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Thomas Huonker

 

Herr niemand

 

 

Die geschichte von herrn niemand kann es vielleicht gar nicht geben. Wer ist denn niemand. Ich habe die geschichte schon einmal geschrieben. Sie ist im computer abgestürzt, ich habe keine kopie gemacht, die geschichte ist einfach verschwunden. Weg, fort, aus.

 

Schwach kann ich mich noch an die geschichte von herrn niemand erinnern. Ich probiere sie nochmals aufzuschreiben, mit füllfeder, in ein liniertes Heft.

 

Herr niemand ist übrigens anhänger der kleinschreibung. Das bin ich sonst nicht, aber ihm zuliebe schreibe ich seine geschichte  auch klein. 

 

Herr niemand lebt in einem alterslosen, verwitterten, guterhaltenen, wohlgeformten kleinen haus im niemandsland vor der grossen stadt.

 

Ein riesiges bauprojekt ist hier gescheitert. Noch liegen davon einige bretter, latten  und eine verrostete baggerschaufel im gelände.

 

Niemand weiss genaueres. Gerüchte gehen um, die behörden in den vier hauptstädten des kleinen staates, in dem niemand lebt, würden sich ein vergnügen daraus machen, die pläne des bauvorhabens von bürotisch zu bürotisch zu schieben. Sie würden sich gegenseitig  im heraussuchen von immer neuen gesichtspunkten, vorbehalten und nötigen abklärungen übertreffen und untereinander wetten abschliessen, wie lange sie es noch so treiben könnten.

 

Sie können es mit gutem gewissen tun. Eine der abklärungsstudien hat ergeben, dass sich unterdessen im verlassenen baugebiet viele seltene lebewesen angesiedelt haben,  an tieren der feuersalamander, die geburtshelferkröte, die ödlandschrecke,  admiral und schwalbenschwanz, die uferschwalbe, kamm- und fadenmolch, die smaragdeidechse, an pflanzen akelei,  der vielblütige weisswurz, die pfirsichblättrige glockenblume, weidenröschen, gelber und blauer eisenhut, der hohle lerchensporn, kornblume und wolfsmilch, weisser stechapfel und roter klatschmohn.  Das grosse gelände,  leicht hügelig und mit buschwald bestanden, ist  kurz von einem wilden aufgebot von baggern bearbeitet worden. Sie haben es teils zerwühlt und mit tiefen baugruben und entsprechenden aushubhügeln versehen, teils eingeebnet und geschottert. Dieser überstürzte baubeginn wird  in vielen, teils noch hängigen gerichtsverfahren überwiegend als ungesetzlich betrachtet, mit den verschiedensten begründungen. 

 

Niemand weiss, wer die einsprachen und beschwerden erhebt und die prozesse führt. Aber bagger und lastwagen sind nicht mehr gekommen, und die ausgesteckten himmelhohen bauprofillatten hat der wind geknickt.

Niemand weiss genau, welche beamten und richter die hauptfiguren des sich immer länger hinziehenden wettspiels sind, über das immer wildere gerüchte umgehen. Manchmal erscheint ein artikel über das niemandsland in einer zeitung, mit fotos, die von jahr zu jahr eine schönere landschaft zeigen. Die zeitungen der einen hauptstädte suchen die schuldigen in den anderen landesteilen. Deren vertreter wehren sich in leserbriefen und schieben die schuld zurück. Einzelne Blumenfreunde und Tierschützer beginnen seit längerem, niemandsländer auch für andere städte und siedlungen zu fordern. Der naturschutzbund hat sich in die hängigen prozesse eingeschaltet und fordert, das gelände als naturreservat zu sichern.

 

So geht alles seinen gang, und das kleine graue haus, in dem niemand wohnt,  bleibt das einzige bauwerk im gebiet, ausser einigen baumhütten, welche die kinder aus den sozialwohnungen der satellitenstädte konstruieren und die der sturm gelegentlich wieder aus den bäumen schüttelt.

 

Die Kinder finden genug baumaterial. Autos, lieferwagen, lastwagen laden bauschutt, alte möbel und hausrat, zerhackte akten oder fässer mit giften in allen farben ab. Niemand kümmert sich um das gelände. Niemand weiss, wohin die giftabfälle schliesslich gebracht werden. Kinder und spaziergänger sehen gelegentlich wagen der stadtverwaltung, welche die schlimmsten abfälle dann doch holen kommen. In einzelnen zeitungsartikeln steht immer wieder, das besitzerkonsortium selber, von dem niemand die einzelnen namen kenne, biete sich den giftmüllfirmen als abladeplatz an..

 

Was nicht giftig ist, bleibt liegen, wird von anderen leuten abgeholt und wiederverwertet. Was liegenbleibt, ist schnell von brombeerstauden und anderen Gewächsen überwuchert: Abortschüsseln, wasserleitungen, teerbrocken, alte türen, zerbrochene backsteine mit und ohne verputzreste, alte flaschen, glas- und porzellanscherben, rostige velorahmen, autoräder, schirmskelette, tierkadaver.

 

Die schmale teerstrasse, die ins niemandsland hineinführt und dort am steilufer einer längst wassergefüllten und eingewachsenen baugrube abbricht, ist die einzige strasse geblieben, denn zum kleinen grauen haus zweigt nur ein schmaler schotterweg ab, und sonst gibt es nur kaninchenwege und trampelpfade. Die strom- und telefonleitung zum kleinen grauen haus, wo niemand haust,  ist die einzige leitung geblieben, obwohl ein riesiger haufen leitungsrohre aus schwarzem plastik, von laub überdeckt, von pestwurz überwachsen, jetzt ein ganzes wohnquartier für mäuse, blindschleichen, tausendfüssler und asseln bildet; die bewohnerzahl dieses röhrenbaus übersteigt fast die amtliche einwohnerzahl der östlichen hauptstadt, und das ist die grösste der vier hauptstädte.

 

Bei schlechtem wetter, und auch bei sonnenschein, wenn es ihm zu heiss ist draussen,  bleibt herr niemand in seinem haus und ordnet seine vergangenheit. Damals war er noch jemand.  Er schreibt  auf, was ihm daran wichtig geblieben ist, und was er dazu denkt, in linierte Hefte, kleingeschrieben. Er schreibt, was ihm, nur ihm, jetzt noch durch den kopf geht, ihm und sonst niemand. Oft liest niemand seine älteren hefte durch und ändert einzelne worte. Niemand findet es schwierig, die richtigen worte zu finden.

 

Niemand weiss, wovon er lebt. In den läden kauft niemand, was er braucht. Er zahlt immer bar. Vieles bestellt er auch per post, aber niemand ist nie ganz sicher, ob der postbeamte auch alles bringt, was er bestellt, so weit hinaus.

 

Niemand spendet viel für die armen, für die verfolgten, für den naturschutz.  Irgendwoher muss niemand geld haben. Wenn niemand im restaurant isst, bestellt er selten das billigste. Er isst gerne mais, peperoni, fisch, reis, bohnen, chinesische gerichte, italienische salate.

Niemand ist ein ausgekochter feinschmecker. Er kocht selber gern und meist zuviel, die reste gibt er der katze und den ratten.

 

Niemand hört viel musik. Am liebsten hat er den gesang der amseln, das rauschen des regens, das heulen des sturms. Donner liebt niemand besonders. Den blitz fürchtet er, wie seine rabenschwarze katze, die er mausekatze ruft. Sie ist nun auch schon ein altes tier und bekommt weisse haare um die gelben augen herum. Niemand erinnert  sich gern an den tag, wo sie im zugelaufen ist. Es war das schönste und wildeste gewitter, das er je erlebt hatte. Er wohnte noch nicht lange hier im niemandsland, die bagger waren eben erst abgezogen. Das Gewitter füllte die baggerspuren, die baugruben, die rostigen büchsen, alles, was hohl war, mit wasser. Wasser. Wasser überall. Niemand blieb trocken in seinem haus. Zwischen zwei donnerschlägen hörte er das miauen, doch lange sah er die halbwüchsige schwarze katze nicht, die unter dem vordach des hauseingangs schutz suchte. Er musste sie nicht lange hereinbitten.

 

Sie war begeistert über ein trutenschnitzel, und noch eins, die er ihr gab. Seitdem waren sie gute freunde, niemand und seine schwarze mausekatze. Er verzieh ihr sogar, dass sie mäuse und vögel fing. Nur die haselmäuse mit den weissen bäuchen, und die spitzmäuse, die sie nicht frass, und die bunten distelfinken, die dauerten ihn, und niemand, der wählerische feinschmecker, beschimpfte sie dafür.

