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Jenische

Die Jenischen sind eine Gruppe von Menschen mit eigener Sprache, Kultur und Geschichte, die hauptsächlich in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich, aber auch in Luxemburg, Belgien, Holland, Italien sowie in anderen Weltgegenden leben. Ihre Gesamtzahl wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt, allein in der Schweiz sind es rund 35000. Die französische Schreibweise ist Yéniche, die englische Yenish; sie werden aber auch gens de voyage oder travellers genannt. Die entsprechende Gruppe in Spanien wird als Quinqui oder Mercheros bezeichnet. In Österreich heissen die Jenischen auch Karrner, Dörcher oder Laninger, in der Zentralschweiz Fecker, in der Ostschweiz Kessler oder Spengler.
Jenische Familie in Deutschland mit Pferd und Wagen auf dem Rastplatz, um 1900
Hinweise auf ihre gemeinsame Sprache, Jenisch, gibt es bereits im späten Mittelalter - sie wurde damals aber noch als Rotwelsch oder Vagantensprache bezeichnet.
Jenische, rotwelsche und verwandte Glossare finden sich in verschiedenen Büchern und auch im Internet. Ein reichhaltiger und dennoch unvollständiger Link zur transationalen sprachlichen Vielfalt und zu den Querbezügen dieser Gruppen ist www.etymologie.info/~e/d_/de-rotwel.html.
Informativ ist der Artikel "Jenische" von Wikipedia.
Zum Stand der Anerkennung der Fahrenden in der Schweiz sowie der Jenischen als Sprach- und Volksgruppe hat das Schweizerische Bundesamt für Kultur einige Hinweise zusammengestellt:
http://www.bak.admin.ch/themen/sprachen_und_kulturelle_minderheiten/00507/00511/index.html?lang=de

Von vielen Jenischen betriebene Berufe sind unter anderen der Wander- und Hausierhandel, der Schrott- und der Antiquitätenhandel, Recycling allgemein, das Korbergewerbe, das Richten von Herdplatten und Pfannen oder die Messer- und Scherenschleiferei. Es gibt aber in allen Berufen Jenische. Es gibt sowohl sesshafte als auch fahrende Jenische, doch ist die Geschichte ihrer Ausgrenzung und Verfolgung oft mit der Bekämpfung der „Vagantität“, also der nichtsesshaften Lebensweise, verknüpft.
Carl und Catharina Trapp, jenische Geschirrhändler aus Freudenberg im Siegerland, um 1925
Die sesshaften Jenischen fielen nicht so sehr auf und konnten sich in Notzeiten leichter an die Lebensweise der Mehrheitsgruppen anpassen, doch sind auch sesshafte jenische Familien als solche verfolgt worden, so beispielsweise unter der Nazi-Herrschaft durch den Kriminalbiologen Dr. Dr. Robert Ritter, der auch bei der nazistischen Vernichtungspolitik gegenüber den Sinti und Roma eine zentrale Rolle spielte, oder in der Schweiz durch die Stiftung Pro Juventute (von 1926 bis 1972).

Das von Dr. Alfred Siegfried als Unterabteilung der Stiftung Pro Juventute geleitete „Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse“ betrieb die „Entvölkerung der Landstrasse“ in der Schweiz mittels systematischer Wegnahme von gegen tausend jenischen Kindern aus ihren Familien und deren Verbringung in Anstalten oder nichtjenische Pflegefamilien.

Mehr Infos zum "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse":
Fahrendes Volk - verfolgt und verfemt. Jenische Lebensläufe. Buch aus dem Jahr 1987 (2. Auflage 1990)
-
Videodokumentation der Radgenossenschaft der Landstrasse zur Verfolgung der Jenischen in der Schweiz
- Laurence Jourdan, Le monde diplomatique,12.November 1999
- Forschungsexpertise VORGESCHICHTE, UMFELD, DURCHFÜHRUNG UND FOLGEN DES "HILFSWERKS FÜR DIE KINDER DER LANDSTRASSE", 25. April 1987

Dr. Siegfried bringt weggenommene jenische Kinder in eine Anstalt (1953; Foto von Hans Staub).
Alfred Siegfried war ursprünglich Romanist und Gymnasiallehrer in Basel, verlor aber diese Stellung wegen pädophilen Umgangs mit einem seiner Schüler. Er wurde zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt; die zuständigen Basler Behörden beschlossen Stillschweigen zu bewahren. So konnte er jahrzehntelang unangefochten als Vormund über Hunderte von weggenommenen jenischen Kindern verfügen.

Viele der entweder gewaltsam oder mittels behördlichem Druck auf die Eltern aus ihren Familien gerissenen Jenischen berichten von sexuellem Missbrauch durch Heimleiter, Pflegepersonen oder Siegfried selber. Auch sein erster Nachfolger, Dr. Döbeli, wurde wegen Missbrauchs von Mündeln verurteilt und verlor deshalb - im Unterschied zu Siegfried - seine Stelle im "Hilfswerk". Siegfrieds letzte Nachfolgerin wurde schliesslich Clara Reust.

Aus dem Widerstand gegen dieses "Hilfswerk" entstanden in der Schweiz Organisationen der Jenischen wie die schweizerische Dachorganisation Radgenossenschaft der Landstrasse, die Stiftung "Naschet Jenische" oder das Fahrende Zigeuner-Kulturzentrum und die Organisation "schäft qwant".
Gründung der Radgenossenschaft in Bern am 31.5.1975
Foto: Rob Gnant
Die Radgenossenschaft der Landstrasse gibt eine eigene Zeitschrift heraus, das „Scharotl“. Sie engagiert sich für die volle Anerkennung der Jenischen als Volk mit den Rechten einer ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheit. Sie betreibt ein Dokumentationszentrum an ihrem Sitz an der Hermetschloostrasse 73 in Zürich. Zu dessen Besuch machen Sie sich auf www.radgenossenschaft kundig über die Öffnungszeiten. Über diesen link finden Sie den Leitfaden zum Besuch des Dokumentationszentrums als pdf.


Blick ins Dokumentationszentrum der Radgenossenschaftin Zürich.
Ein Besuch lohnt sich. Speziell auch für Schulklassen geeignet.
Erst im 21. Jahrhundert entstanden auch in Österreich und in Deutschland Organisationen der Jenischen, so der Verein der Jenischen in Singen/D und der Jenische Kulturverband in Österreich. Der jenische Verein "schäft qwant" hat Mitglieder aus verschiedenen europäischen Staaten und betreibt ein interaktives Internetportal mit Chat, Veranstaltungskalender und vielen Informationen und Verbindugen zu Jenischen in ganz Europa. Wichtig sind auch Einzelpersonen, die als Wahrer von Geschichte, Sprache, Kultur und Tradition der Jenischen wirken, so etwa der leider allzujung verstorbene jenische Schriftsteller Professor Romed Mungenast in Landeck und Innsbruck.

Einer der ersten Jenischen, der sich entgegen ihrer überwiegend mündlichen Tradition auch schriftlich, in Gedichten und vor allem in seinem Buch „Die Korberchronik“, zur Kultur, Lebensweise und Geschichte der Jenischen geäussert hat, ist der Berner Albert Minder.
(Foto aus dem Jahr 1917)
Peter Paul Moser hat in seiner dreibändigen Autobiografie, die Sie hier bestellen können, sein Schicksal als vom "Hilfswerk" Siegfrieds aus seiner jenischen Familie gerissenes Kind und seinen weiteren Lebenslauf ausführlich und sehr berührend geschildert.
Besuchen Sie auch die homepage der in Zürich geborenen jenischen Schriftstellerin Mariella Mehr. Eine weitere jenische Schriftstellerin ist Simone Schönett aus Oesterreich.
In vielen Büchern hat auch Sergius Golowin aus Bern das Leben und die Tradition der Fahrenden und insbesondere auch der Schweizer Jenischen einem grossen Publikum nahegebracht. Als Berner Grossrat und vor allem als Mitbegründer und langjähriger Verwaltungsrat der "Radgenossenschaft der Landstrasse" hat er sie auch tatkräftig unterstützt, und beides tut er weiterhin. Lesen Sie eine Besprechung eines Buchs von Sergius Golowin.

Informationen über Jenische in Frankreich erhalten sie hier.

Siehe auch:
DVD mit Film "Die letzten freien Menschen" und Chronik "Nomaden in der Schweiz"
Roma - ein Volk unterwegs. Lehrmittel des Kantons St. Gallen, Wil 1999, beinhaltet auch Informationen zu den Jenischen
Sergius Golowin am 17. Juli 2006 verstorben. Wir verlieren einen weltoffenen Schriftsteller, Pionier alternativer Lebensformen und engagierten Freund der Fahrenden
Professor Romed Mungenast am 27. Februar 2006 verstorben. Wir trauern um einen grossen Jenischen
Bundesamt für Kultur:
Schweiz fördert jenische Sprache

Nationalfonds-Projekt: Unterwegs zwischen Verfolgung und Anerkennung. Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz (1800 bis heute)