PERSÖNLICH

Von Freilaufhimbeeren

und Flugzeugträgern

Bauer im Nebenerwerb. Hans Huonker hat sich intensiv mit Literatur, Linguistik, Künstlicher Intelligenz und Fremd- sowie Programmiersprachen auseinandergesetzt. Beim Bauern findet der Technikfreak Ausgleich zur Arbeit am Bildschirm und die wertvollsten Erkenntnisse fürs Leben.

TEXT: Christian Kaiser BILD: Reto Schlatter

AUS: Magazin der EB Zürich, Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 23 – Herbst 2009


Die Bienen sind gestresst. Fungizide, Pestizide, Varroamilben setzen ihnen zu. Und in Regensdorf killt auch noch die Faulbrut die Larven schon vor dem Schlüpfen. Regensdorf ist Sperrzone, die Bienenzüchter dürfen keine Völker tauschen oder verkaufen. Doch den fünf Völkern von Hans Huonker geht es prächtig; der Bieneninspektor hat es ihm bescheinigt. Trotzdem: Kein Imker könne vor Krankheiten sicher sein, warnt Hans Huonker.


Es ist Flugwetter.

Vor und in Hans Huonkers Bienenhäuschen herrscht emsiges Treiben. Drei seiner Völker bauen fleissig an den unlängst eingebauten Zwischenwaben, zwei Völker sind im Mai zum Hochzeitsflug ausgeschwärmt und mit dem Aufbau ihres neuen Staates beschäftigt. Ende Mai konnte Hans Huonker fast 60 Kilo Honig ernten. «Den Wintervorrat wegnehmen» nennt er das mit verschmitztem Lächeln, und fast hat man das Gefühl, er habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen dabei. Gelernt hat er das Imkern von seinem Nachbarn, einem 81-jährigen Bauern. «Das Wichtigste ist: Du musst deine Völker warm halten», hat der zu ihm gesagt und das tut Hans Huonker denn auch konsequent: Die Ritzen um die Holzkästen sind zugestopft mit der Wolle seiner beiden Schafe, vergilbte Zeitungen dichten von oben und unten gegen Zug, und hinter der Holztüre der Kästen dämmen Schaumstoffmatten. «Im Winter isoliere ich natürlich mehr», sagt er.


Most, Beeren und Nüsse.

Hans Huonker ist Bauer im Nebenerwerb. 1980 hat er den Hof am Eingang von Regensdorf von seiner Grossmutter übernommen. Mächtige Nussbäume spenden Schatten, die Kirschbäume sind voll beladen. Von den Gravensteinern, Bonäpfeln und Mostbirnen presst er im Herbst Süssmost. Auf dem Ackerland steht der Mais des Pächters meterhoch, die Ställe sind an zwei Pferdeliebhaber vermietet. Die Ponys haben reichlich Auslauf, unterhalb der Hofwiese können sie in einer Kreiskoppel das Longieren üben. «Tiere brauchen Platz», sagt Hans Huonker. Einen Bock hat er inzwischen keinen mehr. «Ich sah die Lämmer aufwachsen, und wenn eins vakuumverpackt wieder zurückkam, wusste ich: Das ist jetzt der Jan. Das hat mir nicht so gefallen.» Die zwei Mutterschafe, Lisa und Kira, braucht er «zum Rasenmähen». Ihre Weiden sind durch Hecken abgetrennt, wo zwischen den Sträuchern Johannis-, Brom- und Blaubeeren reifen. Hans Huonker lässt auch den Beeren in den Hecken ihren Freilauf: «Himbeeren schaffen 20 bis 30 Meter in 20 Jahren, wenn man sie wachsen lässt», sagt er (und fügt hinzu, die Früchte von den neu gewachsenen Stauden schmeckten deutlich besser).


Nachwachsende Bäume.

Im letzen Jahr hat er auch Kiwis gesetzt, sie sollen die Staudenhecken überranken. Der «multiple Christbaum» ist eine andere huonkersche Erfindung: «Ich kappe die Tannen, und nach ein paar Jahren kann ich eine neue Spitze ernten.» Die Ahorne schneidet er alle zwei Jahre rigoros zurück, füllt mit den Ästen sein Brennholzlager auf. Lieber als eine Pflanze auszurotten, setzt er auf deren Kraft nachzuwachsen: Nachhaltigkeit in Reinkultur.




Und das wird auch Hans Huonkers neues Steckenpferd an der EB Zürich sein. Als Projektleiter ist er damit betraut, ein neues Angebotsfeld «Nachhaltigkeit» aufzubauen. Denkbar sind etwa ein Lehrgang zur Umweltfachfrau, Kurse für die Realisierung privater Solarkraftwerke oder ein Lernangebot für das Erstellen von Nachhaltigkeitsbilanzen. Huonker ist überzeugt: Langfristiges Denken und Nachhaltigkeit sind auch im Berufsleben wieder ganz wichtige Themen.


Technologie als Werkzeug.

Huonker hat Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaften studiert. Von 1978 bis 1980 war er für zwei Jahre in Moskau als Übersetzer tätig, hat Schweisshandbücher und Reiseführer aus dem Russischen ins Deutsche übertragen. Wieder in der Schweiz folgten ein Zweitstudium in Informatik und 1986 eine Dissertation über Wortdatenbanken. Bevor er an der EB Zürich als Kursleiter für diverse Programmiersprachen einstieg, arbeitete er an der ETH am Projekt «Text to Speech» mit: Es ging darum, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz einen Vorleseautomaten zu entwickeln, der Lawinen- oder Wetterbulletins mit natürlich klingender Melodie und Betonung wiedergeben kann. Jahre lang war er voll fasziniert von den Möglichkeiten der Informationstechnologie, aber jetzt möchteer deren Grenzen überwinden. «Unsere Probleme lassen sich mit Informatik allein nicht lösen.» Nun will er sich mit vollem Elan dafür einsetzen, die Umweltzerstörung zu bremsen. Wenn, und da spricht der überzeugte Pazifist, es möglich sei, derart komplexe Systeme wie Flugzeugträger zu bauen, müsse es auch möglich sein, das Potenzial an Intelligenz undRessourcen zu nutzen, um dem Abholzen der Wälder, dem Klimawandel und der Verseuchung der Meere Einhalt zu gebieten.


Der Moment fürs Richtige.

Ob in der Landwirtschaft, der Gebäudetechnik, der Mobilität oder der Stromversorgung – die realisierbaren Alternativen seien längst vorhanden. «Es geht darum, die Leute dazu zu bringen, dass sie die Möglichkeiten auch nutzen». Er selbst will in diesem Jahr auf seinem Bauernhof eine Aufdach-Photovoltaikanlage realisieren, die ihn nicht nur zum Selbstversorger, sondern auch zum Stromverkäufer macht. Mit dem Einsatz für die Nachhaltigkeit beginnt für Hans Huonker wieder ein neuer Lebensabschnitt.
Mehr fürs Leben gelernt als von allen schlauen Professoren habe er von dem alten Regensdorfer Bauern Fritz Scherrer. Die Quintessenz: Ob beim Bäumefällen, Pflanzensetzen oder Bienenzüchten, in der Natur kommt es vor allem auf eines an: «Im richtigen Moment das Richtige zu tun.» Wenn man alle Lebewesen dazu noch mit Respekt und etwas Wärme behandelt, darf man auch in schwierigen Zeiten auf reiche Ernte hoffen. Hans Huonkers Bienen zeigens.