Vortrag zu einigen Aspekten der Geschichte des Klosters und Anstalt Kappel am Albis
Liebe Anwesende,
es ist mir eine Freude, hier im Zwingli-Saal in Kappel einiges aus dem Stand meiner Arbeit zur Geschichte dieser schönen alten Bauten, ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu berichten.
Viele Hinweise, vor allem auch bildlicher Art, sowie einige archäologische Trophäen aus der Geschichte Kappels konnten Sie ja schon beim Rundgang durch die Ausstellung finden.
Anderes, insbesondere auch zur Baugeschichte Kappels, zur Geschichte Kappels als Schlachtfeld in früheren Kämpfen der Kulturen und Religionen, zur Reformationsgeschichte, zur Geschichte des Zürcher Patriziats und seiner Aussenposten in Vogteien und Amtshäusern, ist von anderen schon kundig dargestellt worden. Es ist mir insgesamt fast unheimlich, wie viele schriftliche Quellen und Sekundärliteratur es zur Geschichte Kappels gibt. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich bisher eher als Erforscher von vorher wenig erforschten Themen tätig gewesen, so etwa der Geschichte der Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz, der Geschichte der Verdingkinder und anderer von vormundschaftlichen und psychiatrischen Zwangsmassnahmen wie z.B. Zwangssterilisierung Betroffenen oder auch der Geschichte des benachbarten Werk- und Wohnheims zur Weid in Mettmenstetten, dem vormaligen Männerheim Rossau.
Andererseits ist es natürlich auch interessant, aus einer solchen Fülle von Texten jene Aspekte herauszuheben, die vielleicht bisher nicht allzu sehr im Vordergrund standen, und selbstverständlich gibt es auch in der Geschichte Kappels noch viel Unerforschtes, Vergessenes, vielleicht auch Verdrängtes, das nach Aufarbeitung ruft. Das gilt zum Beispiel für die Geschichte des Amtshauses Kappel seit der Reformation bis zur Helvetik. Der Aufgabenbereich des Amtmanns war eine Art Vorform des modernen Sozialstaates und deckte Bereiche wie Schulbildung, Gesundheitsfürsorge und Sozialfürsorge ab. Diese sind ja im modernen Wohlfahrtsstaat ebenfalls von zentraler Bedeutung, auch wenn manche argumentieren, ein möglichst schlanker und kostengünstiger Staat habe in diesen Gebieten möglichst wenig aktiv zu sein. Für diese Aufgabenbereiche war vor der Reformation nicht der Staat, sondern die Kirche, insbesondere die Klöster, zuständig gewesen. Unbekanntes und bisher wenig Thematisiertes gibt es aber auch aus der Geschichte der Armenanstalt, des Waisenhauses und der Korrektionsanstalt, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert in Kappel bestanden. Aus der riesigen Anzahl von Anstalten aller Art in der Schweiz, vom Waisenhaus und vom Armenhaus über die Arbeitsanstalt bis zur Irrenanstalt, sind erst seit einigen Jahren einige wenige Institutionen zum Thema der Sozialgeschichte geworden. Vorher schrieben die Leiter dieser Institutionen, jeweils zu Jubiläumsanlässen, deren Geschichte aus ihrer eigenen, nicht ganz unbefangenen Optik.
Es ist in erster Linie dem aktiven Verein Kappelerhof mit seinem Präsidenten Andreas Müller und der Studienleiterin in Kappel Dorothea Wiehmann zu verdanken, dass dieses Projekt, das ich zusammen mit Peter Niederhäuser bearbeite, in Angriff genommen werden konnte.
Lassen Sie mich also einige Aspekte der Kappeler Geschichte näher betrachten.
Zunächst einiges zu Landschaft und Landschaftsgestaltung.
Es ist bekannt, dass die Klöster, und insbesondere die Zisterzienserklöster, deren das Kloster Kappel eines war, das Landschaftsbild der Kulturlandschaft Schweiz entscheidend mitgeprägt haben. Wohl gab es überall jene Pioniere, die den Eichen-Buchen-Mischwald im Mittelland und die mehr von Nadelbäumen geprägten Wälder der höheren Lagen auf den heutigen, verfassungsmässig garantierten Bestand von rund einem Viertel der Landesfläche zurückdrängten und grossenteils durch Wiesland, Ackerbau und Siedlungen ersetzten. All die Flur – und Familiennamen wie Rütli, Rüti, Grüt, Greuter, Rüttimann und so weiter zeugen vom Roden des Urwalds in der Schweiz. Aber an dessen Beseitigung beteiligten sich eben insbesondere auch die Klöster sehr aktiv, die ja oft aus Zellen in absoluter Wildnis entstanden. Wichtige Impulse zur Landschaftsgestaltung, neben der Waldrodung auch die Trockenlegung von Sümpfen und die Anlage von Kanal- und Teichanlagen zum Mühlenbetrieb und zur Fischzucht, gingen seit dessen Gründung im Jahr 1185 auch vom Kloster Kappel aus. Das lag ganz in der Absicht der Stifter des Klosters, der Herren von Eschenbach, die alles Interesse daran hatten, die Einwohnerzahl und die Wirtschaftskraft ihres Herrschaftsgebiets rund um die Schnabelburg auf dem Albis zu steigern. Die schöne offene Landschaft hier, mit ihrem weiten Blick über den Zugersee in die Alpen, ist also nicht einfach ein Naturphänomen, sondern in vieler Hinsicht ein Kulturprodukt. Ein ganz spezieller Aspekt dieser Landschaftsgestaltung ist übrigens einer, den man heute nicht mehr sieht. Ich meine damit die riesigen Befestigungen und Schanzwerke, welche die Zürcher Generalität von den hiesigen Bewohnern in harter Fronarbeit aufwerfen liess, um Kappel im ersten Villmerger Krieg (1656) zu einem uneinnehmbaren Bollwerk im eidgenössischen Bürgerkrieg auszubauen. Doch kaum gebaut, mussten diese mit Holzkonstruktionen verstärkten hohen Erdwälle wieder abgetragen werden; das war eine der Bedingungen des Friedensabschlusses nach diesem Krieg, der für Zürich ungünstig ausging. Ich denke, wir können froh sein, dass die katholische Gegenpartei auf der Schleifung dieser Festungswälle bestand; sie hätten den schönen Blick über sonnige Weiten, den Kappel auszeichnet, arg beeinträchtigt.
Damit wäre ich schon beim zweiten Unterthema. Es lautet: Grenzen, Grenz-Erfahrungen, Ausgrenzung.
Wie die Rodung des Urwalds die Grenzen zwischen Siedlungsraum und Naturraum verschob, so definierte die Reformation neue Grenzen in der Schweiz, die zuweilen mitten durch die alten Orte verlaufen, wie etwa in Appenzell. Sicher gab es, wie der Alte Zürichkrieg von 1443/44 belegt, schon vor der Reformation die umkämpfte Grenze zwischen Zürcher Gebiet und Innerschweiz, und schon damals war Kappel ein Grenzposten. Symbole der Abgrenzung waren damals, nebst den Machtrivalitäten, die immer hinter solchen Abgrenzungszeichen stehen, etwa die Gräber der in der Innerschweiz verhassten Adelsfamilie Gessler in der Klosterkirche Kappel. Die Reformationskriege, und zu diesen sind nach den beiden Kappeler Kriegen von 1529 und 1531 die darauf folgenden beiden Villmerger Kriege von 1656 und 1712 und in gewisser Weise auch der Sonderbundskrieg von 1847 zu zählen, der den Weg zum modernen Bundesstaat bahnte, diese schweizerischen Religions- und Bürgerkriege folgten, beginnend auf dem Schlachtplatz Kappel, neuen Linien des Kulturkampfs, die zur alten Rivalität zwischen Innerschweiz und Zürich hinzukamen. Wenn auch das schöne Bild der Kappeler Milchsuppe, also des Fraternisierens mit den feindlichen Soldaten, diesen Befund etwas mildert, so kann nicht bestritten werden, dass die neu auch religös begründeten Kriege mit gesteigertem Ingrimm geführt wurden. Beispiele dafür sind die Vierteilung und Verbrennung von Ulrich Zwingli als Erzketzer auf dem Kappeler Kampfplatz durch die siegreiche katholische Partei im Jahr 1531, aber auch der erwähnte massive Zürcher Festungsbau im ersten Villmerger Krieg.
Die Moderne zeichnet sich dadurch aus, dass solche religiöse Abgrenzungen, die zu immer wieder längs den gleichen Linien und Fronten wiederholten Konflikten und Kriegen führten, sich allmählich abschwächen. Aber noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden hierzulande Liebesbeziehungen mit Bürgern anderer Orte und insbesondere mit Mitmenschen anderer Konfession durch extreme Ausgrenzung bestraft, nämlich mit Bürgerrechtsverlust, Verbannung und Verketzerung. So begann die Geschichte von vielen der in der Folge als Papierlose und Heimatlose Vertriebenen und Verfolgten.
Wo stehen wir auf diesem Feld heute? Wohl herrscht seit 1879 auch in der Schweiz Religionsfreiheit für alle Glaubensrichtungen. Katholiken, Protestanten und Juden, die einander über Jahrhunderte erbittert bekämpften,(wobei die Minderheiten immer die schlechteren Karten hatten,) errichten nun ihre Gotteshäuser unbestritten nebeneinander, vielleicht nicht immer in gegenseitigem Respekt, aber doch in gegenseitiger Duldung. Neu kommen Tempel der Buddhisten, der Hindu und der Sikh dazu. Einzig muslimische Minarette sind in einigen Gegenden noch umstritten, aber ich kann als Stadtzürcher darauf hinweisen, dass wir mit dem Minarett der Moschee beim Balgrist, das jetzt schon seit mehr als vierzig Jahren nicht weit von einem Kirchturm in den Himmel ragt, bestens leben können.
Die Ortschaft Kappel ist, darin dem aargauischen Villmergen verschwistert, Namensgeberin von zwei Religionskriegen. Kappel gab aber auch der nachahmenswerten friedensstiftenden Milchsuppe den Namen, und das heute hier betriebene Haus der Stille und Besinnung pflegte und pflegt stets den Geist gegenseitigen Respekts zwischen verschiedenen Religionen, insbesondere auch des bereichernden Austausches auf dem Gebiet religiöser Erfahrungen – die ja ebenfalls Grenzerfahrungen sind. Auch die im Sommer dieses Jahres beschlossene Rückbenennung der reformatorischen Wallfahrtsstätte in Kloster Kappel ist ein Zeichen dieses versöhnlichen Geistes. Ein solcher Geist der Toleranz und des gegenseitigen Respekts ist gerade heute dringend nötig, als Gegengewicht zu Rückgriffen auf Inbegriffe der Intoleranz wie Kreuzzug, Jihad oder Leitkultur, die unseren so erfreulich multikulturellen Planeten einmal mehr zu schädigen drohen.
Wie andere Kirchen auch war übrigens die Kirche und der ganze Klosterbezirk Kappel eine Stätte befristeten Asyls vor strafrechtlicher Verfolgung. Wer sich hinter die Klostermauern flüchtete, genoss während 6 Wochen und 3 Tagen einen Schutz vor jeder Strafverfolgung, selbst vor dem Scharfrichter. Noch der erste Amtmann in der nachklösterlichen Ära, Peter Simler, bestätigte dieses alte Recht im Jahr 1540. Umgekehrt wurde jede Straftat, die innerhalb des Klosterbezirks begangen wurde, mit doppelter Busse belegt. Der Abt des Klosters hatte auch die niedere Gerichtsbarkeit über ein kleines Gebiet der Umgebung, und das Abthaus war deshalb auch mit Gefängniszellen ausgestattet.
Eine weitere Grenze, für deren Aufhebung im Namen der Gleichberechtigung gerade auch Menschen aus dem Knonauer Amt immer wieder einstanden, ist jene zwischen Stadt und Land. Damit gehe ich auf ein drittes Themenfeld ein. Bauern sind keine Städter, und umgekehrt. Beide Gruppen neigen dazu, sich gegenseitig zu verspotten. Es gibt auch ein stetes Ringen um die wirtschaftliche und politische Oberhand zwischen Stadt und Land. Diese alte Konfliktlinie geht, nicht nur in Basel, mitten durch ansonsten eng verbundene Völkerschaften. Auch die Geschichte Zürichs ist geprägt von diesem Konflikt, er ist heute noch spürbar, ich weiss das auch aus meiner Amtszeit als Kantonsrat für die Stadt Zürich. Heute wie früher dreht sich dieser Konflikt oft um Steuern und Abgaben.
Es gehörte zu den Eigenarten der Klöster rund um eine Stadt, dass sie, obwohl teilweise an entlegenen Enden des jeweiligen Gebiets gelegen, auch in den städtischen Zentren ihre Filialen hatten. Beim Kloster Kappel war dies der Kappelerhof in Zürich und zeitweise auch eine Liegenschaft in Zug. In erster Linie dienten diese städtischen Kloster-Ableger der gegenseitigen Versorgung, im Fall des unrühmlichen Kappeler Abts Ulrich Trinkler auch der persönlichen Bereicherung und Völlerei, die er abseits vom Kloster in einem städtischen Prunkbau besser betreiben konnte, was aber schliesslich mit seiner Absetzung und seinem Selbstmord wenige Jahre vor der Reformation endete. Es waren nicht zuletzt solche offenkundigen Verstösse gegen die Klosterregeln, welche die Mönche und Nonnen damals in Misskredit brachten.
Mit der Reformation wurde das Kloster Kappel umgekehrt zum Ableger, zum Aussenposten der Stadt in der Landschaft. Es gehörte nun dem theokratischen Stadtstaat Zürich, in dem der ausschliesslich aus Städtern zusammengesetzte Rat die Macht verkörperte. Dass die reformierte Stadt Zürich, wohl auch aus der biografischen Zufälligkeit heraus, dass der profilierte junge Theologe Heinrich Bullinger noch vom letzten Klosterabt Wolfgang Joner als Lehrer nach Kappel berufen worden war, nun eine Art externes Internat für angehende Prediger des neuen Glaubens in der Abgelegenheit Kappels einrichtete, blieb zwar ein kurzes Kapitel. Schon 1538 wurde diese Schule aus der Peripherie wieder nach Zürich verlegt, ins Zentrum; nur wenige Schüler verblieben noch bis 1550 in Kappel. Dennoch darf sich Kappel rühmen, kurz eine Art theologischer Kaderschmiede beherbergt zu haben, aus der immerhin Pfarrherren wie Rudolf Gwalther, der Nachfolger Zwinglis und Bullingers als Antistes, oder Johann Jakob Wick hervorgingen. Pfarrer Johann Jakob Wick ist der Verfasser der so genannten Wickiana, einer mehrtausendblättrigen Sammlung von kurzen Nachrichten, Hinweisen auf Kuriositäten und Wunderberichten, die er mit naiven, aber anschaulichen zeichnerischen Darstellungen von eigener Hand illustrierte. Dazu hatte er als Pfarrer damals Zeit. Diese Blätter schildern, dies alles völlig unkritisch befürwortend, wie es damals die zwinglianische Pfarrerschaft eben tat, die Verfolgung der rebellierenden Wiedertäufer, die Verbrennung von Hexen und die Folterung und Abstrafung von sonstigen Opfern des damaligen Justizwesens. Wick rapportierte aber auch Geistererscheinungen sowie Illustrationen zu Nachrichten und Gerüchten aus aller Welt. Dabei setzte er im Fall mangelnder eigener Anschauung auch jede Menge gestalterische Fantasie ein.
Nach der Aufhebung des Klosters und dem Übergang seiner Besitzungen an die Stadt Zürich setzte der Zürcher Rat ab 1531 einen Amtmann im ehemaligen Abtshaus ein, das seitdem Amtshaus hiess. An die klösterliche Vergangenheit erinnerte die offizielle Bezeichnung Klosteramt. Die Verstaatlichung der Klöster (mit Ausnahme des Klosters Fahr) hatte neben der Abzockerei einiger Äbte und der sich häufenden Brüche der Klosterregeln durch Mönche und Nonnen zwei weitere Gründe. Einerseits wurde sie aus theologischer Missbilligung der zölibatären Mönchsgelübde und aus reformatorischer Verneinung der Notwendigkeit regelmässiger Gebete zur Garantie des Seelenheils von Stiftern und Gönnern der Klöster begründet. Denn nach protestantischem Dogma sichert einzig göttliche Gnade menschliches Heil. Eine wichtige Rolle spielte auch das sozialpolitische Motiv, den Ertrag der Klostergüter direkt, ohne Nutzniessung durch Mönche und Nonnen, den Armen zugute kommen zu lassen. Deshalb wurden sowohl die städtischen wie die ländlichen ehemaligen Klöster in Zürich dem neuen Almosenamt unterstellt. Diesem oblag Speisung, Pflege und Beherbergung der ansässigen sowie der durchreisenden Armen, soweit sie von diesem Amt als des Almosens „würdig“ eingestuft wurden.
Der Amtmann in Kappel hatte die Erträge aus den Klostergütern, auch aus den Lehenshöfen, abzüglich der Lebenskosten seiner selbst, seiner Familie, seiner Bediensteten sowie des Gewinns, den es ihm zu erwirtschaften gelang, den Armen des Knonauer Amts sowie einiger Gebiete am linken Seeufer abzugeben. Dies geschah teils in Form direkter Aufnahme und Pflege insbesondere durchreisender kranker Armer, teils in Form der Armenbrote, die ihrer eher kleinen Ausmasse wegen – es waren sogenannte „Pfünderli“ – auch „Armenbrötli“ genannt wurden. Sie wurden aus den in Kappel gemahlenen Getreideerträgen und –abgaben an Ort gebacken und in die regionalen Pfarrämter transportiert. Die Verteilung erfolgte während des dörflichen Sonntagsgottesdienstes vor versammelter Gemeinde. Das erhöhte sowohl den Kirchenbesuch, der damals allerdings bei Strafe vorgeschrieben war, als auch die Schamschwelle für die Armen, um diese Form der Unterstützung nachzusuchen.
Ich bringe nun konkrete Beispiele der Fürsorge durch den Amtmann im 17. Jahrhundert. Sie sind einer Abrechnung des Amtmanns entnommen. Diese war eine erzählerisch ergänzte Buchhaltung. Eine solche Rechnung ist auch in der Ausstellung zu besichtigen.
Der Amtmann notierte: '1 Pfund 1 Schilling 5 Heller umb fleisch, eyer und hüner, einer armen frowen, lag 3 wuchen zu cappel in kinds nöten und hadt die vallend sucht, samt den wyberen so by iren waren.'
Ausserdem erhielten diese Frau und ihre Pflegerinnen 5 Masse Wein.
Oder: „5 Pfund verbrucht mit einer wältschen, genas im closter, lag 4 wuchen da mit 2 kinden, gab man ir was ir hört, auch den kinden, musst ich die milch kouffen, dan ich keine hatt, 10 Schilling der hebam ouch für ihre mall“, d.h. für ihr Essen.
Andere Quellen sind die Berichte der Pfarrer über die Armenunterstützung.
Der örtliche Pfarrer berichtete 1649 ans zentrale Almosenamt in Zürich, wie es um Einkommen und Unterstützung der Familie eines Wollwebers in Bonstetten stand.
Es handle sich um ein Ehepaar mit 8 kleinen Kindern, es besitze den vierten Teil eines Häuschens mit einem kleinen Kraut- und Baumgarten. Der Mann verdiene wöchentlich 14 Batzen mit Wollweben. Die Frau könne wegen der vielen Kinder nicht gewerblich arbeiten. Das älteste der Kinder helfe der Mutter in der Haushaltung, zwei Kinder von 10 und 8 Jahren würden dem heimarbeitenden Vater die Wolle spulen. Diese Familie erhalte pro Woche „8 Brötli von Kappel“, zusätzlich unterstütze sie die Kirchgemeinde mit 3 Schilling wöchentlich und die Gemeinde übernehme auch den Anteil am Schullehrerlohn für die Kinder dieser Familie.
Vielfach bezahlte das Klosteramt auch direkt Beiträge an die Schullehrer, deren Besoldung ansonsten, wie das Beispiel aus Bonstetten zeigt, den Eltern und den Gemeinden oblag. Überliefert sind auch Zahlungen des Klosteramts an die Hebammen der Region. Hinzu kamen „Zehrpfennige“ für wandernde Handwerksgesellen, Transportkosten für abgeschobene Arme und Kranke, Sonderrationen, z.B. Eier oder Wein, für Wöchnerinnen.
Ich nenne hier noch einige Zahlen zur Verteilung der Kappeler Armenbrote. Der Amtshof Kappel verteilte im Jahr 1693 jede Woche 284 Pfundlaibe Armenbrot; auf das ganze Jahr berechnet also rund 15'000 Armenbrote. 1700 waren es 24'500 Brote, 1740 deren 21'770.
Wie schon gesagt hatte der Amtmann in Kappel, im Unterschied zum Landvogt in Knonau, welcher den Steuereinzug und die Gerichtsbarkeit besorgte, somit einen Aufgabenbereich, der als Vorform des Sozialstaats bezeichnet werden kann.
Als Hinweis auf den damaligen Stand des Verhältnisses zwischen Stadt und Land sei bemerkt, dass bis zum Ende des Ancien Régime im Jahr 1798 nur die Landbewohner, nicht aber die Stadtbürger Steuern zahlen mussten. Bekanntlich waren den Landbewohnern auch jene Gewerbe verboten, die den in den städtischen Zünften Organisierten vorbehalten waren. Auch der Posten des Amtmanns in den Klosterämtern – neben Kappel waren das Küsnacht, Rüti und Töss – war für Stadtbürger reserviert. Daran änderten auch Aufstandsversuche der Landbevölkerung nichts, wie sie nach der Unterdrückung der Täuferbewegung wieder aufflammten, so 1646 am linken Zürichseeufer und im Knonauer Amt und 1795 in Stäfa und Umgebung. Denn diese Aufstände wurden vom städtisch kommandierten Militär unterdrückt.
Diesen Zuständen setzte noch vor dem von weiten Teilen der Bevölkerung, vor allem in den ländlichen Gebieten sowie in den Untertanengebieten, begrüssten Einmarsch Napoleons in Bern (am 5. März 1798) der Umschwung in Zürich ein Ende. Die ersten Freiheitsbäume wurden in den Seegemeinden und in der Stadt schon im Februar 1798 aufgerichtet, und auch die Bevölkerung von Kappel brachte den Amtmann dazu, um einen Freiheitsbaum zu tanzen. Zwar konnten die städtischen Patrizier, nach ihrem Sieg über die Aufständischen des Bockenkriegs in der Region Horgen im Jahr 1804 und vor allem nach dem Sturz Napoleons im Jahr 1815, ihre Privilegien teilweise wieder einführen. Doch der letzte Amtmann in Kappel, nun Amtsschaffner geheissen, war kein Stadtzürcher mehr, sondern ein Landbewohner aus dem Knonauer Amt. Allerdings konnte auch er das System des Einzugs der Abgaben und der Verteilung der Armenbrote nicht wieder im früheren Stil durchführen. Dies brachte die Unterschichten, die wie das ganze Land schon unter den Kriegskontributionen (vor allem an die Franzosen, aber auch an die Russen und die Österreicher) schwer gelitten hatten, in noch grössere Not, die in der Hungersnot von 1817 gipfelte. Die Bauern verweigerten die feudalen Abgaben, die Steuerhoheit ging von der Stadt an die Gemeinden und den Kanton über. Der Kanton wurde in den 1820er Jahren auch zum Besitzer des Klosters Kappel, setzte jedoch keinen Verwalter mehr ein. 1835 verkaufte der Kanton das ehemalige Kloster Kappel an die Kirchgemeinden des Knonauer Amts, die darin anstelle eines Armenhauses in jedem Dorf eine regionale Armenanstalt und vorübergehend auch ein Waisenhaus einrichteten. Ab 1878 nahm die Armenanstalt Kappel, welche mit der Arbeitskraft der Insassen Landwirtschaft betrieb, auch kantonale Korrektionshäftlinge auf. Die Anstalt Kappel blieb bis in die 1970er Jahre eine Kombination aus Alters- und Pflegeheim für ärmere Einwohner der umliegenden Gemeinden sowie für administrativ eingewiesene Randständige auch aus dem weiteren Kantonsgebiet. Es hiess aber auch im Knonauer Amt selber, dieser Ausspruch ist aus Interviews verbürgt: „Wenn du nicht recht tust, kommst du in die Anstalt Kappel.“ Seit Einführung der AHV (1948) war es für viele ältere Leute auch der Unterschicht möglich, ein selbstständiges Leben bis ins hohe Alter zu führen. Das verringerte die Zahl der Alten, die vorher aus materieller Not heraus in der Armenanstalt gelandet waren. Mit dem Ende der administrativen Verwahrung als Folge der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention (1968) endeten auch die Einweisungen der sogenannten „Korrektionellen“ in die Anstalt Kappel. Vor diesem Hintergrund kam es zur Idee der Einrichtung eines Hauses der Stille und Besinnung im ehemaligen Kloster Kappel. Zwecks Finanzierung des Umbaus der Klostergebäude und des Betriebs des Hauses der Stille und Besinnung wurde mit der Landeskirche, neben den Kirchgemeinden des Knonauer Amts, neu wieder eine kantonale Instanz Mitbesitzerin der Liegenschaft. So hatte gewissermassen das Zentrum wieder die Kontrolle über die periphere Anlage und deren Betrieb übernommen. Dementsprechend wurde von den Landbewohnern anfangs der neuartige Betrieb, etwa mit den frühen Kursen in tagelangem Schweigen, als von „den Städtern“ implantiertes „modernes Zeug“ abgelehnt.
Ich möchte nun aber nicht näher auf diese allerjüngste Etappe der über 800jährigen Geschichte der Klostergebäude in Kappel eingehen, sondern zum Schluss noch genauer einige Aspekte des Betriebs der Anstalt Kappel von 1836 bis 1978 schildern.
1836 zogen die ersten Insassen ein, darunter der gesamte Bestand des vorher schon betriebenen Armenhauses der Gemeinde Ottenbach. Ende 1836 waren es 57 Personen, darunter 4 Kinder, 1837 kamen 49 Waisenkinder hinzu, Ende 1837 waren 97 Arme in der Anstalt einquartiert. Die arbeitsfähigen Erwachsenen arbeiteten im Betrieb der Anstalt, ebenso die Waisenkinder in ihrer unterrichtsfreien Zeit. Das Niveau des Unterrichts und der Versorgung in der Anstalt Kappel war während der 1840er Jahre so hoch, dass bemängelt wurde, die Waisenkinder würden besser gehalten als die Kinder der mittleren und unteren Schichten ausserhalb der Anstalt. Da der Betrieb der Waisenabteilung aus dieser Optik heraus für zu teuer befunden wurde, platzierten die Leiter der Anstalt die Kinder in andere Anstalten.
Das Anstaltsregime verhärtete sich, zur Verbesserung der Bilanz des Betriebs wurde die Zwangsarbeit intensiviert und neues Umgelände urbarisiert. 1878 wurde eine Korrektionsabteilung eingerichtet für gemäss einem 1874 neu beschlossenen Zürcher Gesetz zwangseingewiesene „Liederliche“ und „Arbeitsscheue“ beiderlei Geschlechts. Im Sommer war Arbeitsbeginn frühmorgens um 4 Uhr 30 und Arbeitsende erst bei Einbruch der Dämmerung. 1885 waren 117 Insassen in der Anstalt Kappel untergebracht, davon 73 im Armenhaus, 32 im Korrektionshaus, 12 in der Verwalterei. Hinzu kamen noch Zwangseingewiesene aus dem Kanton Glarus, die sich in Rekursen und Protestschreiben bitter über das harte Regime beschwerten, insbesondere über magere Kost, strenge Arbeit, körperliche Misshandlungen, mangelnde ärztliche Versorgung und hohe Sterblichkeit. Die vorgesetzten Behörden dementierten diese Reklamationen in offiziellen Untersuchungsberichten. Erst als der damalige Verwalter Jakob Suter auch des sexuellen Übergriffs auf eine Insassin beschuldigt wurde, musste er 1888 zurücktreten.
Unter seinem Nachfolger Eduard May kam es immer noch zu Beschwerden, auch brachen 1894 die Pocken aus. Daraufhin wurde im Jahr 1895 ein Krankenasyl innerhalb der Anstalt eingerichtet und eine Krankenschwester angestellt. Auch wurde die Kost verbessert. Seit 1894 wurde zweimal wöchentlich Fleisch ausgegeben; in den 1850er und 1860er Jahren war Fleisch nur einmal pro Monat auf den Tisch gekommen. 1870 war die Höchstzahl von 197 Insassen erreicht. Um 1910 war die Armenanstalt durchschnittlich von rund 130 Insassen besetzt. 1926, nach zusätzlichen Um- und Ausbauten, waren es 146.
1927 wurde das Armenhaus in Pflegeabteilung umbenannt, der sommerliche Arbeitsbeginn der Arbeitsfähigen von 4 Uhr 30 auf 6 Uhr verlegt und den Anstaltsinsassen ein Sonntagsspaziergang erlaubt; die körperliche Züchtigung wurde dem Aufsichtspersonal verboten.
In der Korrektionsabteilung galt 1931 eine Arbeitszeit von täglich 11 Stunden. Strafen bei Widersetzlichkeit oder Flucht waren Nahrungsentzug, Arrest oder Isolationshaft von bis zu einem Monat Dauer.
Einerseits verweisen diese Reglemente auf zahlreiche Menschen, die von Anstalt zu Anstalt umplatziert wurden und nirgends glücklich waren. Andererseits wurde vielen Insassen die Anstalt Kappel insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg zur echten Heimstätte. Die nicht korrektionell eingewiesenen und insbesondere die Arbeitsunfähigen hatten in der näheren Umgebung freien Ausgang. Die Anstaltsleitung zeigte sich auch flexibel gegenüber speziellen Vorlieben einzelner Bewohner. Legendär wurde der Insasse Baumann, „Katzen-Baumann“ genannt, weil er eine grosse Schar Katzen pflegte und fütterte, die ihm im ganzen Gelände nachstrichen. Nicht selbstverständlich war es auch, dass einem Bewohner zugestanden wurde, sich nebst seiner ordentlichen Schlafstelle eine eigene Bude im Heizungskeller einzurichten. Dort legte er eine wechselnde Sammlung von Fundstücken aus den Abfallgruben der Umgebung an; er hiess deswegen „der Güsel-Meier“.
So war es für viele der letzten Bewohner der Anstalt Kappel ein schwerer Abschied, als sie in die inzwischen entstandenen regionalen Altersheime umplatziert wurden, obwohl diese ja zeitgemässer eingerichtet und zentraler gelegen waren.
Damit möchte ich meine Ausführungen abschliessen. Wenn Sie Fragen haben, werde ich oder auch Andreas Müller und die anderen Gestalter der Ausstellung gerne versuchen, sie zu beantworten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.