 

Aus der zeit, da niemand jung war, hat er eine alte platte mit seinem lieblingslied, ausser dem der amseln:

He's a real nowhere man, sitting in his nowhereland, making all his nowhere plans for nobody.

 

Zu diesem lied hat er getanzt, an einem fest in der westlichen hauptstadt, am see, im regen, mit einer jungen frau, die niemand liebte. Er liebte sie über alles, ihr braunblondes haar, ihre strahlenden grauen Augen, ihre wohlgeformten lippen mit dem Lächeln in den mundwinkeln, ihren hals, ihre dünnen arme, ihre kleinen brüste mit den festen warzen, ihre runden hüften, ihre langen beine, ihre zierlichen füsse,  und er war selig, als er auch ihren weichen bauch, ihr braunes fell zwischen den beinen liebkosen durfte. Er tat ein jahr lang nichts anderes als ihr nachzulaufen, von ihr zu träumen, mit ihr zu reden, mit ihr zu spazieren, sie zu halten und zu küssen und mit ihr tagelang im bett oder an flussufern zu liegen. Niemand hatte sie so gern, so gern.

 

Nach einem jahr buchte sie einen sprachkurs im südlichen Gebirge, für zwei monate. Sie sagte, sie brauche distanz, er erschlage sie mit seiner liebe, sie müsse sich alles einmal in ruhe selber überlegen, sie wolle einmal im Leben wenigstens für sich allein leben, er könne ihr schreiben, solle ihr aber nicht nachreisen, auch wenn sie nicht auf alle briefe antworte. Niemand hielt sich daran. Als sie zurückkam, reiste sie sofort weiter, in die nördliche hauptstadt, um dort, schon schwanger, gleich zu heiraten. Niemand weinte wochenlang, bis er ihren abschiedsbrief schliesslich in ein scharfes eintopfgericht einkochte und aufass. Er trank dazu zwei flaschen wein und eine flasche schnaps und war danach drei tage lang in einem so schwachen zustand, dass er nicht einmal mehr weinen konnte.

 

Seither trinkt niemand nie mehr so viel, meidet die menschen und vermeidet die tränen, und was er noch an liebe aufbieten kann, erschnurrt sich die schwarze katze, oder sie liegt in seinem blick, wenn er durchs niemandsland spaziert.

 

Niemand ist gut informiert. Jeden Dienstag geht er in die Bibliothek und liest, was ihn interessiert. Er nimmt nie Bücher oder Zeitschriften mit nach Hause. Einzelne Sätze schreibt er in linierte Hefte ab. Jeden Tag liest er zwei ausländische Zeitungen vom Vortag, eine aus dem östlichen Nachbarland, eine aus dem westlichen. Die bringt auch der postbeamte. Wenn er kocht, fegt, aufräumt, sein bett macht, hört niemand radio. In den zeitungen liest niemand am liebsten, was er nicht schon am radio gehört hat. Einige meldungen schreibt er, gekürzt und aufs wesentliche zusammengefasst, in seine linierten hefte,  damit er sie nicht vergisst.

 

Zum beispiel die, dass seit einführung des zahlenlottos im östlichen nachbarland vor 27 jahren zwei unbekannte gewinner oder gewinnerinnen ihre millionen nicht abgeholt haben. Das wäre niemand nicht passiert. Er spielt nämlich gar kein lotto.

 

Oder eine nachricht über die höflichkeit.

 

Im grossen westlichen nachbarland jenseits des ozeans, den niemand schon öfters überflogen hat, sind bei einer schiesserei in einem nachtklub sieben menschen getötet worden. Nach angaben der polizei wird nach zwei männern gefahndet, die vermutlich zuvor zweimal wegen schlechten benehmens aus der bar gewiesen worden waren. Sonntag früh seien sie nach der schliessung der bar zurückgekehrt und hätten wahllos das feuer auf das noch anwesende personal eröffnet. Vier männer und drei frauen seien getötet und zwei frauen verletzt worden.

 

Niemand besass keine waffe ausser einem pickel, einem spaten und zwei grossen tranchiermessern.

 

Niemand notierte aber auch meldungen, wo waffen ihren sinn hatten.

Zum beispiel die:

 

Eine junge buchhändlerin verliebte sich in einen kollegen, der immer sehr überlegen auftrat. Er wollte, dass ihr Verhältnis geheim  und unverbindlich bleibe, und blieb ganz distanziert und kühl. Sie litt darunter. Nach einer Ferienreise sagte er, er habe eine andere kennengelernt, die ihn sexuell fasziniere. Er wolle deshalb das verhältnis mit der buchhändlerin aufgeben. Sie sollten aber gute kollegen bleiben. Die buchhändlerin ging zur polizei, holte einen waffenerwerbsschein und kaufte eine pistole. Beim letzten treffen mit dem kollegen zog sie die pistole aus der handtasche und zielte auf den mann. Der gab sich auch in dieser situation kühl, distanziert und überlegen. Er war überzeugt, dass sie nicht schiessen würde, glaubte ihr auch nicht, dass die pistole echt und geladen war. Sie drückte ab, er fiel schwer verletzt zu Boden. Sie alarmierte die sanität. Er ist wieder genesen, er hat seine kühle dstanz verloren, sie meinen es jetzt beide ernst, und ihr vehältnis ist durch die Gerichtsverhandlung alles andere als geheim geblieben. Die frau wurde zu eineinhalb jahren gefängnis, bedingt, verurteilt. Das paar will nächstens heiraten.

 

Auch einen bericht über ärzte und operationen fand niemand bemerkenswert.

 

Eine untersuchung im bereich der südlichen hauptstadt vergleicht die inanspruchnahme chirurgischer leistungen durch ärzte und ihre familienmitglieder mit derjenigen der gesamtbevölkerung sowie mit der der anwälte und derjenigen der leute in freien Berufen. Die studie vergleicht die häufigkeit von sehr geläufigen und nicht dringenden chirurgischen eingriffen (mandel- und blinddarmoperation, gebärmutterentfernung, leistenbruch, gallenblasenentfernung sowie hämorrhoidenentfernung) bei den genannten gruppen. Mittels fragebogen wurden 5898 fälle untersucht. Die ergebnisse zeigen, dass - mit Ausnahme der Blinddarmoperationen - die Operationshäufigkeit der gesamtbevölkerung im vergleich zu der der ärzte immer deutlich höher liegt, nämlich zwischen 19 und 84 prozent. Am grössten ist der unterschied bie gallenblasen- und hämorrhoidenentfernung (84 und 83 prozent); es folgen gebärmutterentfernung (58 prozent), leistenbruchoperationen (53 prozent) und mandelentfernungen (46 prozent). Im Durchschnitt liegt die operationshäufigkeit bei der gesamtbevölkerung um 33 prozent höher als bei den ärzten, bei den mitgliedern freier berufe um 25 prozent höher, während sie bei den anwälten nur 5 prozent höher liegt.

 

niemand war froh, wenn er um ärzte und spitäler einen bogen machen konnte. Eigentlich lebte niemand sehr gesund.

Er erinnerte sich an seine mandeloperation. Niemand war damals noch ein kind. Man hatte ein nach chemie riechendes tuch über sein gesicht gelegt, er war eingeschlafen, im halbschlaf trug man ihn aus dem bett hinaus, am nächsten morgen hatte er fürchterliche halsschmerzen und durfte nur tee trinken. Niemand fragte sich, wo seine mandeln wohl hingekommen seien. Und falls niemand in den himmel käme, oder in die Hölle, was wäre dann mit den wegoperierten Mandeln?  Niemand sagte sich, das sei wohl dasselbe wie mit all den weggeschnittenen Haaren und Fingernägeln, die würden wohl auch nicht wiederauferstehen. Aber es war ihm trotzdem unwohl bei der vorstellung, dass ein teil seines körpers im spital geblieben war. Vielleicht sammelte und trocknete dort jemand Mandeln.

 

Sehr lange beschäftigt  sich niemand auch an sehr tristen regentagen nicht mit seinen heften. Er geht auch dann hinaus ins niemandsland, freut sich an den schnecken und würmern, für die das spazierwetter ist, und dankt  den erfindern der gummistiefel, der oelmäntel und des regenschirms. Er ist dann auch froh, dass er nicht wieder, wie im letzten heissen sommer, den kleinen tümpel der gelbbauchunken tag für tag mit der giesskanne nachfüllen muss. Denn der liegt ziemlich weitab vom kleinen grauen haus.

Wenn es tage- und wochenlang regnet, schaltet niemand manchmal ganze schlaftage ein. Dafür bleibt er in vollmondnächten meistens wach. Das mondlicht und die vielen vom wind bewegten nachtschatten verwandeln das niemandsland in einen furchterregenden dschungel. Aber niemand hat keine angst.

 

Niemand kennt die Welt. Er hat drei chefs gehabt und ist selber vorgesetzter gewesen. Er ist entlassen worden und hat entlassen. Er hat pläne durchgesetzt und pläne durchkreuzt. Er hat den Umsatz gesteigert und die Kosten reduziert. Er hat neuland betreten und in den üblichen raster gespannt. Er hat seine phantasie und seine stärke, jahre seines lebens verkauft, um davon leben zu können. Niemand hält das aus. Aber eines tages will er nicht mehr. Niemand will niemand sein. Kein  beruf, keine arbeit, kein lohn. Kein arbeitsplatz, kein chef, keine kollegen. keine aufgabe, keine sekretärin, kein klatsch, kein bereich. Keine pläne, keine ehrung, keine pension.

 

Und doch gibt es ihn. Niemand tut, was er tut.

Niemand repariert die regenrinne, niemand pflanzt kartoffeln, niemand hackt holz, niemand räumt giftabfall weg, niemand streichelt seine katze. Niemand schreibt hefte voll, die niemand liest, niemand malt zeichen in den sand und vergräbt steine, die er behauen hat.

 

Niemand kümmert sich um niemand.

 

Niemand spaziert, niemand träumt, niemand rasiert sich, niemand isst, niemand schläft.

 

Manchmal geht niemand auf reisen, im sommer, wenn die katze genug beute findet.

 

So lebt niemand in den tag hinein, in die nacht hinein, in den tag hinein, in die nacht hinein; am liebsten mag niemand die Dämmerung. Fledermäuse sind ins niemandsland eingezogen. Igel huschen durchs laub der eschen,  birken und holunderbüsche, die immer höher aufwachsen.

 

Bald sieht niemand mehr das alterslose kleine haus. Pflanzen, gras, kleine bäume durchwuchern die Strasse, niemand weiss, ob es herrn niemand wirklich gibt, noch gibt, je gegeben hat, niemand, niemand.

 

Niemand weiss alles. Niemand weiss nichts.

 

Aber in den vier hauptstädten und in allen ortschaften dazwischen wissen die leute, was sie wissen dürfen, was sie dürfen müssen, was sie können sollen, was sie wollen müssen.

 

Herr meier ist jemand, frau müller ist frau müller, herr keller ist sogar herr doktor keller, frau ilsebill knurrhahn ist opernsängerin. Herr karl ist kanalarbeiter und kaninchenzüchter, herr direktor waldhofer sammelt ferraris und der sohn von frau müller sammelt briefmarken. Frau müller sammelt Kaffeerahmdeckel. Herr Meier ist befördert worden. Herr Leibundgut ist entlassen worden, seine frau hat später herrn seelhofer geheiratet, das ging aber auch nicht gut. Herr hauser ist in den bergen abgestürzt. Herr Gurniger, der eigentlich kunstmaler werden wollte, ist instruktionsoffizier, frau schirmer hat jetzt einen eigenen coiffeursalon, fräulein effinger und frau born sind ihre angestellten. Herr bolliger ist drogensüchtig,  frau wattendorfer sozialarbeiterin. Herr pfarrer irniger hat sich jetzt doch scheiden lassen,  Frau staudenbühl besucht einen tantrakurs, herr borter lernt klarinette spielen. Das jüngste kind von familie ehrat ist unter ein auto gekommen. Frau furter ist eigentlich verkäuferin, aber sie arbeitet jetzt als serviererin. Herr konrad, nein, nicht sein bruder, der ist auf dem bauamt, herr albert konrad arbeitet auf der einwohnerkontrolle. Und erzählen sie ihm ja nichts von herrn niemand.

 

 

                                                  

 1995