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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen


Roma - ein Volk unterwegs

Die Fahrenden in ihren Wohnwagen, mit ihrer Musik und ihren Festen sind oft idealisiert und romantisiert worden. Grundsätzlich anders als das Leben aller andern Menschen ist ihr Leben aber nicht. Auch sie leben in Familie und Verwandtschaft, im Rhythmus von Geburt, Leben und Tod, in der Abfolge von Arbeit und Ruhe, von Alltag und Feier.

Ihre über Jahrhunderte der Verfolgung stolz und anpassungsfähig gebliebene eigene Kultur ist auch oft als Inbegriff des Bösen, Fremden, Dunklen und Bedrohlichen dargestellt worden. Die Roma teilen in dieser Hinsicht das Schicksal anderer Aussenseiter und Minderheiten und dienen als Sündenböcke. Schlagworte und Theorien über deren angebliche Gefährlichkeit, Schlechtigkeit und Minderwertigkeit weisen hin auf ungelöste Probleme der Mehrheitskulturen. Immer noch sind die Roma unterwegs auf dem Weg zu ihrer Anerkennung und Respektierung als gleichberechtigte Mitmenschen mit einem Recht auf ihre eigene Sprache, Kultur, Tradition und Lebensweise.

Und ebenso sind auch wir Sesshaften unterwegs zu einer Gesellschaft, in welcher alle, Mehrheit und Minderheiten, Fremde und Einheimische, Kinder, Frauen und Männer, menschenwürdig und tolerant zusammenleben können.


Namen und Stämme der Roma

Roma ist der Oberbegriff für alle Angehörigen der verschiedenen Stämme. Die internationale Dachorganisation der Roma ist die Romani Union.

In Deutschland, Frankreich und Italien leben hauptsächlich Sinti, die sich in Frankreich auch Manouches nennen. Die Sinti sind Nachfahren der im 15. Jahrhundert nach Zentraleuropa eingewanderten Gruppen. Als spätere Einwanderer aus dem Osten, vor allem nach der Sklavenbefreiung in Rumänien, aber auch aus der Slowakei, Ex-Jugoslawien oder Polen kamen weitere Gruppen, die sich auch als eigenständige Untergruppe Roma nennen.

Es gibt nur Schätzungen über die Anzahl der Roma weltweit. Es wird angenommen, dass es gegenwärtig zwischen 8 und 10 Millionen sind. Die meisten von ihnen leben in Osteuropa, davon rund 2 Millionen Menschen allein in Rumänien.

Obwohl sich alle Romanes sprechenden Stämme der Roma auf der ganzen Welt in ihrer gemeinsamen Muttersprache gut verständlich machen können, gibt es doch auch starke Unterschiede in den Dialekten des Romanes. Alle Roma-Stämme sprechen auch die Sprache oder die Sprachen der Länder, in denen sie leben; einige Gruppen, so etwa die spanischen Calé, sprechen auch unter sich nicht mehr Romanes, sondern die Landessprache Spanisch, allerdings mit einer eigenen Dialektfärbung und unter Übernahme von einzelnen Wörtern aus dem Romanes.

Viele Stammesbezeichnungen, vor allem der Roma osteuropäischer Herkunft, spiegeln auch die teils über Jahrhunderte hinweg in Familientradition ausgeübten speziellen Berufe einiger Gruppen: Kalderari sind ursprünglich Kesselschmiede, Lovari Pferdehändler, Ursari Bärenführer oder Dresseure anderer Tierarten.

Die Jenischen, eine Gruppe von sesshaften oder fahrenden Händlern, Schaustellern und Hausierern, welche vor allem in Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und in Frankreich leben, haben eine eigene Sprache: Jenisch. Es enthält Elemente der mittelalterlichen „Vagantensprache“ Rotwelsch, der jüdisch/deutschen Mischsprache Jiddisch, des Romanes sowie viele eigenständige Wortbildungen.

Hinter Namen und Bezeichnungen von Völkern stehen oft komplizierte geschichtliche Vorgänge, manchmal auch Irrtümer und Abwertungen.

So werden die Ureinwohner Amerikas bis heute noch mit dem Namen Indianer bezeichnet. Dieser Begriff beruht aber auf dem Irrtum des Kolumbus, er sei in Indien gelandet. Deshalb ziehen es die meisten Eingeborenen Amerikas vor, mit dem eigenen Stammesnamen wie z.B. Kwakiutl1, Yanomami2 oder Hopi3 angesprochen zu werden.

"Eskimo" bedeutet eigentlich "Rohfleischesser"; selber nennen sich die Ureinwohner der Arktis Inuit. In ihrer Sprache bedeutet das einfach: Menschen.

Ähnlich ist es bei den Roma. Dieser Oberbegriff für alle Menschen, welche Romanes4 sprechen oder von Lebensweise und Herkunft her zu den Stämmen der Roma gehören, bedeutet übersetzt: Menschen.

Langsam setzen sich die Eigenbezeichnungen wie Roma (oder die jeweiligen Stammesnamen wie Sinti, Manouche5, Kalderari, Calé, Jenische usw.) auch in der Umgangssprache der Nicht-Roma durch.

In verschiedenen Sprachen präsent sind aber auch noch Bezeichnungen, die den Roma von aussen her zugelegt wurden. So die Begriffe "Zigeuner" (deutsch), "Tsigane" (französisch), "Zingaro" (italienisch), "Zigan" (ungarisch, polnisch und andere Sprachen Osteuropas).

Diese Begriffe leiten sich von der Bezeichnung einer mittelalterlichen, heute nicht mehr existierenden Sekte ab. Diese religiöse Gemeinschaft war in Griechenland ungefähr zur selben Zeit (um 1100) aktiv, als die allerersten Gruppen der Roma, von Indien, Persien und der Türkei herkommend, in Griechenland und im Balkan eingetroffen waren. Sowohl die Angehörigen dieser Sekte als auch die Roma wurden von den Aussenstehenden als Gruppen empfunden, die nach ihren eigenen Gesetzen lebten, ihre eigenen Feste und Rituale hatten und sich weniger als andere Zuwanderer den örtlichen Sitten anpassten. Eine griechische Bezeichnung für diese Sekte, "Atsinganoi", d.h. "die Unberührbaren", ist auch heute noch das griechische Wort für die Roma. Und auch lange nachdem diese religiöse Gruppe sich wieder aufgelöst hatte, sind Abwandlungen dieses Wortes in vielen Sprachen die Bezeichnung für die Roma geblieben.

Vor allem in Deutschland und Österreich, wo die Roma unter der Bezeichnung "Zigeuner" von den Nationalsozialisten verfolgt und zu Hunderttausenden ermordet wurden, wünschen viele Sinti und Roma nicht mehr unter dieser Bezeichnung angesprochen zu werden. "Zigeuner" ist für sie ein mit Verfolgung und Gewalt verbundenes Schimpfwort. Hinzu kommt, dass es deutsche Wissenschaftler gab, welche das Wort "Zigeuner" aus der eindeutig abwertenden Bezeichnung "ziehender Gauner" herleiten wollten, was falsch ist.

Eine andere Gruppe von Bezeichnungen für die Roma sind "gypsy" (englisch), "gitano" (spanisch, ausgesprochen: Chitáno) oder "gitane" (französisch).
Diese Wörter sind abgeleitet aus "egyptian" (englisch) oder "egipciano" (spanisch) für "ägyptisch". Auch sie beruhen, genau wie die anderen Fremdbezeichnungen für die Angehörigen der Roma-Stämmen, ebenfalls auf Missverständnissen und Unklarheiten.

Viele der ersten Roma-Gruppen, die in Osteuropa ab 1300, in Mitteleuropa ab 1400 auftauchten, sagten, sie seien, von Ägypten herkommend, als Pilger unterwegs, um dafür zu sühnen, dass sie unchristlich gehandelt und Josef, Maria und Jesus auf ihrer Flucht nach Aegypten nicht gastlich genug aufgenommen hatten. Damit appellierten sie an die Glaubenswelt und die Gastfreundschaft der christlichen Europäer. Hinzu kommt, dass Pilgerreisende und Wallfahrer zu dieser Zeit, als Reisen nicht ungefährlich war, unter besonderem Schutz der Behörden standen.

Einige Forscher sind allerdings der Meinung, dass wandernde Gruppen von Roma tatsächlich via Syrien, Libanon, Palästina, Aegypten und Nordafrika nach Spanien und Westeuropa gelangt sind. Die meisten kamen aber über die Türkei nach Europa; und umgekehrt reisten einige über Südspanien nach Marokko. Einige gelangten auch via Russland nach Skandinavien und Sibirien. Der Stamm der Luli lebt in Zentralasien, in Tadschikistan und Kirgistan.


1Ein an der Nordwestküste Amerikas, in Oregon, Kanada und Alaska, lebender Stamm, bekannt für seine Holzschnitzereien.

2Die Yanomami leben im Amazonas-Regenwald im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Brasilien; ihre Existenzgrundlage wird durch Holzschlag und Goldgräber bedroht.

3Die Hopi, bekannt für ihre religiösen Zeremonien und ihre naturfreundliche Sagenwelt, leben im Südwesten der USA.

4Name der Sprache der Roma. Auf der ersten Silbe betont; manchmal auch Rromanes oder Romani geschrieben.


5Manus oder Manush bedeutet in Romanes, aber auch in indischen Sprachen ebenfalls Mensch.


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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen