Fabriken und die entsprechenden Gebäude für die Arbeiterschaft (Kosthäuser) auch Stätten der Kinderarbeit und der Kinderversorgung.
Die mittleren Schichten konnten Arbeitsunfähige und ansonsten unversorgte Kinder auch gegen Pflegegeld (Pfründen) in den Pfrundhäusern versorgen.
Alle diese Stätten waren nicht spezifische Institutionen für Kinder. Diese lebten oft samt Eltern und Verwandten dort, aber auch die alleinstehenden Waisenkinder lebten mit den erwachsenen Insassen dieser Institutionen zusammen.
Ab dem 18. Jahrhundert, im Zug der generellen Mehrbeachtung der Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen, wurde dies kritisiert, und man begann, spezifische Institutionen für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Die Arbeits- und Armenhäuser blieben jedoch in verschiedenen Regionen der Schweiz teilweise bis in die 1960er Jahre sowohl für Kinder wie für Erwachsene vorgesehen, so beispielsweise im Armenhaus Immensee (SZ). Wo die Armenhäuser nicht zu Bürger- und später oft zu Alters- und Pflegeheimen umfunktioniert und ausgebaut wurden, wurden sie oft abgerissen, so das Armenhaus Wädenswil im Jahr 1913.
Ferner begann ebenfalls ab Mitte 18. Jahrhundert, verstärkt seit dem 19. Jahrhundert mit der beginnenden Einführung der allgemeinen Schulpflicht, der Unterricht in Fächern wie Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen, allenfalls auch in andern Fächern, in Anstalten mit Kindern als Insassen einen grösseren Stellenwert einzunehmen.
Ab dem 18. Jahrhundert differenzierten sich Stätten der Fremdplatzierung von Kindern zwecks Ausbildung von Angehörigen der Oberschicht heraus, in der Schweiz z.B. das Seminar respektive „Philantropin“ in Haldenstein, später Marschlins (GR). Auch in den Waisenhäusern der zunehmend als Patriziat über ganze Regionen herrschenden städtischen Bürgerschaft, etwa in Bern, Basel oder Zürich, bekam die Ausbildung mehr Gewicht; die Waisenhäuser wurden von den Zucht- und Arbeitshäusern auch baulich getrennt.
Für die armen Kinder blieb die Verkostgeldung. Im Zug der Pauperisierung im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden zudem auch in den meisten ländlichen Gemeinden Armenhäuser eingerichtet, wo, wie gesagt, Kinder wie Erwachsene wohnten. Es bildeten sich zwei Typen von Armenhäusern heraus. Einerseits konnte das Armenhaus einfach ein Haus (minimalen Komforts) sein, das den Dorfarmen zugewiesen wurde; durch Gelegenheitsarbeit, teilweise Selbstversorgung aus den Ressourcen der Allmende und Bettel hatten sie sich darin selbst zu verköstigen, unter Zuschuss von „Armenbrot“ oder andern Naturalgaben durch die örtlichen Instanzen. Vielfach waren diese Armenhäuser ein Ausweg aus der älteren Art der Versorgung der Dorfarmen durch den „Umgang“, das heisst die zeitlich begrenzte Aufnahme Dorfarmer in die Haushalte der Reicheren, etwa während einer Woche oder eines Monats, bis sie ins nächste Haus geschickt wurden. Durch den Kauf oder Bau eines Armenhauses entledigten sich die Reichern dieser ungeliebten temporären Hausgenossen.
Vor allem in katholischen Regionen konnten Armenhäuser aber auch von Ordensschwestern im Stil einer den Lebensablauf regelnden Institution betrieben werden. Die Armen hatten dann kollektiv, nicht familiär-individuell, unter Anleitung den Hausarbeiten zu obliegen und vielfach auch Ländereien, die solchen Armenhäusern zugewiesen waren, zu bewirtschaften. Es waren vor allem diese Armenhäuser, welche bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auch noch Kinder beherbergten.
Im 19. Jahrhundert, dem „Jahrhundert der Anstalten“, wurden die Institutionen für Randständige und Arme zunehmend spezifiziert. Je grösser der Verwaltungsbezirk war, welcher solche Anstalten führte, desto eher konnten spezialisierte Institutionen gegründet werden. Deshalb setzte dieser Prozess zuerst in grösseren Städten oder auf kantonaler Ebene ein. So erfolgte die Ausdifferenzierung in Kinderheime, Jugenderziehungsheime, Heime für Schwangere, Mütter und Kleinkinder, Arbeits-, Korrektions- und Zuchtanstalten für Frauen und Männer, oftmals geschlechtergetrennt, zunehmend auch unter Auseinanderreissung von Familien, die vorher noch in Armenhäusern zusammenlebten.
War schon der in der Nachfolge von Pädagogen wie Pestalozzi im 19. Jahrhundert forcierte Ausbau von Institutionen für arme Kinder und Jugendliche unter Titeln wie „Rettungsanstalt“ oder „Pestalozziheim“ in gewisser Hinsicht der Ausfluss einer Professionalisierung der Kinderfürsorge, eben durch Pädagogen, gewesen, allerdings in starker Konkurrenz oder auch in Kooperation mit christlich motivierten Anstaltsleitenden, so kam es gegen Ende des 19. und im 20. Jahrhundert im Zug der Professionalisierung weiterer Expertengruppen zu einem starken Ausbau der Fremdplatzierung von Kindern sowie der Versorgungsarten und Anstaltstypen.
Es entstanden Blindenanstalten, Institutionen für Taubsstumme, Epileptiker und psychisch Abnorme, vielfach unter ärztlicher oder heilpädagogischer Leitung.
Diese Institutionen hatten entweder Kinderabteilungen oder nahmen auch Kinder auf. Das gilt insbesondere auch für die Frühzeit der psychiatrischen Kliniken, etwa bis 1920, in einigen Regionen auch länger.
In den grösseren Städten, zuerst in Zürich, profilierten sich im Fürsorgewesen auf die Kinderfürsorge spezialisierte Expertengruppen: Schulärzte, Kinderpsychiater und Amtsvormunde sowie Kinderfürsorgerinnen und Fürsorgerinnen für Schwangere, Mütter und Kleinkinder. Sie drängten auf die Errichtung kinderspezifischer Institutionen mit wissenschaftlicher Begleitung (Beobachtungsheime, Landerziehungsheime, kinderpsychiatrische Stationen, Säuglingsheime, Krippen). Viele dieser neuen Institutionen wurden, ausgehend von zentralen kantonalen oder städtischen Instanzen, als „Satelliten“ auf der Landschaft, teilweise auch in anderen Regionen, gegründet. Im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung entstanden zudem Lungenheilstätten, darunter solche für Kinder. Landesweit propagierte die 1912 von der gemeinnützigen Gesellschaft, Ulrich Wille junior und anderen gegründete Stiftung Pro Juventute den Ausbau solcher Strukturen und konnte sie durch das Privileg der Pro-Juventute-Sondermarke auch finanzieren.
In den katholischen Landesteilen, aber auch in konfessionell durchmischten Gebieten wie Thurgau oder St. Gallen, blieben die Brüder und Schwestern der verschiedenen Orden auf dem Gebiet der Kinderfürsorge aktiv. Es kamen auch neue katholische Organisationen auf diesem Gebiet hinzu, so etwa die Menzinger Schwestern (gegründet 1844, ursprünglich vor allem auf die Erziehung von Mädchen spezialisiert) oder seraphische Liebeswerk. Dieses wurde 1893 in Koblenz gegründet und verbreitete sich von da aus bald in die katholischen Teile der deutschsprachigen Schweiz. Es war, vor allem auch durch die Person Fritz Spielers, in der kinderpsychiatrischen Fachwelt und in der Kinderheim-Szene der Schweiz weithin vernetzt.
Auch kleinere religiöse Gemeinschaften, so etwa die Heilsarmee, gründeten und betreiben zahlreiche Kinderheime, ebenso führen die jüdischen Gemeinschaften teilweise eigene Kinderfürsorgeinstitutionen.
Mäzene, Stifter und pädagogisch motivierte Privatpersonen finanzierten und eröffneten weitere Heime. Im Kanton Zürich, aber auch in andern Kantonen, durfte jedermann, mit einer nicht an spezifische Qualifikationen geknüpften behördlichen Bewilligung, ein Kinderheim eröffnen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Institutionen hinzu, welche Waisen aus aller Welt in der Schweiz aufnahmen, so das Pestalozzidorf in Trogen. Ebenso waren vor allem ab 1944 schon jüdische Kinder und Kriegswaisen aus dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen worden, allerdings nicht mit dem Ziel von deren Verbleib in der Schweiz. Andere Organisationen wie das 1960 in Lausanne von Edmond Kaiser gegründete Hilfswerk Terre des Hommes gründeten ab den 1980er Jahren Kinderheime in der Dritten Welt, um die befürsorgten Kinder nicht in der Schweiz ihren Kulturen zu entfremden. In neuerer Zeit haben sich spezielle Institutionen für Asyl suchende Flüchtlingskinder, die oft unbegleitet aus Kriegsgebieten wie Liberia oder Somalia in der Schweiz eintreffen, gebildet. Auch für diese Kinder ist der Verbleib in der Schweiz nicht die Hauptperspektive, da ihre Asylersuchen oft abgewiesen werden.
Nach dem Abbau der Ausgrenzung gegenüber unverheirateten Müttern und nach Einführung der empfängnisverhütenden Pille zu Ende der 1960er Jahre waren zur Adoption freigegebene Schweizer Kinder für Schweizer Adoptionswillige zur gesuchten Rarität geworden. In der Folge entwickelte sich die Fremdplatzierung von Kindern armer Mütter aus der Dritten Welt, seit 1989 zunehmend auch aus Osteuropa, in Schweizer Adoptionsfamilien, wobei es neben legalen Verfahren auch einen Adoptivkinderhandel gibt.
Ein Spezialfall der Fremdplatzierung von Kindern war das „Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse“, welches von 1926 bis 1923 als Annexorganisation der Pro Juventute gezielt Kinder von Schweizer Jenischen aus ihren Familien riss und bei nicht-jenischen Familien oder in Anstalten fremdplatzierte, mit der erklärten Absicht, sie ihrer als Bedrohung und „Schandfleck“ geschilderten Herkunftskultur zu entfremden. Dies hat Vorläufer in der Kindswegnahme an Jenischen in Luzern ab 1825 sowie in entsprechendem Vorgehen gegen Sinti und Roma in Deutschland und Österreich seit dem 18. Jahrhundert.
Mit dem Zuzug von Arbeitsmigranten in die Schweiz, vor allem in der Konjunktur ab de 1950er Jahren, stieg die Anzahl ausländischer Kinder unter den Fremdplatzierten in der Schweiz; sie dürfte überproportional zum ausländischen Bevölkerungsanteil sein, was aber abzuklären und hinsichtlich der Ursachen näher zu erforschen wäre.
Seit der Mechanisierung der Landwirtschaft ist die Fremdplatzierung von Kindern als Kostkinder, Verdingkinder oder Hütekinder bei Bauern stark zurückgegangen. In Reaktion auf die Untersuchungen zu Hospitalismus- und Deprivationssyndromen bei Anstaltskindern sowie auf Kritikwellen am schweizerischen Anstaltswesen Mitte der 1940er und anfangs der 1970er Jahre, schliesslich auch im Zug eines neoliberal inspirierten Kostensenkungsefforts im Sozialwesen ab den 1980er Jahren, ging auch die Zahl der in Heimen und Anstalten fremdplatzierten Kinder zurück.
Zugenommen hat hingegen die Zahl von fremdplatzierten Kindern bei Pflegefamilien oder die in Krippen, Spielgruppen, Horten, in Tagesschulen oder bei Tagesmüttern. Der allerdings praktisch überall noch hinter dem Bedarf her hinkende Ausbau der letztgenannten Platzierungsformen bezweckt keine Trennung von der Herkunftsfamilie mehr, sondern soll dem aus wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen der Gleichberechtigung zeitgemässen neuen Familienmodell Hilfestellung bieten, in dem Vater und Mutter Erwerbsarbeit verrichten. All diese Kinder werden heute nicht mehr, wie in vielen früheren Versorgungsformen gängig, als Arbeitskräfte eingesetzt. Vielmehr bildet ihre Pflege und die dafür von den versorgenden Zahlstellen ausgezahlte Entschädigung einen Teil des Arbeitseinkommens der Pflegeeltern. Dies gilt auch für neuere Initiativen der Förderung von Pflegeverhältnissen in ländlicher Umgebung, etwa im Raum Emmental, welche in der ländlichen Abgeschiedenheit und im Umgang mit Pflanzen und Tieren, ähnlich wie entsprechende neuere therapeutische Ansätze der Heilpädagogik, einen erzieherischen Surplus gegenüber Platzierungen in städtischen Verhältnissen sehen. In neuester Zeit werden vermehrt gerade auch als Problemfälle angesprochene Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien fremdplatziert, wobei ein Pflegeelternteil häufig über eine spezialisierte Ausbildung im sozialpädagogischen Bereich verfügt, dessen spezifische Pflegeleistung auch einen therapeutischen Aspekt hat und entsprechend höher vergütet wird.
Bessere Kontrolle, Supervision und Begleitung solcher Einzelplatzierungen soll Missbräuche minimieren, Konflikte deeskalieren und Zusatzkompetenzen vermitteln und nutzen.
Zum Feld der Fremdplatzierung gehören schliesslich auch Schulinternate der Luxusklasse, wo vor allem Kinder aus reichem Elternhaus versorgt werden, sowie zum Zweck der sprachlich-kulturellen Weiterbildung absolvierte Aufenthalte in anderen Landesteilen (z.B. das sogenannte „Welschlandjahr“, Austauschjahre in andern Ländern, vor allem von Schülerinnen und Schülern von Gymnasien, sowie Sprachkurse)
Der „cultural turn“ der neueren Historiografie sowie die erneute Hinwendung zur biografischen Forschung, neu jedoch nicht mehr nur der Grossen und Mächtigen, sondern auch der Menschen aus den unteren Schichten, vor allem auch mit Mitteln der oral history, die im Forschungsfeld Mutterschaft, Kindheit und Erziehung zentralen Fragestellungen der Gender-Forschung sowie einzelne herausragende und epochemachende Werke zur Geschichte der Kindheit (Philippe Ariès, Lloyd de Mause) sowie zur Geschichte von Institutionen (Michel Foucault, Erving Goffman) haben in letzter Zeit die Thematik der Fremdplatzierung von Kindern mehr ins Interesse der Sozialgeschichte gerückt. Waren es zunächst die Auseinandersetzungen um Fremdplatzierungen zum Zweck der Dekulturation, wie sie den Native Americans, den Aborigines, den Sami und den Jenischen sowie Angehörigen anderer Minderheitsgruppen widerfuhren, sind es nun vermehrt auch die Angehörigen der Mehrheitskulturen, welche in den Focus der Erforschung der Geschichte der Fremdplatzierung von Kindern genommen werden.
Dennoch ist dieses Forschungsfeld, auch was die Schweiz betrifft, in vieler Hinsicht Neuland. Ich verweise darauf, was ich unter dem Abschnitt „D. Forschungsstand, Literaturhinweise“ meiner Ausführungen zu Zürich und Graubünden schrieb, weil ich dort auch die gesamtschweizerisch angelegten Darstellungen sowie Einzeldarstellungen aus verschiedenen Regionen erwähnte. Vor allem entspricht die angestrebte Aufarbeitung dieses Kapitels der Schweizer Geschichte einem Bedürfnis der in solchen Institutionen und Pflegeverhältnissen Aufgewachsenen, welche ihre Geschichte vielfach autobiografisch aufarbeiteten. Es ist jedoch auch eine Thematik von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, wie anlässlich mehrer politischer und forschungspolitischer Debatten festgehalten wurde. Zudem kann der historische Rückblick Orientierungswissen für die gegenwärtige und zukünftige Praxis der Fremdplatzierung von Kindern liefern.
Die Stichproben aus den Kantonen Bern, Zürich und Graubünden haben ergeben, dass vor allem in den staatlichen Archiven, aber auch in den Archiven privater Institutionen und Organisationen eine breite Vielfalt von Quellen, insbesondere auch relativ ausführlicher Personenakten des Fürsorge- und Vormundschaftsbereichs, vorhanden sind, deren Erforschung durch aussenstehende Forschende gerade am Anlaufen ist, jedoch erst in regionalen Ansätzen. So dürfte es auch in den übrigen Kantonen der deutschsprachigen Schweiz sein.
Zudem existiert ein reiches Schrifttum der einzelnen Institutionen und Organisationen in Form von Jubiläumsschriften, Zeitschriften und Konzepten. Ferner gibt es Memoiren und Einzelschriften von Exponenten der involvierten Professionen.
Diese organisierten auch Tagungen oder äusserten sich in einer reichen berufsspezifischen Fachpresse. Zahlreiche Diplomarbeiten an Schulen für Soziale Arbeit sowie Dissertationen und Fachpublikationen liegen vor.
Der Reiz eines national ausgerichteten Forschungsprojekt liegt darin, dass regionale Besonderheiten herausgehoben, aber auch nationale (und internationale) Vernetzungen dargestellt werden können. Die Berücksichtigung des biographischen Aspekts von Einzelschicksalen Fremdplatzierter, die in vielen Fällen quer über die ganze Schweiz hin herumgeschoben an verschiedenen Orten aufwuchsen, ist zudem nur in einem solchen nationalen Rahmen zu leisten.
Eine Aufteilung (unter gegenseitiger Vernetzung) in ein
Projekt, welches die Geschichte der Fremdplatzierung in Institutionen
untersucht und in ein Projekt betreffend Fremdplatzierung bei Privaten, wie es
in Gestalt des im März 2004 von Prof. Dr. Ueli Mäder beim Nationalfonds
eingereichten Forschungsprojekts mit dem Titel „Verdingkinder, Schwabengänger,
Spazzacamini und andere Formen von Fremdplatzierung und Kinderarbeit in der
Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert“ vorliegt, dürfte von Vorteil sein, wobei
allerdings die Überschneidungen in vielen Lebensläufen Betroffener, die im Lauf
ihrer Kindheit und Jugend sowohl bei Privaten wie in Institutionen
fremdplatziert waren, zu berücksichtigen sind. Zwar ist auch für ein Projekt
betreffend die in Insitutionen Fremdplatzierten der biographische Aspekt und
damit die Berücksichtigung von Selbstzeugnissen und die Erstellung von
Interviews wichtig.
Für die privat Fremdplatzierten ist dieser Weg jedoch der
Königsweg der Forschung, da vor allem in ländlichen Verhältnissen weniger
Personenakten zu diesen Lebensgeschichten vorliegen dürften und diese ohne
Hinweise von Betroffenen auch schwierig auffindbar wären. Zur Mitarbeit im
eingereichten Verdingkinderprojekt haben sich 250 Betroffene gemeldet; diese
Ausgangslage sollte genutzt werden, sind doch viele der Zeitzeugen unterdessen
in höherem und höchstem Alter.
Es ist anzunehmen, dass ein ähnlicher Aufruf in den Medien betreffend an die in Institutionen fremdplatziert Aufgewachsenen ein ähnlich breites Echo auslösen würde.
Zum
Umgang mit fremdplatzierten Kindern und Jugendlichen im und aus dem Kanton
Zürich während des 20. Jahrhunderts, mit kurzen Hinweisen zur selben Thematik
in Graubünden
Dr. Thomas Huonker, Zürich
Mandat OFES/ Recherche EESP Lausanne
zur Abklärung von Institutionsgeschichte, Quellenlage und Forschungsstand der Thematik im Hinblick auf deren landesweite Erforschung (Rapport d’étape de l’étude exploratoire sur le traitement des orphelins et les placements d’enfants au 20e siècle) Juli 2004
A. Historische Entwicklung. Gesetze, Institutionen,
Diskurse
Das Zürcher Armengesetz von 1836 sprach ausdrücklich nur Arbeitsunfähigen Armenunterstützung zu und verlangte von diesem gemäss einer jahrhundertealten Terminologie „würdige Arme“ genannten Personenkreis aus Alten, Kranken, Invaliden und Kleinkindern folglich auch keine Arbeitsleistungen, im Gegensatz zu den als „Kostkinder“ zu Bauern oder Handwerkern verbrachten gesunden Kindern und Jugendlichen, die in den jeweiligen Pflegeplätzen meist strenge Arbeit zu leisten hatten. Das Armengesetz von 1836 enthielt keine Bestimmungen zur Einführung von Arbeitshäusern, obwohl solche, etwa in Form des Zuchthauses Oetenbach in der Stadt Zürich, bereits bestanden oder zum Beispiel in Gestalt der Armenanstalt Kappel im gleichen Jahr 1836 durch die Gemeinnützige Gesellschaft auf privater Basis eingerichtet wurden.
Die Einweisung in solche Zwangsarbeitsanstalten, oft auch in ausserkantonale Institutionen, erfolgte im Vollzug gerichtlicher Urteile oder auf blosse Weisung der Behörden, ab 1846 gemäss den Bestimmungen des damals erlassenen Zürcher Armenpolizeigesetzes. 1874 ergänzte der Kanton Zürich seine diesbezügliche Gesetzgebung und Praxis durch die Einrichtung von Korrektionsanstalten und einer entsprechenden Gesetzgebung zur Besserung „Arbeitsscheuer“ und „Liederlicher“.
1912, mit dem Vollzug der Bestimmungen des schweizerischen Zivilgesetzbuches und dessen Einführungsgesetz für den Kanton Zürich, wurden die Kompetenzen der staatlichen Fürsorge vereinheitlicht und systematisiert. Ein grosser Bereich der mit Zwang verbundenen Fürsorge wurde unter dem Titel der Bevormundung, (die vorher Bevogtigung hiess), auf eine einheitliche rechtliche Basis gestellt. Durch Einrichtung und Ausbau von Amtsvormundschaften, zuerst (ab 1908) in der Stadt Zürich, ab 1919 schrittweise auch in den Zürcher Landbezirken, ersetzten und ergänzten neue administrativrechtliche Kompetenzen die früheren Regelungen der Armenpolizei. Die Polizei spielte jedoch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Zuführung von behördlich Vorgeladenen, bei Kindswegnahmen, bei Anstaltseinweisung und Wiedereinbringung von aus Anstalten Entwichenen.
Die Bevormundung betraf sowohl die den entsprechenden Bestimmungen des ZGB und der zuerst kantonalen, erst ab 1942 eidgenössischen Strafgesetzgebung unterzogenen „selbst- oder gemeingefährlichen“ „liederlichen“, „arbeitsscheuen“, „misswirtschaftenden“ oder „lasterhaften“ Erwachsenen, darunter insbesondere auch Süchtige, Geisteskranke, Urteilsunfähige, strafrechtlich Verurteilte, als auch deren Kinder, vor allem aber auch die neugeborenen Kinder ansonsten unbescholtener unverheirateter Frauen und schliesslich auch die eigentlichen Waisen. Der in vielen Zürcher Gemeinden, auch in der Stadt Zürich, lange verbliebene Name „Waisenamt“ für die mit Bevormundungen befassten Behörden ist somit in gewisser Weise irreführend. Die eigentlichen Waisen bildeten nur eine verschwindend kleine Minderheit in der Klientel dieser Ämter.
Hingegen rückte die Waisen- und Jugendfürsorge nun wieder in jene Nähe zum institutionellen Umgang mit erwachsenen sozialen Aussenseitern, welche schon die Frühzeit des 1637 gegründeten Zürcher Waisen- und Zuchthauses Oetenbach als gemeinsame Einschliessungs- und Arbeitsanstalt für Waisen, Ketzer und Missetäter geprägt hatte, bis 1771 das Zürcher Waisenhaus ein eigenes Domizil und, nunmehr reserviert für die Waisenkinder der inzwischen gesellschaftlich privilegierten Stadtbürger, ein vornehmeres Profil ohne Arbeitszwang, dafür mit gut ausgebautem Bildungsangebot erhielt, bis das Gebäude 1912, unter einem der ehemaligen Zöglinge, welcher zum Stadtpäsident avanciert war, Amtshaus der Stadtregierung wurde.[1]
Ein Markstein der erneuten institutionellen Vermengung von Jugendfürsorge mit administrativrechtlichen Massnahmen gegen erwachsene Aussenseiter der Gesellschaft im 20. Jahrhundert ist das Zürcher „Gesetz über die Versorgung von Jugendlichen, Verwahrlosten und Gewohnheitstrinkern“ vom 24. Mai 1925, worauf schon dessen eigenartiger Titel verweist.
Um die zürcherischen Zuständigkeiten bei der Fremdplatzierung von Jugendlichen im 20. Jahrhundert zu verstehen, muss des weiteren erwähnt werden, dass keineswegs nur bevormundete Kinder fremdplatziert wurden. Solche Massnahmen, zum Beispiel die so genannte „geschlossene Fürsorge“ unter Auftrennung der Familie, Einweisung der Erwachsenenen in Zwangsarbeits- oder sonstige Anstalten, der Kinder in Pflegefamilien, Kinderheime respektive Erziehungsanstalten[2] oder auch nur die Wegnahme und Fremdplatzierung der Kinder ohne Anstaltseinweisung der Eltern konnte auch gegenüber nicht bevormundeten Befürsorgten beschlossen und durchgeführt werden.
Wichtig ist ferner die Kontinuität des auch im Kanton Zürich bis ins Mittelalter zurückgehenden Kostkinderwesens, im 20. Jahrhundert in Zürich Pflegekinderwesen genannt, wobei die Bezeichnung Kostgeld für Bezahlung von Grundbedürfnissen der Fremdplatzierten wie Kleidung, Nahrung und anderen Grundbedarf teilweise bis heute weiter verwendet wird. Diese althergebrachte Art der Fremdplatzierung spielte sich oft auf rein privater Basis ab, ja – im Gegenzug zum Ausbau der Kontrolle der sozialen Instanzen über die Kindererziehung, welche sich im 19. und zwanzigsten Jahrhundert etwa mit der Schulpflicht kontinuierlich verschärft hatte – teilweise sogar gerade in Formen, welche dazu dienten, die in Privatpflege platzierten Kinder eben nicht in die Zuständigkeit der staatlichen Instanzen fallen zu lassen. Dieses Verhalten ist unter anderem in vermögenderen Kreisen auch heute noch häufig; Schicksalsschläge werden so unter Einsatz vorhandener eigener Ressourcen in den eigenen Kreisen ausgeglichen, unter Meidung stigmatisierender staatlicher Fremdplatzierungs-Institutionen. Es war jedoch das Bestreben der sozialen Institutionen, möglichst alle diese privaten Fremdplatzierungen staatlich zu kontrollieren und zu regeln. Deshalb und auch in der Folge der sozialreformerischen Debatten über Missstände betreffend die Kinderarbeit in Fabriken erliess der Kanton Zürich 1893 eine im Vergleich zu anderen Kantonen frühe Verordnung zur Aufsicht über die Kostkinder durch die kantonale Gesundheitsdirektion. Die Wirksamkeit dieser Verordnung war jedoch begrenzt, vor allem deshalb, weil längst nicht alle Pflegekinder der kantonalen Aufsichtsbehörde gemeldet wurden, weder von allen Pflegeeltern noch von den leiblichen Eltern (falls sie noch lebten), und auch von den Gemeinden bei weitem nicht in allen Fällen. Umgekehrt hatte die für diese Kontrolle neu zuständig gemachte, jedoch auch anderweitig vielbeschäftigte kantonale Gesundheitsdirektion keine Kapazität zur faktischen Kontrolle der Pflegeverhältnisse der Kostkinder vor Ort.
Gründlichere Kontrollen als gegenüber den vielfach ländlichen Pflegeeltern entwickelte der Staat angesichts der sozialen Notstände in den gegen Ende des 19. Jahrhunderts rasch wachsenden Arbeiterquartieren der Stadt Zürich gegenüber Eltern vorab der Unterschicht, insbesondere gegenüber Familien, wo Mann und Frau arbeiten mussten und keine Dienstboten zur Verfügung standen, um die Kinder zu beaufsichtigen, sowie gegenüber Alleinerziehenden, und noch verschärft gegenüber solchen in billigen, aber unhygienischen Wohnlagen sowie gegen solche, deren Elendsleben durch Entlassung, Unfall, Krankheit, Prostitution oder Trostsuche in übermässigem Alkoholkonsum sich noch verschlimmerte. Aus diesen „Milieux“ heraus wurde Unheil befürchtet, und es wurde zu deren „Sanierung“ geschritten.
„Wenn die Gemeinschaft, die Oeffentlichkeit mit verschränkten Armen zusieht, wie Kinder unter Misserziehung in der Hand roher, herzloser und genusssüchtiger Eltern verkümmern, wenn sie das Verderben solcher Kinder mit mathematischer Sicherheit erkennt, mit Händen greifen kann, aber nicht dagegen einschreitet, keine Verwaltungsbehörde, kein Gericht, kein Arbeitgeber rechtzeitige Massnahmen ergreift – ist es dann so verwunderlich, wenn aus böser, unheilvoller Saat wieder schlimme Frucht erwächst?“ [3]
Die Antwort auf diesen anonymen behördlichen Ausruf aus dem Jahr 1907 war die Einrichtung der Amtsvormundschaft (in der Stadt Zürich ab 1908) zwecks vorauseilendem Vollzug der entsprechenden Bestimmungen des ZGB, das aber landesweit erst 1912 abgesegnet war. Dies führte in den nächsten Jahrzehnten zu einer rasch steigenden Anzahl von behördlich veranlassten, als Zwangsmassnahme durchgeführten Fremdplatzierungen von Kinder, beginnend in der Stadt Zürich.
Während die Stadt Zürich bereits ab 1908, mit der Schaffung der Amtsvormundschaft und anderer kinderfürsorgerischer Institutionen, den Ausbau neuer Instanzen zur Erfassung und Kontrolle von „verwahrlosten“ Kindern und der Durchführung ihrer Fremdplatzierung betrieb, folgten entsprechende Schritte für die Landgebiete des Kantons Zürich erst in den Jahrzehnten nach dem ersten Weltkrieg. Der erste Weltkrieg hatte durch die Notlage vieler Familien, deren Ernährer ohne Erwerbsersatz ins Militär aufgeboten wurden, zahlreiche nunmehr noch offenkundiger „verwahrloste“ Kinder ins Blickfeld der sozialen Instanzen gerückt.
Die ebenfalls 1912 in Zürich gegründete Stiftung Pro Juventute gab den damaligen Anliegen der Jugendfürsorge durch gezielte Mobilisierung sozial hochrangiger Persönlichkeiten einen zusätzlichen Schub. So gründete die Pro Juventute 1917 die „Vorstation“ zur kinderpsychiatrischen und pädagogischen Abklärung der Notwendigkeit und Art der Fremdplatzierung, aus welcher ab 1920 die kinderpsychiatrische Beobachtungsstation des Burghölzli herauswuchs. Diese wurde seitdem in der Stephansburg in Zürich gleich neben der psychiatrischen Klinik betrieben und 1944 ins Kinderheim Brüschhalde in Männedorf verlegt.
Die Übernahme privater Organisationsstrukturen sowie auch von Personal der Pro Juventute durch staatliche Instanzen wiederholte sich beim Aufbau der Bezirks-Jugendkommissionen und Bezirks-Jugendsekretariate; diese waren in vielen Bezirken des Kantons Zürich bei ihrer Gründung personenidentisch mit den Bezirkskommissionen und Bezirkssekretariaten der Pro Juventute und blieben mit der Pro Juventute über Jahrzehnte hinweg finanziell und personell eng verbunden. Obwohl die bis 1986 stets von einem Bundesrat präsidierte Pro Juventute auch in der übrigen Schweiz eine grosse Wirksamkeit entfaltete, gut finanziert mit dem staatlicherseits vergebenen Privileg der postalischen Sondermarke, einer aus Schweden übernommenen Idee, ist eine solch enge Verknüpfung der staatlichen Jugendfürsorge mit einer privaten Institution höchstens noch mit dem allerdings auf weit älteren Traditionen fussenden Zusammenspiel zwischen kirchlichen und staatlichen Institutionen der Jugendfürsorge zu vergleichen, dessen Fortwirken in vielen, nicht nur katholischen, Kantonen auch im 20. Jahrhundert zu konstatieren ist. Auch in diesen Bezirks-Jugendkommissionen waren die Pfarrer und Pfarrersfrauen gut vertreten.
Die Pro Juventute sah ihre Aktivitäten auch als Abwehr gefährlicher gesellschaftlicher Kräfte, denen in ihrer Sichtweise gerade die Jugend anheim zu fallen drohte. Der Weltkrieg und vor allem der Generalstreik hatten solche Ängste in bürgerlichen und bäuerlichen Kreisen stark aktiviert.
Auch solche Einschätzungen spielten bei der weiteren zürcherischen Gesetzgebung mit, welche, zumindest im Titel des erwähnten Gesetzes von 1925, die gesamte Jugend als zu versorgende Gruppe ins Auge fasste.
Der Grundgedanke der administrativen Versorgung war eine Rückkehr oder eine Kontinuität der Ängste des 19. Jahrhunderts vor den „classes dangereuses“ und der Versuche ihrer Besserung in Arbeitsanstalten. So schreibt Lore Bollag-Winizki in ihrer juristischen Dissertation über „Die sichernden Massnahmen für Jugendliche, Verwahrloste und Gewohnheitstrinker im Kanton Zürich“ aus dem Jahr 1940 „Versorgt werden sollen, ganz allgemein ausgedrückt, Menschen, die für die Gesellschaft eine bestimmte Gefahr bedeuten.“ [4]
Gründung und Ausbau des kantonalen Zürcher Jugendamtes und der Bezirks-Jugendkommissionen erfolgten ab 1919 wie gesagt in enger Kooperation mit der Pro Juventute. Der erste Vorsteher des Jugendamts von 1919 bis 1935, der nachmalige Regierungsrat Robert Briner, schreibt dazu: “Was lag da näher, als so rasch wie möglich persönliche Fühlung zu nehmen mit den zürcherischen Sekretären Pro Juventute.“ [5]
Die Entstehung des Jugendamts wird noch im Rückblick auf die eigene Geschichte, wie sie das Zürcher Jugendamt im Jahr 1969 selber publizierte, im Hinblick auf die damaligen Ängste dargestellt. Emil Jucker, Leiter des Regionalsekretariats Pro-Juventute-Zürich-Land (von 1919-1930) und (in Personalunion) kantonaler Jugendsekretär des Bezirks Hinwil (1919-1955), erwähnt in seinen Erinnerungen, dass er als Rekrut zur Bekämpfung der Zürcher Streikbewegung aufgeboten war,[6] und er sah die Jugendarbeit der Zeit nach dem 1. Weltkrieg als Teil der Verarbeitung der Auswirkungen des Generalstreiks.[7] Der damalige Zentralsekretär der Pro Juventute und spätere Professor für Heilpädagogik an der Universität Zürich Heinrich Hanselmann war „richtig unglücklich, dass in der Schweiz ein Generalstreik mit revolutionären Absichten überhaupt möglich geworden war“;[8] der Gründer der Pro Juventute und ihr Stiftungskommissionspräsident bis 1958, Ulrich Wille junior, war wie sein Vater, der General, Truppenführer im inneren Einsatz gegen die Streikbewegung. Aus ihrer politischen Optik heraus waren diese Männer unfähig zu akzeptieren, dass die Hauptforderungen des Generalstreiks – Achtstundentag, Frauenstimmrecht, Alters- und Hinterbliebenenversicherung – sozialpolitisch unabwendbare Reformschritte waren, die nach der erfolgreichen militärischen Niederschlagung des Streiks in der Schweiz im internationalen Vergleich zwar mehrere Jahrzehnte lang hinausgezögert, doch nicht verhindert werden konnten.
Dem 1919 unter diesen Auspizien eingerichteten kantonalen Zürcher Jugendamt oblag seit 1921 auch die Aufsicht über das Pflegekinderwesen in den ländlichen Bezirken des Kantons Zürich, wobei es die faktische Aufsicht an die Bezirks-Jugendsekretariate delegierte.
„Wenn wir uns heute über den heutigen verhältnismässig hohen Stand der Sorge um die Pflegekinder freuen, so mag interessieren, dass wir diesen Fortschritt ausschliesslich der vom Jugendamt schon im Sommer 1921 geschaffenen besondern Verordnung und der unermüdlichen Arbeit unserer Bezirks-Jugendsekretariate und ihrer Helferinnen verdanken. Gemäss der früheren Rechtslage war die kantonale Gesundheitsdirektion für die Erteilung einer Bewilligung zur Aufnahme von ‚Kostkindern’ zuständig! Folge dieser längst überholten Regelung: von diesen damals wenigstens 3000 schutzbedürftigen Kindern war kein Zehntel in Zürich gemeldet!“ [9]
In den Jahresberichten der Bezirks-Jugendkommissionen nach 1921, also nach Einführung der neuen Aufsichtsinstanzen, finden sich jedoch weiterhin Hinweise darauf, dass auch unter Einsatz der erweiterten Kontrollkapazitäten dieser neuen Institutionen, des Jugendsekretariats selber sowie der sie begleitenden Bezirks-Jugendkommissionen nebst ihren „Vertrauensleuten“ in den Gemeinden, meist Pfarrer und Pfarrfrauen, Lehrpersonen und Lehrersgattinnen sowie Gemeindeschwestern oder Gemeindebehördenmitglieder, viele Pflegeverhältnisse nach wie vor ungemeldet blieben.
„Aus den Berichten der Fürsorgerinnen geht hervor, dass der Verkehr mit den örtliche Behörden wieder recht gut war; aber nur wenige wissen von der Anmeldepflicht zu sagen, dass sie einigermassen beachtet wurde. Wie unangenehm es ist, wenn dann bei den Anmeldungen noch unrichtige oder nur ungenügende Angaben gemacht werden, davon wissen Jugendanwalt und Bezirksgerichtsschreiber zu berichten. Es ist selbstverständlich, dass die Fürsorgerinnen erneut darauf aufmerksam gemacht worden sind, dass bei Pflegekindern in erster Linie der Inhaber der elterlichen Gewalt genannt sein muss. Nicht immer werden die Pflegeeltern gerühmt. Von unfreundlichem Empfang und von ‚Schnüffeleien’ hat man schon lange nichts mehr gehört. Es scheint aber, dass wohl besondere Umstände eine etwas gereizte Stimmung geschaffen haben, die sich dann zufällig an der Fürsorgerin auslöste.“ [10]
Jedoch konnten diese Instanzen auch immer wieder Fälle von Misshandlung, Vernachlässigung oder Ausbeutung von Pflegekindern aufdecken:
„Beanstandet wurden 8 Pflegeorte und zwar wegen ungenügender Erziehung 3, mangelnder Gesundheitspflege 3, ungünstigen Wohnverhältnissen 1, ungenügendem Lager des Kindes 2 Pflegeorte. 3 Pflegeverhältnisse wurden wegen Beanstandung aufgehoben und zwar wurde in einem Fall durch die Gesundheitsbehörde die Einzelbewilligung entzogen, in einem Fall erfolgte ein allgemeines Verbot zur Aufnahme von Pflegekindern und im 3. Fall wurden die Versorger zur Wegnahme des Kindes veranlasst. In 2 Fällen wurde die nachgesuchte Bewilligung zur Haltung von Pflegekindern verweigert.“ [11]
Zum Bezirk Meilen schrieb die dortige Jugendkommission:
„Über die bezahlten Kostgelder ist Folgendes zu bemerken: Ungefähr ein Viertel aller Kostkinder wird ohne Kostgeld gehalten. Für 4 Säuglinge wurden Fr. 40.- bis 80.- bezahlt. Alle vier befinden sich in Säuglingsheimen, die natürlich auf ein grösseres Kostgeld als private Leute angewiesen sind. Für die 31 vorschulpflichtigen Kinder werden monatliche Kostgelder von Fr. 20.- bis Fr. 60.- gemeldet und für schulpflichtige Fr. 10.- bis 60.- Dabei ist zu berücksichtigen, dass wohlhabende Pflegeeltern oft nur eine kleine Entschädigung verlangen. Nach unseren Erhebungen stammen die kleinsten Kostgelder von ausserkantonalen Armenbehörden. Die einzelnen Gemeindestellen machen in ihren Berichten nur kurze Bemerkungen. Eine einzige (Männedorf) meldet, dass die Anmeldungen der Pflegekinder durch die Gemeinderatskanzlei gewissenhaft erfolge. Eine andere Kontrollstelle erwähnt, dass noch nie so viel Klagen über freches Betragen der Pflegekinder eingegangen seien, wie im Berichtsjahr. Ein Pflegevater, der zugleich Vormund des Pflegekindes ist, widersetzte sich der Kontrolle; da aber der Pflegeort nicht als erstklassig bezeichnet werden kann, wird die Kontrolle weiter ausgeführt. Die Zahl der Pflegekinder ist ungefähr die gleiche, wie letztes Jahr, nämlich 138 (143). Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass unser Bezirk 10 Kinderheime und Anstalten zählt, in denen viele Kinder Aufnahme finden, die ohne diese Einrichtungen in Familien untergebracht würden.“ [12]
Auch im Bezirk Meilen war die Beziehung von Jugendsekretariat und –kommission zur Pro Juventute eng:
„Die Beziehungen unser Kommission zur Stiftung Pro Juventute sind so intensiv, dass wir nicht unterlassen dürfen, auch diese in unserem Bericht zu erwähnen. Für fast alle fürsorgerischen Massnahmen, die Geld benötigen, wenden wir uns an die Pro Juventute. Es ist dies um so eher möglich, als Präsident und Sekretär der Bezirksjugendkommission auch dem Vorstande dieser Stiftung angehören. Im Jahre 1930 wurden durch diese private Institution unseres Bezirkes ausgegeben: für Anstaltsversorgungen Fr. 1770.95; an Unterstützungen für einzelne Personen Fr. 767.35; an Organisationen Fr. 539.-; für Aufklärung Fr. 503.35.“ [13]
Ein wichtiges Motiv zu diesem aus anderen Regionen der Schweiz solch enger Verbundenheit nicht bekannten Ineinander und Miteinander von Instanzen des Kantons und der Pro Juventute war somit, nebst der ähnlichen geistigen Orientierung, auch die Einsparung von Staatsausgaben.
Insgesamt lebten 1930 im Kanton Zürich 3430 gemeldete Pflegekinder.[14]
„Die Aufsicht wurde unter Leitung der Bezirks-Jugendkommissionen von 194 Frauen (darunter 13 Pfarrfrauen, 33 Lehrerinnen, 13 Gemeindeschwestern, 4 Hebammen, 4 Fürsorgerinnen u.sw.) und 24 Männern ausgeübt. In 42 Fällen musste die Bewilligung entzogen oder verweigert werden. 64 Pflegeorte wurden beanstandet wegen ungenügender Pflege oder Erziehung. Gestorben sind während des Berichtsjahres 5 Pflegekinder.“ [15]
Total lebten 1930 „zwischen 48'000 bis 52’0000“ [16] Kinder zwischen 0 und 6 Jahren im Kanton Zürich, davon waren rund 1400 in Heimen und Anstalten untergebracht.[17] Schulpflichtige Kinder gab es 1930 im Kanton Zürich 76'500; davon lebten 900 „in Anstalten oder Sanatorien“ für „körperlich oder geistig gebrechliche Kinder“ [18] In staatlichen Zürcher Anstalten für Schwererziehbare lebten 199 Burschen, allerdings bis zum Alter von 25 Jahren, sowie 243 Mädchen. Viele weilten aber auch in ausserkantonalen Anstalten, ferner ebenfalls etliche in privaten Erziehungsanstalten. Diese Zahlenangaben sind wegen sich teils überschneidender, teils lückenhafter Aufzählungen insgesamt schwierig zu erfassen. Fest steht jedenfalls, dass die Zahl der Zürcher Kinder in Pflegefamilien damals weit höher war als die Zahl der in Anstalten Versorgten.
Die Statistik der Anstaltsinsassen und Pflegekinder ist ein Forschungsfeld, das eingehend bearbeitet werden muss. Es stellen sich dabei sofort viele Fragen. Vor dem Hintergrund der Zahlen von 1930 aus Zürich erscheinen z.B. die nationalen statistischen Angaben von 1928 etwas ungereimt, welche für die ganze Schweiz zur Anzahl der in „Erziehungs- (Besserungs-, Rettungs-) Anstalten lebenden Zöglingen die Anzahl von 1240 Insassen männlichen und 279 weiblichen Geschlechts nennen.[19]
In den Zürcher Landbezirken kam zur engen Verflechtung zwischen Jugendfürsorge, Pro Juventute und Amtsvormundschaft noch die Verbindung des Bezirks-Jugendsekretariats zur Bezirks-Jugendanwaltschaft hinzu. In einem Jahresbericht heisst es beispielsweise zum Jugendsekretariat des Bezirks Horgen, damals (1930) dotiert mit einer hauptamtlichen Sekretärin, einer hauptamtlichen Fürsorgerin und einer hauptamtlichen Kanzlistin: „Das Sekretariat besorgt zugleich die Geschäfte der Bezirks-Jugendanwaltschaft, der Bezirks-Amtsvormundschaft, der weiblichen Berufsberatung und der Pro Juventute“.[20]
Die Bezirks-Jugendanwaltschaft beschäftigte sich von vornherein nur mit delinquenten Jugendlichen, tat dies aber unter Verwendung von Informationsberichten, welche vom Bezirks-Jugendsekretariat oder dessen Vertrauensleuten zusammengetragen wurden. Diese Informatorentätigkeit hatte wiederum ihr Vorbild im Informations- oder Erkundigungsdienst des speziell in der Zeit des „Roten Zürich“ weiter stark ausgebauten städtischen Zürcher Fürsorgewesens, das schon vor Beginn des 20. Jahrhunderts professionelle „Informatoren“ beschäftigte. [21]
Zum später erfolgenden Ausbau des ländlichen Informationswesens der Sozialinstitutionen schreibt Eugen von der Crone, Jugendsekretär des Bezirks Pfäffikon seit 1939, im Jahr 1969 rückblickend folgendes:
„Im Jahre 1912 war das schweizerische Zivilgesetzbuch in Kraft getreten. Es stellte an die zuständigen Behörden besonders auf dem Gebiete des Vormundschaftswesens Anforderungen, denen sie oft nicht gewachsen waren. Wohl wären sie bereit gewesen, Massnahmen anzuordnen, aber es fehlte oft an geeigneten Männern und Frauen zu deren Vollzug. So lesen wir in einem Protokoll: ‚Die Waisenamtsmitglieder im kleinen Dorfe, welche genötigt sind, zum Schutze von Kindern deren Eltern die elterliche Gewalt zu entziehen, Informationen einziehen zu lassen, etc., setzen sich unter Umständen schweren Anfeindungen, wenn nicht sogar Tätlichkeiten aus.’ In den meisten Bezirken traten die Gemeinden an die Jugendkommissionen heran mit dem Antrag, die Jugendsekretariate möchten ermächtigt werden, vormundschaftliche Aufträge zu übernehmen.“ [22] Letzteres taten die Jugendsekretariate durchaus, als institutionelle Vorläufer der in einigen Bezirken erst später eingerichteten Bezirks-Amtsvormundschaften.
Es war ein und derselbe Personenkreis im jeweiligen Bezirk, welcher die Pflegekinder beaufsichtigte, allenfalls die Bevormundung über deren Eltern führte sowie die „Versorgung“ „gefährdeter“ oder „gefährlicher“ Jugendlicher in Heime und Anstalten besprach und vornahm. Damit nahm er den lokalen Gemeindebehörden, die oftmals im Milizsystem arbeiteten, belastende Fälle ab und wurde gegenüber den fremdplatzierten Kindern oder Jugendlichen und ihren Eltern zu einer regionalen Machtzentrale des Sozialbereichs.
Zuhanden dieses Personenkreises stellte das kantonale Zürcher Jugendamt 1936 die damals geltenden Gesetzesbestimmungen in einem Band von 485 Seiten zusammen.[23]
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beim Aufbau der heute noch existierenden sozialen Institutionen insbesondere auch der Jugendfürsorge im Kanton Zürich die Stadt Zürich in eigener Regie voranging, während der Kanton in den Landbezirken in enger Kooperation mit der Pro Juventute ab 1919 entsprechende Strukturen ausbaute. Robert Briner, der 1912 in der Stadtzürcher Jugendfürsorge zu arbeiten begonnen hatte, übertrug dabei die von der Stadt vorgespurten Aktionsbereiche und Bürokratisierungstufen der Jugendarbeit als Vorsteher des kantonalen Jugendamts (ab 1919) zielgerichtet auf die Zürcher Landschaft, bis schliesslich in einer Gegenbewegung auch die Stadt Zürich 1929 ein später in mehrere klientelspezifische Abteilungen aufgeteiltes eigenes Jugendamt einrichtete.
Da der kinderpsychiatrische und heilpädagogische Expertenkreis, welche die Entscheide der Sozialbehörden wissenschaftlich vorgab und absegnete, ein relativ eng vernetzter Kreis war, herrschte weit gehender Konsens darüber, was bei der Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen zu gelten hatte.
Die Kombination versorgender und einschliessender Fürsorge mit Justiz, Psychiatrie und Medizin konnte zu noch weit einschneidenderen Massnahmen führen, nämlich zu Sterilisation und Kastration, was gerade auch für Fürsorgezöglinge erwogen und angeordnet wurde, besonders oft in Fällen, wo die Bevormundung über das 20. Altersjahr hinaus verlängert wurde, sowie möglicherweise vorher schon gegenüber den Müttern, seltener auch Vätern solcher Kinder. Ein Ablauf, der zu einer solchen Kombination führen konnte, war beispielsweise die Fremdplatzierung eines unehelichen Kindes unter Sterilisation der Mutter gleich nach Geburt gemäss Schwangerschaftsgutachten eines Psychiaters und entsprechenden Schritten des Vormundes und des Chirurgen. In Zürich fanden diese Massnahmen ohne gesetzliche Regelung, aber unter Duldung der juristischen und übergeordneten politischen Instanzen statt. [24]
Es gab auch immer wieder Stimmen, welche die Einsicht aussprachen, dass die Bekämpfung der erwachsenen und der jugendlichen „Haltlosen“, „Asozialen“ oder „moralisch Defekten“ aus einer gemeinsamen Optik heraus und mittels derselben Massnahmen der Bevormundung und administrativen Versorgung allzu häufig dazu führten, dass aus den „gefährdeten“ Jugendlichen auch „gefährliche“ Erwachsene wurden, was vielfach zu lebenslangen Karrieren in Institutionen führte. Solche Kritiken waren oft Voten von Aussenstehenden oder ehemaligen Anstalts-Zöglingen, die von den Zuständigen meist zurückgewiesen oder schlecht wahrgenommen wurden. Es gab aber auch innerhalb der Expertenkreise Versuche, diese Teufelskreise zu durchbrechen.
So wurde das besser ausgestattete und wissenschaftlich expertisierte Landerziehungsheim, ursprünglich ein reformpädagogisches Luxus-Internat für Zöglinge aus reichen Familien wie etwa das Landerziehungsheim Glarisegg am Bodensee,[25] auch als Alternative zur „Blechtellermentalität“ der im 19. Jahrhundert gegründeten „Armenerziehungsanstalten“ und „Rettungsheime“ propagiert und in Zürich in Gestalt des Landerziehungsheims Albisbrunn 1924 realisiert. Das Landerziehungsheim Albisbrunn wurde in einem ehemaligen Hotel mit Hilfe mehrerer grosser Spenden eines reichen Mäzens eingerichtet und hatte im Unterschied zu den früher gegründeten (und weiter betriebenen) älteren Heimen und Anstalten keinen angegliederten Landwirtschaftsbetrieb.
„Im Jahre 1924 errichtete Herr Dr. Alfred Reinhart die Stiftung Albisbrunn mit einer erstmaligen Schenkung von Fr. 400'000.- Zweck der Stiftung war die Errichtung eines Erziehungsheimes für entwicklungsgestörte und nacherziehungsbedürftige Gruppen, nach den Plänen und Ideen von Herrn Dr. Heinrich Hanselmann, der, ein Pionier auf dem Gebiete des neuzeitlichen Erziehungswesens, über die bestehenden ‚Rettungsanstalten’ mit ihrer Blechtellermentalität hinauswies und an deren Stelle ein wirkliches ‚Heim’ schaffen wollte, das mit differenzierten Erziehungs- und Ausbildungsmöglichkeiten den Kindern aller Stände, auch den minderbemittelten, offen stehen sollte. So wurde nun vorerst eine geeignete Liegenschaft erworben. Um den Preis von Fr. 250'000.- konnte das Kurhaus Albisbrunn, in landschaftlich herrlicher Lage, aber mit überalterten und teilweise eher baufälligen Gebäuden, übernommen werden. (...) Während Herr Dr. Hanselmann sein pädagogisches Konzept in die Tat umzusetzen begann, mussten in wirtschaftlicher Hinsicht, zur Befriedigung der vermehrten Bedürfnisse dieses ganz neuen Heimtyps, auch neue Wege der Mittelbeschaffung gesucht werden. Die alte Weise, einer Erziehungsanstalt einen Bauernbetrieb anzugliedern und damit die ‚Selbsterhaltung’ zu statuieren, war nun überholt. Glücklicherweise war der Stifter nicht nur ein menschenfreundlicher Geldgeber, sondern von den bahnbrechenden Ideen Heinrich Hanselmanns innerlich ergriffen und von der Notwendigkeit überzeugt, Kindern, die durch irgendwelche Umstände auf die Schattenseite des Lebens geraten waren, ein Heim und die Möglichkeit zu bieten, für ein sinnvolles Leben vorbereitet zu werden. Herr Dr. Reinhart liess es deshalb nicht bei der Schaffung der Anfänge bewenden, sondern hielt noch durch ein Jahrzehnt, bis zu seinem Tode, seine helfende Hand über dem Werk.“ [26]
Später übernahm der Kanton die Finanzierung des Landerziehungsheims Albisbrunn, die jährlichen Kantonssubventionen betrugen in den Jahren 1959 bis 1962 zwischen 115'000 und 227'000 Franken.
1944 bemerkte Heinrich Hanselmann, es sei ihm „von gewissen Kreisen sehr übel genommen worden, dass er gewagt hatte, ein Heim, das auch arme und schwererziehbare Kinder aufnimmt, Landerziehungsheim zu nennen.“ [27]
Etwas anders sah diese Debatte aus der Perspektive der älteren, aber weiterexistierenden Institutionen aus, die noch unter Bezeichnungen wie „Rettungsanstalt“ erworben oder erbaut worden waren und lange mit diesen Namen verbunden blieben. So heisst es in einer Jubiläumsschrift des Friedheims Bubikon, 1847 unter dem Namen „Rettungsanstalt Friedheim Bubikon“ vom Stadtzürcher Staatsanwalt Johann David Rahn gegründet, im Jahr 1947:
„Jahre und Zeiten (...) haben unsere Rettungsanstalten geändert, ihren bedeutungsvollen Titel ausgestossen und sie zu Erziehungsanstalten und Erziehungsheimen ernannt. Schon das Unerträglichwerden jenes Wortes zeugt von einer Umwälzung. Nicht dass man sich erst später über dessen Sinn Rechenschaft gegeben und das Anmassende darin gefunden hätte, das sodann zum Anstoss wurde. Schon der Mitgründer und während 50 Jahren unermüdlich für die Anstalt tätige Bezirksrat Diethelm Hofmeister schreibt (...) 1863 (...) von der Umstrittenheit dieses Wortes und dass darunter niemals ein Erlöserwerk verstanden werden dürfe. Er begründet die auch andernorts eingeführte Bezeichnung ‚Rettungsanstalt’ mit dem Hinweis auf die christliche Aufgabe, auf die erste Pflicht der Anstalt, das Kind ‚dem Retter der Seelen, Christo zuzuführen’. So viel Deutlichkeit verträgt man heute schlecht. Wenn aber die ursprüngliche Bestimmung der Erziehungsanstalt mit dem Verschwinden der alten Bezeichnung in keiner Weise geschmälert oder abgebogen, sondern an der Überzeugung jener Gründer festgehalten wurde, tut der Name nichts zur Sache, ja wir empfinden sein Verschwinden als wohltuend und für das Kind erleichternd. Der Arme soll nicht arm genannt, dem Geretteten nicht von seiner Rettung gesprochen werden, am wenigsten beim Kind. An der Aufgabe braucht deswegen noch nichts geändert zu haben. Arme und Verlassene sind es heute noch, die das Heim bergen möchte. Auch damals verstand man darunter nicht nur Waisenkinder und Bedürftige, sondern auch Fehlbare und Verwahrloste, Asoziale, Willenlose und Belastete, die sich arm und verlassen nennen können. Das Friedheim war also nie, wie immer wieder angenommen wird, nur als Waisenheim gedacht. In den Berichten von damals wird im Gegenteil betont, dass vor allem den schlimmen Elementen der Vorzug bei der Aufnahme gegeben werden müsse. Ob nun die heutige Jugend bei ihrer grösseren Zersplitterung und Zerfahrenheit im allgemeinen als noch schlimmer dargestellt werden kann, bleibe dahingestellt.“ [28]
Die Entstehung solcher neuartiger Landerziehungs- oder auch Beobachtungs- und Schulheime sowie die parallele und konkurrierende Weiterexistenz bisheriger älterer Fremderziehungsinstitutionen hatte neben der langsamen Anpassung vieler älterer Anstalten an die neuen Standards zunächst eine Aufgliederung in gewissermassen „weiche“, aber für die Versorger teure Anstalten, im Fall von Albisbrunn mit Sekundarschulausbildung eines Teils der Zöglinge, und „harte“ Anstalten alten Stils mit bis um das Vierfache tieferen Kostgeldern zur Folge, wobei die Versorger des einen Kantons auch Platzierungen in „weichen“ oder „harten“ Anstalten in anderen Kantonen vornehmen konnten. So kam es auch im Versorgungswesen des Kantons Zürich dazu, dass es, wie auch bei den privaten Pflegeplätzen, unterschiedlichste Fremdversorgungsorte gab. Bei den einen Institutionen stand die oftmals krasse Zwangsarbeit der fremdplatzierten Kinder im Vordergrund, bei den anderen gab es keine derartigen Ausbeutungssituationen, sondern die schulische und berufliche Ausbildung stand im Vordergrund. Damit aber wurde, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen, jedoch im Ermessen der Versorger, der spezifische Ort der jeweiligen Platzierung zur Schicksalsfrage der Fremdversorgten. Dem ist anzufügen, dass es auch Plätze gab, wo trotz harter Arbeitsverpflichtung ein ermutigendes und förderndes Klima herrschte, während umgekehrt die Gefahr von Machtmissbrauch, sexueller Ausbeutung, Misshandlung und Verletzungen der körperlichen und seelischen Integrität von Zöglingen auch in bestens ausgestatten, modern expertisierten Heimen nicht ausgeschlossen war, sowenig wie in unauffälligen, auch gehobenen Familienverhältnissen, in welche die Kontrolle der Behörden nicht hineinreichte. Ähnliches gilt auch für die Fremdplatzierung in teuren Privat-Internaten der Luxusklasse, welche aber zumeist über die Eltern und nicht zwangsweise durch Behörden erfolgte, wegen der prohibitiven Kosten sowie aus Gründen der bewussten Exklusivität dieser Internate. Die Verlegung in ein solches Institut und deren Besuch war vielleicht konnte durchaus auch traumatisierend wirken, war jedoch kein Stigma, sondern ein soziales Markenzeichen und Gütesiegel, meist auch der Grundstock eines über die Verwandschaft hinausreichenden Netzwerkes unter Gleichaltrigen der Oberschicht.
Ein Anstaltstypus, der sich in der von seinen Initianten gewünschten Form nie direkt durchsetzte, aber faktisch in Gestalt der jeweils härtesten geschlossenen Jugenderziehungsanstalten stets vorhanden war, war ein Jugendgefängnis für die als die „allergefährlichsten Elemente“ unter der nachwachsenden Generation Eingestuften. Ein etwas eigennütziges Plädoyer für die Einrichtung einer solchen zentralen Spezial-Anstalt, für deren Betrieb er sich auch gleich als Experte empfahl, ist die Zürcher Dissertation „Schwersterziehbarkeit“ von Gustav Adolf Schläpfer,[29] der selber als Sohn eines Heimleiterpaars aufgewachsen war.
Universitäre und pädagogische Experten neigten zur Bevorzugung der Heim- oder Anstaltserziehung auch nur leicht „gefährdeter“ Kinder und Jugendlicher, während Laienbehörden vielfach die Familienpflege bevorzugten. Der Zürcher Heilpädagogik-Professor Heinrich Hanselmann formulierte als Propagandist wissenschaftlich begleiteter Landerziehungs- und Beobachtungsheime in seiner Untersuchung von 100 Bewerbungen um ein Pflegekind folgende kritisch-empirische Aufgliederung der Motivationen in der Familienpflege der 1930er Jahre:
„63mal stellte es sich heraus, dass man ein Kind ‚brauchte’ (...) zu (...) Mithilfe beim Erwerb.
38mal die Landwirtschaft vertreten.
13mal zur Überwachung eines oder mehrer Kinder
7mal das Kommissionenmachen Grund.
1mal Feldmausen.
4mal Spezialaufgaben in der Landwirtschaft.
14 Gesuche von Gärtnern für Botengänge.
8 Gesuch aus handwerklichen Betrieben für Botengänge oder Hausieren.
9mal sollte das Pflegekind irgend etwas ersetzen:
- 4mal ein verstorbenes Kind
- 2mal wünschten kinderlose Mütter ein Pflegekind neben dem Gatten, mit dem sie nicht gut zusammenlebten
- 1mal soll das Pflegekind die verstorbene Frau ersetzen
- 2mal suchen Witwen in Pflegekindern Trost
4 Adoptionsgesuche, 1 davon, um Verwandte durch Enterben zu bestrafen
1 Anfrage obskur von einer geisteskranken Frau.
1 Anfrage von einer nicht auffindbaren Auslandschweizerfamilie.“[30]
Es darf aber nicht ausser acht gelassen werden, dass damals auch in zahlreichen Heimen und Anstalten die oft sehr harte Arbeit der Zöglinge ein zentraler Faktor war, sowohl für die Tagesstruktur der Insassen wie für die Kostenrechnung der Institutionen. Und bei Leitenden und Betreuenden in Heimen und Anstalten schwangen vielfach ebenfalls bewusste oder unbewusste Eigeninteressen mit, auch bei deren wissenschaftlicher Begleitung.
Zwei Wellen der Anstalts- und Fremdplatzierungskritik, die erste geprägt vom Wirken Carl Albert Looslis, die zweite von den publizistischen Aktivitäten von Peter Surava (Peter Hirsch), prallten im Wesentlichen an den bestehenden Strukturen ab. Auch die Erkenntnisse der hauptsächlich amerikanischen Kleinkindpsychologie betreffs Deprivation und Hospitalismus von Heimkindern wurden in der Schweiz spät umgesetzt. Der Umbruch von 1968, nämlich das Ende der administrativrechtlichen Verwahrung ohne Gerichtsurteil, die erziehungstheoretische, (anti)psychiatrische und allgemeine gesellschaftliche Betonung von Selbstbestimmung und individuellen Freiheitsrechten sowie die Heimkampagne in den frühen 1970er Jahren mit den publizistisch begleiteten Massenfluchten von Anstaltszöglingen,[31] aber auch das Aufkommen freiheitlicherer Muster und Ideen in der Jugendarbeit und Sozialfürsorge selber führten zu einem Abbau der Anstalts- und Heimplätze für Jugendliche, die vorher über zwei Jahrhunderte hin kontinuierlich ausgebaut worden waren, sowie generell eine grössere Zurückhaltung bei der Fremdplatzierung. Zudem zeigte es sich im neoliberalen Umfeld, dass sich mit diesem Zurückfahren der Fremd- und insbesondere der Anstaltserziehung, dies eine stete Konstante der Sozialpolitik, Kosten sparen liessen. Zu diesen Phasen von Kritik, Beharrung und schliesslich Umbruch sind insbesondere in Literatur und Zeitschriften des Sozialbereichs zahlreiche Quellen aufzufinden und abzuhandeln.
Zu Looslis Wirken ist in dessen eigenen Schriften Prägnantes zu finden, seine lebenslange Auseinandersetzung mit der Anstaltswelt wird von Erwin Martis breit angelegter Loosli-Biografie wissenschaftlich dargestellt.[32] Für Zürich von Belang ist, dass Loosli als Mentor und Freund von Max Gerber, dem Gründer und langjährigen Leiter der Arbeitserziehungsanstalt Uitikon, Einfluss auf die dortige, bei der Gründung im Jahr 1926 relativ moderne Anstaltspädagogik nahm und Anstaltsleiter Max Gerber publizistisch verteidigte, als dieser ein Vierteljahrhundert später von seinem Anstaltspfarrer und von Zöglingen kritisiert wurde.[33]
Peter Hirsch/Peter Surava hat seine in den vierziger Jahren sehr erfolgreiche Anstaltskritik, die beispielsweise zur Absetzung des Direktors der Anstalt Sonnenberg im luzernischen Kriens und deren vorübergehender Schliessung führte, publizistisch wirkungsvoll dokumentiert, zumeist in der Zeitung „Die Nation“, bis er nach seiner Wendung zur kommunistischen Partei der Arbeit in seiner journalistischen Arbeit durch Pressionen, die unter andern von Bundesrat Eduard von Steiger ausgingen, im Zeichen des kalten Krieges stark eingeschränkt wurde.[34]
Für das Auffangen der Kritik am Anstaltswesen paradigmatisch ist eine Tagung der Pro Juventute vom November 1944 in Zürich. Der Form nach war diese Tagung vom verständnisvollen Eingehen auf die breite öffentliche Anstalts-Kritik und vom Gelöbnis des Umdenkens geprägt. Dass aber gerade Alfred Siegfried, berüchtigt wegen seiner rigiden und gezielten Anstaltsversorgungspolitik gegenüber den schweizerischen Jenischen im Rahmen des von ihm 1926 im Rahmen der Pro Juventute gegründeten und in seinem Geist bis 1973 agierenden „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“,[35] sich an dieser Tagung als Anstaltskritiker gebärdete, macht deutlich, dass es mit diesem Umbruch im Anstaltswesen damals nicht weit her war. Obwohl Siegfrieds Ausführungen in den Ohren seiner von ihm überwiegend in die billigsten und härtesten Anstalten wie den Anstaltenkomplex von Bellechasse im Kanton Fribourg gesteckten reichlich zynisch geklungen hätten, kritisierte Siegfried im Kern genau denjenigen beschönigenden Umgang der aufsichtspflichtigen Behörden mit den Anstalten, den Niklaus Freitag schon für die Anstalten des 17. und 18. Jahrhunderts erwähnt.[36] Siegfrieds Referat zeigt auch, dass er durchaus im Bilde war, in welche Institutionen er seine Zöglinge einwies, und wie hilflos deren Proteste an den Aufsichtsbehörden abprallen mussten.
An dieser Tagung der Pro Juventute, durchgeführt am 24./25. November in Zürich, deren Protokoll von der Pro Juventute unter dem Titel „Das schweizerische Anstaltswesen für die Jugend“ samt beigedrucktem Adressverzeichnis der schweizerischen Jugenderziehungsanstalten als Broschüre publiziert wurde, [37] sagte Alfred Siegfried folgendes zum Betrieb von Jugenderziehungsanstalten und zur Beaufsichtigung dieses Betriebs durch übergeordnete Kontrollinstanzen wie Aufsichtskommissionen:
„Diese Kommissionen scheinen mir nicht sehr glücklich zusammengesetzt zu sein. In sie sollten unbedingt mehr als bisher Persönlichkeiten aus den Kreisen der Jugendfürsorge gewählt werden. Ferner, wo es sich machen lässt, auch ehemalige Anstaltszöglinge (es brauchen ja nicht gerade 50% zu sein, wie es Herr Loosli verlangt)“.[38]
Weder der Vorschlag Looslis noch dessen Siegfriedsche Variante scheinen jedoch in die Tat umgesetzt worden zu sein. Auch die Erforschung der Zusammensetzung und des Wirkens dieser Aufsichtsgremien gehört zu den wichtigen Aufgaben eines Projekts, das die Geschichte der schweizerischen Jugenderziehungsanstalten untersucht.
Alfred Siegfried bemerkte weiter: „Ein nicht geringer Teil der sogenannten Aufsichtskommissionen sind durchaus wertlos, ja sie sind sogar schädlich, weil sie die Öffentlichkeit in dem Glauben lassen, es sei unter ihrer Überwachung alles zum Besten geordnet, während sie doch in Wirklichkeit keinen tieferen Einblick haben oder haben wollen. Ich habe erst kürzlich am Beispiel eines neugegründeten Heimes erfahren, was für unglaubliche Missstände sich in kurzer Zeit einnisten konnten, trotzdem eine sogenannte Aufsichtskommission gewählt war und auch ziemlich oft im Heim erschien. Ihre Prüfungstätigkeit beschränkte sich aber auf die Durchsicht von Kassabuch und Inventar; dass die Kinder noch im November halb nackt herumlaufen mussten und dass die meisten keine ganzen Schuhe mehr hatten, war ihr leider entgangen.“[39]
Abgesehen vom Zynismus Siegfrieds, der selber ebenfalls der Öffentlichkeit vorspiegelte, in der Tätigkeit seines als landesweite Unterorganisation der Pro Juventute betriebenen „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“ sei „alles zum Besten geordnet“, während er selber seine Zöglinge in eben solche Anstalten, nämlich in die billigsten, einwies, wo sie neben dem Mangel an angemessenem Schuhwerk und unzureichender Bekleidung auch noch Misshandlungen verschiedenster Art ausgesetzt waren, sind Siegfrieds Beobachtungen für manches Aufsichtsgremium vermutlich ziemlich zutreffend gewesen.
Der Vorschlag der Direktorin der Frauenfachschule Zürich an derselben Tagung, künftig nur noch Erziehungsanstalten und Kinderheime im Stil der Landerziehungsheime zu betreiben, begabte Anstaltszöglinge an die Mittelschulen zu schicken und für die anfallenden höheren Kosten im mutmasslichen Umfang von 20 Millionen Franken eine Sondersteuer zu erheben,[40] stiess in der Versammlung auf Widerspruch, ebenso die von Tagungsleiter Heinrich Hanselmann vorgeschlagenen Richtlinien, worin es unter anderem hiess: „Ein Erziehungsheim darf niemals eine Selbsterhaltung durch die Zöglingsarbeit anstreben, ebenso wenig wie eine Familie aus dem Erwerb ihrer Kinder und Jugendliche sich wirtschaftlich erhalten müssen sollte.“ [41] Denn sonst hätte man neben dem (später wieder eröffneten) Luzerner „Sonnnenberg“ ja auch weitere Anstalten dieser Art nicht nur vorübergehend schliessen, sondern auch gründlich umstrukturieren müssen.
Tagungsleiter Hanselmann stellte in seinem Schlusswort an die versammelten Anstaltsleiter, Anstaltslehrer und Versorger den deklamatorischen und defensiven Charakter des Anlasses klar: „Wir gehen nun wieder heim. Sind die Anstalten, in denen viele von uns tätig sind, in diesen beiden Tagen nicht noch viel mehr zu einem Heim für Sie geworden? Das Beste, was Sie aus dieser Tagung mitnehmen können, das sei der neue Mut und die Erneuerung des guten Willens. So werden Sie sich nun nicht mehr ängstigen vor ungerechter Kritik, vor bösartigem oder dummem Gerede über Ihre Arbeit in den Anstalten. Sie wissen nun, dass Sie nicht einsam und allein sind, wenn der Undank der Welt sie bedrücken will.“ [42]
In den fünfziger Jahren begann die Zürcher Fremdplatzierungspraxis allmählich die Erkenntnisse zu verarbeiten, welche Anna Freud und die von ihr Lernenden, vor allem die amerikanische Kleinkinder-Psychologie, gemacht hatten.[43] So rezipierte die Zürcher Kinderpsychologin Marie Meierhofer Begriffe wie Hospitalismus und schilderte die spezifischen Deprivationen, Syndrome und Fehlentwicklungen bei fremdplatzierten Kindern insbesondere in Krippen, Heimen und Anstalten; sie öffnete damit der Zürcher Jugendfürsorge neue Horizonte.[44]
Das führte bei jüngeren Kräften der Zürcher Jugendfürsorge zu einem beginnenden Umdenken. Dazu folgendes Zitat aus den Erinnerungen einer Praktikerin der Zürcher Jugendfürsorge :
„Die wissenschaftlich-psychologische Erforschung des Kleinkind-Alters, in Amerika weit fortgeschritten, begann auch in der Schweiz mit Dr. med. Marie Meierhofer als Pionierin. Ich erinnere mich, was für ein Schock es für mich war, am Beispiel eines 11 Monate alten Kindes zu erleben, was Hospitalismus ist und dass er durch gutgemeinte, traditionelle Fürsorgemassnahmen gefördert werden kann.“ [45]
Vereinzelte Äusserungen zu den Gefahren verfrühter oder sonst wie traumatischer und depravierender Fremdplatzierung finden sich jedoch auch in älteren Zürcher Qellen, so in einer Äusserung der Jugendkommission des Bezirks Dielsdorf von 1930 betreffend schulisch schwachbegabten Kindern und die Wünschbarkeit von Spezialklassen in der Nähe des Familien-Wohnorts anstelle von genereller Anstaltsversorgung, wo es heisst:
„Eines kann aber auch mit Geld nicht gutgemacht werden: die allzu frühe Wegnahme des Kindes aus dem Elternhaus, und damit oft eine Entwurzelung, die besonders das Gefühlsleben des Kindes zu verdorren droht. Für diese Kinder ist die Schaffung der Spezialklassen auf der Landschaft notwendig. Den Anstalten bleiben jene Kinder vorbehalten, die selbst einer Spezialklasse nicht zu folgen vermögen, oder deren häusliche Verhältnisse eine Wegplazierung verlangen.“ [46] Im gleichen Jahresbericht derselben Bezirks-Jugend-Kommission Dielsdorf von 1930, welche jeweils auch die Markensammlungen der Pro Juventute im Bezirk durchführte, heisst jedoch, ein Teil des Ertrages sei an „das Hilfswerk für Vagantenkinder“ gegangen; für die Kinder der Jenischen galt die für die eigenen Kinder kritisierte frühe „Wegplazierung“ in Anstalten als speziell fördernswert.[47]
Abgesehen von solchen vereinzelten Äusserungen war in den 1930er und 1940er Jahren die Analyse der persönlichkeitsschädigenden Folgen des traumatischen Durchlebens von behördlichen Familienauseinanderreissungen, verbunden mit teilweise oft wechselnden Fremdplatzierungen, ein in den damaligen Zürcher Fachkreisen wenig debattiertes Thema. Damals ging es dieser Expertengruppe mehr um Fragestellungen der nach 1945 noch lange, doch weniger laut propagierten „Eugenik“ und „Euthanasie“ auch in der Jugendfürsorge insbesondere gegenüber behinderten Kindern und Jugendlichen sowie um die radikale Bekämpfung von damals kriminalisiertem oder durch die fürsorgerische Praxis als „Gefahr“ und „Gefährdung“ etikettiertem abweichendem Verhalten wie nomadische Lebensweise, voreheliche Heterosexualität oder Homosexualität, Lebensformen, die zudem als Folge „erblicher Belastungen Minderwertiger“ aufgefasst wurden.
Ein Echo auf diesen „eugenischen“ respektive „rassenhygienischen“ Diskurs mit seiner Hochblüte in den 1930er und 1940er Jahren, der heute rückblickend-kritisch erforscht wird,[48] findet sich in einer Äusserung von Dr. h.c. Maria Meyer, Leiterin der Geschäftsstelle der Vereinigung für Anormale zwischen 1927 und 1934, anschliessend Zentralsekretärin der Schweizerischen Vereinigung Pro Infirmis von 1934 bis 1964. Sie schrieb angesichts des in diesen Jahren einsetzenden Paradigmenwandels auch in der Zürcher Jugendfürsorge im Jahr 1969:
„Täuschen wir uns nicht: wir ‚aufgeklärten’ Menschen sind nicht sehr erziehungstüchtig, unterliegen noch weitherum Vorurteilen und Aberglauben. Wer wagt zu behaupten, die wahre Menschlichkeit habe zugenommen? Und hält sie stand, wenn echte religiöse Bindungen immer mehr fehlen? Würde heute bei entsprechenden Machtverhältnissen die Fragen nicht mehr auftauchen, wie man sie 1940 auch bei uns in der Behindertenhilfe vielfach hören musste: ‚Warum gebt ihr nicht ‚Schlafpulver’? Warum sterilisiert ihr nicht?’ Niemand weiss von sich selber, wie er sich in Notsituationen bewähren würde. Umso mehr ist es die Aufgabe jedes Bürgers und insbesondere jedes Sozialarbeiters, diese Fragen zu sehen, an sich zu arbeiten und den Problemen nicht auszuweichen.“ [49]
Seit Ende des 2. Weltkriegs begannen die Zahlen fremdplatzierter Kinder in Heimen und Anstalten der ganzen Schweiz zurückzugehen. Auf dem Land war auch die Nachfrage nach in Betrieb oder Landwirtschaft möglichst produktiv mitarbeitenden Pflegekinder wegen der Mechanisierung stark zurückgegangen.
Eine Arbeit aus dem Jahr 1960 kommentiert dies, unter nostalgischer Beibehaltung des der Jugendfürsorge lange vorschwebenden idealisierten Familienbilds, wie folgt: „Die Versorgung in Fremdfamilien hat also sicher ihre Berechtigung (...) Trotzdem dürfte ihre Zukunft (...) eher ungesichert sein. (...) Besonders wenn man bedenkt, dass es voraussichtlich, dem Zug der Zeit entsprechend, immer weniger vorbildlich, patriarchalische Bauernsippen, harmonische Grossfamilien oder ideale Handwerks-Lehrmeister geben wird, die, nach alter Tradition, solche jungen Menschen irgendwie selbstverständlich bei sich aufnehmen“.[50]
Die neuen Debatten betreffend Traumatisierung, Hospitalismus und Deprivation von Anstaltszöglingen zeigten ebenfalls Wirkung. Vor allem aber war dank des zwar verspätet, schliesslich aber doch zunehmend ausgebauten Sozialstaats (AHV 1947, IV 1959, Stipendienwesen) sowie dank der seit Ende der 1940er Jahre einsetzenden Hochkonjunktur die Armut unter den Schweizern zurückgegangen, und mit ihr die Zahl der „gefährdeten“ schweizerischen Jugendlichen. In den Heimen und Anstalten nahmen die Einweisungen von Kinder zunächst hauptsächlich italienischer Fremdarbeiter zu, vermochten den Trend zu weniger Zöglingen aber ebenso wenig zu brechen wie die Lokalisierung neuer angeblicher Gefahrenherde abweichenden Jugendverhaltens im Bereich der sogenannten „Halbstarken“, Rocker und Hippies.
Hart konfrontiert mit den Früchten ihrer Arbeit wurden die Erziehenden in Heimen und Anstalten fremdplatzierter Kinder und Jugendlicher anlässlich der sogenannten „Heimkampagne“ der frühen 1970er Jahre. Parallel zu meist links bis linksextrem orientierten ähnlichen Kampagnen in Deutschland [51] ermunterten Organisationen der ausserparlamentarischen Opposition die Zöglinge zur Flucht und beherbergten sie in Wohngemeinschaften. Die Zöglinge wie ihre neuen Helfer kritisierten das Leben in den „Winden“ in ihrem jeweiligen Jargon hart. Die Aktion hatte auch eine breite publizistische Begleitung.
Mit dem ab 1972 einsetzenden Verkaufsboom von illegalen Drogen, insbesondere auch von Heroin, bei einer wachsenden Anzahl hauptsächlich jugendlicher Abnehmer resp. Abhängiger von solchen Produkten, und der darauffolgenden Verelendung auch von Nachwuchs aus gutbürgerlichen Häusern, wurden etliche frühere Jugendheime in Drogentherapiestationen umgewandelt, so das „Sonnenbühl“ in Brüttisellen. Zur Zeit (Sommer 2004) wird diese Institution in eine Unterkunft für Asyl Suchende umgewandelt.
Andere Kinderheime und Erziehungsanstalten wurden geschlossen, die Liegenschaften verkauft oder umgenutzt. Im Kanton Zürich voran ging bei dieser „Vernichtung überflüssiger Kapazitäten“ die Stadt Zürich, welche einen grossen Teil der Heime und Anstalten für Kinder und Jugendliche im Kanton Zürich aufgebaut hatte, viele davon ausserhalb der Stadt gelegen in ländlichen Gegenden der Region, zudem auch noch Heime in Appenzell, Graubünden und Tessin. Im Bericht einer Expertengruppe „Leitbild 1985/90 für die städtischen Kinder- und Jugendheime zuhanden des Vorstandes des Sozialamtes der Stadt Zürich“ heisst es:
„Das Gesamtangebot der AKJ-Einrichtungen[52] hat sich zwischen 1970 und 1982 um rund 1/5 verringert. Wenn die generelle Platzreduktion von 1983 eingerechnet wird, ist es sogar mehr als 1/3. (1970: 866, 1982: 703, 1984: 565). Diese Verminderung ist das Resultat der Vernichtung überflüssiger Kapazitäten (Kleinkinderheime, Erholungsheime), von Platzumlagerungen in andere Heimkategorien (namentlich Erholungsheime in Schulheime) sowie einer seit langem fälligen generellen Anpassung an die pädagogischen Erfordernisse (1983er Reduktion). Die Entwicklung bei den städtischen Einrichtungen, namentlich auch eben diese Anpassung, verläuft gleich wie bei den nichtstädtischen Einrichtungen.“ [53]
Insgesamt waren 1984 rund 1200 Stadtzürcher Kinder fremdplatziert, davon etliche in auswärtigen Heimen, denn der Anteil der Heimplatzierungen gegenüber der Famlienpflege betrug nun 75 Prozent.[54]
Dieser Prozess dauert auch seit 1985 weiter an. So wurde z.B. das 1912 eröffnete städtische Waisenhaus Sonnenberg am Zürichberg 1992 von 30 auf 22 Plätze reduziert, auch wurde die aus dem Jahr 1637 stammende Bezeichnung Waisenhaus durch Haus Sonnenberg ersetzt.
Wie immer bei der Statistik von
Fremdplatzierten ist jedoch auch hier Vorsicht geboten, etwa wenn dieser
Zürcher Trend auf die gesamte Schweiz hochgerechnet wird. Denn die Zahlen
sind auch für die neuere Zeit ungesichert und die Schätzungen stark schwankend.
So erklärte die Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1974 zur Revision des
Kindesrechtes: "Die Zahl der Pflegekinder dürfte in der Schweiz zwischen
60 000 und 80 000 betragen." [55].
Dann wäre der darauffolgende Abbau allerdings sehr drastisch gewesen. Denn Heinrich Tuggener und Urs Schmidt schätzten im Jahr 1985 die Zahl der gesamtschweizerisch Fremdplatzierten, wobei sie ebenfalls auf die Risiken solcher Schätzungen und Statistiken hinwiesen, auf insgesamt 20'000, gegenüber den von Emma Steiger im Jahr 1933 geschätzten 14'000.[56] Vermutlich sprach der Bund von der Gesamtzahl der Fremdplatzierten, deren bessere Kontrolle im damals ursprünglich vorgeschlagenen Gesetzestext vorgesehen war, was in den Räten allerdings nicht durchkam, während sich Steiger und Tuggener/Schmidt auf die Zahl der den Behörden gemeldeten Fremdplatzierten beziehen.
B. Quellenlage. Einzelne Institutionen
Es gibt verschiedene Listen über die Heime und Erziehungsanstalten im Kanton Zürich. Manche wurden umbenannt, viele bestanden nur eine gewisse Zeit lang, andere wurden umgenutzt. Die Erstellung einer vollständigen Liste mit näheren Angaben zu Trägerschaft, Platzangebot, Zielgruppe, Betriebsdauer etc. ist für Zürich wie für die ganze Schweiz ein Desiderat der Forschung, das nicht ohne beträchtlichen Aufwand zu verwirklichen ist.
Von den meisten dieser Institutionen gibt es Jahresberichte und Akten. Allerdings ist selbst bei den staatlichen Heimen ist noch nicht in allen Fällen abgeklärt, welcher Art die vorhandenen Akten sind und ob auch die Zöglingsakten vorhanden sind.
Doch auch von Institutionen, zu denen möglicherweise gar keine von der Institution selber angelegten Aktenbestände mehr auffindbar wären, sind mit allergrösster Wahrscheinlichkeit aussagekräftige Aktenstücke in den oft recht umfangreichen Einzeldossiers von bevormundeten oder befürsorgten Bewohnern dieser Institutionen vorhanden, welche die zuständigen Versorger-Behörden, also Fürsorge- und Vormundschaftsbeamte, im Fall von strafweise in Institiutionen Versorgten auch die Jugendanwaltschaft, in ihren jeweils eigenen Archiven anlegte. Die Fürsorge- und Vormundschaftsakten der Stadt Zürich sind, abgesehen von wenigen unauffindbaren Einzeldossiers, im Stadtarchiv vollumfänglich erhalten und schon seit den 1990er-Jahren der Forschung zugänglich, unter der Bedingung der Anonymisierung der Personendaten der Betroffenen; es handelt sich dabei um Hunderte von Akten-Laufmetern. Auch in kleineren Gemeinden des Kantons Zürich sollten entsprechende Akten oder zumindest aussagekräftige Teile von ihnen erhalten sein. Persönlich kann ich den vollständigen Vormundschafts-Aktenbestand in einer grösseren Vorortsgemeinde in der Nähe der Stadt Zürich melden, in deren Archiv ich kürzlich Einblick hatte. Wichtig sind wie gesagt auch die Aktenbestände der Bezirks-Jugendkommissionen, der Bezirks-Jugendsekretariate sowie der Bezirks-Amtsvormundschaften. Als Amtsakten müssen auch diese ordnungsgemäss zur Archivierung dem Staatsarchiv abgegeben werden, was teilweise bereits der Fall ist, während andere Aktenbestände noch in diesen Institutionen selber lagern.
Von Belang sind ferner die Archive von jugendfürsorgerisch involvierten Organisationen wie dem Heilpädagogischen Seminar, den kinderpsychiatrischen Institutionen sowie der Pro Juventute, der Pro Infirmis und so weiter.
Auch in den Personenakten von sozialen Institutionen für Erwachsene finden sich Rückblicke auf das Aufwachsen in Institutionen. So etwa in den von mir bearbeiteten Personenakten des Werk- und Wohnhauses zur Weid in Mettmenstetten, dem ehemaligen Männerheim Rossau der Stadt Zürich.[57]
Verschiedene sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte, deren Forscherinnen und Forscher dank Bewilligungen der Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung Einblick in Krankengeschichten von psychiatrischen Kliniken hatten, die vordem ausschliesslich der mediznischen Wissenschaft dienten, fanden dort ausführliche Rückblicke auf in Institutionen oder an Pflegeplätzen, u.a. auch im Kanton Zürich, verbrachte Jugendjahre von Patientinnen und Patienten, sei es in den ärztlich protokollierten Anamnesen oder in den von den Patientinnen und Patienten selbstverfassten Lebensläufen. [58]
Immer wieder haben sich, nach dem Vorbild grosser Schriftsteller wie Hesse oder Musil,[59] fremdplatziert Aufgewachsene schriftlich oder mündlich in Büchern und Broschüren an die Öffentlichkeit gewandt. So Arthur Honegger in seinem 1974 erschienenen Buch „Die Fertigmacher“,[60] das seither in vielen Auflagen erschien. Ebenso Mariella Mehr in ihrem 1981 erschienenen Buch „Steinzeit“.[61] Arthur Honegger, Mariella Mehr und viele andere von Fremdplatzierungen in Zürich Betroffene haben sich in Filmen, Radio- und Fernsehsendungen oder Zeitungsinterviews zu ihrer Fremdplatzierung geäussert. So auch diverse ehemalige Verdingkinder, darunter wiederum Arthur Honegger, in der Sendung „Schweiz aktuell“ des Schweizer Fernsehens, die kürzlich ausgestrahlt wurde.[62] Jüngstes Beispiel eines solchen Medienberichts, der autobiografische Äusserungen eines ehemaligen Bewohners von Zürcher Erziehungsinstitutionen enthält, ist ein Artikel im Magazin des Tages-Anzeigers.[63] Im autobiografischen Sammelband „Lebzeiten“ [64] finden sich neben anderen auch Lebensberichte von Menschen, die in Institutionen oder als Pflegekinder im Kanton Zürich aufwuchsen. Einige der von mir interviewten 10 jenischen Mündel des „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“ erwähnen ebenfalls Aufenthalte in Zürcher Institutionen oder Familienpflegeplätzen.[65] Ueber den von mir zusammen mit Tanja Wirz im Rahmen des Archimob-Projekts interviewten Jenischen Othmar H. existieren Akten der Stadtzürcher Fürsorge unter anderem über dessen Fremdplatzierung bei einem Zürcher Bauern. Teilweise haben sich diese Betroffenen auch auf eigene Faust an die Sichtung und Sicherstellung der über sie angelegten Akten gemacht.
Im März 2003 hat Prof. Dr. Ueli
Mäder beim Nationalfonds ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Verdingkinder,
Schwabengänger, Spazzacamini und andere Formen von Fremdplatzierung und
Kinderarbeit in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert“ eingereicht, bei dessen
Ausarbeitung und Eingabe in einer grösseren Gruppe von interessierten
Forscherinnen und Forschern auch Marco Leuenberger und ich mitarbeiteten.
Dieses Projekt, dessen Beginn laut Eingabegesuch auf September 2004 geplant
ist, ist ein wichtiges Pendant zu einem mehr auf die Geschichte der
Waisenhäuser und Institutionen focussierenden, ebenfalls landesweiten Projekt
bilden. Es ist dabei zu beachten, dass es Überschneidungen und Querverbindungen
zwischen diesen beiden Bereichen gibt, weil das Nacheinander von Anstalts- und
privater Fremderziehung viele Lebenläufe Betroffener prägt. Auf einen in den
Medien verbreiteten Aufruf der Forschergruppe um dieses Verdingkinder-Projekt
haben sich im Jahr 2004 rund 250 Betroffene aus der ganzen Schweiz brieflich
gemeldet, von denen einige auch in Pflegeplätzen und Institutionen im Kanton
Zürich aufwuchsen. Sie legten teilweise ausführliche schriftliche
Selbstzeugnisse bei. Viele von ihnen sind auch bereit, mündlich in Interviews
Zeugnis über ihr Leben abzulegen. Es ist umso dringlicher, den Erwartungen
dieser Betroffenen auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Thematik baldmöglichst
zu entsprechen, als viele von ihnen in fortgeschrittenem Alter stehen; einige
sind schon über 80 Jahre alt.
Schriftliche und mündliche
Selbstzeugnisse von Betroffenen sind von grosser Wichtigkeit, da in den
sonstigen Akten und in den meisten älteren Darstellungen die Sichtweise der
Versorger und Institutionsangestellten im Vordergrund steht, wobei sich in deren Aktendossiers durchaus auch
Selbstzeugnisse der Betroffenen wie Briefe finden.
Es folgt nun eine Liste von
Kinderheimen und Jugenderziehungsanstalten mit Hinweisen zu deren Akten, soweit
sich aus den Findmitteln zu den Beständen des Stadtarchivs Zürich und des
Staatsarchivs Zürich bisher Hinweise ergaben.
Ich folge dabei der Aufstellung
von Emma Steiger in Band 2 ihres „Handbuchs der sozialen Arbeit der Schweiz“
von 1948,[66] dem
Nachfolgewerk vorheriger entsprechender Aufstellungen von Niedermann und Wild [67]
und dem Vorläufer späterer Handbücher dieses Bereichs und ergänze einige
Institutionen, welche die Stadt Zürich auf Stadtgebiet und in anderen Kantonen
betrieb. Die Liste ist nicht vollständig.
Ich gebe auch die Terminologie
von Emma Steiger betreffend die damalige genauere Ausrichtung dieser
Institutionen wieder und setze sie deswegen in Anführungszeichen. Bei vielen
Institutionen wechselte die spezifische Ausrichtung oder der Name vor und nach
1948, teilweise mehrfach. Der Hochglanz-Bildband „Heime für die
schwererziehbare und verlassene Jugend in der Schweiz“, 1933 herausgegeben vom
schweizerischen Verband für Schwererziehbare, mit vielen Fotos und mit
Inseraten der Lieferanten von Arbeitskleidung und anderen in Anstalten
verwendeten Produkten versehen, präsentiert einen Teil dieser Institutionen im
besten Licht, andere fehlen.[68]
Aathal, Pestalozzihaus
Schönenwerd (40 Plätze); Stadt Zürich,
Akten im Stadtarchiv
Au bei Wädenswil, Kinderheim
Grünau (15 Plätze)
Brütten, evangelische
Erziehungsanstalt Sonnenbühl (43 Plätze); Akten der Nachfolgeorganisation im
Staatsarchiv
Bubikon, Anstalt Friedheim (42
Plätze)
Herrliberg, Kinderheim „Gott
hilft“ (20 Plätze)
Mettmenstetten, Kinderheim
Paradies (70 Plätze)
Räterschen, Pestalozzihaus (20
Plätze)
Redlikon, Pestalozziheim (30
Plätze); Stadt Zürich, Akten im Stadtarchiv
Rorbas, evangelische
Erziehungsanstalt auf dem Freienstein (40 Plätze)
Schlieren, Zürcherische
Pestalozzistiftung (40 Plätze); Stadt Zürich, Akten im Stadtarchiv
Zürich, Städtisches Jugendheim
Erika, Rötelstrasse 55 (32 Plätze); Stadt Zürich, Akten im Stadtarchiv
Adliswil, Erziehungsanstalt
Buttenau (50 Plätze)
Hausen am Albis,
Landerziehungsheim Albisbrunn (100 Plätze)
Baltenswil, Landheim Brüttisellen
(33 Plätze)
Bülach, Mädchenheim Heimgarten
(35 Plätze); Stadt Zürich, Akten im Stadtarchiv
Dielsdorf, Pestalozziheim Burghof
(29 Plätze); Stadt Zürich, Akten im Stadtarchiv
Ottenbach, Frauenheim Ulmenhof
(nahm auch ältere Mädchen auf, 22 Plätze)
Richterswil, Schweiz.
Erziehungsheim f. kath. Mädchen (57 Plätze)
Stäfa, Mädchenheim (31 Plätze)
Uitikon am Albis, Kantonale
Arbeitserziehungsanstalt (84 Plätze); Akten im Staatsarchiv
Zürich, Knabenheim Selnau (30
Plätze); Akten im Stadtarchiv
Zürich, Mädchenerziehungsheim
Pilgerbrunnen (28 Plätze); Akten im Stadtarchiv
Zürich, Mädchenheim Riesbach (22
Plätze)
Zürich, Magdalenenheim „Refuge“
(26 Plätze)
Zürich, Schenkung Dapples (24
Plätze)
Erlenbach, Martinsstiftung (20
Plätze)
Goldbach, Kellersche Anstalt für
Geistesschwache (29 Plätze)
Herrliberg, Heilpädagogisches
Kinderheim (20 Plätze)
Pfäffikon, Pestalozziheim für
bildungsfähige Geistesschwache (35 Plätze)
Pfäffikon, Haushaltungsschule
Lindenbaum (30 Plätze)
Regensberg, Anstalt für Erziehung
bildungsfähiger Geistesschwacher (90 Plätze)
Uster, Pflegeanstalt für
geistesschwache, bildungsunfähige Kinder (165 Plätze)
Wädenswil, Kinderheim Bühl für
Geistesschwache (110 Plätze)
Zürich, Mathilde-Escher-Heim (25
Plätze)
Hinzu kommen noch das Waisenhaus
der Stadt Zürich (ab 1912 aufgeteilt in die Waisenhäuser Sonnenberg und
Entlisberg (Akten im Stadtarchiv); das städtische Kinder- und Jugendheim
Florhof (Akten im Stadtarchiv); das Schülerheim Schwäbrig für Spezialklässler
mit erzieherischen Schwierigkeiten, das die Stadt Zürich im Kanton Appenzell AR
betrieb (Akten im Stadtarchiv); die Kinder-Erholungsheime des Jugendamts der
Stadt Zürich in Rivapiana bei Locarno und sowie in Flims, Laret, St. Peter und
Celerina in Graubünden; das Erholungshaus Adetswil für tuberkulosegefährdete
Kinder der Gemeinnützigen Gesellschaft des Bezirks Hinwil; ferner etliche
kleine Privat-Kinderheime, die nur einige Jahre oder Jahrzehnte betrieben
wurden, sowie alle anderen Institutionen, die in diese Aufzählung fehlen.
Zu beachten ist schliesslich, dass Kinder und Jugendliche aus Stadt und Kanton
Zürich, wie auch solche aus anderen Kantonen, keineswegs nur im eigenen Kanton
in Institutionen platziert wurden, sondern auf die ganze Schweiz verteilt.
Die im parallelen Projekt zur Geschichte der Verdingkinder
ebenfalls zu untersuchenden Schwabengänger, d.h. die saisonal in Schwaben
fremdplatzierten arbeitenden Kinder und Jugendlichen, welche aber nicht
behördlich an diese Plätze gewiesen wurden,[69]
sowie die spazzacamini vor allem aus den italienischsprachigen Südtälern
Graubündens, welche oft langjährig als Fremdarbeiter im Kindes- und Jugendalter
in Oberitalien und Savoyen arbeiteten, sind eine Erscheinung vor allem des 18.
und 19. Jahrhunderts und traten nur noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf.
Umgekehrt entstanden in Graubünden relativ spät eigentliche
Kinderheime. Bündner Insassen von Jugenderziehungsanstalten wurden in
ausserkantonalen Institutionen dieser Art platziert.
In den teilweise schon im 18. und 19. Jahrhundert
eingerichteten Armenhäusern zahlreicher Bündner Gemeinden, die aber zumeist nur
den Dorfarmen zugewiesene rudimentäre Wohnstätten und keine Anstalten
waren, sowie in den frühen
Korrektionsanstalten (Fürstenau und Realta) lebten aber oft auch Kinder und
Jugendliche, meist zusammen mit erwachsenen Familienangehörigen. Von
Erwachsenen, meist Ordensschwestern, geleitete Armenhäuser mit grossen Kinderabteilungen
waren hingegen diejenigen von Obervaz, Cazis und Chur.[70]
Seit den Tagen von Martin Planta und seinem 1763 in Haldenstein gegründeten Seminar, welches ab 1775 wie das von Basedow seit 1764 in Dessau betriebene ‚Philanthropin’ unter diesem Namen nach Marschlins GR verlegt wurde, einem Internat für Söhne adliger oder reicher Familien, wo die Zöglinge zur Haltung presönlicher Bediensteter berechtigt waren, und vermehrt seit dem Aufkommen des Tourismus und der Höhenkuren, gibt es in Graubünden zahlreiche Internate der Luxusklasse, etwa das Töchterinstitut Ftan oder das Lyceum Alpinum in Zuoz, wo vor allem von begüterten Eltern selber fremdplatzierte Kinder und Jugendliche lebten, die nur selten aus Graubünden selber stammten. Wichtig waren im Bergkanton zudem die Lungenheilstätten, vor allem auch für Kinder aus den nebligen Industriekantonen.
Das auch in der übrigen Schweiz vertretene Netzwerk der „Gott-hilft“-Anstalten war in Graubünden besonders prägend. „Gott-hilft“-Kinderheime entstanden im Lauf des 20. Jahrhunderts in Zizers, Igis, Felsberg, Sent und Tamins. Andere Kinderheime waren oder sind das Kinderheim Plankis bei Chur der J.P.Hosangschen Stiftung,[71] das Kinderheim Chur-Foral, die Stiftung Scalottas in Scharans, das Kinderheim Feldis, das Erziehungsheim St.Josef/Löwenberg in Schleuis, das Heimzentrum Rothenbrunnen sowie die Erziehungsanstalt für schwachsinnige Kinder in Masans.[72] Zu all diesen Institutionen gibt es kleinere Aktenbestände im Staatsarchiv Chur, grössere sollten bei den Institutionen selber zu finden sein. Auch diese Aufzählung ist nicht vollständig.
Von Belang sind für die
Geschichte der fremdplatzierten Kinder auch in Graubünden die Akten der
Versorger, d.h. der Armen- und Vormundschaftsbehörden in den Kreisen und
Gemeinden, aber auch der in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ausgebauten
regionalen Bezirksfürsorgestellen des Kantonalen Sozialdiensts sowie des
Fürsorgeamts Chur. Diese Amtsstellen sind in Graubünden zudem dezentral
zuständig für die Aufsicht über die Pflegekinder, die aber wie in vielen
Kantonen lückenhaft ist.[73]
Aus Graubünden stammte schliesslich ein grosser Teil der von der Pro Juventute
fremdplatzierten jenischen Kinder.[74]
Diese wurden jedoch eher selten in Graubünden selber platziert. Ihre Akten
finden sich im Archiv des „Hilfswerks der Kinder der Landstrasse“ im
Bundesarchiv Bern sowie in den Vormundschaftsarchiven der betreffenden Kreise
und in den Gemeindearchiven. Die Geschichte des „Hilfswerks für die Kinder der
Landstrasse“ wird zur Zeit von drei Projekten im Rahmen des Nationalen
Forschungsprogramms 51 untersucht.[75]
Die wenigen Publikationen zur Thematik sind sich einig, dass betreffend
Fremdplatzierung von Kindern bis heute relativ wenig Forschung betrieben wurde.
Gerd Hansen schreibt dazu, dass „das forscherische Interesse für diesen Bereich
immer nur marginal geblieben ist“.[76]
Ursula Hochuli Freund publizierte 1999 ihre dem gender-Ansatz verpflichtete
Darstellung einiger ausgewählter Mädchenheime, darunter des 1877 von der Martavereinigung gegründeten
Mädchenheims Redlikon bei Stäfa im Kanton Zürich, das ab 1944 von der Stadt
Zürich unter dem Namen Pestalozziheim Redlikon betrieben und ausgebaut wurde
und wo erst ab 1983 die Koedukation eingeführt wurde. Sie stimmt Gerd Hansen
für die Schweiz zu: „Die Geschichte der Anstalts- und Heimerziehung in der
Schweiz ist erst teilweise aufgearbeitet.“ [77]
Generell wirkt ja der so genannte „Paria-Effekt“, der darin besteht,
dass Forschungen betreffend solche Gesellschaftsbereiche oder Gruppen, die von
Vorurteilen, stereotypen Negativbildern, Stigmata und abwertenden
Etikettierungen belegt sind, auch für die damit befassten Forscher weniger
Prestige verheissen und daher oft gemieden werden; auch werden sie finanziell
weniger gefördert und stossen auf Abwehrhaltungen. Zudem waren bis vor kurzem
viele Akten-Quellen zu fremdplatziert Aufgewachsenen nur für die involvierten
Behörden und Berufstätigen und allenfalls für die vereinzelten Betroffenen
zugänglich. Erst seit einigen Jahren sind auch in der Schweiz
Personen-Aktenbestände des Sozialbereichs der historischer und
sozialwissenschaftlicher Forschung Aussenstehender zugänglich gemacht worden,
so auch in zahlreichen Projekten des zur Zeit laufenden Nationalen
Forschungsprogramms 51. Oft sind des weiteren die Aktenbestände, teils auch die
gedruckten Quellen, vielfach nur am Ort der untersuchten Institutionen
zugänglich, das heisst zum Teil an recht abgelegenen Orten. Vor allem fehlt es
an sozialwissenschaftlichen Darstellungen mit dem Blick von aussen, die nicht
von den involvierten Experten selber unter unkritischer Verabsolutierung ihrer
jeweiligen Sichtweise verfasst wurden, wie dies in vielen gedruckten Quellen,
etwa Jubiläumsschriften oder Jahresberichten der Institutionen, der Fall ist.
Doch ist auch hier ein Umdenkenim Gang. Zahlreiche mit „Schwererziehbaren“
Arbeitende beziehen auch deren Sichtweise in ihre Darstellungen mit ein und
hinterfragen vordem scheinbar Selbstverständliches. Ein zeitgenössischer
Pionier dieses neuen Denkens in den Institutionen der Jugendsozialarbeit im
Raum Zürich, aber mit weiter Ausstrahlung darüber hinaus ist Jürg Jegge, der
nebst seiner theoretischen Arbeit in selbst gegründeten innovativen
Institutionen neue Wege der Integration ausgegrenzter Jugendlicher erfolgreich
erprobt.[78]
Andererseits ist seit der breiten Rezeption klassischer
institutionsgeschichtlicher Werke insbesondere der Soziologie[79]
und der zunehmend sozialwissenschaftlichen Orientierung der neueren
Geschichtsschreibung ein internationaler und nationaler Aufschwung des
Interesses an solchen Thematik festzustellen, auch im Sinn einer Geschichte von
unten oder der Alltagsgeschichte; beides orientiert sich nicht an den
traditionellerweise in die Geschichte und die Geschichtsschreibung eingehenden
Grossen, Berühmten und Mächtigen, die das Rampenlicht öffentlicher
Wertschätzung geniessen, sondern an den Übersehenen, Abgewerteten, an den Rand
Gedrängten und Abgeschobenen, die es auch noch gibt. So entstanden in den
letzten Jahrzehnten und vor allem in den letzten Jahren doch etliche
einschlägige Publikationen zur Thematik.[80]
Ein spezielle Form der Fremdplatzierung ist das sogenannte
„Welschlandjahr“ vorwiegend weiblicher schulentlassender Deutschschweizer
Jugendlicher, welches schichtspezifisch in Pensionaten oder in
Arbeitsverhältnissen, meist in Familien, zwecks Erlernung der französischen
Landessprache verbracht wurde.[81]
Es kam vor, dass auch fürsorgerische Versorgungen von deutschweizerischen
Jugendlichen im französischsprachigen Teil unter dieser Bezeichnung liefen,
auch wird, neben Kritiken und Befürchtungen betreffend Verwilderung und
Verwöhnung der als „schönfilles“ oder „Trudis“ bezeichneten Aufenthalterinnen,
darunter dem Bevölkerungsanteil entsprechend viele aus dem Kanton Zürich, gelegentlich
ebenfalls von strengen Arbeitsbedingungen, ja von Ausbeutungsverhältnissen
berichtet. Überwiegend waren es jedoch freiwillige Aufenthalte, und sie hatten
keinen stigmatisierenden Charakter, sondern galt als Zusatzqualifikation und
Weiterbildung.
Eine klare Tendenz der neueren Darstellungen ist es, oral history im
Sinn von Interviews mit Fremdplatzierten in die Darstellungen mit
einzubeziehen, um auch die Sicht der Betroffenen zu würdigen.[82]
Während einige der als Pflegekinder, in Heimen oder Anstalten
Aufgewachsenen offen sind gegenüber einem Forschungsinteresse, das ihnen
aufmerksames Zuhören und Eingehen auf ihre Lebensgeschichte bietet, ist es für
andere nach wie vor schwierig und vielfach schambeladen, von diesem Abschnitt
ihres Lebens zu berichten.
Andere präsentieren der Öffentlichkeit von sich aus ihren von
Fremdplatzierung geprägten autobiografischen Lebensbericht, sei es in eigener
Formulierung[83] oder mit
Hilfe von Schreibenden, denen sie ihr Leben erzählen.[84]
Demütigende und schmerzliche Erlebnissen gerade auch in von Behörden und
Experten bestimmten und begleiteten Verfahren, Abläufen und Situationen werden
in solchen dokumentarischen Erlebnisberichten Betroffener oft sehr präzise,
kritisch und desillusionierend geschildert. Ein Grund für die eher mässige
Aufmerksamkeit, denen die Wissenschaft solchen autobiografischen Schriften
Betroffener aus der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart bisher geschenkt hat,
mag darin liegen, dass einige davon in kleinen Auflagen in regionalen Selbstverlagen ausserhalb der Vertriebs- und
Rezensionszirkel akademischer Fachzeitschriften, Fachverlage und
Fachbuchhandlungen publiziert wurden.
Literaturliste
Fritz Aerni: Wie es ist, Verdingkind zu sein. Zürich 2004
Barbara
Alzinger/Remi Frei: Die katholischen Erziehungsheime im 19. Jahrhundert
in der deutschsprachigen Schweiz, Brugg 1987
Werner
Baur: Zwischen Totalversorgung und Strasse. Langzeitwirkungen
öffentlicher Erziehung. Eine qualitative Studie zu Lebenslauf, Individuallage
und Habitus eines ehemaligen Heimzöglings.Langenau-Ulm 1996
Sabine
Bitter: Die Richter-Lindersche Anstalt in Basel von von 1852-1906.
Lizentiatsarbeit Basel 1989
Lore
Bollag-Winizki: Die sichernden Massnahmen für Jugendliche, Verwahrloste
und Gewohnheitstrinker im Kanton Zürich. Diss. iur. Zürich 1940
Botschaft des Bundesrates
vom 5. Juni 1974 zur Revision des Kindesrechtes, in: Bundesblatt 1974, Band 2
Robert
Briner: Von den Anfängen des kantonalen Jugendamtes. In: Festschrift zum
50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Zürich 1969
J. Brunner:
Die Tragödie vom Sonnenberg bei Luzern. Eine notwendige Aufklärung über die
Sonnenberg-Affäre, ihre Hintergründe, Folgen und Auswirkungen. Luzern o.J.
Louisette Buchard: Le tour de suisse en
cage. L’enfance volée de Louisette. Yens 1995
Peter Chmelik: Armenerziehungs-
und Rettungsanstalten. Erziehungsheime für reformierte Kinder im 19.
Jahrhundert in der deutschsprachigen Schweiz. Zürich 1978
Maria
Crespo: Verwalten und Erziehen. Die Entwicklung des Zürcher Waisenhauses
1637-1837, Zürich 2001
Eugen
von der Crone: Entstehung und Ausbau der Jugendsekretariate. In:
Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Hg. Von der
Erziehungsdirektion des Kantons Zürich, Zürich 1969, S.28-40
Das
zürcherische Armenwesen. Rückblick und Ausblick. Bearbeitet von der Direktion
des Armenwesens. Wädenswil 1907
Das
Jugendrecht im Kanton Zürich : die im Kanton Zürich geltenden
eidgenössischen und kantonalen Gesetze, Verordnungen und wichtigen Bestimmungen
von Bedeutung für die Jugend und die Jugendhilfe / zusammengestelllt
und erläutert für Vormundschaftsbehörden, herausgegeben von der
Erziehungsdirektion des Kantons Zürich. Impressum: Zürich : Jugendamt, 1936
Renan
Demirkan (Hg.): Der Mond, der Kühlschrank und ich. Heimkinder erzählen.
Köln 2001
Hans Düssi: Das Armenwesen des Kantons
Thurgau seit 1803. Frauenfeld 1948
Michel
Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt
am Main 1976
Niklaus
Freitag: Zur Geschichte der schweizerischen Erziehungsanstalten, mit
besonderer Berücksichtigung des Waisenhaus-Problems. Diss.
phil. I, Zürich 1938
Anna
Freud/Dora Burlington: Anstaltskinder. Erstmals erschienen 1949, diverse
Ausgaben
Anna
Freud/Sophie Dann: Gemeinschaftsleben im frühen Kindesalter. Erstmals
erschienen 1951, diverse Ausgaben
Josef
Eigenmann (Hg.): Erziehungsschwierige heute. Folgerungen für die
Heimpädagogik. Luzern 1987
Markus
Erb: Das Waisenhaus der Stadt Zürich von der Reformation bis zur
Regeneration, Diss. Zürich 1987
Edith
Gerth, Kinderraubende Fürsorge. Die Umerziehung der Schweizer Jenischen
durch die Stiftung Pro Juventute, in: Mark Müntzel/Bernhard Streck: Kumpania
und Kontrolle. Moderne Behinderungen zigeunerischen Lebens, Giessen 1981,
S.129-166
Erving Goffman: Asyle. Über die soziale Situation
psychisch kranker Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main 1972
Lothar
Gothe/Rainer Kippe: Ausschuss. Protokolle und Berichte aus der Arbeit
mit entflohenen Fürsorgezöglingen. Köln 1970
Ueli
Gyr: Das Welschlandjahr. Milieuwechsel und Alltagserfahrung von
Volontärinnen. Basel und Frankfurt am Main 1992
Gerd
Hansen: Die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in Erziehungsheimen.
