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Das globale Wirtschaftssystem besteht bekanntlich nicht aus kommunizierenden Röhren, deren Füllungsniveau überall dasselbe ist. Das Gegenteil ist der Fall: Ungleichheit der Einkommen, der Bildung, der Infrastruktur, des Ressourcenzugangs prägt den Planeten.
Nicht wie frei fliessendes Wasser, aber doch als steter Tropfen wirkt die Migration auf einen gewissen Ausgleich hin. Von Süd nach Nord, von der Peripherie zum Zentrum quälen sich unermüdlich, unabschreckbar, beharrlich die Migrantinnen und Migranten über alle Grenzen, Zäune, Vorschriften, Kontingente hinweg, nicht ohne Wunden, Narben und Opfer.
Symbolhaft für dieses Geschehen stehen die Stacheldrahtzäune zwischen den USA und Mexiko, zwischen Polen und Deutschland, aber auch das Ausschaffungsgefängnis in Kloten. Opfer dieser Nadelöhre der Freizügigkeit sind Menschen wie der Palästinenser, der bei seiner Rückschaffung durch Berner Polizisten zu Tode kam, oder die beiden afrikanischen Jugendlichen, die als blinde Passagiere in einem Jumbo-Frachtraum irgendwo im Jet-Stream zwischen Kongo und Belgien erfroren. Ein anderer Flüchtling aus der afrikanischen Misere fiel im Anflug auf Kloten, als das Fahrgestell ausgefahren wurde, auf unser Territorium; sein steifgefrorener Leichnam zersplitterte in viele Teile.
Migration hat viele Gesichter. In den Fünfziger und Sechziger Jahren wurden Migranten rekrutiert. Die Schweizergrenzen waren geöffnet für Arbeitskräfte. Erst allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass es auch darum gehen würde, ihre Familien und ihre Kulturen zu akzeptieren und zu integrieren.
Die Ausstellung "Da und Fort", im Zürcher Museum für Gestaltung von einer hochqualifizierten Crew um den Videodokumentaristen Heinz Nigg eingerichtet, befasste sich mit Migranten in der Schweiz. Entsprechend dem Ort der Ausstellung sind die Lebenswelten derjenigen, die gegen den Strom des Lohngefälles schwimmen, sehr gestylt präsentiert. In einer straff ausgerichteten Reihe schulbankähnlicher Videoinstallationen flimmern die Lebensberichte der Bosnierin, des Kosovaren, des Berglers und der Berglerin, der Tochter eines ungarischen Flüchtlingspaars oder der Tamilin im Halbdunkel vor sich hin und laden den Besucher zum Verständnis fremder Herkunft ein. Da ist etwa zu hören (und im Buch zur Ausstellung, herausgegeben ebenfalls von Heinz Nigg, zu lesen):
"Wir wohnten anfangs an der Josefstrasse, nahe bei der Drogenszene neben der Langstrasse. Meine Frau hatte Angst, nach draussen zu gehen, und wollte wieder nach Kosova zurück, es sei hier für sie wie im Gefängnis. Wir hatten ein sehr kleines Zimmer, 2 Meter auf 3.70 Meter. Hier assen und schliefen wir und zahlten dafür 1200 Franken."
Oder:
"In meiner Nachbarschaft in Zürich-Seebach hatte es eine Volière. Jeden Tag war ich für ein paar Stunden bei diesem Käfig und schaute den Vögeln zu. Ich sass scheu auf einer Bank und wartete. Es kamen immer wieder die gleichen Leute vorbei, meistens ältere Menschen, und ich tauschte mit ihnen ein paar Worte aus. Sie fragten mich, woher ich komme und warum ich dasitze. Das half mir. Manchmal korrigierten sie sogar meine Sätze."
Erinnerung ist eine Hauptlinie der Ausstellung. Wie Reliquien sind die Tabakspfeife, das Musikinstrument, der Wildblumenstrauss, die Kaffeemühle, die Schultasche aus der alten Heimat in Vitrinen eingeschreint. Die Schultasche ist aus einem Kunststoff namens Igelit verfertigt, dessen penetranter Geruch die Erinnerung an die Jugend in der DDR wachhält. Der Blumenstrauss konserviert das Aroma der Mittelmeerluft.
Viele Ausgewanderte, auch die Puschlaverin in Zürich, erzählen vom Heimweh und dem Trennungsschmerz in der Beziehung zu den bei den Grosseltern zurückgelassenen Kindern. Die Tochter von Einwanderern aus Ex-Jugoslawien erzählt, wie schmerzhaft es für sie war, mitzubekommen, dass ihre Mutter Putzarbeiten machen musste, weil ihre Hochschulabschlüsse nicht anerkannt wurden.
Weitere Ausstellungskojen geben andere Zugänge zum Leben zwischen zwei Welten; teils werden dabei die Besucher aktiviert, so etwa wenn sie die Projektionsflächen für Dias selber in die Hand nehmen müssen. Oder wenn sie sich den unsäglichen Plakaten zu den diversen "Überfremdungsinitiativen“, und damit der eigenen Erinnerung, stellen müssen.
Einige Themen zeitigen seltsame Übergänge. So das Stichwort Kopftuch:
"Wenn ich sagte, ich sei Türkin, wurde mir geantwortet: Unmöglich, Sie tragen ja gar kein Kopftuch."
Anhand der Reiztextilie Kopftuch kann aber auch eine Montenegrinerin in der Schweiz antimuslimische Reflexe gleichzeitig als Anbiederungselement an xenophobe Schweizer Ideologeme und als Abgrenzung gegen andere Migrantinnen und deren mangelnde Anpassungsfähigkeit einsetzen:
"Ich habe richtig Angst wegen der Fanatiker auf allen Seiten. Ich habe auch Angst, dass es eines Tages nur noch 20 Prozent richtige Schweizer gibt und dass 80 Prozent aus aller Welt kommen. Ich bin integriert. Ich kann normal leben wie alle anderen Schweizer. Ich muss nur meine Sprache verbessern. Wenn ich aber Leute etwa in diesen seltsamen Kopftüchern sehe, habe ich das Gefühl, ich sei nicht in der Schweiz, sondern sonst irgendwo. Wenn wir in der Schweiz leben, müssen wir respektieren, wie man hier lebt."
Andere interkulturell Lebende finden umgekehrt bemerkenswert klare Formulierungen betreffend Ökonomie, Recht auf kulturelle Differenz, Schürung von Fremdenhass.
Etwa:
"Da wir als Ausländer zu einem grossen Teil zum Reichtum dieses Landes beigetragen haben, wäre es gerecht, uns endlich als Menschen zu betrachten."
Oder:
"Die Menschen müssten so akzeptiert werden, wie sie sind. Auch die Schweizer sind nicht alle gleich. Hätte die Schweiz damals die Kultur der französisch- oder italienischsprechenden Bevölkerung unterdrückt, gäbe es die Schweiz in der heutigen Form nicht."
Und schliesslich:
"Was die Fremdenfeindlichkeit betrifft, gilt für mich in dieser Welt die Regel: Überall, wo ein politisches System nicht läuft, greifen Politiker Menschen an und suchen Schuldige."