Heilige Stätten haben eine Anziehungskraft auf viele Menschen, allerdings nicht auf alle, und gar nicht in gleicher Weise. Ich persönlich empfinde nicht nur und nicht alle Gotteshäuser und Tempel als Orte des Heiligen. Auch manche Naturszenerien erscheinen mir als magische Orte. Oft zeigt es sich, dass diese Stellen tatsächlich alte Plätze ritueller Handlungen waren, bezeugt durch Schalensteine oder Reste alter Grabstätten.
Kennen Sie zum Beispiel die kleine Kapelle ob Berschis bei Flums, hoch über einer steilen Felswand? Sie ist wie viele Kirchen an der Stelle eines vorchristlichen Heiligtums oder Opferplatzes errichtet worden. Gegenüber der Autobahn unten im Tal markiert sie den unverrückbaren Unterschied von Heiligem und Profanem. Dem Profanen trotzt auch die alte Lazariterkirche Gfenn in Dübendorf bei Zürich, mitten in einer unsäglichen Agglomeration, täglich überflogen von mehr als hundert Zivil- und Militärflugzeugen; sie tut es heute wie während jener vierhundert Jahre nach der Reformation, wo sie, bis zu ihrer Renovation in den sechziger Jahren, als Scheune genutzt worden ist.
Ein magischer Ort ist für mich nicht einfach ein schöner Platz. Eine Tropfsteinhöhle oder ein Korallenriff sind Beispiele reiner Naturschönheit, denen das Magische fehlt, während die ältesten Heiligtümer, die Höhlentempel der Steinzeitmenschen mit ihren magischen Wandmalereien, an sich keine besonders schönen Orte sind.
Berühmte heilige Stätten gehen für mein Empfinden allzuoft in jene vergoldete Hohlheit über, welche den heiligen Zorn immer wieder zum Bilder- und Tempelsturm herausgefordert hat. Das Allerheiligste der Tempel Mammons, die Schalterhallen und Tresorräume von Bankzentralen, sind nicht nur für mich persönlich moderne Beispiele dieses Umschlagens in leeren Götzendienst. Auch der Tempel in Jerusalem war Sitz der Geldwechsler sowie Zentralarchiv des damaligen Hypothekar- und Schuldzinswesens. Vor diesem Hintergrund sind der Versuch der Tempelreinigung durch Jesus und auch die Steinigung des Stephanus zu verstehen. Der erste christliche Märtyrer wurde wegen seiner Reden wider die heiligen Stätten umgebracht. Er berief sich in seiner Verteidigungsrede auf Jesaias Wort:
"Was für ein Haus wollt ihr mir bauen? - spricht der Herr - oder welches wäre die Stätte meines Wohnens? Hat nicht meine Hand dies alles gemacht?"
Die Heiligkeit und Unantastbarkeit der Schöpfung, welche die Gentechnologie zerstörerisch ignoriert, liegt nicht nur in ihren vielfältigen Kreisläufen und Vernetzungen.
Ein Ort des Heiligen ist auch das Einfache. Brot und Wein. Eine alte Eiche, ein Olivenhain. Oder eine Schafherde. Vielleicht sind deshalb die Ruinen alter Heiligtümer, auf blossen Stein reduziert, für mich anrührender als der Hochglanz religöser Betriebsamkeit.
Und doch braucht es die abschleifende, über individuelle Empfindungen hinausgehende Kraft einer Tradition, eines Ritus, um heilige Stätten zu errichten, zu betreiben und schliesslich als Ruinen zu hinterlassen.
Individuelle Heiligtümer, private tempelartige Bauten wie das "Paxmal" des Briefmarkengestalters Bickel auf dem Walenstadtberg oder der tempelartige "Palais Idéal" des Postzustellbeamten Cheval in Hauterives haben trotz aller gestalterischen Kraft ihrer Erbauer zuviel individuell Absonderliches an sich, um heilige Ruhe auszustrahlen.
Die Notwendigkeit allgemeiner Verbindlichkeit in den Religionen erklärt, weshalb viele Heutige, die sich aus den verschiedenen religiösen Angeboten der Weltgeschichte ihre individuelle Glaubenswelt als exotischen Privat-Cocktail zusammenmischen, dabei keine innere Kraft und Ruhe finden. Die rastlose und letztlich orientierungslose Suche nach solchen Rezepten ist die Kehrseite der unverbindlichen Leere und ziellosen Beliebigkeit normierter Lebensführung.
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