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Online-Version (ohne Bilder) des Lehrmittels "Roma - ein Volk unterwegs", erschienen im Lehrmittelverlag des Kantons St. Gallen


Musik, Kunst und Literatur der Roma

Wie in allen Kulturen gibt es auch bei den Roma Gruppen, Familien und Einzelpersonen, die das überlieferte Brauchtum mehr pflegen und einhalten als andere. Auch gibt es grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Stammesgruppen.

Dennoch gehört die Überlieferung des traditionellen Brauchtums der Roma ebenso zu ihrer kulturellen Identität wie ihre Sprache, ihre Tänze, ihre Musik, ihr Kleidungsstil und ihre bevorzugten Berufe und Behausungen. Zu Recht wehren sich aber viele Roma auch gegen eine Fixierung ihrer Identität allein auf diese überlieferten Formen. Denn zu jeder Kultur gehört auch der kulturelle Wandel.

Musik

Schon die ältesten Berichte über die Roma aus Persien berichten von ihrer Begabung und Betätigung als Musiker und Unterhaltungskünstler. Roma sind in allen Ländern, wo sie sich mehr oder weniger ungehindert aufhalten können, vor allem auch als Musiker tätig gewesen, und auch heute gibt es sehr viele Musiker unter ihnen. Für einige Musikrichtungen sind sie stilbildend. So zum Beispiel für den Flamenco in Südspanien oder für den so genannten „Zigeunerjazz“, den von Django Reinhardt in den 1930er und 1940er Jahren geprägten europäischen Swing mit Gitarre, Geige und Bass.

Flamenco gitano
Die Ursprünge des Flamenco sind umstritten. Es finden sich darin sowohl Elemente aus der einheimischen Musiktradition Südspaniens wie aus der Zeit der maurisch-arabischen Herrschaft. Wichtige Träger der Flamenco-Tradition sind seit Jahrhunderten die Gitanos. Es gibt auch viele berühmte Tänzerinnen und Sänger, die nicht Gitanos sind. Der Flamenco bietet neben notenmässig überlieferten Stücken viel Raum für Variation und Improvisation. Insbesondere der cante jondo, ein meist klagender Gesang mit viel Gefühl, besteht aus freien, spontan ausgedrückten Wortfolgen. Sie werden zu in der Melodik typischen, doch ebenfalls frei abwandelbaren Liedern verbunden, wobei einzelne Silben oder Worte oft über mehrere Töne und Takte gedehnt werden. Es gibt nur wenige andere Musikformen, die einen derart persönlichen Ausdruck eigenen Gefühls ermöglichen wie der cante jondo11 des Flamenco.
Der Flamenco-Tanz, begleitet von Gitarren und Händeklatschen, ist nicht nur von der Musik getragen, sondern bringt selber rhythmische Töne ein. Sie entstehen durch schnelles, rhythmisches Stampfen mit den Absätzen und durch das Klacken der Castagnetten in der Hand der Tänzerin. Der Flamenco wird von Männern und Frauen getanzt. Die Tanzfiguren, welche den einzelnen Tanzenden viel freien Raum lassen, sind bildhafte, dramatische Stationen der Annäherung und Abgrenzung.


Django Reinhardt und seine Nachfolger
Django Reinhardt hiess eigentlich mit Vornamen Jean-Baptiste. Am 24.1.1910 in Belgien geboren, reiste er mit seinen Eltern in ganz Europa umher. Im Alter von 18 Jahren verbrannte er sich bei einem Feuer im Wohnwagen das Bein und den dritten und vierten Finger der linken Hand. Mit eiserner Energie machte aber Django Reinhardt das Gitarrenspiel zu seinem Beruf.
Zusammen mit dem legendären Geiger Stéphane Grappelly und anderen Musikern gründete er 1934 in Paris die Jazzgruppe Hot Club de France. Der von ihm geprägte Gitarrenswing blieb einer der wenigen Beiträge von Nicht-Amerikanern zur Jazzgeschichte. Viele von Djangos berühmtesten Stücken sind Instrumentals. Django Reinhardt überlebte die Zeit der deutschen Besatzung in Paris. Er versuchte in die Schweiz zu flüchten, wurde aber an der Grenze zurückgewiesen. Django Reinhardt ist 1953 in Paris gestorben.

Die musikalische Besetzung des Hot Club de France mit einer Geige oder einer Klarinette, zwei oder drei Gitarren, Bass und Schlagzeug und der auch als „Zigeunerjazz“ bezeichnete typische Stil von Django Reinhardts Musik ist von vielen Sinti-Musikern übernommen oder abgewandelt worden, so etwa von Hänsche Weiss oder Bireli Lagrene. In der Schweiz pflegen Gruppen wie die Hot Strings oder Caravane diesen Stil.


Auch die Roma-Orchester Ungarns haben im dortigen Musikleben ihren festen Platz. Die Musik der Roma lebt von der Improvisation. Oft spielen die Musiker nach Gehör und aus dem Gedächtnis, seltener nach Noten, aber immer spontan, variationsreich und im Einklang mit der Stimmung ihres Publikums.

Die Roma-Musiker verdienen ihr Geld oft, indem sie leicht abgewandelte Melodien und Rhythmen der jeweiligen Volksmusik auf den ortstypischen Instrumenten spielen: In Rumänien ist die Panflöte in ihrer Musik präsent, in Frankreich das Akkordeon, in Russland die Balalaika, in Spanien die Gitarre. Überall gehört die starke Betonung des Rhythmus mit Perkussions- und Bassinstrumenten dazu; beim Flamenco wird die Gitarre auch als Perkussionsinstrument genutzt.

Beliebte Instrumente der Roma-Musik sind Geige und Klarinette, beides Instrumente, welche weiche Übergänge und Vierteltöne erlauben.
Daneben pflegen die Roma aber auch Lieder in der eigenen Sprache und traditionelle Musikstücke, oft Tänze, die an den eigenen Festen gespielt werden. Die Musik der Roma bevorzugt leicht melancholische Moll-Akkorde als melodische Grundlinie, kann aber, manchmal in raschestem Uebergang, neben Trauer und Sehnsucht auch wilde Lebensfreude ausdrücken. In den Ländern Südosteuropas, in der Türkei und der Levante sowie im arabischen Raum verwenden die Roma-Musiker überwiegend Tonarten und Rhythmen der türkischen und arabischen Musik.

Zur Musik gehört der Tanz; Roma-Musik ist im wesentlichen Tanzmusik. Im Flamenco ist diese Einheit am augenfälligsten.

CDs und Platten mit Musik der Roma

Es gibt eine reiche Auswahl an Tonträgern mit Roma-Musik aller Richtungen. Viele werden aber nur von kleineren Musikfirmen produziert und vertrieben und sind nur selten in Musikläden vorrätig. Hier eine Auswahl:

Der Soundtrack zum Film Latscho drom. La Bande Son 392492

Festival Flamenco Gitano. Volumes 1-3. Just a Memory. ASIN B 0000021 A8

Cante Gitano - Gypsy Flamenco. Nimbus. ASIN B 0000037 CS

Takoutsia. Musiciens de Zagori. (Grèce, Epire). Maison des Cultures du Monde. W 26 00 20

Les Lautari de Clejani. Musique des Tsiganes de Valachie. Ocora C 559036

Taraf de Haďdouks. Dumbala Dumba. Cram World Craw 21

Rromano Centar. Pilem Pilem. Opre OPCD 002

Parisian Swing. Django Reinhardt, Stéphane Grappelly, Hot Club of France. Decca, ACL 1189

The Best of Gipsy Swing. Hot Club Records CD 89

Schnuckenack Reinhardt Quintett. Musik Deutscher Zigeuner. Da Camera Song SM 9505

The road of the gypsies. Network 24.756

- Kalyi Jag. O Suno. Hungaroton HCD 18211

Ernö Kállai Kiss, Father & Son, and a Gipsy Band. Qualiton SLPD 10215

Koçani Orkestar. L'Orient est rouge. Cram World Craw 19

Roberto de Brasov. Prima Jubire. Al Sur

Bireli Lagrene/Richard Galliano. New York Tango. Dreyfus FDM 36 581 2

Bireli Lagrene live in der Mühle Hunziken. Jazzpoint 1018

Bratsch. Soundtrack zum Film Le mangeur de lune. Philips 522 848 2

Bratsch. Riens dans les poches. Network 29.667

Hot Strings. I saw stars. Boota Lizar Records. BLR 9309



Kunst
Roma sind bisher eher selten als bildende Künstler tätig gewesen. Ihr Leben ist jedoch oft Gegenstand der Kunst geworden.
Die Wohnwagen, vor allem die selbst gebauten Holzwagen, sind oft mit viel Sinn für Form und Farben ausgeschmückt und verziert, und viele Roma, in der Schweiz auch viele Jenische, verstehen sich als Antiquitätenhändler sehr gut auf die Erzeugnisse der verschiedenen Kunstepochen. Viele restaurieren alte Holzmöbel oder bauen neuantikes Mobiliar nach alten Vorbildern und Techniken.

Literatur
Geschichten erzählen ist ein wichtiges Element der Traditionsüberlieferung, aber auch des Erfahrungsaustausches und der Unterhaltung im Familienkreis oder am Lagerfeuer. Der Fundus an Märchen, Humoresken und Sagen sowohl aus der eigenen Tradition oder in Abwandlung von Märchen und Mythen der Länder, die sie durchziehen, ist bei vielen älteren Roma riesig. Diese Geschichten wurden zwar gelegentlich von Gadje gesammelt und aufgeschrieben. Die Geschichtenerzählerinnen und Sagenkenner unter den Roma bewahren diesen Schatz jedoch in ihrem Gedächtnis. Und es ist wie bei der Musik: Die Geschichte wird nicht einfach immer wortgleich weitergegeben, sondern in der jeweiligen Erzählsituation abgewandelt, je nach der Stimmung der Erzählenden und ihres Publikums.
Literatur
Matéo Maximoff: Die Ursitory. Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich 1954
Roman über Liebe und Fehde in einem französischen Kalderari-Stamm

Menyhert Lakatos: Bitterer Rauch. Stuttgart 1979
Jugenderinnerungen eines Rom aus Ungarn in der Zeit des Holocaust

Ronald Lee: Verdammter Zigeuner. DTV Taschenbuch, München 1987
Szenen aus dem Leben eines kanadischen Rom

Latscho Tschawo: Die Befreiung des Latscho Tschawo. Bornheim 1984
Lebenserinnerungen eines deutschen Sinto, der Auschwitz überlebte

Mariella Mehr: Steinzeit. Bern 1981
Lebenserinnerungen einer Jenischen, die ihrer Familie entrissen wurde

Zigeunermärchen aus aller Welt. Herausgegeben von Heinz Mode
Vier Bände. Leipzig/Wiesbaden 1985

Das Buch der Ränder. Roma-Lyrik aus Ungarn. Klagenfurt 1999


11Aussprache: Kante chondo

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