Vortrag von
Thomas Huonker im Kolloquium ‚Norm und Ausgrenzung’ an der Forschungsstelle für
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich,
16. März 2005
Selbstzeugnisse und Fremddarstellungen
Methodologische
Bemerkungen zum Erzählen von Geschichte anhand von Beispielen aus aktuellen
Forschungen zur Lage von Jenischen, Sinti und Roma in der Schweiz zwischen 1800
und heute
Dieser
Vortrag knüpft an das Referat vom 22. Februar 2005 im Workshop
„Stigma, Differenz, Identität“ des NFP 51 an. (Siehe: http://www.thata.ch/referatmurten.htm).
Ein
Fremdbild des schweizerischen Nationalrats
Jenes Referat
endete mit dem Hinweis darauf, dass bei der Durchforstung von methodologisch relevanter
Literatur gelegentlich auch Forschungsinhalte aufgefunden werden können, die in
Vergessenheit gerieten; konkret zitierte ich die Schilderung einer Gruppe
jenischer Fahrender aus dem Elsass, die im Loiretal ihr Lager aufgeschlagen
hatten, durch den jungen Friedrich Engels im November 1848.[1]
Zusammen mit einer Schilderung des schweizerischen Parlaments durch denselben
Beobachter verfügen wir somit aus
derselben subjektiven Sicht über zeitgenössische Fremdbilder zweier gesellschaftlich
recht gegensätzlicher sozialer Mikrokosmen, nämlich einerseits der „Vaganten“
und andererseits der Repräsentanten des jungen Schweizer Bundesstaates, welche
zwei Jahre später, 1850, das „Gesetz die Heimatlosigkeit betreffend“ zum Umgang
mit eben solchen Fahrenden erliessen. Engels schrieb über den schweizerischen
Nationalrat:
„Wer
nicht vorher schon einen guten Teil der Schweiz gesehen hat, begreift kaum, wie
es möglich ist, dass ein Ländchen von ein paar hundert Quadratmeilen und nicht
dritthalb Millionen Einwohnern eine so bunte Versammlung zustande bringen kann.
Und doch ist es nicht zu verwundern; die Schweiz ist ein Land, in dem vier
verschiedene Sprachen gesprochen werden, Deutsch, Französisch, Italienisch
(oder vielmehr Lombardisch) und Romanisch, und das alle verschiedenen
Kulturstufen, von der ausgebildetsten Maschinenindustrie bis herab zum
unverfälschtesten Hirtenleben, in sich vereinigt. Und der schweizerische
Nationalrat vereinigt die Creme aller dieser Nationalitäten und Kulturstufen
und sieht deshalb nichts weniger als national aus. (...) Auf den vordersten
drei halbkreisförmigen Bänken sieht man scharf markierte Gesichter, ziemlich
viel Bart, sorgfältig gepflegtes Haar, moderne Kleider nach Pariser Schnitt;
hier sitzen die Repräsentanten der französischen und italienischen Schweiz,
oder, wie man hier sagt, die ‚Welschen’, und von diesen Bänken aus wird selten
anders als französisch gesprochen. Hinter den Welschen aber sitzt eine kurios
gemischte Gesellschaft. Man sieht zwar keine Bauern in schweizerischen Nationaltrachten,
im Gegenteil lauter Leute, über deren Kostümierung die Hand einer gewissen
Zivilisation hinweggegangen ist; hie und da sogar einen mehr oder weniger
modernen Frack, zu dem gewöhnlich auch ein anständiges Gesicht gehört; dann ein
halb Dutzend schweizerischer Offizierstypen in Zivil, einer wie der andere,
mehr feierlich als kriegerisch, in Gesicht und Kleidung etwas veraltet (...);
und endlich das Gros, bestehend aus unbeschreiblich physiognomierten und
kostümierten, mehr oder weniger ältlichen und altfränkischen Herren, jeder
verschieden, jeder ein Typus für sich und meistens auch für eine Karikatur.
Alle verschiedenen Spielarten des Spießbürgers, des campagnard endimanché und
des Kantönli-Oligarchen sind hier vertreten, alle gleich biedermännisch, gleich
erschrecklich ernsthaft, mit gleich schweren silbernen Brillen.“ [2]
Die
Stand- und Durchgangsplätze sind in den letzten 150 Jahren etwas komfortabler
geworden. Eine vergleichende Schilderung des Regierungsgebäudes beispielsweise
in Aarau und der von gemeindlicher Wegweisung bedrohten Baracken der Fahrenden
in Spreitenbach unmittelbar beim Rangierbahnhof der SBB muss heute jedoch
ähnlich kontrastreich ausfallen wie anno 1848. Ich sage das in beiden Fällen
als Augenzeuge.
Es ist
anzunehmen, dass angesichts solch krasser sozialer Gegensätze auch die
gegenseitigen Fremdbilder weit auseinander klaffen. Ebenfalls ist anzunehmen,
dass die Selbstbilder stark von diesen Fremdbildern abweichen. Ich unterlasse
es, hier Selbstbilder der damaligen herrschenden patrizischen und bürgerlichen
Schichten anzuführen. Die Geschichtsbücher sind voll davon, es gibt unzählige
Memoiren und Briefeditionen dazu.
Hingegen
stelle ich im folgenden chronologisch einige Fremdbilder und Selbstbilder der
hier thematisierten Minderheitsgruppen zusammen.
Fremdbezeichungen
und Selbstbezeichnungen
Vielfach
stecken die Fremdbilder schon in den Bezeichnungen. Die Jenischen, oftmals aber
auch die in der Schweiz meist nur in sehr geringer Zahl, wenn überhaupt,
geduldeten Sinti und Roma, wurden im Untersuchungszeitraum unseres Projekts von
1800 bis heute durch Aussenstehende in der Deutschschweiz bis Ende der 1960er, ja bis in die 1970er
und zuweilen noch in die 1980er Jahre mit diversen Fremdbezeichnungen belegt:
„Vaganten“, „Gesindel“, „Jauner“ oder „Gauner“, „Stromer“, „Heimatlose“,
„Nomaden“, „ „Zigeuner“, „Landfahrer“, „Kessler“, „Spengler“, „Bettelpack“,
„Hausierer“, „Schirmflicker“, „Chachelifuerme“ und „Fecker“. Ihre Grossfamilien und Reisegruppen wurden
als „Sippen“ oder „Horden“ bezeichnet. Ab den 1970er Jahren setzte sich die
gelegentlich schon vorher verwendete Bezeichnung „Fahrende“ durch, welche
ausser acht lässt, dass viele der darunter Subsumierten teilweise oder gänzlich
sesshaft leben. Selten, aber im ganzen Untersuchungszeitraum immer wieder,
werden in Fremdquellen auch Selbstbezeichnungen aus den Sprachen der einzelnen
Gruppen verwendet, also „Jenische“, „Kochemer“, „Manische“ oder „Kalderas“. Die heute im gesamten
deutschen Sprachraum oft verwendeten Ausdrücke Sinti und Roma wurden seit den
1970er Jahren zunehmend gebräuchlich. Erst
in dieser Phase deklarierten sich Jenische, Sinti und Roma in der
Schweiz zusehends offen und auch durch Gründung von Interessenverbänden und
Organisationen. Im Zug dieser authentischen Selbstpräsentationen wurden auch
die Unterschiede zwischen den genannten Gruppen deutlicher, die in zahlreichen
Fremdbezeichnungen diffus zusammenflossen. Manchmal dienen solche diffusen
Fremdbezeichnungen beispielsweise den heute in der Schweiz lebenden Roma auch
als eine Art Tarnung, so etwa die allgemeineren Labels wie „Jugo“, „aus
Balkan“, Muslim, Mazedonier oder Rumäne.
Ich will
mit diesen Aufzählungen nur darauf hinweisen, dass schon der Wahl der
Terminologie zahlreiche, gelegentlich unbewusst vollzogene methodische Choices
innewohnen.
Eine
methodische Herausforderung, um die unser Projekt nicht herumkommt, bilden
Quellen, in denen Selbst- und Fremdbilder in eigenartiger amtlicher Kombination
erscheinen; das gilt vor allem für ältere Quellen, so zum Beispiel für die
sogenannten „Gaunerlisten“, aber auch für die etwas anders konstruierten Verhörprotokolle aus den sogenannten
Heimatlosenakten. Ich bringe im folgenden vier Fallbeispiele aus sogenannten
„Gauner-Listen“ der Jahre 1802, 1812, 1827 und 1844, wobei aber nur die von
1812 und 1827 explizit so betitelt sind.
Berner
Hannesli, ausgeschrieben in Bern, 1802
Eigentlich
war die Hochblüte dieser Gaunerlisten das 18. Jahrhundert. Doch auch unter der
Helvetik, als viele Fahrende für einige Jahre ein ihnen später wieder
abgesprochenes Bürgerrecht als Schweizer erwerben konnten, liessen sich
Justizbeamte, ganz nach dem Muster der Inquisitionsberichte des Ancien Regime,
von inhaftierten Nicht-Sesshaften sämtliche Bezugspersonen ihres Umfelds
schildern, die dann, ohne dass irgendein Zusammenhang zu einer konkreten
Straftat namhaft gemacht wurde, in amtlichen „Signalements“ als generell einer
kriminellen Lebensweise Verdächtigte genauestens ausgeschrieben wurden. Das
Fremdbild ist also dasjenige des von vornherein als kriminell Verdächtigten und
Etikettierten. Die Schilderung des von der Obrigkeit auf die Verdächtigenliste
Gesetzten stammt aber von einem inhaftierten Bekannten aus derselben Gruppe. Es
schildert einen Bekannten beispielsweise als mit Ross, Wagen und seiner Frau in
verschiedenen Ländern tätigen fahrenden Geschirrhändler. Es handelt sich dabei
um die Schilderung des Berner Hannesli und seiner Frau gemäss des vom Berner
Senator Pfander am 22. Dezember 1802
zusammen mit den Beschreibungen von drei aus einer Strafanstalt Ausgebrochenen
bei sämtlichen Schweizer Strafverfolgern in Umlauf gesetzten Signalements,
erstellt nach den Angaben des Häftlings Johann Rudolf zu diesem seinem
fahrenden Bekannten:
„Berner-Hannesli,
zwischen Thun und Bern bey Hause, reformirter Religion, ungefehr 38 Jahr alt,
etwa 5 Schuh 2 Zoll hoch, besetzter Postur und dicker Waden, glatten Angesichts
mit einer Narbe unter dem rechten Auge, die er in Holland unter dem Militär
bekommen; trägt seine schwarzbraune Haar in einem Bandzopf, blaulechte Augen,
und einen ziemlich starken Bart; kleidet sich ganz Bernerisch; trägt einen
berntüchen Rock, dreyeckigten Hut, mehrentheils auch Hosen und Westen von
obigem Tuche und Schuhe; redet die Berner-Sprach und ein wenig Französisch,
gibt sich für einen Geschirrhändler aus, und ist schon mit einem Rosse und
zweyrädrigen Wagen mit Fayence herumgefahren, wie ihn der Rudolf in Savoyen und
Carouge angetroffen. Sein Weib Bäbi genannt, aus dem Breisgau, katholischer
Religion, etwa 26 Jahr alt, kleiner rahner Postur, glatten blassen Angesichts
und brauner Haaren; ihre Kleidung ganz, wie man sie in den Elsässer-Städten
trägt, redet die Breisgauer-Sprache und etwas französisch.“
Weil ihn
also ein Häftling als fahrenden Geschirrhändler schilderte, wurde der
Bermer-Hannesli gemeinsam mit flüchtigen Verbrechern „signalisiert“, d.h.
zumindest zur Kontrolle, wahrscheinlich aber auch zur Verhaftung und zum Verhör
ausgeschrieben.
Joseph
Müllhauser, ausgeschrieben in Zürich, 1812
10 Jahre
später lässt sich ein ähnlicher Fall dokumentieren. Durch Zürcher Behörden im
Jahr 1812 als „Gauner“ oder „Jauner“ apostrophiert wurde Joseph Müllhauser. Mit
seinem heute lebenden Nachkommen gleichen Namens, einem brillanten Vertreter
der jenischen Schwyzerörgeli-Musikszene,[3]
machten wir ein Interview. Darin äusserte sich der Nachkomme unter anderem zu
auch heute noch geschürten Generalverdächtigungen gegenüber Fahrenden. Der
1812 in der „Revidierten Ausfertigung
der im Jahre 1810 im Druck gegebenen Jauner-Liste“ von der Zürcher Behörde als
„Jauner“ präsentierte Vorfahre Joseph Müllhauser wurde von der Behörde als
„Gauner Nr. 57“ etikettiert, weil sie glaubte, Müllhauser sei nicht sein
richtiger Name und weil sie den Vater von mehreren Kindern, von Beruf
Steckenmacher, des Bettels verdächtigte. Hier der Wortlaut des Eintrags:
„57. Müllhauser Sepp, von Wardach im Allgau, ein Steckenmacher, circa 40
J. alt, 5 Fuss, 2 Zoll hoch, schwarze Haare, braune Augen, mit Blattern
gedupftes Gesicht, hat ein Weib, nahmens Mariane, u. 4 bis 5 Kinder. Ein
Bettler. Sein wahrer Nahme solle Matthäus Büzinger seyn.“
Auch
hier stammt die Etikettierung als „Jauner“ von den Behörden, die nähere
Beschreibung des Berufs und der Einkommenslage der Familie von intensiv
verhörten Häftlingen, welche Müllhauser flüchtig kannten. Diese Angaben machten
laut Anhang zu dieser Liste die Brüder Dürr, nämlich Melchior Dürr und Jakob
Dürr. Sie hatten zusammen mit „Carl Joseph Wendelin Graf, genannt
Siechen-Sepp“, einem „Zeinen- und Wannenmacher“, der Nr. 83 dieser Liste, „den
Einbruch und Diebstahl bey Krämer Brunner in Kloten“ begangen. Jakob Dürr, die
Nr. 32 dieser Liste, wurde dafür sowie
für einen Einbruch im Schwarzenburgerland „im
Merz 1810 zu 20jähriger Kettenstrafe im Zuchthaus zu Zürich
verurteilt“. Seine Angaben über andere
Fahrenden retteten ihn vermutlich vor der Hinrichtung. Denn mehrfacher
Diebstahl konnte von der damaligen Justiz mit der Todesstrafe vergolten werden.
Je mehr Personen aus seinem Bekanntenkreis der Inhaftierte und Angeschuldigte
„angab“, desto besser stand er bei der Behörde da. Deshalb beschrieb Dürr auch
Bekannte wie Joseph Müllhauser, deren angebliches „Gaunertum“ einzig aus ihrer
fahrenden Lebensweise und ihrer Armut bestand.
Schweizer
Schuhmacher, eigentlich Egly, ausgeschrieben in Karlsruhe, 1827
So
transnational die Fahrenden lebten, ebenso transnational arbeiteten ihre
Verfolger. In der „Jauner-Liste nach Angabe der sich in Mannheim in
Untersuchung befindenden Jauner und Strohmer: Sebastian Amende, Adam Keller,
Peter Talmond, Tobias Lautenbach und Jacob Stein“, gedruckt 1827 in Karlsruhe,
finden sich demzufolge auch Schweizer.
So der
„Jauner und Strohmer Nr. 123“ dieser Liste: „Der Schweizer, auch Schweizer
Schuhmacher genannt, eigentlich Egly, fünf Fuss 6 Zoll gross, scheppe
eingebogene Nase, breites Gesicht, hohe Stirne, schwarzes Haar, 26 bis 27 Jahre
alt. Es wird von ihm angegeben, er sey, wenigstens früher, einer der stärksten
Haderreisser gewesen, und namentlich mit dem Schwab herumgezogen; dermals aber
soll er sich, nach Steins Aussage, zu Hause aufhalten.“
Die
gesammelten Lumpen respektive Hadern mussten vor dem Verkauf an die
Papierhersteller zu handlichen Stücken zerrissen werden; von diesem angeblichen
„Jauner“ wird hier also nur überliefert, dass er, allerdings im Herumziehen,
hart arbeitete. Wohl deshalb ist diese Liste, im Unterschied zur Zürcher Liste
von 1812 und zu vielen anderen dieser Kollektivverdächtigung schürenden Listen,
nicht einfach als „Jaunerliste“, sondern als „Liste der Jauner und Strohmer“
bezeichnet. Doch gerade auch dieser Titel ist wieder ein Hinweis darauf, dass
schon das Herumstromern, also die nomadische Lebensweise, per se als verdächtig
und gaunerhaft galt.
Hans
Jakob Humbolezky, zitiert im Thurgau, 1844
Ein
Kulminationspunkt dieses Generalverdachts gegen die als „Gauner“ Bezeichneten
ist der sogenannte Thurgauer Aktenbericht aus dem Jahr 1844. Er wurde nur 6
Jahre vor dem Beschluss des Nationalrats verfasst, eben diese Leute, soweit sie
Bezüge zur Schweiz glaubhaft machen konnten, zu gleichberechtigten Mitbürgern
zu machen, und zeigt die Optik jener „Kantönli-Oligarchen“, welche gegen eine
Gleichberechtigung dieser Menschen als Mitbürger auch nach 1850 den erbittertsten
Widerstand leisten sollten.
Aussagekräftig
ist schon der Titel dieser Publikation: „Aktenbericht über eine gegen mehrere
so genannte Heimathlose geführte Polizei-Prozedur, sammt einem Verzeichnis
einiger gefährlicher Vaganten. Ein Beitrag zur richtigen Beurtheilung der
wahren Verhältnisse dieser Leute“.[4]
Ähnlich
wie eine viel spätere Publikation des Germanisten Robert Schläpfer mit seinem
Mitarbeiter Hansjörg Roth – aus dem Jahr 1996 – im wesentlichen die Wiedergabe der Angaben eines von Robert
Schläpfer bevormundeten Häftlings über seine jenischen Bekannten war,[5]
so ist ein wesentlicher Teil dieses Werks der anonymen Thurgauer Strafverfolger
aus dem Jahr 1844 die Protokollierung der Aussagen des inhaftierten
Nicht-Sesshaften Hans Jakob Humbolezky sowie anderer Häftlinge. Humbolezky
erreichte dadurch ein günstigeres Haft-Regime. Das konnte von zentraler
Bedeutung sein, erwähnt doch eben dieser Thurgauer Aktenbericht beiläufig zwei
Mitglieder der fahrenden Familie Reichenbach, welche im Gefängnis starben, das
eine durch Selbstmord, das andere als kleines Kind, welches der Verwaltung der
Thurgauer Strafanstalt Tobel „zum Auferziehen übergeben worden war“.[6]
Die
Herausgeber dieser leicht modifizierten Selbstzeugnisse stellten im Vorwort
klar, was für sie die wichtigste Aussage Humbolezkys war, nämlich dass er „die
Bemerkung fallen liess, die meisten derjenigen Vaganten, die unter dem Titel
heimathlos die Schweiz gegenwärtig durchstreifen, seien Deutsche, Würtemberger,
Badenser und Baiern, und es werde von diesen die Gaunerei berufsmässig
betrieben“.[7]
Bei der
Lektüre dieser gesammelten Aussagen zahlreicher Thurgauer Häftlinge wird jedoch
schon offenkundig, was ab 1851 die „Vagantenuntersuchung“ der Schweizerischen
Bundesanwaltschaft mit ihren umfangreichen „Heimatlosen-Akten“ genauestens
nachwies, nämlich dass die meisten der in der Schweiz ihre Wandergewerbe
betreibenden Heimatlosen sehr wohl jahrzehnte-, ja jahrhundertealte Bindungen
an die Schweiz hatten, von den hiesigen Behörden jedoch systematisch ausgegrenzt
worden waren, durch Verweigerung von Papieren, Zivilstandseinträgen und
Niederlassung sowie durch eine strikte polizeiliche Vertreibungspolitik, oft
schliesslich auch durch Hinrichtung.
In ihrer
Genugtuung, ihre These vom ausländischen Ursprung der Ausgegrenzten bestätigt
zu sehen, lassen die Thurgauer Polizeibehörden ihre Gewährsleute ausführlich zu
Wort kommen. Humbolezkys Aussagen sowie diejenigen anderer im Kanton Thurgau
inhaftierter und verhörter Fahrender ergeben jedoch bei unvoreingenommener Lektüre
ein recht differenziertes Selbstbild der damaligen Fahrenden in diesen
Protokollen ihrer eigenen, wenn auch gelegentlich fehlerhaft oder tendenziös
redigierten Selbstaussagen; ins Fremdbild der Thurgauer Strafverfolger wurden
diese Selbstzeugnisse sehr selektiv eingebaut.
Es ist
dieses Zusammenkompilieren von authentischen Aussagen Fahrender, wie gesagt
selektiv und gewisse Aussagen stark überbetonend, welches solche Mischquellen
wie den Thurgauer Aktenbericht prägt. Um den Unterschied zwischen solchen Quellen
und einem reinen Fremdbild deutlich zu machen, schalte ich hier zwei Zitate von
Johann Jacob Vogt ein, dem damaligen Chefideologen staatlicher Zwangsmassnahmen
und insbesondere der staatlichen Zwangsarbeitsanstalten.[8] Vogt schrieb: „Der Vagabund sieht die ganze
Welt für sein an, und hat doch nichts; inmitten seines absoluten Bettlertums
führt er ein arbeitsloses müssig freies Herrenleben und schwelgt in rohesten
Genüssen.“ [9] Charakteristisch für Fremdbilder verfolgter
Gruppen sind die von deren Urhebern in solche Schilderungen einfliessenden
Projektionen und Ängste, hier die Angst Vogts vor revolutionärem Umsturz durch
die angeblich keinerlei Arbeit verrichtenden, sondern ein „müssig freies
Herrenleben“ führenden Fahrenden. Vogt schrieb nämlich auch: „Das wird kommen,
dass die Vagabunden sich zu einer Propaganda organisieren, die planmässig dem
Besitz den Krieg macht; dass sie die zahlreiche Klasse der Unbemittelten
revolutionieren und in Folge dessen nichts mehr sicher bleibt.“ [10]
Engels und Marx hätten den Verunsicherten beruhigen können; sie hielten keine
grossen Stücke auf das revolutionäre Potential der von ihnen als
„Lumpenproletariat“ bezeichneten Schichten, worunter sie auch die
Scherenschleifer und Kesselflicker zählen. [11]
Immer
wieder hervorgehoben wurden von den Thurgauer Polizeimännern in ihrem
Aktenbericht die Aussagen von Humbolezky und anderen Inhaftierten, die
gegenwärtig in der Schweiz reisenden Heimatlosen seien keineswegs durch
Aberkennung älterer Bürgerrechte neu Entwurzelte. „Von allen mir bekannten
Bettelleuten, die sich für heimathlos ausgeben, ist kein einziger ohne
Heimath.“ zitieren die Thurgauer Polizisten den Gefangenen Blasius Egloff. [12]
„Vielmehr, so schreiben die Thurgauer Inquisitoren dann selber, seien die so
genannten Heimatlosen „die Söhne und Töchter der alten Gauner, die sich im
vorigen Jahrhundert so berüchtigt gemacht haben!“ [13]
Zutreffend
schildern die Thurgauer Polizeimänner im Jahr 1844 jedoch die Verwandtschaft
und den kulturellen Zusammenhalt unter den Fahrenden, die jenisch verstehen.
Die Thurgauer schreiben:
„Die
Vigilanz der Polizei gestattet ihnen nicht mehr, wie ehemals, in Horden zu
ziehen, allein ihre Reisen geschehen doch auf gemeinsame Verabredung und sie
wissen auf ihren Feuerplätzen sich gewisse Zeichen zu geben. Was kochem ist,
kennt sich und man wird nicht fehlen, wenn man einen Heimathlosen, der noch so
wehfabelnd sein Unglück, seine Unschuld zu schildern versteht, und von einer
Kameradschaft mit Gaunern nichts wissen will – in die Nähe des Gefängnisses
eines anderen bringt und sein Gespräch belauscht. Alle verstehen die jenische
Sprache und sind stolz darauf, durch sie erhält sich ihre Bekannt- und dadurch
ihre Verwandtschaft.“ [14]
Gerade
diese sprachliche Tradition verweist aber wiederum auf die uralten und durchaus
auch schweizerischen Wurzeln der untersuchten Fahrenden.
Implikationen
von Aussagen über die Herkunft der Jenischen
Laut dem
„Jenischen Wörterbuch“ des bereits erwähnten Schläpfer-Schülers Hansjörg Roth datieren älteste schriftliche
Dokumente der abwertend auch als „rotwelsch“ bezeichneten Sprache der
sogenannten „Vaganten“ in Europa und auch in der Schweiz bis ins
Hochmittelalter zurück.[15]
Erwähnungen von Fahrenden, Bärenführern und Spielleuten finden sich noch tiefer
in der Vergangenheit in Quellen aus dem karolingischen Frankenreich, das ja
auch die Schweiz umfasste. Einzelne Jenische, so Jacques Oehle in seinem Anhang
zum Bericht der Eidgenössischen Studienkommission von 1983,[16]
gehen sogar von einer Abstammung der Jenischen von den Helvetiern aus, deren
Zwangssesshaftmachung bekanntlich durch Julius Cäsar erfolgte und in dessen
Selbstzeugnis „Bellum Gallicum“ geschildert wurde. Auch gemäss neuesten
Forschungen im spielen im helvetischen Grab- und Amulettschmuck Rad und Wagen
eine zentrale Rolle,[17]
während die „Häuser“ der Helvetier eher zeltartig und sehr leicht konstruiert
gewesen sein sollen.[18]
Robert
Huber, der Präsident der Radgenossenschaft, pflegt zur Frage der Geschichte und
Tradition der Fahrenden in der Schweiz zu äussern: „Fahrende gab es in der
Schweiz schon, bevor die Eidgenossenschaft gegründet wurde.“ Politisch
belangvoll werden solche scheinbar rein historische Fragen unter anderem dann,
wenn im Schweizer Parlament jeweils wieder debattiert wird, ob die Schweiz die
ILO-Konvention 169 betreffend die Rechte der indigenen Völker unterzeichnen
solle, und ob dies einen Einfluss auf die Rechtsstellung der Fahrenden in der
Schweiz habe.[19] Bekanntlich
lehnte der Ständerat die Unterzeichnung ab, weil er eine damit verbundene
Stärkung der Rechtsstellung für die Minderheit der Fahrenden befürchtete. Deren
Rechte sind allerdings schon von der schweizerischen Verfassung und vom
Europäischen Rahmenübereinkommen betreffend Minderheitsrechte sowie durch
andere Menschenrechtsübereinkommen garantiert,[20]
und die eigentlichen Differenzen liegen in Art und Tempo der Umsetzung dieser
Rechte. Solche politischen und rechtlichen Implikationen eigener oder fremder
Standpunkte sind nur einzuordnen oder abzuschätzen, wenn man vor den aktuellen
politischen und juristischen Aushandlungsprozessen nicht ängstlich die Augen
verschliesst, aus Angst um den Verlust wissenschaftlicher „Distanz“ oder
scheinbarer „Objektivität“, sondern diese Debatten und Prozesse im Gegenteil
aufmerksam mitverfolgt und als Staatsbürger auch mitgestaltet.
Gerade
vor diesem aktuellen politischen Hintergrund von speziellem Interesse ist das
Selbstbild von Professor Dr. Roger Sablonier, Spezialist für die Geschichte des
Mittelalters, der selber jenischer Abstammung ist. Er vertritt die Meinung,
erst die Verfolgung durch die Pro Juventute seit 1926 (durch das „Hilfswerk für
die Kinder der Landstrasse“) habe die Jenischen als Gruppe mit einer eigenen
Identität überhaupt erzeugt. Roger Sablonier kritisiert zunächst andere jenische
Selbstbilder und setzt dabei den Begriff Jenische in Anführungszeichen:
„Die von
der Pro Juventute erfasste Gruppe von Menschen auf einen einheitlichen
‚Zigeunerstamm’ von ‚Jenischen’
zurückzuführen, wie dies einzelne Vertreterinnen und Vertreter der
Anliegen von Fahrenden heute aus echter Überzeugung oder seit den 1970er Jahren
manchmal aus politischer Opportunität tun, stellt eine starke Vereinfachung dar
und birgt in sich die Gefahr neuer diskriminierender Ausgrenzungen.“ [21]
Sablonier
sieht solche Auffassungen als „Identitäts-‚Politik’“, mit der er nichts zu
schaffen haben will, die er aber immerhin nicht nur den Walsern, Bernern und
Zürchern, sondern auch den Jenischen – die er jedoch stets in Anführungszeichen
setzt – als eine Möglichkeit des Auftretens auf dem politischen Parkett
zugesteht:
„Selbstverständlich
können in der aktuellen schweizerischen Gesellschaft ‚Jenische’ ihr
Selbstverständnis selber definieren und sich dabei auch historischer Bilder
(bzw. historischer Projektionen und Konstrukte) für die Identitätsfindung
bedienen, ganz unabhängig davon, ob solche in traditioneller Weise ‚ethnisch’
orientierten Aktivitäten staatspolitisch erwünscht sind oder nicht. Eine
forsche Identitäts-‚Politik’ kann auch darin eine gewisse Rechtfertigung
finden, dass politisch moderat vorgetragene Forderungen in den Augen eines
Teils der Betroffenen zu wenig gebracht haben.“ [22]
Als
Historiker ebenso wie als Person grenzt sich Roger Sablonier selber von solchen
Auffassungen ab und hält die Selbstbezeichnung der verfolgten Minderheit als Volk
oder Ethnie für ein Einfallstor möglicher weiterer Diskriminierung gemäss
„völkischen“ Ausgrenzungsmustern:
„Im
Hinblick auf die historische Situation rund um das ‚Hilfswerk’ sind diese
aktuellen Überlegungen allerdings nicht entscheidend. Mit der Bezeichnung der
von der Pro Juventute erfassten Gruppe als ‚Volk’ (oder eben gar als
‚Zigeunervolk’) wird schlicht die Sicht der Täter und ihrer zeitgenössisch
gebundenen Ideologie weitergeführt, und das ist für viele Betroffene wie auch
für mich nur schon vom Gedanken her ganz unerträglich. Historisch gesehen hat
ja ausgerechnet Siegfried definiert, wer zu den ‚Vaganten’ gehört, und gerade
diese Täter-Definition erlaubt einen auch in unserer Gesellschaft immer noch
(oder wieder immer mehr) möglichen Rekurs auf tiefsitzende xenophobe und
rassistische Vorurteile, d.h., sie schreibt traditionelle, ‚völkische’
Ausgrenzungsmuster fest.“ [23]
Dies
lässt das historisch gut belegte Faktum ausser Acht, dass der Vaganten-Begriff
ebenso wie die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ seitens der Verfolger-Instanzen
schon seit mehreren Jahrhunderten und längst vor Alfred Siegfrieds „Hilfswerk
für die Kinder der Landstrasse“ gegen Fahrende zahlreicher Länder verwendet
wurde. Und es ist auch keineswegs so, dass sich als Volk deklarierende Minderheitsgruppen
eher oder intensiver aus „völkischen“,
rassistischen und xenophoben Haltungen heraus diskriminiert und verfolgt werden
als andere ausgegrenzte Gruppen, etwa Homosexuelle oder religiöse Gruppen, die
sich nicht als Volk verstehen. Insgesamt würde aus dieser Sicht eine generelle
Kritik des Völkerrechts und des Volksbegriffs resultieren müssen; so weit gehen
aber diejenigen, welche die ethnischen Identitäten unterdrückter Völker nicht
respektieren wollen oder als blosse „Identitätspolitik“ darstellen, im
allgemeinen dann doch nicht.
Roger
Sablonier spitzt seine Überlegungen schliesslich zu folgendem Diktum zu:
„Etwas
zugespitzt könnte man sagen, die Aktivitäten des ‚Hilfswerks’ hätten die
‚Jenischen’ als ‚schweizerisches Zigeunervolk’ überhaupt erst geschaffen.“ [24]
Es
dürfte indessen schon aus den oben angeführten Belegen heraus ersichtlich sein,
dass es Jenische in der Schweiz durchaus schon lange vor 1926 gab. Zudem gab
und gibt es auch Jenische in anderen Ländern, die keinesfalls von der schweizerischen
Pro Juventute „geschaffen“ sein können. Zu diesen schwer anfechtbaren
historischen Feststellungen ist aus rechtlicher Sicht hinzuzufügen, dass es
einen gewaltigen Unterschied macht, ob eine Kampagne auf eine sozial neu
„konstruierte“ Gruppe zugreift oder aber auf die Zerstörung einer bestehenden
ethnischen Gruppe abzielt. Gewaltsame, systematische Kindswegnahmen und
Zwangssterilisationen sind im letzteren Fall gemäss der entsprechenden
UNO-Konvention – welche die Schweiz mit
50jähriger Verspätung erst vor wenigen Jahren ratifiziert hat – völkerrechtlich
gesehen Tatbestände eines Völkermords.[25]
Sollte die Pro-Juventute- Aktion aber die verfolgte Gruppe erst „konstruiert“
haben, so müssten die Jenischen der Pro Juventute und vor allem dem „Hilfswerk“-Leiter
Dr. Alfred Siegfried direkt dankbar sein für diese ihre angebliche Erschaffung
durch Verfolgung. Wir bewegen uns hier in einer Genozid-Debatte, bei der ich
mir gelegentlich mitten in der Schweiz wie ein Freund von Armeniern und Kurden
unter nationalistischen Türken vorkomme.
Es
trifft allerdings zu, dass vor allem in den 1970er und 1980er Jahren viele
Jenische die Herkunft nicht nur der Sinti und Roma, sondern auch zumindest
eines Teils ihrer eigenen Vorfahren aus Indien betonten. Viele von ihnen suchten
Kontakt und Verbrüderung mit Sinti und Roma. Ein Höhepunkt dieser Phase war die
Reise einer Delegation der Radgenossenschaft zu einem Roma-Kongress in der
indischen Corbusier-Stadt Chandigarh im Jahr 1983.[26]
Dies ist zu verstehen aus dem Aufschwung der damaligen Bürgerrechtsbewegungen
der Sinti und Roma weltweit und deren Prägung durch den in der Schweiz lebenden
Rom und Arzt Dr. Jan Cibula, der auch bei der Entstehung der Radgenossenschaft
eine Rolle spielte. Hinzu kam die Indien-Verehrung dieser Jahre in der
damaligen Hippie-Bewegung sowie der Umstand, dass Indien auch bei der Aufnahme
der Romani-Union als Mitglied des UNO-ECOSOC-Gremiums am 1. März 1979
unterstützend mitwirkte. Dieser Indien-Connection verdanken somit die Schweizer
Jenischen, Sinti und Roma, dass sie früher Anschluss an die UNO fanden als die
übrigen Schweizer. Die Teilnahme an diesem Aufnahmeakt in New York hat vor
allem auch den damaligen Radgenossenschafts-Präsidenten und Kunstmaler Walter
Wegmüller beeindruckt, der anderseits auch die Familienüberlieferung pflegt,
Vorfahren seiner Mutter (er hatte als Verding- und Heimkind im Kanton Bern eine
schwere Jugend) seien aus Ungarn in die Schweiz eingereist und hätten zum Stamm
der Kalderas gehört.[27]
Wegmüllers romantische Hinwendung zu indischen und Roma-Traditionen mögen
andererseits auch den Umstand spiegeln, dass viele Bündner Jenische die
Angehörigen von Berner Hausiererfamilien etwa aus Rüschegg nur bedingt als
Jenische akzeptieren. Im Zug des wachsenden jenischen Selbstbewusstseins,
erkennbar z.B. an der gänzlichen Übernahme der Verwaltungsratssitze der
Radgenossenschaft durch Jenische, und zwar durch selber noch fahrende oder in
engem Bezug zu den fahrenden Familien stehene Jenische, ging die Betonung der
Gemeinsamkeiten zwischen Roma, Sinti und Jenischen seitens vieler
Jenischer im Umfeld der
Radgenossenschaft stark zurück.
„So
alle zehn Tage einmal wurden wir vom Platz gejagt“
Der
Diskurs und die Haltung, welcher die seit Generationen und seit Jahrhunderten
in der Schweiz sowie im nahen Ausland lebenden Fahrenden als „Fremde“
stigmatisiert und mit ihrer Vertreibung und Ausgrenzung begleitet, knüpfen
keineswegs nur an den diversen Herkunftstheorien der Gruppe an, sondern vor
allem auch an die Situation des Fahrens, des plötzlichen Auftauchens
Auswärtiger in Dorf und Polizeirevier. Die entsprechenden Abläufe schilderte
der 2004 verstorbene Altvater der Schweizer Jenischen, Clemente Graff. Er
publizierte den Text in in der Zeitschrift der Radgenossenschaft der
Landstrasse, im Scharotl Nr. 6 vom Jahr
1976. Der Text ist ein Zeugnis der fortdauernden Kollektivlverdächtigung der
Jenischen sowie anderer Fahrender in der Schweiz und auch ein Hinweis auf das
dieser Lage entsprechende fortdauernde Bemühen von vielen Mitgliedern dieser
Minderheit, möglichst unsichtbar zu bleiben. Die dennoch lebensfrohe und
selbstbewusste Schilderung bezieht sich auf die Zeit zwischen 1945 und 1965,
also auf eine Zeit, wo die behördlichen Instanzen und Siegfrieds „Hilfswerk“
noch allenthalben fahrende wie sesshafte jenische Eltern aufspürten, um ihnen
die Kinder wegzunehmen.
Clemente
Graff schrieb:
„Unsere
Wagen waren damals viel schwerer als die heutigen, so zwischen 2 bis 4 Tonnen,
richtige fahrbare Heime. Wir Gewerbetreibende hatten es damals ziemlich schwer.
Wer stellt sich vor, dass damals eine vierziger Zaine 4 bis 5 Franken
einbrachte für einen Aufwand an Zeit, der je nach Können 2 bis 3 Stunden
betrug. Und [das Schleifen] eine[r] Schere brachte damals ungefähr 50 bis 60
Rappen ein. Das Fahren war nach meiner Meinung immer eine beschwerliche Sache.
Dies nicht nur wegen der grossen Gewichte der Wagen. War der Platz mit einem
Bächlein nach langer Suche endlich gefunden, wurde Mass genommen, planiert und
geschuftet, damit die schweren Wagen in die dafür bearbeitete Schneise
eingeschoben werden konnten, von wo man sie von der Strasse aus auch nicht
sofort sehen konnte. Todmüde fielen wir dann abends in die Betten, mit dem
sehnlichsten Wunsch, für kurze Zeit Frieden und Ruhe zu haben.
Am
andern Tag wurde die ‚Schunty’ ausgehoben und Tritte ausgehauen, um den Frauen
den Weg zum Bächlein bequemer zu machen. Mit viel Geschick wurden Tische und
Bänke gezimmert und eine brauchbare Feuerstelle aufgebaut. Diese musste auch
einen Wäschehafen ertragen können!
Man
könnte nun meinen, mit diesen Vorbereitungsarbeiten sei alles in Ordnung
gewesen. Weit gefehlt, wie wir meistens erfahren mussten! Jedenfalls gingen die
ersten zwei Tage fürs Geldverdienen verloren und die paar Franken waren
meistens dahin. Wir mussten also wieder ans Verdienen denken und mischten uns
am andern Tag unter die Leute des ausgesuchten Dorfes, um mit ihnen in Kontakt
zu kommen. Misstrauisch musterten uns die einheimischen Bewohner, die uns an
unserem Dialekt, dem Jenischen, gleich [erkannten und] als Zigeunerpack
taxierten. Da wir schliesslich stolz auf unser Können und unsere
Dienstleistungen waren, priesen wir unsere Ware oder Dienstleistung an und mit
etwas Glück liess sich für unsere bescheidenen Bedürfnisse recht und schlecht
leben. Wir unterhielten abends die Dorfbewohner mit Musik und gewannen da und
dort verstehende Freunde.
Aber es
kam doch, wie es kommen musste. Am dritten, allerhöchstens vierten Tag war dann
auch die Polizei wie ein Uhrwerk, das wir zur Genüge kannten, da. Sie sprachen
selten in einem normalen Ton mit uns. ‚Zigeunerware’, ‚Hudere’ oder Feker war
meistens ihre Anrede. Dies liess natürlich den meisten von uns schon die Galle
hochkommen. Die Frauen versuchten ganz unauffällig, die Kinder im Walde
verschwinden zu lassen – man wusste ja nie!
(...) Einer der Polizisten wanderte ganz unauffällig um die Wagen,
soweit er sich wegen der Hunde getraute. So wollten sie eventuell gestohlene
Ware sicherstellen. Währenddessen zückte der andere den Polizeianzeiger und
begann darin mit hämischer Miene zu blättern mit dem tiefsten Wunsche, unsere
Namen wegen irgend eines Vergehens eingeschrieben zu finden! War dies einmal
der Fall, so handelte es sich meistens um sogenannte Hausierervergehen mit der
damit verbundenen Geldbusse. Auch kam dann diese Offenbarung immer im dümmsten
Moment, wo doch grad erst die ersten paar lausigen Franken eingenommen wurden.
Wurden wir vom Platz gejagt, was so alle zehn Tage einmal passierte, so kostete
das auch wieder. (...) Alles Bitten um Aufschub blieb mit wenigen Ausnahmen
fruchtlos. Da nützte alles Gerede von Aktivdienst und bezahlten Steuern nichts.
Man war eben ein Jenischer und damit von vornherein ein Krimineller. (...) Gab
es einmal eine Verhandlung wegen einer Streitsache, zogen wir immer den
kürzeren, unserer jenischen Namen wegen. Das Urteil war von vornherein gefällt.
Ich kann mich nicht erinnern, irgend einmal Recht für Recht bekommen zu haben.“
Wichtiger
als die Frage der Herkunft bei der hier geschilderten alltäglichen Ausgrenzung
war also die generelle Verdächtigung der Jenischen als Kriminelle, welche durch
Hausier- und andere Gesetze scheinbar ihre stete Bestätigung fand. Denn die
Lebensweise und die Gewerbe der Fahrenden waren kaum zu praktizieren ohne
gelegentliche Übertretung dieser die fahrende Lebensweise sehr engmaschig
regulierenden, ja schikanierenden Gesetze.
Seine
Erinnerungen verknüpfte der inzwischen sesshaft gewordene Clemente Graff im
Jahr 1976 mit dem Aufruf an jüngere Jenische, sich der Radgenossenschaft
anzuschliessen, sowie mit seiner „Hoffnung auf eine freiere, menschenwürdigere
Zukunft“. Von mir im Jahr 1986 interviewte Jenische beklagten aber weiterhin
die nach wie vor sehr häufigen Polizeikontrollen,[28]
im selben Sinn äussern sich einige Fahrende, insbesondere auch ausländische
Sinti, die in die Schweiz reisen, auch noch in den Interviews unseres laufenden
NFP-Projekts,[29] also in der
unmittelbaren Gegenwart.
Der
Vollständigkeit halber liefere ich noch das Fremdbild zu Clemente Graff,
verfasst von Dr. Siegfried, unter allseitigem Applaus in Sozialwesen, Presse
und Wissenschaft publiziert im Jahr 1955. Siegfried schrieb über den
Familienvater und Mitbegründer der Radgenossenschaft sowie Redaktor des
Scharotl, der in seiner späteren sesshaften Lebensphase als Werkmeister in
einer aargauischen Fabrik arbeitete, folgendes:
„Zwei
Versuche, ihn kurz vor Erreichung der Volljährigkeit doch noch einem gelernten
Berufe zuzuführen, misslangen. Durch Vermittlung seiner Schwester A. fand er
Verbindung zu seinem Vater und gesellte sich zu ihm, nachdem er die RS beendigt
hatte. Er ist in der Folge ein richtiger Vagant geworden, hat mehrere Jahre mit
einer verwandten Korberin im Konkubinat gelebt und diese später geheiratet.
Inwieweit erbliche Belastung oder die unglückliche Kindheit für diesen völligen
Misserfolg verantwortlich gemacht werden kann, ist schwer abzuwägen; sehr
wahrscheinlich hat beides zusammengewirkt.“[30]
Zur
„unglücklichen Kindheit“, die Siegfried anführt, ist zu bemerken, dass Clemente
Graff seinen Eltern mit 5 Jahren entrissen wurde und fortan an zahlreichen
Pflegeplätzen, auch in Anstalten, unter oft sehr erniedrigenden Bedingungen
fremdplatziert aufwuchs, unter der Vormundschaft Siegfrieds.[31]
Minderheiten,
Gleichberechtigung, Ausschluss, Diskriminierung
Was
können nun Forschende an methodischer Achtsamkeit gewinnen aus dem hier
Gesagten? Eine verantwortungsvolle gesellschaftswissenschaftliche Darstellung
oder Geschichtserzählung darf meines Erachtens keinesfalls auf bisherige
Fremdbilder abstellen. Vielmehr muss sie deren Konstruktion, gerade auch in
Wissenschaft, Politik, Recht und Publizistik, ebenso kritisch hinterfragen wie
deren soziale Funktionen. Ebenso wenig darf ein verantwortungsvolles
wissenschaftliches Erzählen und Darstellen einzelne Selbstbilder von Jenischen
verabsolutieren, sowenig wie diejenigen der verschiedenen einzelnen Angehörigen
anderer Gruppen im Umfeld dieser Thematik. Sie kann solche Selbstbilder und
Selbstzeugnisse auch nicht einfach sammeln und authentisch wiedergeben, obwohl
dies ein wichtiger Teil der Arbeit sein muss. Vielmehr sollte versucht werden,
diese Selbstbilder ebenso wie die Fremdbilder im Feld der jeweiligen sozialen
Situation zu verstehen, zu deuten und sie in ihren Auswirkungen auf das
gesellschaftliche Kräftefeld einzuschätzen. Besondere Sorgfalt erfordert die
Untersuchung der gegenseitigen Beeinflussung von Selbstbildern und Fremdbildern
sowie die Herauslösung von Fremd- und Selbstbildern aus vermischten Quellen wie
Verhörprotokollen.
Sicher
ist jedoch, dass das soziale Feld nicht zu verstehen wäre ohne die
Berücksichtigung der breiten Vielfalt von Selbstzeugnissen der Betroffenen. Und
ebenso sicher ist es, dass auch das möglichst sublime Verständnis der Identität
einer Gruppe durch einen Aussenstehenden immer ein Fremdbild sein wird.
Schliesslich
gilt, und das ist mir stets eine besondere Betonung wert: Für eine Gesellschaft
ist deren Thematisierung von und deren Umgang mit Minderheiten eine zentrale
Lackmusprobe. Nur Gesellschaften, in denen Minderheiten und ihre Angehörigen
auf der Grundlage der Gleichberechtigung und in Anerkennung des Rechts auf
kulturelle Differenz und Vielfalt respektiert werden, können in einem modernen
menschenrechtlichen Sinn als frei und gerecht bezeichnet werden.
Lassen
Sie mich hiezu noch eine letzte methodologische Bemerkung machen. Anthony
Giddens verfügt über hohes akademisches Sozialkapital, ist bestens bezahlter
Professor und Verfasser eines umfangreichen Werks über die gesamte Soziologie
und deren Methodologie. Ich war einigermassen erstaunt, in diesem berühmten Werk
eine Definition des Begriffs Minderheit anzutreffen, die mich erschreckte. Sie
ist in der Zusammenfassung des Abschnitts „Machtstrukturen“ zu finden und
lautet:
„Eine
Minderheit ist eine Gruppe, deren Mitglieder von der Mehrheitsbevölkerung
diskriminiert werden. Mitglieder einer Minderheit haben oft ein starkes
Zusammengehörigkeitsgefühl, das zum Teil aus der kollektiven Erfahrung des
Ausschlusses resultiert.“ [32]
Es ist
vor allem der erste Satz dieser Definition, vor dem ich warnen möchte. Solche
Auffassungen sind dazu geeignet, diskriminierendes Verhalten gegenüber
Minderheiten als gesellschaftliche Konstante darzustellen. Das von Giddens
immerhin als drittes Modell (neben dem
Assimilationsmodell dem Schmelztiegel-Modell) einer zukünftigen gesellschaftlichen
Entwicklung erwähnte Konzept des „kulturellen Pluralismus“, welches „davon
ausgeht, dass die unterschiedlichen ethnischen Identitäten innerhalb des
Kontextes der Nationalkultur gleichwertig sind“, wäre bei Geltung dieser
Definition von Minderheiten gar nicht zu realisieren. Und wir
Mehrheits-Deutschschweizer müssten die Minderheiten in der Schweiz, seien es
nun die Romands, die Tessiner, die Juden oder die Fahrenden, einfach weil sie
Minderheiten sind, eifrig diskriminieren und durch gezielte Ausschluss-Massnahmen
und Ausgrenzungs-Mechanismen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.
Vor
solchen Auffassungen möchte ich gerade auch anlässlich des Brandanschlags auf
die jüdische Synagoge in Lugano vor drei Tagen und anlässlich der Schüsse auf
Wohnwagen von Fahrenden in Mendrisio im letzten Sommer eindringlich warnen.
Ihre Diskriminierung kann nicht den Minderheiten selber angelastet werden.
Empfehlen möchte ich vielmehr das vielfältige, offene und tolerante
Zusammenleben der verschiedenen Gruppen und Identitäten, unbesehen von deren
Mehr- oder Minderzahl und unter Respektierung von deren Selbstdefinitionen..
Ich plädiere für möglichst vielfältigen kulturellen Pluralismus und für den
entschlossenen Ausschluss jeglichen diskriminierenden Verhaltens.
[1] Ich bringe hier das Zitat nochmals als Fussnote. “Mitten auf der Strasse, nah bei einigen Bauernhäusern, traf ich eine Karawane von vier Männern, drei Weibern und mehreren Kindern, die drei schwerbeladene Eselskarren mit sich führten und auf offner Landstraße bei einem großen Feuer ihr Mittagsmahl kochten. Ich blieb einen Augenblick stehn: Ich hatte mich nicht getäuscht, sie sprachen deutsch, im härtesten oberdeutschen Dialekt. Ich redete sie an; sie waren entzückt, mitten in Frankreich ihre Muttersprache zu hören. Es waren übrigens Elsässer aus der Gegend von Strassburg, die jeden Sommer in dieser Weise ins Innere Frankreichs zogen und sich mit Korbflechten ernährten. Auf meine Frage, ob sie davon leben könnten, hieß es: "Ja schwerlich, wenn mer alles kaufe müscht'; das Mehrscht werd g'bettelt." Allmählich kroch noch ein ganz alter Mann aus einem der Eselskarren hervor, wo er ein vollständiges Bett hatte. Die ganze Bande hatte etwas sehr Zigeunerartiges in ihren zusammengebettelten Kostümen, von denen kein Stück zum andern paßte. Dabei schauten sie indes recht gemütlich drein und plauderten mir unendlich viel von ihren Fahrten vor, und mitten in der heitersten Schwatzhaftigkeit gerieten sich die Mutter und die Tochter, ein blauäugiges sanftes Geschöpf, beinahe in die struppigen roten Haare. Ich mußte bewundern, mit welcher Allgewalt sich die deutsche Gemütlichkeit und Innigkeit auch durch die zigeunerhaftesten Lebens- und Kleidungsverhältnisse Bahn bricht, wünschte guten Tag und setzte meine Reise fort, eine Strecke lang begleitet von einem der Zigeuner, der sich vor Tisch das Vergnügen eines Spazierrittes auf der spitzknochigen Croupe eines magern Esels erlaubte.“ (Friedrich Engels: Von Paris nach Bern. In: Marx-Engels-Werke, Band 4, S. 463-480, S.468f.)
[2] Friedrich
Engels: Der Nationalrat. Erstmals erschienen in der „Neuen Rheinischen Zeitung
vom 10. Dezember 1848; Marx-Engels-Werke, Berlin 1959, Band 6, S.86f.
[3] Vgl. z.B. dessen CD „Jenisch-Bluet“ mit Fritz Fuchs und Ueli Stump
[4] Frauenfeld 1843-44
[5] Robert Schläpfer/Hansjörg Roth (Hrsg.): Allein auf dieser verdammten Welt. Das andere Leben des Josef Knöpflin. Basel 1996
[6] Thurgauer Aktenbericht, S.59, S.61
[7] Thurgauer Aktenbericht, S.3
[8] Vgl. dazu Johann Jacob Vogt: Das Armenwesen und die diesfälligen Staatsanstalten. Band II: Die Staatsanstalten. Beleuchtung derselben in ihren Beziehungen zum Armenwesen, mit besonderer Berücksichtigung der Zwangsarbeitsanstalt. Ein Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Lebensfragen. Bern 1854
[9] Johann Jacob Vogt: Das Armenwesen.und die diesfälligen Strafanstalten, Band I, Erster Teil: Das Armenwesen wie es wirklich ist, Bern 1853, S.241
[10] Ibid. S. 216
[11]Vgl. dazu die Ausführungen vom Marx und Engels zum „Lumpenproletariat“ im Kommunistischen Manifest, im Zeitungsartikel von Engels „Der 25 Juni“, Marx-Engels - Werke, Band 5, Berlin 1971, S. 128-132, S.132, sowie in „Der 18. Brumaire des Louis Napoléon“, in letzterer Darstelllung subsumiert Marx unter diesen Begriff ausdrücklich auch die „Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker“. Marx-Engels-Werke, Band 8, Berlin 1972, S, 115-207, S.160
[12] Aussage des Gefangenen Blasius Egloff, Thurgauer Aktenbericht, S.165
[13] Thurgauer Aktenbericht, S.9
[14] Thurgauer Aktenbericht, S.13
[15] Hansjörg Roth: Jenisches Wörterbuch, Frauenfeld 2001, S.70-75
[16] Jean-Jaques Oehle, Exposé, im Anhang zum Bericht der vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement eingesetzten Studienkommission: Fahrendes Volk in der Schweiz. Lage, Probleme, Empfehlungen, Bern 1983, S.1-9, S.2
[17] Vgl. dazu Andres Furger-Gunti: Die Helvetier. Kulturgeschichte eines Keltenvolkes. Zürich 1986, S.24, S.64ff., S.72f., S.75f., S. 137, S.155; Felix Müller/Geneviève Lüscher: Die Kelten in der Schweiz. Stuttgart 2004, S. 55f., S.
[18] Felix Müller/Geneviève Lüscher: Die Kelten in der Schweiz. Stuttgart 2004, S. 87. S.157, .
[19] Vgl. dazu das Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz betreffend den Schutz der Urvölker und die ILO-Konvention 169 auf www.gfbv.ch/pdf/02-02-040.pdf
[20] Vgl. dazu die Angaben des schweizerischen Bundesamts für Kultur auf
www.kultur-schweiz.admin.ch/fahrende/
[21] Roger Sablonier: Ein persönliches Schlusswort, in: Walter Leimgruber, Thomas Meier, Roger Sablonier: Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse. Historische Studie aufgrund der Akten der Stiftung Pro Juventute im Schweizerischen Bundesarchiv, Bern 1998, S.183-188, S.185
[22] Ibid., S.185
[23] Ibid., S.185 f.
[24] Ibid., S.186
[25] Die im
Zusammenhang mit der Aktion der Pro Juventute gegen die Schweizer Jenischen
relevanten Absätze d und e zu den Tatbeständen des Völkermords in Ziffer 2 der
UNO-Genozid-Konvention vom 9. Dezember 1948 lauten:
„d) Verhängung von Massnahmen, die auf die
Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“.
Nach neuerer Abschätzung wurden etwa 900 jenische Kinder zum Zweck der kulturellen
Entfremdung und der Ausrottung der Kultur und Lebensweise dieser Minderheit mit Polizeigewalt aus
ihren Familien gerissen und einzeln, vielfach unter Namensänderung,
fremdplatziert. Durch Asylierung, Eheverhinderung und Zwangssterilisationen wurde die Geburtenrate der Gruppe gesenkt.
Der Text der Genozid-Konvention findet sich u.a. auf diesem Link.
Dort finden sich auch Zitate aus dem Artikel des Juristen Prof. Dr. Lukas Gschwend 'Das "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" der Pro Juventute - ein Fall von Völkermord in der Schweiz?' aus dem Jahr 2002, der mit aller Klarheit die von Betroffenen und auch von mir schon seit 1987 vertretene Meinung darlegt, dass die systematische Verfolgung der Schweizer Jenischen Tatbestände des Völkermords erfüllt. Vgl. Thomas Huonker: Fahrendes Volk - verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Herausgegeben von der Radgenossenschaft der Landstrasse, Zürich 1987, S.114
[26] Vgl. dazu die Ankündigung in Scharotl Nr.19/1983 und die Reiseberichte in Scharotl Nr.20-21/1983
[27] Vgl.: In Bildern schreiben. Ein Interview mit Walter Wegmüller. In: Walter Wegmüller Werkbuch bis 1996, hg. von Heinz Martin und Th. Linder, Basel 1997, S.21-132, S.25
[28] So z.B. Robert Huber. Vgl. dessen lebensgeschichtliches Interview in:Thomas Huonker: Fahrendes Volk – verfolgt und verfemt, Jenische Lebensläufe, herausgegeben von der Radgenossenschaft der Landstrasse, Zürich 1987, S.230-241, S.238-240
[29] Unterwegs
zwischen Verfolgung und Anerkennung.
Formen und Sichtweisen der Integration und Ausgrenzung von Jenischen,
Sinti und Roma in der Schweiz seit 1800 bis heute. Vgl.
www.thata.ch/projektsitenfp51jenischesintiroma.html
[30] Alfred Siegfried: Stamm Conti von Boglia, in: Mitteilungen des Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse, Zürich, Nr.39, Oktober 1955
[31] Vgl. zum Leben von Clemente Graff dessen lebensgeschichtliches Interview in Thomas Huonker: Fahrendes Volk – verfolgt und verfemt, Jenische Lebensläufe, herausgegegen von der Radgenossenschaft der Landstrasse, Zürich 1987, S.136 - 147