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Thomas Huonker MONDFISCH
Kapitel V
Guten Morgen, Zappkiste. Einschalten.
Videoband läuft, Computer läuft.
Zap.Tap Tap Taptaptabtabtabtaptap. Tap. Tabtabtabtabtabtabtabtab Tab tab tap taptabtap. Tap.
Moran wundert sich, freut sich. Er kann seine Televisionen wieder loswerden. Höchste Zeit. Sein Kopf, seine Seele, sein Körper haben gelitten unter seiner zielgerichteten Fernsehwut.
Das hält der Mensch im Kopf nicht aus.
Die Grosseltern hatten keinen Fernseher gehabt.
Das macht nur nervös, sagte der Grossvater.
Moran hatte es nicht nervös gemacht, sondern niedergedrückt.
Am schlimmsten war es zur Zeit des Golfkriegs. Den haben viele schon fast vergessen. Moran hat ihn visioniert.
Moran hat den Golfkrieg auf Video aufgenommen.
Den Bosnienkrieg nahm er nicht mehr auf.
Vom Eritreakrieg kam wenig im TV.
Der Sieg der Tschetschenen hat ihn gefreut.
Vielleicht gibt es doch auch den Win-Win-War.
Aber vor den Bildern des Golfkriegs war er völlig dumpf geworden. Die mit Hilfe von Militärsatelliten navigierten amerikanischen Flugzeuge bombardierten den Irak platt. Die Lenkbomben und Cruise Mssiles trafen metergenau. Die Bilder im Bombercockpit und die im Fernseher in seiner Wohnung, auf der Kommode seiner Grosseltern, waren identisch.
Das Ziel im Fadenkreuz, die Bombe im Anflug, die Explosion. Ein Bunker, ein Panzer, eine Brücke: Weggezappt. In Staub, Trümmer und Asche aufgelöst. Widerstand zwecklos, Opfer umsonst.
Wer es nicht glaubte, brauchte nur CNN einzuschalten.
Moran holt die Videobänder vom Winter 91 aus der Kommodenschublade.
Er muss den Golfkrieg in seinem Kopf wieder loswerden.
16. JANUAR 1991
CNN live aus Bagdad. Bernard Shaw ist ein netter bebrillter Schwarzer. Er sagt, er bekomme kein Interview mit Saddam Hussein. Shaw spricht interkontinental fern-mündlich mit Walter Cronkite, Altstar der Kriegsbericht-erstatter, aktiv dabei in World War II. Cronkite ist faszi-niert davon dass nur noch fünfundvierzig News-Men in Bagdad sind, das erinnere ihn an seine Zeit in Ennemy Capitals wie Tokyo, damals.
Cronkite und Shaw sind als eingerahmte Fotoporträts über Landkarten von New York City und dem Irak zu sehen.
Shaw erzahlt, dass die US-Regierung die acht CNN-Leute aufgefordert habe, Bagdad zu verlassen. Es sei zu gefährlich. Aber sie würden hier bleiben, to do our job. Peter Arnett sei gestern auf Bagdads Strassen unterwegs gewesen.
Walter Cronkite fragt väterlich, ob die CNN-Leute geschützt seien. Ob Luftschutzkeller vorhanden seien, bomb-shelters, wo sie hin könnten bei Beginn der air raids.
Ob sie Gasmasken hätten, falls Gas freigesetzt würde in one way or another.
Cronkite scheint ein echter Insider zu sein, weiss manches voraus.
Shaw antwortet, sie hätten keine Gasmasken, und sie reporteten vom Al-Raschid-Hotel aus. Dieses sei vierzehnstöckig und 1980 von der irakischen Regierung zur Behergung einer Blockfreienkonferenz erbaut worden. Shaw fühle sich darin wie in einem Tank. Das ganze sei von einen hohen Zaun umgeben, mit dicken Eisentüren versehen, alle Fenster seien mit schusssicherem Glas verglast, die Zimmertüren seien mindestens 10 Zentimeter dick. Und tatsächlich gebe es, believe it or not, einen Luftschutzraum in dem Hotel.
Die Programmleiter von CNN hätten ganz klar gesagt: niemand müsse gegen seinen Willen in Bagdad bleiben. Einer sei gestern gegangen, er selber werde morgen abreisen. CNN werde einen Charter schicken, um ihn in aller Morgenfrühe abzuholen. Und jedermann hier wisse, was vor sich gehe. Tja, Information ist alles. Hierauf übergibt Shaw das Mikrophon an Peter Arnett, dessen Bild nun im Fotorahmen erscheint, mit verbissen geschlossenem Mund. Der hat nun das Sagen.
Cronkite fragt: Wie gehts, Peter? Peter sagt: Hallo Walter. Es ist wundervoll, wieder einmal mit dir zu sprechen. Letztes Mal sahen wir uns in Saigon anno 1968. Und es ist schade, dass du nicht auch hier bist.
Cronkite sagt, er sei nun schon ein bisschen zu alt für solche Jobs inmitten Kugelhagels, und er bewundere die guys in Bagdad, über die deadline von gestern Nacht hinaus dort zu bleiben, angesichts all der modernen Waffen, die es inzwischen gebe.
Es erscheint nun ein Text auf dem Bildschirm, auf blauem Grund:
CNN policy in Baghdad remains the same: those who wish to remain may do so and those who wish to leave may depart immediately. CNN has a charter on standby to bring out any staff. CNN Baghdad staff is clearly aware of the circumstance.
Zap.
Wechsel auf deutschen Sender, Sendung über Gaskriegstechnik. Da müssen Experten ran.
Schilderung, anhand einer Schaufensterpuppe, des deutschen Gasschutzanzugs. So ein Anzug sei ein unbequemes Möbel. Er schütze maximal einige Tage vor chemischem Kampfstoff, je nach Schadstoffmenge und mechanischer Beanspruchung.
Es folgt die Präsentation eines ABC-Spürpanzerwagens. Prächtiges Modell auf dem Tisch. Heisst Spürfuchs.
Kann mit einem Rüssel aussen Proben aufnehmen, die innen in einem kriegsmässigen Labor analysiert werden.
Keine andere Armee der Welt hat ein derartiges Fahrzeug. Herr Doktor Metzler, der referierende Experte zutreffenden Namens, ist stolz auf diese deutsche Entwicklung. Einige solche Panzerwagen sind jetzt in den Golf geschickt worden. Dr. Hans Günter Brauch referiert dann die Geschichte der chemischen Kampfstoffe. Schon Thukydides habe davon berichtet.
Brauchmetzler, Metzlerbrauch.
Zap.
Wieder auf CNN. Ein Schriftzug aus der Zeit des Vietnamkriegs: MEDIA GUIDELINES .... MILITARY ESCORT AT ALL TIMES .... STORIES SUBJECT TO SECURITY REVIEW... Es folgt eine Kampfsequenz aus Vietnam. Sprecherin: Tatsächlich sind die Regelungen für die Kriegsberichterstatter am Golf viel strenger als damals in Vietnam.
Ein maulfertiger junger Pentagonsprecher erscheint, assortiert zur Ami-Flage im blauen Anzug, mit weissem Hemd und roter Krawatte, vor einem dunkelblauen Vorhang. Er artikuliert: Das ist keine Naturszenerie, wo man sich hinter einem Baum verstecken und einen Helikopter zur Front und zurück hitch-hiken kann.
Sprecherin: Tatsächlich will das Pentagon keine unbehinderte Berichterstattung aus dem Schlachtfeld wie in Vietnam.
Es folgen die historischen Schreckensbilder.
Nackt, teils mit brennenden Napalmspritzern am Rücken, fliehen vietnamesische Frauen und Kinder vor einem amerikanischen Bombardement.
Nein, solche Bilder hat das Pentagon nie gewollt.
Es folgt der joviale Herr mit dem Überblick auf die Börsen. London fiel um l6.1 Punkte, Tokio um 770.53 Punkte, nur die Krauts in Frankfurt machten um l.45 Punkte bessere Deals.
Und konnten sich auch halten.
Das Studiosignet des CNN. Cable News Network, Inc.
Ein Raum wie eine AKW-Schaltzentrale, Dutzende von Bildschirmen, Oszillatoren, Schaltern. Alles verkabelt.
Die Nachrichtenhändler haben Kabel im Ohr, Mikrofone
vor dem Mund, Tasten unter den Fingern. Aber der Ton
ist gefälscht: Synthetische Berieselungsmusik.
Zap.
Ein deutscher Sender berichtet aus Bagdad. Früher Morgen. Wir sind glücklich. Wir haben die deadline überlebt, sagen die Reporter. Die Sonne scheint noch. Das blaue Fayence-Dach einer Moschee glänzt. Gemüse wird verkauft. Doch täglich, spricht die unsichtbare Stimme, sterben Menschen, vor allem Kinder, aus Mangel an Medikamenten.
Eine Jubeldemonstration für Saddam wird eingeschnitten: Saddam mit Kind. Sprechchöre mit uniformiertem Vorsänger. Saddam auf der ersten Zeitungsseite. Der Unsichtbare meint: Die Menschen hier schenken der Politik des Präsidenten Vertrauen und scheinen ihr Schicksal in seine Hände zu legen.
Das ist ein Reportage-Standardsatz. Wo er nicht gilt, herrscht Aufruhr, Chaos, Bürgerkrieg, Anarchie.
Ein Bagdader wird befragt: Das Ultimatum ist abgelaufen am sechzehnten Januar. Und bis jetzt ist nichts passiert. Aber trotzdem können die Amerikaner eventuell losschlagen. Habt ihr keine Angst, hier in Bagdad zu leben? Der rundliche Schnauzbart geniesst es, gefilmt zu werden. Wir haben keine Angst. Wir hatten von Anfang an keine Angst. Nicht weil die Gefahr nicht gross ist, sondern weil wir festes Vertrauen in Gott haben. Deshalb leben wir ganz normal weiter und haben keine Angst vor der Bedrohung. Wenn sie angreifen, wird keiner hier Unentschlossenheit zeigen. Alle werden zu den Waffen greifen. Meine Frau, ich, meine Kinder. Und wir werden dem Aggressor Widerstand leisten.
Die Umstehenden hören mit ernsten Gesichtern zu. Vor einer Bäckerei eine Schlange. Das frischgebackene Brot wird gegen Rationierungsmarken ausgegeben.
Ein Moderator im Studio spricht vor dem wandgrossen Bild einer Rauchsäule den Satz: Deutschland ist weit weg vom Golf. Aber wenn der Irak seine Drohung wahr macht und die Oelquellen in Kuweit, die schon vermint sind, tatsächlich in Brand steckt, dann würden dort jeden Tag fünfhundert Millionen Liter Oel verbrennen. Das träfe auch uns, denn eine Klimakatastrophe wäre die Folge.
Erscheint der Klimatologe Professor Wilfrid Bach. Er legt einem Globus sanft seine Hand auf.
Er ist weisshaarig, der Moderator blutjung.
Herr Bach, wieviele Oelquellen sind vermint, und was passiert, wenn jemand auf den Knopf drückt?
Das sind achthundert Oelquellen. Die liegen hier in Kuwait. Wenn die in die Luft gehen, entsteht ein orkanartiger Sturm,
und das ein ganzes Jahr lang, und eine wahnsinnige Hitze.
Warum ein Jahr?
Bei diesem Ausmass ist nicht davon auszugehen, dass die das innerhalb kürzerer Zeit löschen können.
Welche Auswirkungen wird das auf die Region und auf den gesamten Globus haben?
Der Moderator streicht liebkosend über die Weltkugel.
Ein Teil der Russ- und Rauchmassen wird von Nordost über die Arabische Halbinsel und über Afrika transportiert, wird dort die Temperatur erniedrigen, wird die Niederschläge beeinflussen. Und in diesem sensitiven Gebiet werden kleine Temperaturschwankungen schon grosse Auswirkungen auf die Ernährung haben.
Ein anderer Teil, der in hohe Schichten der Atmosphäre gelangt, bis in die Stratosphäre, wird unter den Einfluss des um den Aequator mäandrierenden Australstroms kommen und um den ganzen Planeten herumtransportiert. Etwa nach einer Woche würde das bei uns ankommen.
Wie würde dann der Himmel bei uns ausschauen?
Bei einem Wetter wie heute, bei blauem Himmel, würden wir sehen, dass er dann verrusst und dunkel ausschaut.
Was wird das für einen Einfluss auf unser Leben haben?
Die Temperatur wird erniedrigt, die Niederschläge werden beeinflusst, sowohl was die Verteilung als auch was die Intensität angeht. Es wird sich auf die Ernährungslage auswirken. Aber noch wichtiger - das ist ja schon schlimm genug - wird vielleicht sein, dass riesige Mengen von Stickoxyden und auch chlorhaltige Substanzen in die oberen Schichten der Atmosphäre gebracht werden. Und da ist ja bekanntlich die Ozonschicht, und da kommen dann diese sehr schädlichen....
Hier endet das Videoband.
Moran spult zurück. Diese Bänder sind eine Zeitmaschine. Er spürt wieder die Beklemmung und Lähmung. Live.
17. JANUAR 1991
Financial Times TV. Die Sprecherin interviewt einen Eierkopf betreffend Ueberlegenheit der Japs-Autoindustrie über die britische und illustriert dies mit Bildern. Der spitzlippige Accent der British Upper Class.
Anschliessend sprechen zwei britische Männer über Finanzen.
Der Interviewer hält fest: Der Golf ist wirklich etwas Unerwartetes. Wie wird der Markt reagieren, wenn es dort wirklich hart auf hart geht? Moran drückt STILL und bannt den Frager in die Pose des Fragers: Schräger Kopf, zusammengepresste Augenschlitze.
Der Yuppie-Experte, vielleicht 23jährig, gibt die Weisheit von sich, dass gerade die japanische Industrie betreffend eine Steigerung de Oelpreises sehr verwundbar sei. Zielt die britische Division am Golf auf die japanischen Autoroboter, um Jaguar und Royce zu retten?
Dann wird ein rothaariger Experte über die Auswirkungen des Irak-Embargos auf Jordanien befragt. Auch dieser konstatiert starke Verwundbarkeit.
Der Moderator kommt zur Sache. Was soll nun der Investor tun? Die Antwort liefert ein alsogleich herbeigezauberter Experte der mittleren Generation.
Das erste Opfer eines Krieges sei die Wahrheit, das zweite der Investor.
Wunden und Opfer. Wunden und Opfer. Das ist die Wahrheit. Der Experte empfiehlt Swiss Bonds.
Der weise Investor kann das Transkript dieser Männerrunde für fünf Dollar bestellen.
Auf CNN wird unterdessen Caspar Weinberger, genannt Das Messer, interwiewt. Und der Haifisch, der hat Zähne. Dazwischen werden gelegentlich die guys in Bägdäd nach der Lage gefragt.
In Europa ist schon tiefe Nacht.
O Mond, guter Mond, bleib stille.
Nur ruhelose Gesellen wie Moran leiden noch an ihrer Wachheit.
Die Herren Arnett und Holliman vermelden Kriegslärm, die Verbindung bricht ab.
Der Moderator, leicht verwirrt, fragt Das Messer, was wohl los sei. The Knife vermutet, es könne entweder zielloses Flabfeuer nach einem Fehlalarm sein oder, und hier spielt der Anflug eines Lächelns um seine scharfgeschnittenen Züge, der Beginn eines Luftangriffs.
Der Moderator fasst die letzte Sequenz vor Abbruch der Verbindung nach Bagdead, Dead Bag, nochmals zusammen. Es sei von Blitzen am Himmel und Artilleriefeuer die Rede gewesen. Aber kein Flugzeuglärm war hörbar, und die Lichter des alten Babylon blieben eingeschaltet. Der Moderator vermutet nochmals ganz stark und echt ehrlich einen Fehlalarm. Das nimmt Weinberger auf, das scheint ihm auch so. Im Ernstfall müssten die Lichter ausgehen. Allerdings sei es auch bei dem noch unter seiner aktiven Mittäterschaft durchgeführten Luftraid über Tripolis so gewesen, dass die Lichter erst nach dem Angriff ausgeschaltet worden seien. In Bagdad allerdings, vermutete er, könne man die Lage doch immerhin so klar einschätzen, dass sie die Lichter löschen würden, falls dies wirklich der Beginn der Attacke sei.
Der Moderator fragt jetzt Wolf Blitzer, Pentagonkorrespondent, was los sei. Der hält es durchaus für möglich, dass die sich in den letzten Stunden verdichtenden Gerüchte über den bevorstehenden Angriff und eine diesbezügliche Erklärung des Präsidenten eventuell wirklich.....
Der Moderator unterbricht ihn, weil er jetzt wieder nach Bagdad schalten kann.
Von dort tönt es: Go ahead, I can hear, I can record.
Das Bild Hollimans, eingerahmt von der Landkarte der Golfregion, erscheint.
Aber der Moderator hat die Verbindung wieder verloren. Er kann nur noch sagen: Ich bin David French, Washington.
Das sehen wir ja.
Nun erscheint aber doch wieder das Zweistromland unter dem Fotoporträt des blonden John Holliman, Hans Heilig Mann. Und seine Stimme ist hörbar, sie ruft nach der CNN-Zentrale in Atlanta. Der Moderator ist ausgefallen, der Techniker hat offenbar über seinen Kopf hinweg Bagdad auf Sendung gebracht. Die Stimme Hollimans aus dem Al-Raschid-Hotel erzählt von den Geschossen, die den Nachthimmel in Bagdad zerreissen und er hofft, sicher ist er nicht, dass man ihn hört. Die Stimme verspricht, so lange weiterzureportieren wie sie könne. Die Stimme vermutet, dass die Attacke, wenn es eine sei, sich gegen den internationalen Flughafen richte. Die Stimme vermisst immer noch die Flugzeuge. Die Stimme sieht und hört nur die Leuchtspurgeschosse der Luftabwehr und vermutet, dass auch die CNN-Zuhörer die Bombenexplosionen hören können. So ist es.
Der Krieg hat begonnen, I presume, denkt Moran.
Der Reporter hält das Mikrofon zum kugelsicheren Hotelfenster hinaus. Eine halbe Minute lang wird Kriegslärm pur gesendet.
Dead live.
Dann macht der routinierte Reporter eine Zeitansage: Zwanzig Minuten vor drei Uhr morgens. Die Explosionen kämen immer näher zum Hotel, wird reportiert. Und der Reporter müsse jetzt die Verbindung nach Atlanta überprüfen. Er weiss immer noch nicht, ob seine Botschaft ankommt oder ob er, inmitten von Tod und Zerstörung, nur noch mit sich selber spricht. Es folgt Stille. Nun meldet sich der Moderator zurück. Er versichert dem Reporter, er sei auf Sendung und er möge fortfahren mit der Uebermittlung des Kriegslärms, solange er könne.
Es klappt nicht.
Der Pentagonreporter kommt ins Bild. Wenige Minuten vor seiner Ankunft sei hier alles ins Büro des Verteidigungsministers gerast. Er rät dem Moderator, wieder Verbindung mit Bagdad aufzunehmen.
Wahrscheinlich stürzte sich alles im Pentagon vor die Fernseher, um CNN live aus Bagdad zu hören. Und da schaltet CNN ausgerechnet ins Pentagon. Kurzschluss.
Von Weinberger hört man nichts mehr.
Holliman berichtet, der Hotelboden schwanke unter ihnen im Rhythmus der Explosionen. Bagdad sei immer noch beleuchtet. Einmal mehr fragt sich der Reporter, ob er wirklich live auf dem Sender sei oder nicht.
Im Hintergrund hört man die Mutmassung Peter Arnetts, er nehme dies eigentlich an.
Der Bombenkrieg im Morgenland live vor den Polstermöbeln der westlichen Welt.
Das Mikrofon wird wieder aus dem Hotelfenster gehalten. Um dem Zuschauer die volle Bomberpilotperspektive zu sichern, erscheint eine Satellitenaufnahme des Zentrums vom Bagdad auf dem Bildschirm. Darin eingeblendet, in babylonischer Sprachverwirrung, die drei Worte BAGDAD LIVE AUDIO.
In diesem Ausschnitt aus der Oberfläche der Stadt Harun al Raschids leben vielleicht zwei Millionen Menschen. Von ihnen hört und sieht der Zuschauer nichts.
BAGDAD LIVE AUDIO
Holliman versucht wieder, Verbindung mit der CNN-Zentrale aufzunehmen. Wieder tritt genau in diesem Moment der Moderator ins Bild und beruhigt die Zuschauer, die Reporter hätten schon früher berichtet, dass es in ihrem Hotel einen bombensicheren Bunker gäbe. Und er schaltet wieder zum Pentagon.
Blitzer neigt immer mehr zur Ansicht, dies sei der Angriff, zuerst vorgetragen von radarunsichtbaren Stealth-Bombern. Gerüchte über einen solchen Nachtangriff habe er schon während des ganzen Tags gehört. Er empfiehlt, wieder die Reporter in Bagdad auf Sendung zu bringen.
Der Stadtplan von Babylon erscheint wieder. Holliman berichtet: Feuerpause, Bagdad immer noch beleuchtet, ein Bus fährt am Hotel vorbei. Nur noch einzelne Geschosssalven erleuchten den Himmel über der Vier-Millionen-Stadt, sagt er. Weitere Bombenlasten fallen. Und die Lichter der Stadt gehen langsam aus, jetzt.
Vier Millionen Menschen sind live dabei in Bagdad. Live. Lebendig oder tot, Life is Life.
Holliman wundert sich darüber, dass die Attacke in der Hotelumgebung keine Wirkung zeigt. Er sieht kein Feuer, keine Flammen.
Er sagt nochmals, die Lichter seien ausgegangen. Er verstummt. Was soll er reportieren, wenn er nichts sieht? Den Kriegslärm. Er gibt Order, das Mikrofon wieder aus dem Fenster zu halten. Die Regie in Atlanta schaltet sofort wieder auf die Luftaufnahme des Angriffsziels um. Geknatter, Rauschen, Bum Bum Bum.
BAGDAD DOWNTOWN wird jetzt in die stille Flugaufnahme von Babylon eingeblendet. DEAD BAG. BAGDAD. BAGDAD DEAD TOWN.
Aber man darf das Publikum nicht langweilen. Nur im Morgenland ist jetzt nachtschlafender Morgen. Gut, dass der Planet eine Kugel ist. Für das US-Publikum findet der Angriff zur besten Sendezeit statt. Bei der Konkurrenz laufen spannende Krimis und schöne Shows.
Es wird in Bagdad noch lange knallen und dunkel bleiben.
Moderator French kündigt Abwechslung an: The White House. Charles Bierbrauer, im hellen Trenchcoat, steht dort vor der Tür wie ein Hausierer und berichtet, dass die Herrschaften gute Kunden sind. Der Präsidentensprecher Marlin Fitzwater sei in den Fernsehraum gegangen, um hinter verschlossenen Türen CNN zu schauen, sagt Bierbrauer auf CNN. Leider lässt ihn Fitzwater nicht live übertragen, wie die Herren im Weissen Haus CNN sehen. Bierbrauer sagt, die leitenden Zuschauer hätten keine offizielle Bestätigung des Angriffs abgeben wollen, der auf ihren Befehl erfolgt ist und dem sie zuschauen. Vermutlich kauen sie dazu Erdnüsschen und Popcorn.
French schaltet ins Pentagon.
Wolf Blitzer vor der Weltkarte, das Mikrofon vor der Krawatte.
Es gebe Anzeichen dafür, dass die US-Piloten austesteten, wie weit sie gehen könnten, bis der erste irakische Schuss falle. Falls dies aber wirklich THE REAL THING sei, so sei dies Teil des amerikanischen SPIELPLANS. THE AMERICAN GAME PLAN. Denn in Bagdad sei es jetzt, das ist richtig, Donnerstagmorgen, und höchstwahrscheinlich würden die Muslime, ihren religiösen Sitten folgend, am Freitag losschlagen.
Eine interessante religionskundliche Betrachtung.
Es ist ja immer der Feind, der losschlägt.
Stets wird zurückgeschossen. Bekanntlich war Kain ein Bewohner Mesopotamiens.
Das darf der Westen nie vergessen.
Das Pentagon liefert CNN keine offizielle Bestätigung für THE REAL THING. Schein und Sein. Was ist wirklich?
Ist es nicht bloss ein subjektives Gefühl der Bewohner Bagdads, wenn sie bombardiert werden?
Und sitzt nicht jeder Fernsehzuschauer in seiner Höhle und verfolgt ein blosses Schattenspiel, das mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun hat?
French kündigt wieder Bagdad an. Zwar könne Holliman ihn (French sagt: UNS) nicht hören, aber er (French sagt: WIR) könne ihn hören. Hollimans Porträt erscheint. Seine Stimme sagt: David, ein Wunder ist passiert. Ein Wunder, hört Moran. Ein Wunder ist passiert, sagt Heiligmann:
Wir können dich hören.
Alles klappt. Wir bombardieren Bagdad, und wir sind dabei. Wunder über Wunder.
Wir werden jetzt wieder das Mikrofon in die Attacke hinaushängen.
Und, David, du hast keine Ahnung, wie nett es ist, hier in dieser bemerkenswerten Nacht in Bagdad deine Stimme zu hören. Nett, Nett, Nett. Nett. Geknatter. Nett Nett.
Bum. Wunder. Bum. Bum bum. BUM BUM BUM BUMMMM. Nett Nett Nett Nett Nett. Nett, Arnett, ganz nett.Blitz.Bum Bum. Blitz.Wunderbum. Blitzer. Nett Nett. BUMBUM
wundernett. Nett Nett. Netter Netter Netter. Nett Nett.
Holliman übergibt das Mikrofon an Peter Arnett, mit dem Kompliment, dieser habe schon in Vietnam viel Berufserfahrung im Reportieren aus dem Schussfeld gesammelt.
Gut gut, sagt Arnett und fachsimpelt. Etwa 200 Flabkanonen rund um den Regierungspalast seien am Feuern.
Gut Gut Gut Gut Gut. Bum Bum. Nett Nett Nett Nett. Gut gut. Nach wie vor sehe und höre man keinerlei Flugzeuge. Aber Bombenexplosionen seien hörbar, aus mindestens drei verschiedenen Zielgebieten. John Holliman schickt ihn wieder ans Fenster, damit WIR in möglichst nahem Kontakt mit der realen Situation bleiben.
Real situation.
Da muss Moran an das Lied von Bob Marley denken.
Bob Marley ist schon seit 12 Jahren tot.
Er hat gesungen:
Real Situation, Total Destruction, Only Solution.
Er singt es noch als Toter weich, wie ein Schlaflied.
Real Situation.
Total Destruction.
Only Solution.
Moran liebt dieses Lied und hört es gern. Er hat es zu Weihnachten seinem Patenkind geschenkt.
Stell Dich der Wirklichkeit.
Krieg der Nationen gegen Nationen.
Wie fing es an, wie wird es enden.
Offenbar ist die totale Vernichtung
Die einzige Lösung.
Nichts hilft mehr.
Nichts hält sie auf.
Niemand kann sie stoppen.
Wir gaben ihnen den kleinen Finger.
Sie packen uns an den Händen und reissen uns fort.
Einmal ein Mann, zweimal ein Kind.
Nichts ist von Dauer.
Es scheint, dass die totale Zerstörung
Die einzige Lösung ist.
Nichts hilft mehr.
Nichts hält sie auf.
Wir sind machtlos.
Stell dich der Wirklichkeit.
Schau sie an, schau hin.
Nation gegen Nation.
Wie fing das an.
Wie wird das enden.
Einzige Lösung
Totale Zerstörung.
Wir können nichts tun.
Versuch es nicht, es ist sinnlos.
Nimm Abschied von deinem Leben
Es gibt kein Zurück .
Moran lebt. Er hört hin, schaut zu. Er liegt auf den Sofa.
Er kann die Zerstörung nicht stoppen. Er isst einen Riegel Schokolade.
Seltsame Namen: Hollimann. Bierbrauer. Blitzer.
Holliman erzählt weiter, ein Auto sehe er, mit Blaulicht, die Stadt sei immer noch abgedunkelt. Er höre Bombenexplosionen, Flugzeugabwehrkanonen, und er nehme an, dass das geschätzte Publikum auch das höre, was er höre. What you hear is what you get.
Mein Ohr in Bagdad. Holliman fehlt der Ueberblick.
Er fragt Peter Arnett, wo denn der Präsidentenpalast liege. Arnett sagt, der sei bloss eine Meile von hier entfernt.
Das Bombardement habe den Palast noch nicht erreicht. Der Angriff habe nach hiesiger Zeit um 2 Uhr 40 begonnen. Der Himmel sei klar, man sehe die Sterne. Am Vortag sei Bagdad totenstill gewesen, die Läden geschlossen, viele Leute hätten die Stadt verlassen. Es habe Gerüchte gegeben, dass der Schlag der multinationalen Kräfte heute kommen könnte, und er kam.
Totenstill ist die Stadt jetzt nicht mehr. Besorgt, mit gekrauster Stirn meldet sich der Moderator. Ob alle von der Crew okay seien. Holliman kichert, sie seien entzückt über die Teilnahme. Soweit sie wüssten, habe das Hotel noch keinen Treffer erhalten, die Mannschaft sei wohlauf, mit Ausnahme eines Tontechnikers, der leicht erkältet sei. Fachkundig schaltet sich Arnett ein, bittet um Abklärung seiner Vermutung, diese ersten Schläge seien gegen die irakischen Radarstationen gerichtet gewesen, und nächstens sei noch weit mehr zu gewärtigen. Der Moderator weiss nur von einem Militärreporter aus Saudiarabien, wonach dort fünfzehn vollbeladene Nachtflug-Langstreckenbomber gestartet seien.
Mehr wisse er auch nicht. Holliman versichert, er und seine Mannschaft würde reportieren, was sie sähen, solange sie könnten.
Inmitten der verdunkelten Stadt leuchte immer noch das Warnlicht auf der Spitze eines Radio-Sendeturms, sagt Holliman. Arnett, am andern Fenster, schliesst aus der Intensivierung des Flabfeuers auf den nächsten Angriff.
Holliman geht von der Peilungshilfe für Bomberpiloten zur patriotischen Stimmungsmalerei über.
Die von Explosionen und Abwehrfeuer hübsch beleuchtete Szenerie wirke auf ihn wie das Feuerwerk zum Fourth of July, das am Gründungstag der USA jeweils am Washington-Denkmal gezündet werde. Rote, gelbe, weisse Lichtspuren und Explosionen. Hübsch, sagt er. Heuer feiern die USA in Bagdad Geburtstag, denkt er wohl.
Und jetzt, woooow, eine riesige Explosion aus der Luft. Das zielte vermutlich auf die Telekommunikationsverbin-dungen. Das sind nun Explosionen im Zentrum der City, sagt Holliman. Seine Stimme und seine Stimmung heben sich. Nur drei Meilen entfernt. Der Kriegslärm wird lauter, aber der Tontechniker sorgt dafür, dass es eine artige Geräuschkulisse bleibt.
WAR IN THE GULF
Noch hat CNN nicht dieses schauerliche Kriegsplakat mit dem Kesselpaukensound auf seinem Schirm. Noch fragen sich die Herren Bierbrauer, Blitzer, French, Holliman und Arnett, ob THE REAL THING wirklich schon im Kasten ist.
John Holliman schildert unbeirrt, begeistert, liebevoll, empathisch, mit Freude in der Stimme und sehr einfühlsam die Explosionen, die Leuchtspurmunition, das Knattern. Auch die Videokamera läuft, aber es sei schwierig, die Videoverbindung herzustellen, es könne noch Stunden dauern bis zur Uebermittlung der Bilder.
Der Moderator meldet, das Truppenkommando in Saudiarabien habe formell bestätigt, dass der Krieg begonnen habe. Er spricht simultan zur Stimme von Holliman, der immer neue Explosionen und Lichter sieht.
Moderator French kündigt den Präsidentensprecher Fitzwater an, man sieht schon das Rednerpult, den blauen Vorhang mit dem Signet des Weissen Hauses. Und jetzt tritt Martin Fitzwater ein, sagt der Moderator, um mit seiner Mitteilung Geschichte zu machen.
Zoom auf Fitzwater. Er ist keine Schönheit, aber HIS MASTERS VOICE.
Fitzwater liest eine Mitteilung des Präsidenten von einem Zettel ab:
THE LIBERATION OF KUWAIT HAS BEGUN. Unter dem Namen DESERT STORM habe die Operation der multi-nationalen Streitkräfte zur Ausführung des UNO-Mandats gegen Destinationen in Kuwait und im Irak begonnen. In zwei Stunden werde Präsident Bush eine Fernsehrede halten.
Dies ist das, was ich Ihnen zu sagen habe. Danke.
Fitzwater geht ab, die Reporter begleiten seinen Abgang mit einem Gewirr von unbeantworteten Fragen.
Hat die UNO nicht eine Friedenstaube in ihrem Signet? Sie ist zum Adler mutiert.
Back to Bagdad. Der Kriegsssound ist wieder da, ebenso der Fussballreporterton von Holliman und Arnett. Jetzt berichtet auch noch Bernie Shaw von all den Flashes
und Explosions, von Illumination und Black-Out.
Der Korrespondent in Saudiarabien erscheint. Er erzählt vom Start vieler Flugzeuge Richtung Norden. Er muss erst die Gasmaske abstreifen, um zu reportieren, behält sie aber in der Hand. Soeben habe es Alarm gegeben. Plötzlich ist er weg vom Bild, der Bildschirm wird grau, es rauscht. Der Moderator beruhigt, das habe nicht zu bedeuten, es sei etwas passiert mit dem Korrespondenten. Was hat ihn weggezappt?
Korrespondent Bleistein aus Jerusalem: Das Radio sende CNN live, Aussenminister Netanyahu schaue CNN.
Jeane Moos berichtet vom UNO-Gebäude in New York. Der Generalsekretär sitze in seinem Büro und schaue TV.
Die Reporter aus dem Al-Rashid-Hotel vermelden unter Gekicher, sie hätten genügend Crackers und Wasser, um den Krieg, der ja gemäss Präsident Bush kurz sein werde, im Hotelzimmer ohne Versorgungsschwierigkeiten durchzustehen. Der Himmel sei schwarz, und es sei unwirklich still jetzt. Kein Knattern mehr.
Moran schaltet um auf TV Vierstadtland. Auch TV Vierstadtland schaut CNN, ein Nachrichtensprecher übersetzt schleppend. Eine neue Angriffswelle auf Bagdad sei im Gang. Dann geht das Vierstadtländer Fernsehen wieder schlafen.
Zap.
CNN direkt. Ein Militäranalytiker namens Blackwell steht neben einer Karte von Bagdad und erklärt dem Publikum die strategischen Ziele der Amerikaner in diesem alten Kulturzentrum.
Bierbrauer meldet aus dem Weissen Haus, der Präsident habe die bevorstehende Rede schon vor mehr als zwei Wochen ausgearbeitet, und zwar höchstpersönlich.
Die Verhandlungen in Genf waren nur Show, Bush hat seinen Krieg von langer Hand geplant.
Im übrigen habe auch Bush CNN visioniert, nachdem er noch den übrigen Weltführern telefonisch mitgeteilt habe, er lasse in den nächsten Stunden losschlagen.
Auch in Amman, sagt der dortige Korrespondent, schaue man CNN.
Aus Bagdad wieder volles Knattern. Bernie Shaw erklärt feierlich: Gentlemen, Sie sehen hier ein Beispiel chirurgischen Bombardierens. Arnett sagt, er solle das näher erklären. Bernie: Es gibt keine wilden Bomben, die aus dem Rahmen fallen, und man merkt kaum etwas von den Flugzeugen. In den letzten zweieinhalb bis drei Stunden seien immer genau die gleichen Bereiche bombardiert worden. Arnett korrigiert Bernie lachend, es habe erst eine Stunde lang gedauert, und vielleicht habe er recht, aber das könne man wohl erst im Licht des Tages beurteilen. John Holliman vergleicht die Attacke zum dritten Mal mit dem Feuerwerk zum Nationalfeiertag der weissen Amerikaner.
Der Moderator berichtet von Vermutungen, wonach irakische SCUD-Raketen nach Dhachran in Saudiarabien abgefeuert worden seinen.
Wolf Blitzer aus dem Pentagon berichtet, gemäss dem Kommando der Multinationalen verlaufe diese Luftattacke sehr sehr positiv.
Es sei eine reine Luftkampagne, und sie sei während vielen Wochen und Monaten sehr genau vorbereitet worden. Alles verlaufe genau nach diesen von langer Hand vorbereiteten Plänen. Kein einziges Flugzeug sei bis jetzt verloren gegangen.
Der Moderator freut sich, den vorübergehend aus dem Bild gefallenen Korrespondenten in Dhachran wieder live präsentieren zu können. Charles Jaco berichtet, man habe ihm wegen eines Luftalarms mitten im Report den Strom abgestellt. Bis jetzt gebe es keine Anzeichen einer irakischen Gegenwehr. Keine irakischen Flugzeuge und auch keine Raketen hätten bis jetzt den massiven multinationalen Luftschlag beantwortet.
Wolf Blitzer spricht jetzt aus einem neuen kleinen Rahmen mit Markenzeichen WAR IN THE GULF : Der Angriff laufe erfolgreich und genau gemäss monatelang ausgearbeitetem GAMEPLAN. Der erste Schlag sei zwecks Ausschaltung aller Batterien von Luftabwehrraketen sowie zwecks Zerstörung der irakischen Radarstationen geführt worden. Es sei gelungen, das irakische Radar von Anfang an elektronisch auszuschalten. Arnett kann dem zustimmen. Er berichtet ferner, die bevölkerten Quartiere von Bagdad würden nicht bombardiert.
Ob es dort unbevölkerte Quartiere gibt?
Auch die Brücken über den Tigris würden nicht bombardiert.
Wolf Blitzer meldet: Dass keine irakischen Raketenangriffe auf Israel und Saudiarabien erfolgt seien, liege daran, dass zu den ersten Zielen dieser Luftattacke auch sämtliche SCUD-Abschusseinrichtungen gehört hätten.
Nun, nach eindreiviertel Stunden DESERT STORM, bringt der Moderator French wieder seinen Studiogast ins Bild: THE KNIFE Weinbörger. Dieser grinst über seine ganze verrunzelte Visage. Es sei eine volle taktische Ueberraschung gelungen. Das sei ganz ähnlich gewesen wie in Lybien. Dort seien die Lichter von Tripolis erst ausgegangen, als der Angriff auf Gaddaffis Familie schon vorbeigewesen sei. Und es werde ganz genau darauf geachtet, dass keine Zivilisten getroffen würden.
Jaco aus Dhachran meldet sich unverhofft, bereits heulen wieder die Sirenen, er kann nur noch mit gehetzter Stimme durchgeben, laut saudischen Kommandanten handle es sich bei diesem Luftangriff um eine Mammut-Attacke.
Nichts gegen Mammuts, denkt Moran.
Seine Geschichtsphilosophie lautet:
Von dem Punkt an, wo die Urmenschen das tropische Afrika verlassen haben, ging es mit der Welt bergab. Im wilden, heissen, kargen Afrika blieben die Menschen im Gleichgewicht mit der Natur. Im nasskalten Europa wurden sie böse und aggressiv, hier und auch in Asien, in Amerika begannen sie in immer besser organisierten Raubhorden die Grosstiere auszurotten. In Afrika gibt es noch Elefanten, in Europa gibt es keine Mammuts mehr. Die Menschen, die Afrika verlassen hatten, fingen damit an und hörten nicht mehr auf, Elefanten zu zähmen, Tiger zu erlegen, den Planeten umzugestalten, mit Mauern zu überziehen, ihn auszuhöhlen, aufzuwärmen, zu vergiften und zu bombardieren.
18. JANUAR 1991
Zap. ORF.
Ein Experte rechnet mit irakischen Kamikaze-Fliegern. Fünfzig Prozent der irakischen Luftwaffe seien in Bunkern unversehrt geblieben.
Der Moderator vergleicht die zweitausend EINSAETZE der amerikanischen Luftwaffe in den letzten vierundzwanzig Stunden mit den tausendzweihundert EINSAETZEN, welche seinerzeit pro Woche in Vietnam EINGESETZT wurden.
Dann zeigen auch die Oesterreicher die CNN-Videos.
Ein Experte aus dem HEADQUARTER der NATO hat berechnet, dass bisher, also binnen zweier Tage, achtzigtausend Tonnen Bomben auf den Irak abgeworfen worden sind.
Wie er das aufschreibt, ungefähr zwei Jahre später, denkt Moran, dass vor kurzem lumpige hundertfünfzig Kilo Dynamit, oder was es war, fast das World Trade Center
in New York City zum Einsturz brachten. Es hat gewankt und geraucht. 0,l5 Tonnen, 80'000 Tonnen. Rechne.
Und Vietnam, Vietnam entwickle sich langsam zu einer touristischen Destination.
Und natürlich geht es nicht an, einfach Vietnam mit dem Irak, Krauts mit Rüben zu vergleichen. Schwartzkopf hat dazugelernt. Wie doch Bernie Shaw schon sagte: Chirurgisches Bombardieren.
Ja. Heutzutage sitzt der Chirurg am Joystick vor dem Bildschirm und steuert das Endoskop mit der Minikamera sowie das Lasermesser durchs Gedärm, oder was sonst sein Operationsfeld ist.
Ebenso sitzen Mitte Januar 1991 die multinationalen Piloten am Steuerknüppel und am Bomben-Joystick.
Die beste Vorbildung für die Traumberufe Chirurg und Pilot, kombinierbar zum Traumberuf Bomberpilot, ist fleissiges Ueben am Joystick vor dem Computer Game.
Hilfreich für DESERT STORM ist auch, dass im Irak keinerlei Dschungel entlaubt werden muss. Der optische Zugriff auf die Zielobjekte ist unverstellt.
CNN zeigt Chief General Schwartzkopf. Ein starker Mann. Er leitet den Golfkrieg und die tägliche Medienkonferenz.
Er führt per Video einige Aufzeichnungen der Bombardemente aus der Perspektive des Bombers vor. Schwarz-Weiss.
Umso wärmer und natürlicher kommen nach diesen Einschüben die warmbraunen Tarnfarben der Generalsuniformen wieder ins Bild.
Ein Gehilfe Schwartzkopfs setzt den Video in Betrieb.
PLAY.
Das Kreuz ruht auf einem militärischen Schuppen in der Wüste. Es ist das Videoband 38779/889 TRK H L 24. OK TTG 885. Der Schuppen ist ein SCUD-Bunker. Die ganze Landschaft schwenkt. Der Horizont ist vertikal, der Bomber dreht ab. Ein Kugelblitz fährt in den Bunker, flackert über den Bildschirm, der wird schwarz.
Der Blitz erlöscht. Langsam wird die Wüste wieder sichtbar, der Bunker, aufgerissen, brennt. Am Bunker nebenan erläutert der Kommentator, wie die Bombe sorgsam durch eins der drei Abschusslöcher des Bunkers ins Bunkerinnere gesteuert werden konnte. Es handelt sich hier um Spitzenleistungen dieses Arbeitsgebiets.
Und noch ein War-Game-Video. This is the Headquarter of die Air Force in Bagdad, sagt General Horner aus dem Headquarter of the US Air Force.
Ein teures Hochhaus, von Parkanlagen umgeben. Der Schnittpunkt des weissen Kreuzes liegt genau auf dem Belüftungsschacht im Dach des Bauwerks. The pilot drops the Bomb in the Center of the Building. Schwarzer Rauch dringt aus allen Seitenfassaden.
General Horner will die Flugzeugverluste nicht beziffern.
Eine Journalistin fragt nach einer Abschätzung der Zahl der irakischen Verluste.
Schwarzkopf sagt, er wolle nicht das Geschäft des Leichenzählens betreiben. Das sei absolut lächerlich.
Next question please.
Next question please.
Next question please.
Lets stop it now.
Schwarzkopf dankt nochmals den jungen Männern und Frauen seiner Truppe dafür, dass sie ihre Arbeit tun.
Zap.
Boris Becker tut auch seinen Job. Zack. Plop. Er spielt in Australien bis zur Entscheidung. Plop. Plop. Plop. Slash. Plop. Sieg oder Flop. Plop.
Zap.
CNN again.
Der Kriegsmoderator David Crompton ist müde, aber glücklich.
Er schaltet live in die Nacht über Bagdad. Dort haben sie die Farbe endlich richtig eingestellt. Es ist nicht mehr so giftgrün wie in den ersten Bombennächten. Eine violette, subtropische Nacht. Uebung macht den Meister. Jetzt, sagt der Korrespondent, kommen erste Flab-Leuchtspuren. Und da hinten, splash, die erste Bombe. Silberweiss auf violett explodiert es da hinten irgendwo.
Nun zeigt auch TV Vierstadtland, in Lizenz, die Christbaum- und Bombervideos. Die Bombennacht vom 17. Januar hat in dieser Kopie einen Stich ins Blaugrüne. Der Sprecher sagt zum Bild von Piloten, die nach dem Raid in den Speisesaal schlendern: Für die Piloten ist es wie die praktische Ausführung eines Spiels im Ernstfall.
Das Leben ein Spiel. Die kanadischen Piloten haben tiefgekühltes Sperma deponiert. Für den Fall, dass die Frau ein Kind des toten Helden will. Aber sie leben noch.
General Schwartzkopf sagt:
Das ist nicht Panama. Dieser Krieg wird nicht in einem Tag vorbei sein.
Auch President Bush meint:
Es wird Verluste geben. Krieg ist nie billig oder leicht.
Zap.
Die Hand eines Uniformierten streichelt liebevoll ein Metallteil. Es ist ein altes Propellerflugzeug, eine Fliegende Festung. Bomben werden auf grossen Tiefladern und kleinen Handwagen unter die Laderaumöffnung des Flugzeugs gebracht und hereingehievt. Darunter ein ganz besonderes, mannshohes, eiförmiges Exemplar. Es wird mit einer speziellen Lademaschine langsam in den Bauch des Flugzeugs eingeführt. Das Flugzeug heisst Enola Gay. Das eiformige Ding ist die Atombombe, welche Hiroshima auslöschte. Der Pilot wird von Kameraden umringt und verabschiedet. Er winkt aus dem COCKPIT. Das Flugzeug startet, schwebt hoch über den Wolken, gefilmt aus einem Begleitflugzeug.
Fernöstliche Menschen flanieren. Die Filmmusik wird bedrohlicher. Ein bebrillter Japaner schaut nach oben, in den Himmel. Die Uhr auf einem Pagodenturm zeigt viertel nach acht. Die Uhr am Handgelenk des Piloten auch. Die Ladeklappe öffnet sich. Der Bombenwerfer dreht den Schalter auf FIRE. Die fliegende Festung dreht ab.
Der bebrillte Japaner nimmt eine Hand über die Augen,
um im Licht der Morgensonne zu erkennen, was passiert.
Der Bildschirm wird weiss. Langsam zeigen einige wiederkehrende dunkle Stellen den Umriss einer riesenhaften, pilzförmig aufquellenden Rauchwolke an.
Die Musik ist sehr laut. Der Pilz steigt höher und höher, durchbricht die Wolkendecke. Ein Schriftzug erscheint. Hiroshima, 8. August 1945. Eine andere Uhr in einem zertrümmerten Gebäude zeigt immer noch auf viertel
nach acht.
Der amerikanische Präsident Truman erscheint im Bild.
Er lächelt und sagt: Wir gaben mehr als 2 Milliarden Dollar aus, wir nahmen grosse Risiken auf uns, und wir haben gesiegt.
Nur das Teuerste ist gut genug.
Es sei aber doch eine hässliche Verantwortung. Deshalb habe er zu Gott gebetet, alles sei nach dessen Willen geschehen. Sagte der Präsident.
Die vier Propeller einer anderen Fliegenden Festung werden angeworfen. Sie steigt auf, über die Wolken, über Nagasaki, dort quillt ein zweiter Pilz auf. Nagasaki ist das Zentrum der japanischen Christen, dort wollte Gott eine zweite Variante der für teueres Geld entwickelten Bombe testen. Auch hier ging alles nach dem Willen der Erfinder und des Präsidenten vor sich.
Wie sagte doch Schwartzkopf eben noch:
Alles verlief genau so, wie wir es erwarteten.
Ein Schriftzug erscheint: Nagasaki, 9. August 1945.
US-Soldaten landen auf japanischen Inseln. Sie bilden das klassische Soldatenknäuel mit den Stars and Stripes. General MacArthur überwindet einen seichten Sandstrand in Galauniform.
Unterdessen ist der Rauch verweht. Flach liegen die Trümmer Hiroshimas da. Einige Tage nach der Explosion wird das Trümmerfeld auch den verbündeten russischen Militärs zur abschreckenden Besichtigung freigegben. Ein Japaner trägt einen Sonnenschirm für sie, sie tragen die normalen Uniformen. Einzelne wenige Betontrümmer und Strommaste ragen noch auf.
Ein französischer Sender hat diese historische Fussnote gebracht, schwarz auf weiss, wie die aktuellen Bombenvideos.
Zap.
Die neuesten Nachrichten.
Wieder Farbe. Rosige Sprecher, bunte Krawatten.
Golfkrieg.
Bilder von einem amerikanischen Flugzeugträger.
Einem FA-18 werden sorgfältig seine Raketen an die Flügel geschnallt, liebevoll tun die Soldaten ihren Job, fast so, wie ein Mutter ihrem Kind das Sonntagshöschen zuknöpft und glattstreicht. Die Sonne scheint.
Skisport.
Der Sturz des Nachwuchsfahrers wird wiederholt. Er wirbelt durch die Luft, aus der Beckenspaltung quillt Blut. Nebel, Schneetreiben.
Börse.
Tendenz steigend. Der Dollar sank gegenüber dem Yen leicht.
Der Oelpreis, um den geht es schliesslich, lag am l8. Januar 1991 bei genau 20 Dollar pro Barrel.
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