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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen


Die Herkunft der Roma aus Indien und ihre Ankunft in Europa

Die Wanderung der Roma in die Hauptrichtung Europa erfolgte so langsam und über so viele Jahrhunderte hinweg, dass sogar in ihrer eigenen mündlichen Überlieferung das Wissen um die Herkunft aus Nordwestindien verloren ging.

Erst im 18.Jahrhundert realisierten holländische und deutsche Sprachwissenschaftler, wie eng verwandt das Romanes mit der indischen Ursprache Sanskrit ist und dass es noch genauere Uebereinstimmungen mit Dialekten im Nordwesten Indiens gibt.
Die indische Herkunft der Roma ist oft - aber nicht bei allen Stämmen und Einzelpersonen in gleich ausgeprägter Weise - auch erkennbar an der Haut- und Haarfarbe und den grossen, ausdrucksvollen Augen.
Es gibt in Indien noch heute verschiedene Volksgruppen, die innerhalb des Landes als fahrende Schmiede, Händler, Wahrsager, Musiker, Schausteller und Tierdresseure leben, vor allem der Stamm der Banjara, aber auch andere Gruppen.

Die Wanderung der Roma Richtung Westen wird im allgemeinen auf Vertreibungen im Verlauf von Kriegen zurückgeführt, vor allem auf die Eroberung von Teilen Indiens durch moslemische Herrscher wie beispielsweise Mahmud Ghazni im 10. Jahrhundert. In allen Jahrhunderten, vor kurzem auch wieder in den Kriegen in Ex-Jugoslawien, sind die Roma Opfer solcher Vertreibungen geworden. Das Wandervolk zwischen den umstrittenen Grenzen wird von den Kriegführenden immer wieder der Zusammenarbeit mit der anderen Seite beschuldigt.

Neben den Theorien über Kriege als Grund der Vertreibung und Auswanderung aus Indien gibt es auch Berichte, wonach ein persischer König eine grosse Gruppe indischer Musiker und Gaukler zur Unterhaltung seiner Untertanen eingeladen habe. Diese seien anschliessend noch weiter nach Westen gereist.

Es ist wahrscheinlich, dass bei der ursprünglichen Auswanderung aus Indien - wie auch bei späteren Wanderbewegungen der Roma - beides eine Rolle spielte: sowohl die Flucht vor Krieg und Vertreibung als auch die Suche nach Erwerbsmöglichkeiten in anderen Gebieten. Wo Roma über längere Zeit in Frieden gelassen wurden und zu Haus- oder Landbesitz kamen, wurden sie durchaus auch sesshaft. So beispielsweise in Mazedonien oder Spanien. Es gibt aber auch dort fahrende Sippen. Und auch die Regierungen dieser Länder haben mittels harter Massnahmen auf die Sesshaftwerdung und die Anpassung der Roma an die übrigen Untertanen hingewirkt.

Das Vorhandensein von Lehnworten aus Persisch, Türkisch, Griechisch, Slawisch und anderen Sprachen in den verschiedenen Dialekten des Romanes zeigt die Stationen der langen Wanderungen der Roma.

Gesichert sind die folgenden Daten:

1346 . Roma in Korfu
1348 . Roma in Serbien
1378 . Roma in Zagreb
1407 . Roma in Hildesheim
1414 . Roma in Basel
1418 . Roma in Zürich und Graubünden
1422 . Roma in Bologna
1427 . Roma in Paris
1447 . Roma in Barcelona

Übereinstimmend berichten die Chronisten dieser Jahre davon, dass die dunkelhäutigen, fremdländisch gekleideten Menschen verschiedene Darbietungen, etwa Kunstreiten oder neuartige Musik, vorgeführt hätten, viel Geld und stattliche Pferde gehabt hätten und gastlich empfangen worden seien.

Kaiser Sigismund hatte einer Gruppe der neuangekommenen Roma 1423 einen Geleitbrief mitgegeben, der sie unter seinen ausdrücklichen kaiserlichen Schutz stellte und ihre eigene Gerichtsbarkeit anerkannte.

Der Geleitbrief Kaiser Sigismunds
Der Text des Geleitbriefs von Kaiser Sigismund für die von einem Stammesführer namens Ladislaos angeführte Roma-Gruppe lautet:

"Wir, Sigismund, Kaiser und König des Heiligen Römischen Reiches, König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien und anderen Ländern, tun kund:
Unser getreuer Ladislaos, Woiwode (ungarisches Wort für Anführer, Hauptmann, Amtmann) der Zigeuner, und die, die von ihm abhängen, haben Uns untertänigst gebeten, ihnen unser besonderes Wohlwollen zu bezeugen. Es hat Uns gefallen, ihr ehrerbietiges Ansuchen zu erhören und ihnen den vorliegenden Brief nicht zu verweigern. Wenn mithin der besagte Ladislaos und sein Volk an irgendeinem Ort Unseres Reiches, Stadt oder Dorf, erscheinen, empfehlen Wir euch, ihnen eure Treue gegen Uns kundzutun. Ihr werdet ihnen Schutz jeder Art gewähren, auf dass sich der Woiwode Ladislaos und die Zigeuner, seine Untertanen, innerhalb eurer Mauern aufhalten können, ohne Schwierigkeiten zu begegnen. Sollten sich üble Leute unter ihnen befinden oder sich ein unliebsamer Vorfall, welcher Art auch immer, ereignen, wünschen und befehlen Wir ausdrücklich, dass allein der Woiwode Ladislaos unter Ausschluss von euch allen das Recht zu strafen und freizusprechen auszuüben hat."

Die Anerkennung der Roma als Volksgruppe mit eigenen Institutionen, eigener Regierung und eigener Gerichtsbarkeit blieb aber während der folgenden Jahrhunderte toter Buchstabe. Erst seit wenigen Jahrzehnten anerkennen die UNO, der Europarat und immer mehr einzelne Staaten die verschiedenen Stämme der Roma als ethnische6 Minderheiten mit denselben Individualrechten wie die ethnischen Mehrheitsgruppen und demselben Anspruch auf Minderheitsschutz wie andere Minderheiten.

In Spanien und in einigen Ländern Osteuropas sind sie seit kurzem auch im Parlament vertreten. Der Weg zu dieser Anerkennung der Zugewanderten als gleichberechtigte Mitmenschen hat aber jahrhundertelang gedauert, und es gibt immer wieder Rückfälle in die lange, unrühmliche Zeit der Ablehnung, Vertreibung und Vernichtung der Fahrenden, wie sie über Jahrhunderte hinweg dokumentiert ist.
6Der Ausdruck "ethnisch" leitet sich vom griechischen Wort "ethnos" ab, das Volk bedeutet. Ethnisch bedeutet demzufolge: Volksmässig, die Volkszugehörigkeit betreffen. Eine Ethnie oder ein Volk wird im Allgemeinen aufgrund seiner speziellen Sprache, Kultur und Lebensweise definiert. Es gibt sowohl Völker, die infolge von Staatsgründungen entstanden, als auch Völker ohne Staat, wie die Kurden in der Osttürkei und im Iran, oder die Roma.
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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen