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Artikel in WOZ Die Wochenzeitung Nr. 21 / 24. Mai 1991

Am Leid der Jenischen eine goldene Nase verdient?

Anwaltskosten: 904 000 Franken

Von Thomas Huonker

«Man muss den Aufwand, den man da betrieben hat, an dem riesigen Unrecht messen, das mit den Jenischen passiert ist.» So hat der zurückgetretene Sekretär der Stiftung Naschet Jenische, der St. Galler Anwalt Stephan Frischknecht, letzte Woche im Fernsehen die über 900 000 Franken gerechtfertigt, die er der Stiftung in den letzten vier Jahren in Rechnung gestellt hat. Je grösser das Unrecht, desto mehr Honorar?

Der unterdessen verstorbene Jenische Robert Waser prophezeite im Mai 1987: «Frischknecht will sich am Leid der Jenischen eine goldene Nase verdienen.» Die Schlagzeile des «Beobachters» vom 10. Mai 1991 lautete: «Anwalt macht Kasse». Anwalt Stephan Frischknecht will den Verfasser des Artikels, Hans Caprez, wegen Verleumdung einklagen. Caprez hat zu Beginn der siebziger Jahre mit einer Artikelserie im «Beobachter» den jahrzehntelangen Kinderraub des Pro-Juventute-Hilfswerks «Kinder der Landstrasse» endlich abgestellt. Seither können die Schweizer Jenischen wieder ihre traditionelle Lebensweise führen, ohne die Zerstörung ihrer Familien zu riskieren.

Almosen statt Klagen

1975 gründeten Robert Waser und Mariella Mehr die jenische Organisation «Radgenossenschaft» mit der Zeitung «Scharotl». Nach zehn Jahren ehrenamtlicher Organisationsarbeit waren die Jenischen fähig zu Aktionen wie der Besetzung des Luzerner Lidos 1985 oder der Umfunktionierung der Pro-Juventute-Pressekonferenz 1986. Hans Caprez gab ihnen dabei Rückendeckung. Er war es auch, der den Jenischen 1985 den angehenden Rechtsanwalt Stephan Frischknecht empfahl. 1987 schrieb Frischknecht in einer Chronologie selber: «30. 4. 85. Mandatsübernahme durch St. Frischknecht. Radgenossenschaft und ‹Beobachter› wollen der 10-jährigen Hinhaltetaktik mit Klagen entgegentreten». Dieses Mandat hat er jedoch so nie wahrgenommen. Bis heute hat Frischknecht keine Klage gegen die Verantwortlichen der Verbrechen an den Jenischen oder gegen deren haftbare Rechtsnachfolger und Aufsichtspflichtige eingereicht. Hingegen verschaffte er sich, teils durch standeswidrige Werbung mittels öffentlicher Ausschreibung in einer «Scharotl»-Nummer, die juristischen Vollmachten vieler Jenischer. In der Ausschreibung heisst es: «Mit der Vollmachterteilung ist keine Kostenpflicht verbunden, die Kosten werden durch die Gegenparteien oder Dritte getragen.» Frischknecht wollte die Interessen der Jenischen wahren und sich gleichzeitig durch die Gegenparteien finanzieren lassen. Dieses Vorhaben liegt der vom «Beobachter» kritisierten Schuldenwirtschaft der Ende 1986 entstandenen «Naschet Jenische» (NJ) zugrunde. Die Honorare des Anwaltsbüros Frischknecht und Fässler liefen seit 1987 als Forderungen an diese «Stiftung zur Wiedergutmachung» auf. Denn so häufig die Wechsel im Stiftungsrat waren, so konstant schrieben die Stiftungssekretäre Frischknecht und Fässler während vier Jahren ihre Arbeitsstunden und Spesen auf.

Frischknecht und Fässler kommen so auf eine Forderung von 904 000 Franken. Davon wurden ihnen 564 000 Franken bereits bezahlt. Auf 340 000 Franken beziffern sie den Betrag, den ihnen die Jenischen noch schuldig seien. Frischknechts Berechnung bleibt nur deshalb unter einer Million, weil er auf Rechnungstellung für die Jahre 1985 und 1986, will heissen auf weitere 100 000 Franken, mit grosser Geste verzichtet.

Demgegenüber erhielten die jenischen Opfer als so genannte Wiedergutmachung von der 1988 eingerichteten Fondskommission unter dem Präsidium von alt Bundesrat Alphons Egli pro Person zwischen 2000 und maximal 7000 Franken, je nach Alter und Betroffenheit. Ein schäbiges Almosen. Doch brachten diese Zahlungen für Frischknecht bei etlichen Betroffenen viel Prestige. Die Tätigkeit für die Stiftung hinderte ihn übrigens nicht daran, andere ergiebige Mandate auszuüben. So war er zum Beispiel auch für den Textilverkäufer Adrian Gasser anwaltlich tätig, der im Zusammenhang mit Messingkäfern und Massenentlassungen bekannt geworden ist.

Vollversammlung statt Spaltung

Um die Auslagen der Stiftung und ihres Sekretariats zu decken, wandte sich Frischknecht an Bund und Kantone, die zusammen mit der Pro Juventute insgesamt rund 1,7 Millionen Franken überwiesen. Ist es Zufall, dass Frischknecht immer mehr zur Auffassung kam, die unmenschlichen Verbrechen an der Volksgruppe der Jenischen, die einzuklagen er ausgezogen war, könnten verjähren? Schon in einem Brief vom 2. Juni 1986 an die Vormundschaftsbehörden verschiedener Kantone hat er dem Gegner Zusammenarbeit angeboten: «Wir werden das weitere Vorgehen mit den interessierten Bundesinstanzen und den zuständigen Stellen der Kantone St. Gallen und Zürich absprechen.» Genau das tat Frischknecht in den nächsten Jahren. Wunsch um Wunsch solcher «Instanzen» machte er den Betroffenen schmackhaft, nicht ohne Erfolg. Wer den «zuständigen Stellen» unliebsam auffiel oder Frischknechts Vorstellungen nicht entsprach, wurde als Schädling an den Interessen der Jenischen hingestellt. Im erwähnten Schreiben hatte der Anwalt Mariella Mehr, Hans Caprez, Robert Huber als Präsidenten der Radgenossenschaft sowie Thomas Huonker als Vertrauenspersonen seiner MandantInnen angegeben. Allen genannten Personen und der Radgenossenschaft gegenüber ging Frischknecht seither in Abwehrstellung, sobald sie ihn kritisierten.

Als Frischknecht auch noch den unbotmässig gewordenen jenischen Stiftungspräsidenten der NJ, Heinz Kollegger, wegen inzwischen behobener Unklarheiten bei der Weitergabe von 200 Franken einzuklagen drohte, war das Mass voll. Nach vier Jahren ohne Vollversammlung der Betroffenen - die letzte hatte im März 1987 stattgefunden - begann sich die Mehrheit der verbliebenen jenischen Stiftungsräte zu wehren und forderte finanzielle Transparenz. Mit Schreiben vom 7. März 1991 gaben hierauf Frischknecht und Fässler ihren Rücktritt als Stiftungssekretäre und die Niederlegung aller Mandate von Jenischen bekannt (siehe WOZ Nr. 11/91). Am 17. Mai 1991 ist nun an einer Versammlung in Olten der Anlauf einiger Frischknecht nach wie vor ergebener Jenischer gescheitert, unter Spaltung der Betroffenen eine neue Geld-Pump-Organisation für ihren Anwalt zu gründen (siehe den Artikel von Mariella Mehr in derselben WOZ Nr. 21/91). Die Versammelten kamen mehrheitlich zum Schluss, dass die Einheit gewahrt werden müsse und dass endlich wieder eine Vollversammlung abgehalten werden solle.





Nachtrag von Thomas Huonker 2005:
Die nach dem Rücktritt von Alt-Bundesrat Alphons Egli in anderer rechtlicher Form eingesetzte neue Fondskommission erhöhte die Zahlungen an die Schwerstbetroffenen der systematischen Jenischen-Verfolgung in der Schweiz, welche noch am Leben waren, auf zwanzigtausend Franken pro Opfer des geschehenen Unrechts, bezahlte aber an weitere nach ihrer Einschätzung weniger schwer Betroffene auch weiterhin niedrigere Beträge aus. Diese so genannte "Wiedergutmachung" war befristet. 1993 wurden die Zahlungen eingestellt. Betroffene, die z.B. wegen Auslandaufenthalts nichts davon erfuhren, erhielten nichts.