Ein empirischer Beitrag zur Sozialisation durch Institutionen der öffentlichen
Erziehungshilfe. Weinheim 1994
B. Hartmann:
Armennot in Graubünden, eine tröstliche Erinnerung für 1937; Bündner
Haushaltungs- und Familienbuch, Chur 1937
B. Hartmann:
Johann Peter Hosang und sein Testament. Chur 1945
Gotthard Haslimeier: Aus dem Leben eines
Verdingbuben. Mit einem Vorwort von Emmy Moor. Affoltern am Albis 1955
Andrea
Hauri: Die Lebenssituation ehemaliger HeimbewohnerInnen. Eine Befragung
ehemaliger KlientInnen der Jugendanwaltschaft Solothurn, vier bis fünf Jahre
nach der Entlassung aus dem Heim. Diplomarbeit HSA Bern, 2000
Heime für die schwererziehbare
und verlassene Jugend in der Schweiz. Herausgegeben vom Schweiz. Verband für
Schwererziehbare. Zürich 1933
Geneviève Heller, Gilles Jeanmonod, Jacques
Gasser: Rejetées, rebelles, mal adaptées. Débats sur l’eugénisme. Pratiques de
la stérilisation non volontaire en Suisse romande au XXe siècle. Genève 2002
Ursula
Hess: Die jugendstrafrechtliche Fremdfamilienversorgung (Art. 84 u. 91
schweiz. StGB) und ihre fürsorgerische Durchführung. Diplomarbeit Schule für
Soziale Arbeit, Zürich 1960
Hermann
Hesse: Unterm Rad. Erstmals eschienen 1906
Peter
Hirsch: Er nannte sich Surava. Stäfa 1991
Ursula
Hochuli Freund. Heimerziehung von Mädchen im Blickfeld. Untersuchung zur
geschlechtshomogenen und geschlechtergemischten Heimerziehung im 19. und 20.
Jahrhundert in der deutschsprachigen Schweiz. Peter Lang Frankfurt/Bern 1997
Alexander
Markus Homes: Gestohlene Kindheit. Ein Heimkind packt aus. Düsseldorf
1996
Arthur
Honegger: Die Fertigmacher. Zürich 1974
Thomas
Huonker: Fahrendes Volk – verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Zürich
1987
Thomas
Huonker: Anstaltseinweisungen, Kindswegnahmen, Eheverbote,
Sterilisationen, Kastrationen. Fürsorge, Zwangsmassnahmen, „Eugenik“ und
Psychiatrie in Zürich zwischen 1890 und 1970, Zürich 2002
Thomas
Huonker: Diagnose „moralisch defekt“. Sterilisation, Kastration und
Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik, Zürich 2003
Thomas
Huonker/Martin Schuppli/Fabian Biasio: Wandlungen einer Institution. Vom
Männerheim zum Werk- und Wohnhaus. Zürich 2003
Hans-Ulrich
Grunder: Das schweizerische Landerziehungsheim zu Beginn des 20.
Jahrhunderts. Eine Erziehungs- und Bildungsinstitution zwischen Nachahmung und
Eigenständigkeit. Bern 1987
Jürg
Jegge: Dummheit ist lernbar. Erfahrungen mit ‚Schulversagern’. Bern 1976
Jürg
Jegge: Abfall Gold. Über einen möglichen Umgang mit 'schwierigen'
Jugendlichen. Bern 1991
Hans Jäger: Wenn ich nicht geschrien
hätte... Aufzeichnungen und Protokolle eines Ausgestossenen. Stuttgart 1975
Emil
Jucker: Gründerjahre – Dank und Rückblick. In: Festschrift zum
50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Zürich 1969
Jugendanstaltsprobleme. Das schweizerische
Anstaltswesen für die Jugend. Zürich 1944
Fritz Käser-Maurer: Franz – Verdingbub und
Fremdenlegionär. Kirchberg 1995
Walther Kauer: Schachteltraum. Berlin 1974
Bernadette
Kaufmann/Walter Leimgruber/Thomas Meier/Roger Sablonier: Kinder zwischen
Rädern. “Und Kinder“, Jahrgang 20, Nr. 57, Zürich 2001
Regula
Keller: Von der industriellen Anstalt für katholische Mädchen zur
Stiftung ‚Grünau’ in Richterswil 1881-1977. Historische Monografie einer
sozialpädagischen Institution. Lizentiatsarbeit Zürich 1988
Armin
O. Konrad: Die wirtschaftlichen Grundlagen der Stiftung Albisbrunn. In:
Bericht des Landerziehungsheims Albisbrunn über die Jahre 1959/62, Horgen o.J.,
S.15f.
Kasy Kunz: Der Verdingbub. Bearbeitet
von Anton Bucher. Willisau 1996
Walter
Leimgruber/Thomas Meier/Roger Sablonier: Das Hilfswerk für die Kinder
der Landstrasse. Bern 1998
Leitbild 1985/90 für die städtischen
Kinder- und Jugendheime zuhanden des Vorstandes des Sozialamtes der Stadt
Zürich. Fachstelle für Heimerziehung, Zürich 1985
Carl
Albert Loosli: Anstaltsleben. Betrachtungen eines ehemaligen
Anstaltszöglings. Bern 1924
Carl
Albert Loosli: Ich schweige nicht! Erwiderungen an Freunde und Gegner
auf ihre Äusserungen zu meinem ‚Anstaltsleben’. Bern 1925
Carl
Albert Loosli: Administrativjustiz und Schweizerische
Konzentrationslager. Bern 1939
Carl
Albert Loosli: Psychotherapie und Erziehung. Ein Rückblick auf den
Streit um die Arbeitserziehungsanstalt Uitikon. Stäfa
1952
Ev
Manz: Ein Tag im Leben von Hausi, 22. Tages-Anzeiger-Magazin vom
30.7.2004, S.46f.
Erwin Marti: Carl Albert Loosli 1877-1959. (Bisher zwei Bände
erschienen) Zürich 1999ff.
Mariella
Mehr: Steinzeit. Bern 1981
Franz
Meier: Der wahre Lebenslauf eines Verding-Buben. o.O, o.J.
Marie
Meierhofer: Die Bedeutung der Mutterliebe für das erste Kindesalter. In: Pro Juventute Nr. 7/8, Zürich 1955, S. 3-8
Marie Meierhofer: L’influence des crêches
et pouponnieres sur le développement de l’enfant au cours de ses premières
années. Dans : Les cahiers Médico-Sociaux, 2me année 1957, Nr.1, p.22-26
Ulrike
Marie Meinhof: Bambule – Fürsorge für wen? Berlin 1971
Marie
Meyer: Die körperlich und geistig behinderte Jugend. In: Festschrift zum
50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Hg. Von der Erziehungsdirektion
des Kantons Zürich, Zürich 1969, S. 107-117
E. Mirer:
Armenwesen des Kantons Graubünden, Diss. Zürich 1922
Peter
Paul Moser, Historische Autobiografie. 3 Bände. Thusis 2000 bis 2002
Robert
Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törless. Erstmals erschienen 1906
Gertrud
Niggli: Wandel in der Sozialen Einzelhilfe, in: Festschrift zum
50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Hg. Von der Erziehungsdirektion
des Kantons Zürich, Zürich 1969, S.45-50
F. Pieth:100
Jahre Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Graubünden 1847-1947, Chur 1947
Nadja
Ramsauer: „Verwahrlost“. Kindswegnahmen und die Entstehung der
Jugendfürsorge im schweizerischen Sozialstaat 1900-1945. Zürich 2000
Martine Ruchat: L’oiseau et le cachot.
Naissance de l’éducation correctionelle en Suisse romande 1800-1913, Genf 1993
Pierre-Alain Savary: Hymne à l’amour,
Lausanne 2002
Flavia
Sax: Die Erziehungsanstalt für schwachsinnige Kinder in Masans,
Seminararbeit Universität Zürich 2003
Gustav
Adolf Schläpfer: Schwersterziehbarkeit. Amriswil 1964
Rudolf
Schenda (Hg.): Lebzeiten. Autobiographien der Pro-Senectute-Aktion,
Zürich 1982
Erich
Schmid (Hrsg.): Abschied von Surava. Eine Dokumentation. Zürich 2000
Brigitta
Schneebeli: Paul – eine besondere Frau. Eine Lebensgeschichte. Dietikon
2000
Fritz
Schneeberger: Über die Beobachtung schwererziehbarer Schüler in
Beobachtungsklasse und Beobachtungsheim. Diss. Zürich 1946
Jürg Schoch, Heinrich Tuggener, Daniel Wehrli: Aufwachsen ohne Eltern.
Verdingkinder - Heimkinder - Pflegekinder - Windenkinder. Zur ausserfamiliären
Erziehung in der deutschen Schweiz. Zürich
1990
Magdalena
Schweizer: Die psychiatrische Eugenik in Deutschland und in der Schweiz
zur Zeit des Nationalsozialismus, Bern 2002
Loretta
Seglias: Die Schwabengänger aus Graubünden. Saisonale Kinderemigration
nach Oberschwaben. Chur 2004
Corina
Soliva: Armen- und Fürsorgewesen in Graubünden, Diplomarbeit Schule für
soziale Arbeit, Zürich 1950
Georg
und Klara Sourlier-Sudja: Unsere Aufgaben. In: Hundert Jahre Friedheim
Bubikon. Wetzikon 1947, S.49-55
Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1928,
Bern 1929
Max Staub: Aus den Erinnerungen eines
städtischen Armensekretärs. Zürich 1902
Emma
Steiger: Die Jugendhilfe. Eine systematische Einführung mit besonderer
Berücksichtigung der deutschschweizerischen Verhältnisse. Erlenbach 1932
Emma Steiger: Handbuch der sozialen Arbeit in der
Schweiz. 2 Bde. Zürich 1948
Sylvia Thodé-Studer:
Les Tsiganes suisses, la marche vers la reconnaissance. Lausanne, 1987
Heinrich
Tuggener/Urs Schmidt: Menschen zwischen Zahlen und Marktmechanismen, in:
Josef Eigenmann (Hg.): Erziehungsschwierige heute. Folgerungen für die
Heimpädagogik. Luzern 1987, S.11-44
Rosalia Wenger: Rosalia G., ein Leben. Bern
1978
A. Wild: Veranstaltungen und Vereine
für soziale Fürsorge in der Schweiz. 2. vermehrte und umgearbeitete Auflage des
Buches von W. Niedermann: Die Anstalten und Vereine der Schweiz für
Armenerziehung und Armenversorgung. (D-F-I).
Zürich, Leemann, 1910
A. Wild: Soziale Fürsorge in der Schweiz. 2.
verm. Aufl. von: Veranstaltungen und Vereine für soziale Fürsorge in der
Schweiz. (D-F-I). Zürich
1919, nebst Nachtrag / Supplement, 1929.
A. Wild: Handbuch der sozialen Arbeit in der
Schweiz. 3. Aufl. v. 'Soziale Fürsorge in der Schweiz'. (D-F-I) In 2 Bänden.
Zürich 1933
Carlo
Wolfisberg : Heilpädagogik und Eugenik. Zur Geschichte der
Heilpädagogik in der deutschsprachigen Schweiz (1800-1950). Zürich 2002
August
Ziegler: Das Waisenhaus in Zürich im Wandel der Zeit, 1637- 1971, Zürich
1971
[1] Vgl. zur Geschichte des Zürcher Waisenhauses August
Ziegler: Das Waisenhaus in Zürich im Wandel der Zeit, 1637- 1971, Zürich o.J.
(1971); Markus Erb: Das Waisenhaus der Stadt Zürich von der Reformation bis zur
Regeneration, Diss. Zürich 1987; Maria Crespo: Verwalten und Erziehen. Die
Entwicklung des Zürcher Waisenhauses 1637-1837, Zürich 2001
[2] Ein solcher Fall ist dokumentiert in Thomas Huonker:
Diagnose: „moralisch defekt“, Zürich 2003, S.46-48. Dort auch eine
detailliertere Fassung des hier gegebenen Überblicks über die ältere Geschichte
der Fürsorge in Zürich
[3] Das zürcherische Armenwesen. Rückblick und Ausblick.
Bearbeitet von der Direktion des Armenwesens. Wädenswil 1907, S.194
[4] Lore Bollag-Winizki: Die sichernden Massnahmen für Jugendliche,
Verwahrloste und Gewohnheitstrinker im Kanton Zürich. Diss. iur. Zürich 1940,
S.23
[5] Robert Briner: Von den Anfängen des kantonalen
Jugendamtes. In: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen
Jugendamtes, Zürich 1969, S.9-11, S.10
[6]
Emil Jucker: Gründerjahre – Dank und Rückblick.
In: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Zürich
1969, S.11-28, S.12: „Innenpolitische Spannungen zeigten sich vor allem in der
Streikbewegung, zu deren Bekämpfung auch das Weinlandbataillon aufgeboten
wurde, in das ich kurz vorher als junger Rekrut eingereiht worden war.“ Jucker
bezieht sich hier auf die militärische Streikbekämpfung vor dem 1. Weltkrieg.
[7] Ebda. S.16: „Die heutigen Politiker können sich kaum
vorstellen, wie gross die allgemeine Spannung, das Misstrauen, ja der Hass
zwischen den Parteien und wie mühsam das Unternehme war, den aufgerissenen
Graben mit der Zeit wieder zu schliessen. Der Wille, den notleidenden
Arbeitslosen und den ungenügend bezahlten Industriearbeitern, vor allem aber
der gefährdeten und notleidenden Jugend zu helfen, war allgemein.“
[8] Ebda. S.17
[9] Robert Briner: Von den Anfängen des kantonalen
Jugendamtes. In: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen
Jugendamtes, Zürich 1969, S.9-11, S.11
[10] Jugendkommission des Bezirks Bülach, Jahresbericht
1930, in: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich, Bericht des kantonalen Jugendamtes
und der Bezirks-Jugend-Kommissionen über das Jahr 1930, Affoltern am Albis
1931, S. 181-192, S.184
[11] Jugendkommission des Bezirks Horgen, Jahresbericht
1930, in: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich, Bericht des kantonalen Jugendamtes
und der Bezirks-Jugend-Kommissionen über das Jahr 1930, Affoltern am Albis
1931, S.81-100, S.96
[12] Jugendkommission des Bezirks Meilen, Jahresbericht
1930, in: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich, Bericht des kantonalen Jugendamtes
und der Bezirks-Jugend-Kommissionen über das Jahr 1930, Affoltern am Albis
1931, S.101-116, S. 111f.
[13] Ebda, S.115f.
[14] Die Jugendhilfe im Kanton Zürich, Bericht des kantonalen
Jugendamtes und der Bezirks-Jugend-Kommissionen über das Jahr 1930, Affoltern
am Albis 1931, S.41
[15] Ebda. S.41
[16] Ebda. S.12
[17] Ebda. S.15f.
[18] Ebda. S.19
[19] Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1928, Bern 1929,
S.301
[20] Die Jugendhilfe im Kanton Zürich. Bericht des
kantonalen Jugendamtes und der Bezirks-Jugendkommissionen über das Jahr 1930,
Affoltern am Albis 1931, S.10
[21] Solche Informatoren wurden auch in anderen grösseren
Städten, etwa Basel oder Zürich eingesetzt; in Bern hiessen sie Quartieraufseher.
Zu den Informatoren bemerkt Max Staub in seiner Schrift „Aus den Erfahrungen
eines städtischen Armensekretärs“, Zürich 1902, unter anderem folgendes: „Die
Nachfrage seitens der Informatoren findet nicht, wie dies gewöhnlich Wohltäter
und Wohltäterinnen, selbst Pfarrer zu tun pflegen, am gegenwärtigen Wohnorte
der Leute statt, sondern sorgfältig und successive an ihren früheren Domizilen
vom ältest bekannten angefangen. Angesichts der ausserordentlichen Flottanz
gerade in diesen Schichten der Bevölkerung gelangt eine Familie bei diesen
schlechten Zeiten innert kurzer Frist in viele Wohnungen; vom Kreise IV nach
Aussersihl, von dort noch mehr an die Peripherie nach Wiedikon, jetzt
vielleicht wieder mehr nach Aussersihl zurück – reiche Erkundigungsgelegenheit!“
(S.30) „Viele unserer Informatoren stehen schon Jahre lang im Dienste, haben
eine reiche Erfahrung hinter sich; der eine oder andere von ihnen hat auch
schon einiges selbst erlebt – alles aber sind sie Männer, welche das Leben des
Volkes praktisch, nicht bloss theoretisch und auch in seinen Tiefen kennen. Man
macht ihnen nicht gleich etwas ‚weis’; sie haben es etwas ‚hinter den Ohren’.
In ihren täglichen Gängen auf dem Gebiet ihres Bezirkes haben sie allmählich
eine grosse Menge zuverlässiger Auskunftsstellen ausgewittert.“ Der
Erkundigungsdienst wurde in der Zwischenkriegszeit noch stark ausgebaut und
bestand bis zum Jahr 1990; die Berichte der Stadtzüricher Informatoren, von
welchen es Zehntausende, vielleicht über hunderttausend Berichte zu Familien
und Einzelpersonen, darunter auch Kinder und Jugendliche gibt, sind eine
wichtige Quelle; je nach ihren Darlegungen konnten Familien aufgelöst und
Betroffene in Institutionen eingewiesen werden. Vgl. zum Erkundigungsdienst
auch Thomas Huonker: Diagnose: „moralisch defekt“, Zürich 2003, S.31-36, S.39f.
[22] Eugen von der Crone: Entstehung und Ausbau der
Jugendsekretariate. In: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen
Jugendamtes, Zürich 1969, S.28-40,
S.31f.
[23] Das
Jugendrecht im Kanton Zürich : die im Kanton Zürich geltenden
eidgenössischen und kantonalen Gesetze, Verordnungen und wichtigen Bestimmungen
von Bedeutung für die Jugend und die Jugendhilfe, zusammengestelllt und
erläutert für Vormundschaftsbehörden, herausgegeben von der Erziehungsdirektion
des Kantons Zürich. Impressum: Zürich : Jugendamt, 1936
[24] Vgl. zu den Verfahren im Umfeld der „Eugenik“ in Zürich, von denen der oben geschilderte
Ablauf nur eine von vielen Varianten darstellt, Nadja Ramsauer: „Verwahrlost“.
Kindswegnahmen und die Entstehung der Jugendfürsorge im schweizerischen
Sozialstaat 1900-1945. Zürich 2000; Thomas Huonker: Anstaltseinweisungen,
Kindswegnahmen, Eheverbote, Sterilisationen, Kastrationen. Fürsorge,
Zwangsmassnahmen, „Eugenik“ und Psychiatrie in Zürich zwischen 1890 und 1970,
Zürich 2002
[25] Vgl. dazu Hans-Ulrich Grunder: Das schweizerische
Landerziehungsheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine Erziehungs- und
Bildungsinstitution zwischen Nachahmung und Eigenständigkeit. Bern 1987
[26] Armin O. Konrad: Die wirtschaftlichen Grundlagen der
Stiftung Albisbrunn. In: Bericht des Landerziehungsheims Albisbrunn über die
Jahre 1959/62, Horgen o.J., S.15f.
[27] Jugendanstaltsprobleme. Das schweizerische
Anstaltswesen für die Jugend. Zürich 1944, S.60
[28] Das Zitat stammt aus einem Text der Hauseltern Georg
und Klara Sourlier-Sudja im Friedheim Bubikon: Unsere Aufgaben. In: Hundert
Jahre Friedheim Bubikon. Wetzikon 1947, S.49-55, S.50f. Zur wechselnden
Wortwahl bei der Bezeichnung von Institutionen der Jugendfürsorge in der
deutschen Schweiz während der letzten 3 Jahrhunderte vgl. auch Heinrich
Tuggener/Urs Schmidt: Menschen zwischen Zahlen und Marktmechanismen, in: Josef
Eigenmann (Hg.): Erziehungsschwierige heute. Folgerungen für die Heimpädagogik.
Luzern 1987, S.11-44, S.21-23
[29] Gustav Adolf Schläpfer: Schwersterziehbarkeit.
Amriswil 1964
[30] Zitiert nach Fritz Schneeberger: Über die Beobachtung
schwererziehbarer Schüler in Beobachtungsklasse und Beobachtungsheim. Diss.
Zürich 1946, S.31
[31] Vgl. dazu June Kovach: Wer einmal lügt oder Viktor
und die Erziehung. Dokumentarfilm 73 Minuten, Schweiz, 1974
[32] Vgl. Carl Albert Loosli: Anstaltsleben. Betrachtungen
eines ehemaligen Anstaltszöglings. Bern 1924; Carl Albert Loosli: Ich schweige
nicht! Erwiderungen an Freunde und Gegner auf ihre Äusserungen zu meinem
‚Anstaltsleben’. Bern 1925; Carl Albert Loosli: Administrativjustiz und Schweizerische
Konzentrationslager. Bern 1939. Vgl. zu Loosli vor allem auch: Erwin Marti: Carl Albert
Loosli 1877-1959. (Bisher zwei Bände
erschienen) Zürich 1999ff.
[33] Carl Albert Loosli: Psychotherapie und Erziehung. Ein
Rückblick auf den Streit um die Arbeitserziehungsanstalt Uitikon. Stäfa 1952
[34] Vgl. Peter
Hirsch: Er nannte sich Surava. Stäfa 1991; Erich Schmid: Er nannte sich Surava.
Dokumentarfilm, Schweiz, 1995; Erich Schmid (Hrsg.): Abschied von Surava. Eine
Dokumentation. Zürich 2000. Vom abgesetzten Direktor der Anstalt Sonnenberg, J.
Brunner, liegt über die aus seiner Sicht vollkommen angemessenen Verhältnisse
unter seiner Leitung eine Rechtfertigungsschrift vor: J. Brunner: Die Tragödie
vom Sonnenberg bei Luzern. Eine notwendige Aufklärung über die
Sonnenberg-Affäre, ihre Hintergründe, Folgen und Auswirkungen. Luzern o.J.
[35] Vgl. zu Alfred Siegfried und zum Vorgehen der Pro
Juventute und ihres „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“ gegen die
Jenischen in der Schweiz mittels systematischer Kindswegnahmen und
Familienauflösungen Edith Gerth, Kinderraubende Fürsorge. Die Umerziehung der
Schweizer Jenischen durch die Stiftung Pro Juventute, in: Mark Müntzel/Bernhard
Streck: Kumpania und Kontrolle. Moderne Behinderungen zigeunerischen Lebens, Giessen
1981, S.129-166; Sylvia Thodé-Studer: Les Tsiganes suisses, la
marche vers la reconnaissance. Lausanne, 1987; Thomas
Huonker: Fahrendes Volk – verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Zürich
1987; Walter Leimgruber/Thomas Meier/Roger Sablonier: Das Hilfswerk für die
Kinder der Landstrasse. Bern 1998; Bernadette Kaufmann/Walter Leimgruber/Thomas
Meier/Roger Sablonier: Kinder zwischen Rädern.“Und Kinder“, Jahrgang 20, Nr.
57, Zürich 2001
[36] Vgl. Niklaus Freitag: Zur Geschichte der
schweizerischen Erziehungsanstalten, mit besonderer Berücksichtigung des
Waisenhaus-Problems. Diss. phil. I, Zürich 1938, S.54f.
[37] Jugendanstaltsprobleme. Das schweizerische
Anstaltswesen für die Jugend. Zürich 1944
[38] Ebda. S.52
[39] Ebda. S.52
[40] Ebda. S.59f.
[41] Ebda. S.57
[42] Ebda. S.75
[43] Vgl. insbesondere den Artikel „Anstaltskinder“ von
Anna Freud und Dora Burlington, erstmals erschienen 1949, aber auch die Arbeit
„Gemeinschaftsleben im frühen Kindesalter“ von Anna Freud und Sophie Dann,
erstmals erschienen 1951.
[44] Marie Meierhofer: Die Bedeutung der Mutterliebe für
das erste Kindesalter. In: Pro Juventute Nr. 7/8, Zürich 1955, S. 3-8; Marie Meierhofer:
L’influence des crêches et pouponnieres sur le développement de l’enfant au
cours de ses premières années. Dans : Les cahiers Médico-Sociaux, 2me
année 1957, Nr.1, p.22-26
[45] Gertrud Niggli, Jugendsekretärin des Bezirks
Zürich-Land seit 1951, in ihrem Rückblick: Wandel in der Sozialen Einzelhilfe,
in: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes, Zürich
1969, S.45-50, S.49
[46] Jugendkommission des Bezirks Dielsdorf, Jahresbericht
1930, in: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich, Bericht des kantonalen Jugendamtes
und der Bezirks-Jugend-Kommissionen über das Jahr 1930, Affoltern am Albis
1931, S.193-212, S.201.
[47] Ebda. S. 211. Zum Vorgehen der Pro Juventute und
ihres „Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse“ gegen die Jenischen in der
Schweiz mittels systematischer Kindswegnahmen und Familienauflösungen vgl. die
entsprechende Fussnote weiter oben.
[48] Vgl. Magdalena Schweizer: Die psychiatrische Eugenik
in Deutschland und in der Schweiz zur Zeit des Nationalsozialismus, Bern 2002;
Thomas Huonker: Anstaltseinweisungen, Kindswegnahmen, Eheverbote,
Sterilisationen, Kastrationen. Fürsorge, Zwangsmassnahmen, „Eugenik“ und
Psychiatrie in Zürich zwischen 1890 und 1970, Zürich 2002; Geneviève Heller,
Gilles Jeanmonod, Jacques Gasser: Rejetées, rebelles, mal adaptées. Débats sur l’eugénisme.
Pratiques de la stérilisation non volontaire en Suisse romande au XXe siècle,
Genève 2002 ; Carlo Wolfisberg : Heilpädagogik und Eugenik. Zur Geschichte der Heilpädagogik in der
deutschsprachigen Schweiz (1800-1950). Zürich 2002
[49] Marie Meyer: Die körperlich und geistig behinderte
Jugend. In: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des kantonalen Jugendamtes,
Zürich 1969, S. 107-117, S.108
[50] Ursula Hess: Die jugendstrafrechtliche
Fremdfamilienversorgung (Art. 84 u. 91 schweiz. StGB) und ihre fürsorgerische
Durchführung. Diplomarbeit Schule für Soziale Arbeit, Zürich 1960, S.46
[51] Vgl. Lothar Gothe/Rainer Kippe: Ausschuss. Protokolle
und Berichte aus der Arbeit mit entflohenen Fürsorgezöglingen, Köln 1970;
Ulrike Marie Meinhof, Bambule – Fürsorge für wen? Berlin 1971
[52] AKJ: Amt für Kinder- und Jugendeinrichtungen
[53] Leitbild 1985/90 für die städtischen Kinder- und
Jugendheime zuhanden des Vorstandes des Sozialamtes der Stadt Zürich.
Fachstelle für Heimerziehung, Zürich 1985, S.5
[54] Ebda., S.12; vgl. auch Heinrich Tuggener/Urs Schmidt:
Menschen zwischen Zahlen und Marktmechanismen, in: Josef Eigenmann (Hg.):
Erziehungsschwierige heute. Folgerungen für die Heimpädagogik. Luzern 1987,
S.11-44, S.29
[55] Botschaft des Bundesrates vom 5. Juni 1974 zur Revision des
Kindesrechtes, in: Bundesblatt 1974,
Bd.2, S. 88
[56] Heinrich Tuggener/Urs Schmidt: Menschen zwischen
Zahlen und Marktmechanismen, in: Josef Eigenmann (Hg.): Erziehungsschwierige
heute. Folgerungen für die Heimpädagogik. Luzern 1987, S.11-44, S.20
[57] Vgl. Thomas Huonker/Martin Schuppli/Fabian Biasio:
Wandlungen einer Institution. Vom Männerheim zum Werk- und Wohnhaus. Zürich
2003, siehe darin z.B. den Abschnitt „Leben und Tod des Verdingbuben und
Multitoxikomanen René H.“, S.92ff.
[58] Beispielsweise in der Krankengeschichte von Trudi W.,
auszugsweise wiedergegeben in: Thomas Huonker, Diagnose: „moralisch defekt“,
Zürich 2003, S.209ff.
[59] Vgl. Hermann Hesse: Unterm Rad. Erstmals erschienen
1906 in der Neuen Zürcher Zeitung; Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings
Törless. Erstmals erschienen ebenfalls 1906
[60] Arthur Honegger: Die Fertigmacher. Zürich 1974
[61] Mariella Mehr: Steinzeit. Bern 1981
[62] Die Themen und wichtigsten Personen in der Sendereihe waren folgende:
12. Januar 2004: Porträt Dora Stettler; 19. Januar 2004: Verdingkinder - ein dunkles Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte (mit Marco Leuenberger); 26. Januar 2004: Porträt Arthur Honegger; Studiogespräch mit Nationalrätin Jacqueline Fehr; 2. Februar 2004: Portät Hans Ittig; 9. Februar 2004:
Das Pflegekinderwesen heute
- Familie Bürgin aus Basel; Studiogespräch mit Peter Grossniklaus, Fachstelle
Pflegekinderaktion
[63] Ev Manz: Ein Tag im Leben von Hausi, 22.
Tages-Anzeiger-Magazin vom 30.7.2004, S.46f.
[64] Rudolf Schenda (Hg.): Lebzeiten. Autobiographien der
Pro-Senectute-Aktion, Zürich 1982
[65] Thomas Huonker: Fahrendes Volk- verfolgt und verfemt.
Jenische Lebensläufe. Zürich 1987
[66] Emma Steiger: Handbuch der sozialen Arbeit in der
Schweiz. 2 Bde. Zürich 1948. Nebst diesem monumentalen Werk sind auch andere
Publikationen von Emma Steiger für die Thematik von Belang, so z.B. Emma
Steiger: Die Jugendhilfe. Eine systematische Einführung mit besonderer
Berücksichtigung der deutschschweizerischen Verhältnisse. Erlenbach 1932
[67] A. Wild: Veranstaltungen
und Vereine für soziale Fürsorge in der Schweiz. 2. verm. & umgearb. Aufl.
des Buches von W. Niedermann: Die Anstalten und Vereine der Schweiz für
Armenerziehung und Armenversorgung. (D-F-I). Zürich, Leemann, 1910, gr.
in-8°, XI + 614 S; A. Wild: Soziale Fürsorge in der Schweiz. 2. verm. Aufl.
von: Veranstaltungen und Vereine für soziale Fürsorge in der Schweiz. (D-F-I). Zürich
1919, nebst Nachtrag / Supplement, 1929; A. Wild: Handbuch der
sozialen Arbeit in der Schweiz. 3. Aufl. v. 'Soziale Fürsorge in der Schweiz'. (D-F-I) In 2 Bden. Zürich 1933. A. Wild
verfasste daneben noch ungemein zahlreiche andere Publikationen zum
schweizerischen Fürsorgewesen, zu dessen prägenden Figuren er in der Mitte des
20. Jahrhunderts er gehörte, die ich hier nicht alle bibliografiere.
[68] Heime für die schwererziehbare und verlassene Jugend
in der Schweiz. Herausgegeben vom schweizerischen Verband für Schwererziehbare.
Zürich 1933
[69] Vgl. dazu Loretta Seglias: Die Schwabengänger aus
Graubünden. Saisonale Kinderemigration nach Oberschwaben. Chur 2004
[70] Zum Fürsorge- respektive Armenwesen in Graubünden
vgl. E. Mirer: Armenwesen des Kantons Graubünden, Diss. Zürich 1922; Corina
Soliva: Armen- und Fürsorgewesen in Graubünden, Diplomarbeit Schule für soziale
Arbeit, Zürich 1950; F. Pieth, 100 Jahre Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons
Graubünden 1847-1947, Chur 1947; B. Hartmann: Armennot in Graubünden, eine
tröstliche Erinnerung für 1937. Bündner Haushaltungs- und Familienbuch, Chur
1937
[71] Vgl. dazu B. Hartmann: Johann Peter Hosang und sein
Testament, Chur 1945
[72] Zu Geschichte, Personal und Insassen dieser Anstalt
liegt eine Seminararbeit von Flavia Sax beim Zücher Institut für
Sonderpädagogik vor: „Die Erziehungsanstalt für schwachsinnige Kinder in
Masans“, Zürich 2003
[74] Vgl. die entsprechende Anmerkung weiter oben
[75] Es sind dies die Projekte Jäger, Sablonier/Meier und
Huonker
[76] Gerd Hansen: Die Persönlichkeitsentwicklung von
Kindern in Erziehungsheimen. Ein empirischer Beitrag zur Sozialisation durch
Institutionen der öffentlichen Erziehungshilfe. Weinheim 1994, S.VI
[77] Marianne Hochuli Freund: Heimerziehung von Mädchen im
Blickfeld. Untersuchung zur geschlechtshomogenen Heimerziehung im 19. und 20.
Jahrhundert in der deutschsprachigen Schweiz. Diss. Zürich 1997, Heidelberg
1999
[78] Vgl. Jürg Jegge: Dummheit ist lernbar. Erfahrungen
mit ‚Schulversagern’. Bern 1976; Jürg Jegge: Abfall Gold. Über einen möglichen
Umgang mit 'schwierigen' Jugendlichen. Bern 1991
[79] Erving Goffman:
Asyle. Über die soziale Situation
psychisch kranker Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main 1972;
Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt
am Main 1976
[80] So Peter Chmeliks gründliche Darstellung, welche
allerdings die Optik der Zöglinge weitgehend ausblendet, dafür entgegen dem
Titel auch ins zwanzigste Jahrhundert hineinreicht: Peter Chmelik:
Armenerziehungs- und Rettungsanstalten. Erziehungsheime für reformierte Kinder
im 19. Jahrhundert in der deutschsprachigen Schweiz, Zürich 1978. Für die
katholischen Anstalten: Barbara Alzinger/Remi Frei: Die katholischen
Erziehungsheime im 19. Jahrhundert in der deutschsprachigen Schweiz, Brugg
1987. Jürg Schoch, Heinrich Tuggener, Daniel Wehrli (Hg.):
Aufwachsen ohne Eltern. Verdingkinder - Heimkinder - Pflegekinder -
Windenkinder. Zur ausserfamiliären Erziehung in der deutschen Schweiz. Zürich
1989. Für die französischprachige Schweiz: Martine Ruchat: L’oiseau et
le cachot. Naissance
de l’éducation correctionelle en Suisse romande 1800-1913, Genf 1993. Das sehr gründliche und substantielle Buch und oben
bereits zitierte Buch von Nadja Ramsauer: „Verwahrlost“ Kindswegnahmen und die Entstehung der Jugendfürsorge
im schweizerischen Sozialstaat 1900-1945. Zürich 2000 sowie andere, bereits
weiter oben zitierte Arbeiten. Sodann einige unpublizierte Anstaltsmonografien,
z.B. Regula Keller: Von der industriellen Anstalt für katholische Mädchen zur
Stiftung ‚Grünau’ in Richterswil 1881-1977. Historische Monografie einer
sozialpädagischen Institution. Lizentiatsarbeit Zürich 1988; Sabine Bitter: Die
Richter-Lindersche Anstalt in Basel von von 1852-1906. Lizentiatsarbeit Basel
1989
[81] Vgl. dazu Ueli Gyr: Das Welschlandjahr. Milieuwechsel
und Alltagserfahrung von Volontärinnen. Basel und Frankfurt am Main 1992
[82] So z.B. Werner Baur: Zwischen Totalversorgung und
Strasse. Langzeitwirkungen öffentlicher Erziehung. Eine qualitative Studie zu
Lebenslauf, Individuallage und Habitus eines ehemaligen Heimzöglings.
Langenau-Ulm 1996; Andrea Hauri: Die Lebenssituation ehemaliger
HeimbewohnerInnen. Eine Befragung ehemaliger KlientInnen der Jugendanwaltschaft
Solothurn, vier bis fünf Jahre nach der Entlassung aus dem Heim. Diplomarbeit
HSA Bern, 2000
[83] Gotthard Haslimeier: Aus dem
Leben eines Verdingbuben. Mit einem Vorwort von Emmy Moor. Affoltern am Albis
1955; Arthur
Honegger: Die Fertigmacher. Zürich 1974; Walther Kauer: Schachteltraum. Roman.
Berlin 1974; Hans Jäger: Wenn ich nicht geschrien
hätte... Aufzeichnungen und Protokolle eines Ausgestossenen. Stuttgart 1975; Rosalia Wenger: Rosalia G., ein Leben. Bern 1978; Fritz Käser-Maurer: Franz – Verdingbub und
Fremdenlegionär. Kirchberg 1995; Louisette Buchard:
Le tour de suisse en cage. L’enfance volée de Louisette. Yens 1995; Alexander Markus Homes: Gestohlene Kindheit. Ein
Heimkind packt aus. Düsseldorf 1996; Kasy Kunz: Der
Verdingbub. Bearbeitet von Anton Bucher. Willisau 1996; Franz Meier: Der wahre
Lebenslauf eines Verding-Buben. o.O, o.J.; Renan Demirkan (Hg.): Der Mond, der
Kühlschrank und ich. Heimkinder erzählen. Köln 2001; Pierre-Alain Savary: Hymne à l’amour, Lausanne 2002; Peter Paul
Moser, Historische Autobiografie, 3 Bände, Thusis 2000 bis 2002; Fritz Aerni:
Wie es ist, Verdingkind zu sein. Zürich 2004.
[84] Brigitta Schneebeli: Paul – eine besondere Frau. Eine
Lebensgeschichte. Dietikon 2000