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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen


Traditionen und Brauchtum der Roma

Wie in allen Kulturen gibt es auch bei den Roma Gruppen, Familien und Einzelpersonen, die das überlieferte Brauchtum mehr pflegen und einhalten als andere. Auch gibt es grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Stammesgruppen.

Dennoch gehört die Überlieferung des traditionellen Brauchtums der Roma ebenso zu ihrer kulturellen Identität wie ihre Sprache, ihre Tänze, ihre Musik, ihr Kleidungsstil und ihre bevorzugten Berufe und Behausungen. Zu Recht wehren sich aber viele Roma auch gegen eine Fixierung ihrer Identität allein auf diese überlieferten Formen. Denn zu jeder Kultur gehört auch der kulturelle Wandel.

Die folgenden Beschreibungen basieren auf Angaben der Homepage Patrin ( /www.geocities.com/~Patrin/patrin-d.htm). Dort können auch andere wichtige Informationen zur Kultur und Geschichte der Roma abgerufen werden.

Geburt

Eine schwangere Frau gilt vor und während der Geburt als marimé. Das gilt auch für das Neugeborene bis zu seiner Taufe. Die anderen Gruppenmitglieder, insbesondere die Männer, müssen sich von ihr und dem Neugeborenen fern halten. Die Frauen der Gruppe kümmern sich um sie. Die Geburt muss ausserhalb des Wohnwagens oder der Wohnung stattfinden, früher in einem eigenen Zelt ausserhalb des Lagers, heute oft im Spital. Was die Schwangere oder Mutter des Neugeborenen berührt (Kleider, Haushaltsgegenstände usw.) gilt ebenfalls als marimé und muss zerstört oder einer Reinigungszeremonie unterzogen werden.
Faktisch bedeuten diese Bräuche einen Schonraum für die Mutter und das Neugeborene; der Mann oder andere Verwandte müssen die Haushaltspflichten übernehmen.

Tod

In der Tradition der Roma ist die Angst vor dem muló, dem Totengeist, sehr präsent. Die Einhaltung des Brauchtums bietet Gewähr gegen Bedrohungen, die vom muló ausgehen können. Der muló kann allem innewohnen, was mit Toten oder dem Tod zu tun hat.

Die sterbende Person soll nicht allein gelassen werden. Nach Möglichkeit sollte sie nicht im Wohnwagen oder in der Wohnung sterben, sondern draussen, unter einem Zelt, vor dem Wohnwagen oder vor dem Haus. Vom Tod bis zur Beerdigung dürfen die Angehörigen nicht essen, sondern nur trinken.

Die verstorbene Person wird in ihren schönsten Kleidern bestattet. Die persönliche Habe des Toten ( Kleidung, Bettzeug usw.) wird verbrannt oder sonstwie zerstört. Das gilt bei vielen Roma-Gruppen auch für die Wohnung, die verlassen, oder für den Wohnwagen, der verbrannt werden muss. Das können sich aber nur sehr reiche Roma-Familien leisten. Oft wird daher der Wohnwagen oder andere Habe von Verstorbenen an Gadje, also an Nicht-Roma,verkauft.

Zum Begräbnis gehört Musik. Je mehr Angehörige und Bekannte am Begräbnis teilnehmen, desto höher war die Wertschätzung der verstorbenen Person. Gerade bei Todesfällen sind deshalb die fahrenden Roma auf grosse Lagerplätze angewiesen; manchmal treffen sich mehrere hundert Hinterbliebene. Erst jetzt dürfen die Angehörigen wieder essen. Diese Trauermahlzeiten, die pomana, werden in gewissen Zeitabständen wiederholt; zum letztenmal feiert sie die Familie ein Jahr nach dem Tod.

Ehe

Roma heiraten meist sehr jung. Eine Heirat ausserhalb des eigenen Stammes oder gar mit Gadje wird von der Verwandtschaft ungern gesehen und ist oft konfliktreich. Es gibt sowohl von der Verwandtschaft arrangierte Ehen als auch die freie Liebeswahl. Wenn sich zwei junge Leute ohne Zutun der Verwandten oder gegen deren Willen ernstlich verliebt haben, entfernen sie sich zusammen aus dem elterlichen Umfeld beider Partner. Wenn sie nach einigen Tagen und Nächten wieder zurückkommen, gelten sie als verheiratet. Der Brautvater kann dem Schwiegersohn eine symbolische Strafe auferlegen. Es ist in einigen Gruppen üblich, dass die Familien einen Brautpreis aushandeln. Als Zeichen des Zustandekommens der Ehe legt der Schwiegervater der Braut eine Goldkette um. Nicht alle Roma heiraten standesamtlich und zivilrechtlich, aber in der Gruppe gelten auch diese Ehen als unverbrüchlich.

Das eigentliche Hochzeitsfest mit Musik, Tanz und Festessen kann mehrere Tage dauern. Je grösser das Prestige und der Reichtum der verbundenen Familien sind, desto üppiger ist das Fest. Die ganze Verwandtschaft steuert Hochzeitsgeschenke in Form von Geld oder Goldmünzen bei, um dem jungen Paar die Einrichtung des gemeinsamen Haushalts zu ermöglichen.

Reinheitsgebote, Kleidung

Männer und Frauen dürfen sich nicht an den gleichen Wasserstellen reinigen, auch muss Männer- und Frauenwäsche separat gewaschen werden. Wörter betreffend Ausscheidungen sind verboten, ihre Notdurft verrichten die Roma ausserhalb der Wohnstätte. Die Kleidung der Frau soll die Beine bedecken. Die Katze gilt als unreines Tier. Pferdefleisch darf nicht gegessen werden.

Divano

Kommt es zu Streitigkeiten zwischen einzelnen Gruppen eines Stammes, so versuchen die Ältesten der Gruppen in einem gemeinsamen Gespräch, eben einem divano, die Differenzen zu bereinigen und eine Lösung zu finden.

Kris

Der Romano Kris ist ein Gremium der angesehensten Männer eines Stammes. Er befasst sich mit Fällen, die im Rahmen eines divano nicht gelöst werden können. Das betrifft sowohl verzwickte Streitfälle als auch schwere Gewalttaten. Die Entscheidungen des Kris sind verbindlich, und er kann einen Uebeltäter als marimé erklären. Das bedeutet, dass der Schuldige, für bestimmte Zeit oder für immer, von jeglichem Kontakt mit seinem Stamm ausgeschlossen ist.

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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen