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Weltwoche Nr.5, 1. Februar 2001:

„Wir dulden keine Zigeuner“

Von Thomas Huonker und Willi Wottreng

Aktenfunde der Bergier-Kommission zeigen: Die Schweiz nahm in der Zigeunerabwehr europaweit eine führende Rolle ein.

Der Geiger und Hausierer Andreas Meinhardt hatte kein Glück. Er wurde im Waadtland am 29. April 1900 von Polizist Ramelet erschossen. Zurück blieben seine Frau und ein Kind. Die Umstände des Vorfalls sind unklar. Doch er hatte Folgen. Die deutsche Botschaft in Bern erfuhr davon. Der Gesandte von Bülow, Statthalter eines selbstbewussten Reiches, mochte sich nicht damit abfinden, dass da ein Untertan aus dem deutschen Elsass ums Leben gekommen war, auch wenn er ein Fahrender war. Deshalb verlangte Deutschland vom scheizerischen Bundesrat eine Entschädigung für die hinterbliebene Frau: 5000 Franken, was damals dem halben Jahresgehalt eines Direktors der Zürcher Verkehrsbetriebe entsprach. Nach einem Hin und Her von Depeschen wich der Bundesrat dem diplomatischen Druck. Erstmals wurde eine Entschädigung an eine geschädigte Zigeunerfamilie bezahlt.

Die Erschiessung des Andreas Meinhardt war vielleicht nicht beabsichtigt, aber dennoch kein Zufall. Die Grenzkantone der Schweiz betrieben seit den 1880er Jahren gemeinsam eine rigorose Zigeunerabwehr. Waadtland und Freiburg waren da besonders aktiv. Der Bund hatte bis dahin noch keine einheitliche Richtlinien erlassen.

1880 beschloss eine Konferenz der nord- und ostschweizerischen Polizeidirektoren vom Bund, Zigeunern, deren Papiere nicht in Ordnung waren, Eintritt und Aufenthalt zu verweigern. Der Bund hatte bis dahin keine einheitlichen Richtlinien erlassen. 1880 beschloss eine Konferenz der nord- und ostschweizerischen Kantone, Zigeunern, deren Papiere sich nicht in Ordnung befanden, Eintritt und Aufenthalt zu verweigern und sie auf kürzestem Weg über die Grenze zu schaffen, obwohl dies geltendem Recht widersprach. Ein Rückschub hätte in die diejenigen Kantone oder Staaten erfolgen müssen, aus welchen die betreffenden Personen kamen. 1891 verlangte eine Konferenz der westschweizerischen Polizeidirektoren vom Bund, es sei der Grundsatz zu verkünden, dass Zigeuner auf schweizerischem Terrritorium absolut nicht geduldet würden. Schon kurz nach der Erschiessung des Andreas Meinhardt leitete Eduard Leupold, Adjunkt der Polizeiabteilung von 1904 bis 1915 und später Chef der sogenannten innerpolitischen Abteilung, eine systematische Politik der Vertreibung aller Zigeuner aus dem schweizerischem Territorium ein.

Der Bundesrat, anfänglich nicht begeistert davon, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe vom freien Personenverkehr und der damals noch geltenden freien Niederlassung ausgeschlossen werden sollte, engagierte Wissenschaftler, die begründen sollten, was im entscheidenden Departement bereits politische Absicht war: dass "Zigeuner" zu verfolgen seien.

Dienstbare Wissenschaft

Die Experten sollten die Frage beantworten, unter welchem Rechtstitel man eine ganze Bevölkerungsgruppe an der Einreise hindern könnte. Expertise folgte auf Expertise. Der Historiker Wilhelm Oechsli, ein Studienkollege des damaligen Bundesanwaltes Kronauer, lieferte 15 Seiten Quellenabschriften und Buchzitate zu diesem „eigenartigen Volk“ ins Bundeshaus.

Für den Chef der Justizabteilung des Politischen Departements, W.Kaiser, war die die durch die Fahrenden „bewirkte Gefährdung der innern Sicherheit eine so intensive, dass sich die Ausweisung nach Art. 70 BV rechtfertigt.“ Dieser Verfassungsartikel bestimmt heute noch:“Dem Bund steht das Recht zu, Fremde, welche die die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen.“

Doch es äusserten sich auch mahnende Stimmen, die keine Handhabe gegen die Fahrenden sahen. Generelle Ausweisungen sei rechtswidrig, führte Gutachter Dr. Walter Burckhardt 1912 aus: " Die äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft kommt im vorliegenden Falle nicht in Betracht. Die Zigeuner stören nicht die guten Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten (...) Die innere Sicherheit scheint mir auch nicht gefährdet zu sein. Nicht jede Störung der gesetzlichen Ordnung ist eine Gefährdung der inneren Sicherheit.”


Polizeimann Leupold:“Wer nach Zigeunerweise lebt, wird als Zigeuner bezeichnet und so behandelt.“


Polizeiliche Wegweisung 1977, Messerligrube bei Bern. Foto: Robert Gnant


Nicht nur Juristen und Historiker, auch Mediziner und Psychiater sahen in der „Vagantität“ eine Gefahr. Schweizer waren wissenschaftliche Vorreiter dieser Auffassung. Der Psychiater Josef Jörger, Direktor der Klinik Waldhaus bei Chur, war europaweit führend in der Erforschung der Stammbäume von ländlichen "Vagantensippen", deren Wandertrieb er als "erblich" bezeichnete und denen er eine "angeborene" Neigung zu Kriminalität zuschrieb . Heute noch erinnert ein Grabmal an der Aussenmauer der Kirche zu Vals an diesen Sohn der Heimat. Die Pionierarbeit Jörgers wurde von den Rassenwissenschaftlern im übrigen deutschsprachigen Raum begrüsst, und seine Untersuchung über "Die Familie Zero" 1905 auch im "Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie" publiziert, das der Eugeniker und Sozialist Alfred Ploetz zusammen mit Gleichgesinnten herausgab.

Jörger liess sich als Fachexperte der Bündner Regierung auch über die Frage aus, ob es allenfalls möglich wäre, Angehörige eingebürgerter "Vaganten"-Sippen nach Übersee zu deportieren und die Schweiz so von ihnen zu befreien. Er hielt das allerdings rechtlich für schwierig, ebenso wie die Idee, den Menschen mit fahrender Lebensweise einfach das Heiraten zu verbieten. So plädierte er schliesslich für Kindswegnahmen im frühen Kindesalter, was die Grundlage für die spätere Politik von Pro Juventute und anderen "Hilfs"-Werke legte.

Aufgrund der Debatte der Wissenschaftler zog der Polizeimann Leupold seine eigenen Schlüsse. Er erkannte jedenfalls die Möglichkeit, Zigeuner als "Staatsfeinde" einzuordnen und demnach aufgegriffene Personen gemäss Artikel 70 der Bundesverfassung abzuschieben. Allerdings bevorzugte Leupold eine individuelle polizeiliche Behandlung: „Es wird sich nicht darum handeln, dass der Bundesrat, wie seinerzeit die Tagsatzung, einen generellen Ausweisungsbeschluss gegen die Zigeuner fasse. Jeder einzelne Fall erfordert einen besonderen Ausweisungsbeschluss ad hoc. (...) Wer nach Zigeunerweise lebt, wird als Zigeuner bezeichnet und behandelt.“

Die Massnahmen trafen dennoch eine ganze Volksgruppe. Die Bundesanwaltschaft definierte Zigeuner wie folgt: "Unter der Bezeichnung ‚Zigeuner‘ werden (...) die nomadisierenden Angehörigen des Zigeunervolkes und ferner diejenigen anderen Personen verstanden, welche ohne nachweisbare Zugehörigkeit zu einem zivilisierten Staate einzeln oder in Familien oder Trupps nach Zigeunerart ohne festen Wohnsitz leben und sich ihren Unterhalt herumziehend durch allerlei Gewerbe zu verschaffen suchen.”


Jenische auf der Axenstrasse. Foto: Privatarchiv M.M.


So wurde ein zentralisiertes Verfahren zur Abwehr dieser "Zigeuner" ausgeklügelt; ein im Bundesarchiv abgelegter Entwurf aus dem Jahr 1913 zu einem Kreisschreiben des Justiz- und Polizeidepartementes gibt Auskunft: "Die Konferenz der kantonalen Polizeidirektoren hat in ihrer Tagung vom 21. Oktober 1912 in Sachen der Zigeunerfrage beschlossen, es sei darauf zu halten, dass die Zigeuner nunmehr in allen Kantonen zum Zwecke der Identitätsfeststellung und nachherigen Abschiebung interniert werden, und es sei unser Departement ersucht, die Frage der interimistischen Unterbringung der Zigeuner in Anstalten, wo sie zur Arbeit angehalten werden können, weiter zu prüfen, wobei insbesondere die Internierung in der bernischen Zwangsarbeitsanstalt Witzwil ins Auge zu fassen wäre."

Ein Anhang dazu ergänzt: "Die eingehenden Nachrichten über Zigeuner werden in besonderer Registratur zusammengestellt. Diese ‚Zigeunerregistratur‘ enthält in alphabetischer Anordnung die Aktenhefte (‚Personalhefte‘) sämtlicher Zigeuner, über welche dem Depart. Meldung erstattet wird.” Es folgen Hinweise auf die Gestaltung dieser Registratur, worin die genauen Personalien samt "Zu- & Spitznamen”, "Volksstamm" und "Hinweis auf das Personenverzeichnis des Zigeunerbuches der Polizeidirektion München” eingetragen werden sollten, nicht zu vergessen "die anthropometrische Messkarte mit Photographie”.

Lange Zeit galt unter Historikern und Behördemitgliedern als fraglich, ob dieses zentrale Zigeunerregister wirklich in Gebrauch kam. Nun sind aber im Zusammenhang mit der Erstellung des Flüchtlingsberichtes der Bergier-Kommission in einzelnen Personendossiers Formulare entdeckt worden, die aus diesem Register stammen. So findet sich in den Archiven etwa das Personalblatt von Carlo Minster aus dem Jahr 1930, das den Betrieb des Zigeunerregisters belegt. Es enthält in den vorgedruckten Kolumnen unter anderem die Rubriken "Zu- und Spitznamen" sowie "Hinweis auf das Zigeunerbuch". So bleibt nun die neue Frage, was mit diesem eidgenössischen Register geschehen ist, ob es in den vergangenen Jahrzehnten heimlich entsorgt worden ist oder ob es noch in der Dunkelkammer einer Verwaltungsbehörde lagert. Guido Koller, Historiker am Bundesarchiv, erklärt dazu: „Ich gehe davon aus, dass dieses Zigeunerregister tatsächlich existiert hat. Im Bundesarchiv ist es allerdings nicht zu finden. Daraus schliesse ich, dass es uns nicht abgeliefert worden ist.“

Wie es die Polizeibehörden des Bundes geplant hatten, wurden alle Männer aus fahrenden Sippen ohne Schweizer Pass, wo man ihrer habhaft werden konnte, von ihren Familien getrennt, im Gefängnis Witzwil "konzentriert" und nach der Registrierungsprozedur als staatsgefährdend ausgeschafft. Das Parlament bewilligte für die Massnahmen einen jährlichen Zigeunerkredit. Die Familien kamen erst bei der Ausschaffung wieder zusammen, einige Kinder wurden dabei aber dauerhaft von ihren Familien getrennt.

Über diese Praxis gibt eine Protokollnotiz des Waisenamtes der Stadt Zürich Auskunft. So heisst es im Jahr 1920: "Im Zufluchtsheim der Heilsarmee an der Molkenstr. 6, Zürich 4, befinden sich seit dem Monat August 1914 verschiedene Zigeunerkinder, die bei Kriegsausbruch durch eine Verfügung des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartementes dort versorgt wurden, während ihre erwachsenen Angehörigen teils in der bernischen Anstalt Witzwil, teils in anderen Anstalten interniert wurden." Nach Aufzählung der Namen vermerkt das Protokoll: "Die Kinder erhalten Beistand, und es wird die ‚heimatliche Versorgung‘ in die Wege geleitet”. Sie wurden ins Ausland abgeschoben.

Die Schweiz stand einzigartig da mit dem Konzept, ihr Territorium von "echten Zigeunern" zu befreien. Sie entwickelte sich um europäischen Bollwerk gegen die "Zigeunerplage". Kine anderes Land verfolgte eine derart radikale Politik, sicher auch, weil in anderen Ländern die Sinti und Roma zahlreicher waren. Fahrende Familien ohne Schweizer Pass wurden systematisch abgeschoben. Teilweise waren es Sippen von dreissig, vierzig Personen, die irgendwo über die grüne Grenze in die Schweiz einreisten und die schnell und heimlich an einer anderen Ecke wieder ausgeschafft wurden, möglichst ohne Wissen des Nachbarstaats.


Die Schweiz war einzigartig darin, ihr Territorium von „Zigeunern“ zu befreien. Sie entwickelte sich zum Bollwerk gegen die „Zigeunerplage“.

Es war oft ein trauriges Hin und Her: Eine 17köpfige Familie, deren Mitglieder teilweise aus dem Kanton Freiburg gebürtig waren,von den Italienern 1929 und 1930 mehrfach, an verschiedenen Orten, nach Graubünden geschafft. Als die Schweizer Grenzer sie morgens um 3 Uhr über die Grenze zurückschoben, dauerte es nur 4 Stunden, bis - so der Schweizer Polizeirapport - „ca. 40 Fascisten kamen und die Zigeuner mit Schreckschüssen wieder zurückjagten“. Schliesslich wurden die Zigeuner 1930 „am 19. August morgens ca. 1 Uhr ca. 1 Uhr nach Frankreich abgeschoben“ worden seien, und zwar an der Grenze im basellandschaftlichen Oberwil.

Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hielten sich gerade noch drei grössere Sinti-Familien in der Schweiz auf, deren“refoulement“ am wiederholten, teils bewaffneten Widerstand der Nachbarstaaten gescheitert war. In den Erlassen zur Flüchtlingspolitik, welche die Schweiz seit dem Aufstieg der Nazis an die Macht verabschiedete, taucht der Begriff "Zigeuner" nicht mehr auf. Eben weil die Politik der Zigeunerabwehr schon Jahrzehnte zuvor festgelegt war und unverändert in die nationalsozialistische Zeit hinübergeführt wurde. Die Schweiz verzichtete darauf, angesichts der Vernichtung von Roma, Sinti und Jenischen in Konzentrationslagern der Deutschen ihre Politik der Abschiebung zu revidieren.

Es war den Schweizer Polizeibehörden seit Beginn des Jahrhunderts klar, dass das Herumschieben von Zigeunerfamilien hin und her über die Landesgrenzen keine dauerhafte Ruhe bringen würde. Deshalb bemühten sie sich im Rahmen von internationalen Konferenzen aktiv um die Lösung der "Zigeunerfrage" im gesamteuropäischen Raum. Schon 1906 hatten die Schweizer Behörden versucht, auch andere Länder auf die Linie zu verpflichten, wonach jedes Land für seine "eigenen" Zigeuner zu sorgen habe, sodass Grenzüberschreitungen ein Ende finden würden. Eine solche Vereinbarung scheiterte indes.

Internationale Polizeibündelei

Die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission mit Sitz in Wien schlug einige Jahre später ihrerseits die Errichtung eines internationalen Zigeunerregister vor, was durch die Delegierten der Schweiz angesichts der bereits bestehenden Registrierungspraxis wohlwollend unterstützt werden konnte.

Die Schweizer Behörden zeigte sich gegenüber der „Kommission“ noch kooperationswillig, als die Nazis die Hände auf diese internationale Polizeiagentur legten und sie für ihre politischen Interessen instrumentalisierten. Man sah in ihr ein Instrument zur Abwehr der internationalen Kriminalität, wozu gleichsam selbstverständlich immer auch „Zigeuner“ zählten. Zudem diente die Kommission der Unterbindung des Drogenhandels. In diesem Bereich konnte die Schweiz, die damals ein führendes drogenproduzierendes Land war, weniger gut als polizeilicher Musterknabe auftreten.

Mit dem Einmarsch in Wien übernahmen die Nazis die Internationale Polizeiliche Kommission, sie verhafteten deren Präsidenten und ersetzten ihn durch einen österreichischen Nazi. Die Schweizer akzeptierten dieses Vorgehen als Tatsache und verzichteten auf einen Einspruch. Als die Nazis darüber hinaus die Verlegung der Polizeilichen Kommission nach Berlin betrieben, um sie in die räumliche und organisatorische Nähe des Reichssicherheitshauptamtes unter Reinhard Heydrich zu bringen, widersetzte sich eine Gruppe von westlichen Polizeiinstanzen, die den Sitz gerne in die neutrale Schweiz transferiert hätten. Die Schweiz indes stellte sich in diesem Disput auf die Seite der Nazis, aus traditioneller Verbundenheit mit deutschen Polizeibehörden. Die Schweizer Vertreter Heinrich Zangger und Werner Müller stimmten auch für die Wahl des SS-Schergen Heydrich zum neuen Präsidenten der Kommission.

Als der Schweizer Werner Müller am 2. Januar 1942 in Berlin schriftlich ein Anliegen vortrug, versäumte er nicht, auf seine gute Zusammenarbeit mit den Nazis hinzuweisen: "Es freut mich besonders, auch in meiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsausschusses der Internationalen kriminalpolizeilichen Kommission (Sitz Berlin; Präsident Herr Reichsprotektor Heydrich) diesen Schritt tun zu dürfen, einer Institution, der ich meine Treue schon sehr oft zu beweisen die Ehre hatte..."

Noch als die Amerikaner in den Krieg eintraten und ihre Kontakte mit dieser von Nazis durchsetzten Polizeiagentur abbrachen, wirkte die Schweiz in der umstrittenen Behörde weiter; der Schweizer Polizeimann Werner Müller, im Zivil Stapochef von Bern, als Militäroberst zweiter Mann des Schweizer Nachrichtendiensts unter Masson, sass offiziell als "Gehilfe des Präsidenten" unter Heydrich in den führenden Gremien und wirkte in der Redaktion ihrer Zeitschrift "Internationale Kriminalpolizei" verantwortlich mit.

Die Kriminalpolizeiliche Kommission wurde nach 1945 in die Interpol überführt. Unter Übernahme des Vermögens, der Akten und in statutenmässiger Nachfolge. Die Interpol führte den Kampf gegen die internationale Kriminalität weiter (nur nicht gegen Kriegsverbrechet, da dies „politisch“ sei). Darunter fiel weiterhin der Kampf gegen die sogenannten Zigeunerbanden.


Thomas Huonker,
Historiker und Publizist, ist Autor der Studie „Roma, Sinti und Jenische. Schweizerishe Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus“, die von der Bergier-Kommission als Beiheft zum Bericht „Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus“ im Dezember 2000 publiziert worden ist.

Willi Wottreng
befasst sich als Journalist seit Jahren mit Jenischen, Sinti und Roma und ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS).