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Vorwort von Stadträtin Monika Stocker
(zum Bericht "Kindswegnahmen, Anstaltseinweisungen, Eheverbote, Sterilisationen, Kastrationen. Fürsorge, Zwangsmassnahmen, 'Eugenik' und Psychiatrie in Zürich zwischen 1890 und 1970", verfasst von Thomas Huonker, erschienen als Nr. 7 in der "edition sozialpolitik", Zürich 2002)

Es geht auch uns an!

Betroffen von Willi Wottrengs 1999 erschienenem Buch Hirnriss möchten wir mit diesem Bericht die Erkenntnisse über das Ausmass, den Hintergrund und die Beschaffenheit von Zwangsmassnahmen im sozialen und psychiatrischen Bereich in die öffentliche Diskussion tragen. Es scheint mir unerlässlich, dass unsere Generation, die jetzt Verantwortung trägt, um den Charakter der Zwangsmassnahmen und um ihre Wirkungen in der Vergangenheit weiss. Wer die Augen vor der Geschichte verschliessen will, läuft Gefahr, die Sensibilität für die Gegenwart und die rechtzeitige Weichenstellung für die Zukunft zu verpassen.
So verstehe ich den vorliegenden Bericht von Dr. Thomas Huonker als kritische Anfrage an unsere Generation und unsere fachliche Kompetenz, genauso wie an die Ethik der Sozialpolitik zu jeder Zeit und in jedem Umfeld.

In verschiedenen Kantonen sind schon seit einiger Zeit Forschungsgesuche zu Zwangsmassnahmen im sozialen und psychiatrischen Bereich hängig, die den Zeitraum zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und den 1970er Jahren, betreffen.
Während auch heute noch vieles Im Dunkeln liegt über die Hintergründe und das tatsächliche Ausmass der Anwendung von ungerechtfertigten Zwangsmassnahmen, stösst das Thema auf viel Interesse. Willi Wottrengs 1999 erschienenes Buch "Hirnriss" löste darüber eine breite öffentliche Debatte aus.
Die Medien und Vorstösse in verschiedenen Parlamenten, forderten eine historische Aufarbeitung der sozialhistorischen Umstände dieser Zwangsmassnahmen. Damit sollte das Ausmass und die Hintergründe dieser spezifischen Form von staatlicher Intervetion besser ausgeleuchtet werden können.
Auch im Gemeinderat der Stadt Zürich, verlangte Katharina Prelicz-Huber in einer Interpellation am 7. Juli 1999, "diesen dunklen Teil der städtischen Sozialpolitik aufzuarbeiten".Da ein ähnlicher Vorstoss auch im Kantonsrat eingereicht worden war, wurde mit dem Kanton eine gemeinsame Expertengruppe gegründet, die die Bedingungen dieser Aufarbeitung bestimmen sollte.
Der Kanton hatte zusammen mit der Expertengruppe darauf hingewirkt, dass die umfassenden Archivbestände der psychiatrischen Kliniken zum fraglichen Zeitraum im Staatsarchiv Zürich zugänglich zu machen.

Im Auftrag des Sozialdepartements begann der Historiker Thomas Huonker im vergangenen Sommer mit der Quellenarbeit (Die Akten im Stadtarchiv Zürich waren damals schon zugänglich) und erstellte den vorliegenden Bericht . Huonkers Bericht ist ebenso gründlich wie sorgfältig verfasst worden. Anhand von über 1000 Fallgeschichten verschaffte er sich einen Überblick über das tatsächliche Ausmass und die Struktur der Zwangsmassnahmen im Sozialbereich und in der Psychiatrie. Ausgehend von verschiedenen Einzelschicksalen lässt Huonker eine Welt entstehen, in der die Rechte und die Handlungsmöglichkeiten aus heutiger Sicht völlig ungerecht verteilt waren. Da Thomas Huonker seine Ergebnisse in die sich verändernden gesellschaftlichen Hintergründe eingebettet hat, wird auch deutlich, wie diese Zwangsmassnahmen von den Handelnden gerechtfertigt wurden. Heute mag es erstaunen, wie viele Ärzte und Fürsorgebeamten sich durchaus im Klaren waren über den Charakter und die Auswirkungen ihrer Massnahmen. Sie zeigten Verständnis und Mitleid für die Notsituation der zu behandelnden Menschen. Dennoch schreckten sie nicht vor der Anwendung von Eingriffen zurück, die den Körper schädigte und die Lebensperspektiven der Opfer unwiderbringlich beschränkte.

Der Bericht berührt, seine Ergebnisse sind erschütternd:. Aus heutiger Sicht ist klar; viele dieser Zwangshandlungen sind nicht vertretbar, sie haben bei den Betroffenen unsägliches, oft jahrzehntelanges Leiden verursacht. Die meisten Opfer dieser Zwangsmassnahmen sind verstorben, ohne dass sie je verstanden worden wären, ohne dass sie ihre Würde wieder zurück bekommen haben. Sie werden keine auch noch so symbolische Form der Entschädigung mehr in Empfang nehmen können.

Als Vorsteherin des Sozialdepartements erachte ich es als meine Pflicht, nicht nur das Wissen um die Hintergründe und die Mechanismen von dieser Art von Zwangsmassnahmen zu verbessern, sondern auch Verantwortlichkeiten zu benennen und zuzuordnen. Die Art der Auseinandersetzung mit einem Stück dunkler Vergangenheit soll ein ernsthafter Versuch sein, den Opfern einen Teil ihrer persönlichen Würde zurück zu geben, indem dieser Bericht Anstoss bietet für ein vertieftes Nachdenken.

Fürsorge ist nie ganz frei von Zwang. Auch heute nicht. Die Frage, wie weit der Staat in schwierigen Lebenssituationen in die Privatsphäre von Menschen eingreifen darf, bleibt aktuell. Sie kann nie abschliessend geklärt werden. Es gehört aber auch zur politischen Verantwortung, sich dieser Frage immer wieder öffentlich zu stellen.

Die Frage, wo staatlicher Zwang vorbeugend und sinnvoll ist, wo rechtsverletzend und ungerecht, ist oft heikler, als man von aussen erkennen kann. Antworten auf diese Art von Fragen sind immer zeitgebunden, auch die unseren, die heutigen. Zwang einzusetzen, und für einen Menschen zu entscheiden und zu handeln, wenn er nicht mehr in der Lage ist, selbst verantwortliche Entscheidungen zu fällen, bleibt der Gradmesser von Liberalität und Fürsorge. Die Balance zu finden zwischen Eigenverantwortung und Vormundschaft, ist auch heute nicht immer einfach . Fürsorge, Freiheitsbeschränkung oder gar Freiheitsentzug; das Extrem setzt die Limite, der Alltag die Ausgestaltung.

Als Präsidentin der Vormundschafts- und der Fürsorgebehörde der grössten Schweizer Stadt bin ich glücklich, mich in den Behörden von Menschen gestützt zu wissen, die es sich nicht einfach machen, die ihre Entscheide in Erwägung aller fachlichen und therapeutischen Erkenntnissen fällen, die ihre Eingriffe mit höchstem ethischen Bewusstsein verantworten und sich nur einem verpflichtet fühlen: dem Wohl des Einzelnen und dem Wohl des Gemeinwesens.
Deshalb ist es mir selbstverständlich, den vorliegenden Bericht über ein aus heutiger Sicht dunkel zu wertendes Kapitel der Geschichte der Eingriffsfürsorge zu veröffentlichen. Ich tue dies ohne Vorwürfe und ohne Ueberheblichkeit aber mit Ernst. Ich möchte alle, also Fachleute, Behörden, Verantwortungsträgerinnen und - träger und engagierte Menschen selbstverständlich in die Reflexion mit einbeziehen.

Ich persönlich entschuldige mich bei den Opfern der Vergangenheit, bei ihren Kindern und Kindeskindern für das Unrecht, das ihnen angetan wurde. Mein Wort steht, dass ich alles daran setzen werde, dass in späteren Generationen auf die heutige Arbeit mit Dankbarkeit und der Erkenntis zurückgeblickt werden kann, dass es keine Täter und keine Opfer geben soll, sondern nur Handelnde, die ihre Verantwortung, so gut, so gerecht und so menschlich wie möglich wahrnehmen.


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